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Die Möglichkeiten des Internets für Hörgeschädigte
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Sehr geehrte Damen und Herren,

Schlagworte wie "digitale Revolution" sind heute in aller Munde, und der Begriff "Internet" dürfte z.Zt. wohl einer der meist gebrauchten sein. Jede Firma, jeder Fernsehsender, jeder Kaninchenzüchterverein und auch jeder Privatmann fühlt sich genötigt, seine Weltoffenheit, Dynamik und Modernität mit einer eigenen Adresse im Internet unter Beweis zu stellen.

Ich will versuchen, mich in diesem Referat von Modeströmungen abzugrenzen. Sensationsmeldungen über Pornographie, politische Radikale, Bastelanleitungen für Bomben usw. sind zwar nicht unwahr, dienen aber wohl in erster Linie der Umsatzsteigerung der entsprechenden Medien. Auch, was gerade "in" oder "out" ist, läßt mich total "cool". Mich als Schwerhörigen interessiert vor allem eines: Welchen Nutzen können Hörgeschädigte aus den neuen Medien ziehen, die im Internet auftauchen?

Aber bevor ich mit theoretischen Erörterungen fortfahre, möchte ich Ihnen ganz konkret ein Beispiel präsentieren. Ich will Ihnen einen ganz normalen Tagesverlauf schildern, so wie er sich in ähnlicher Form täglich wiederholen kann. (Sie sehen, ich bin eingefleischter Gehörlosen- und Schwerhörigenlehrer und deshalb auf Anschaulichkeit getrimmt ;-)

Vorweg muß ich nur noch kurz erläutern, daß ich zusammen mit einigen Freunden eine Website für Hörgeschädigte betreibe, den Taubenschlag (www.taubenschlag.de). Der Taubenschlag bestimmt bis zu einem gewissen Grade mittlerweile meinen Tagesablauf. Allerdings sind die Tätigkeiten und die Art der Kommunikation keineswegs an die Arbeit des Webmasters gebunden. Sie werden in gleicher Art und Weise von anderen Hörgeschädigten im Internet genutzt. Ich werde mich bemühen, mich allgemein verständlich auszudrücken. Es ist aber unvermeidlich, daß hier und da Insider-Jargon einfließt. Einiges werde ich im Nachhinein erläutern, und ich stehe Ihren Fragen jederzeit zur Verfügung. Aber vielleicht sollten Sie erst einmal meine Darstellung wie einen fremdsprachlichen Text aufnehmen, bei dem man üblicherweise auch nicht jedes Wort versteht, bei dem dann aber aus dem Zusammenhang doch einiges deutlich wird.

Ein ganz normaler Tageslauf

Nach dem Aufstehen begebe ich mich zuallererst an den Computer, damit er schon hochfahren kann, während ich dusche. Ich will nämlich die frühen Morgenstunden nutzen, in denen die Gebühren niedrig sind und auf der Datenautobahn noch freie Fahrt ist.

Ich wähle mich bei meinem Provider NordKom ein und hole die Post ab - in Form von emails natürlich. Bevor ich die übrige Post lese (ich erhalte täglich ca. 10 bis 20 mails), wende ich mich der täglichen mail vom "Paperboy" zu. Den Paperboy habe ich beauftragt, täglich die Presse im Internet nach Stichwörtern wie "schwerhörig, gehörlos, Gebärdensprache" usw. zu durchforsten. Dieser Service ist kostenlos und sehr zuverlässig. Vorbei die Zeiten, in denen man teure Spezial-Ausschneideagenturen beauftragen mußte, die Presse zu sichten. Da allerdings der Paperboy vollautomatisch arbeitet, ist ein Nachsichten unumgänglich. Natürlich listet der Computer auch Artikel auf, in denen Wendungen wie "stieß mit seinem Vorschlag auf taube Ohren" vorkommen.

Während ich damit beschäftigt bin, die vom Paperboy aufgelisteten Internet-Adressen von Zeitungen zu prüfen, meldet sich per ICQ Krischi aus Philadelphia. Krischi ist Christian Vogler, ein Hamburger Gehörloser, der z.Zt. an der University of Pennsylvania promoviert. Er ist Mitarbeiter im Taubenschlag. Für ihn ist es zwar schon nach 1 Uhr nachts, aber wir können noch einige Dinge besprechen. Er berichtet begeistert von einem Fußballspiel - womit ich Sportmuffel wenig anfangen kann. Aber er berichtet auch von Videofilmen, die er sich angesehen hat, selbstverständlich mit Untertiteln. Und so erfahre ich, daß seit Beginn der 80er Jahre die Produzenten von Videocassetten gesetzlich dazu verpflichtet sind, ihre Cassetten mit CC, mit closed captioning (verdeckten Untertiteln), zu versehen. Glückliches Amerika, bzw. glückliche Hörgeschädigte in Amerika! Außer Belanglosem und Exotischem tauschen wir aber auch sehr Konkretes aus, was die Gestaltung des Taubenschlags betrifft. Und da bemerkt Krischi doch auf der Homepage von Schülern, die ich am Vortag hochgeladen hatte, daß das eine Bild nicht erscheint. Kein Problem! Krischi lädt die Seite schnell herunter, korrigiert den Fehler, und schon kann ich Seite mit Bild auf meinem Rechner betrachten.

Zwischendurch meldet sich "Lovely & Big Smiles" aus Australien. Sie heißt in Wirklichkeit Ritsa, ist gehörlos und seit kurzem arbeitslos. Überall auf der Welt die gleichen Probleme, und die Behinderten trifft es offensichtlich zuerst und vielleicht am härtesten. Ritsa hat auf einem Server in Kalifornien einen Bericht gefunden über einen Mann, der "mit den Tieren spricht". Sie schiebt mir die URL (die Internetadresse) schnell herüber, und mit einem Mausklick betrachte ich dieselbe Seite wie sie in Australien. Da hat ein Mann innerhalb von 30 Jahren einer Gruppe von Schimpansen die Amerikanische Gebärdensprache ASL beigebracht. Was es alles so gibt! "Lovely & Big Smiles" bittet mich noch, die Seite eines Eishockey-Clubs in Seattle aufzusuchen und mich dort ins Gästebuch einzutragen. Sie meint, damit könne ich ihrer gehörlosen Freundin, die dort mitspielt, eine Freude machen. Das wird natürlich sofort erledigt, und schon einen Tag später bedankt sich die Eishockeyspielerin freundlich per email bei mir. Während ich noch mit der Eintragung ins Gästebuch der "Ice Breakers" in Seattle beschäftigt bin, leite ich die URL von den gebärdenden Schimpansen an Krischi in Philadelphia weiter. Die hat er auch noch nicht gesehen.

Nach dem morgendlichen Plausch und der "Redaktionskonferenz" komme ich endlich dazu, meine mails zu lesen und zu beantworten. Dafür können schon mal 2 oder 3 Stunden draufgehen. Allerdings ist diese Art der Kommunikation so komfortabel, daß man im Vergleich dazu schon ein Fax als unbequem und mittelalterlich empfindet. Und snailmails erstmal - geradezu steinzeitlich. (Als snailmail [Schneckenpost] bezeichnet man die herkömmlichen Briefe, auf Papier geschrieben oder gedruckt und dann per Post befördert.) Emails schonen die Umwelt, da sie papierlos sind und keinerlei Transportmittel benötigen. Sie werden am Computer verfaßt, per Mausklick abgeschickt und erreichen ihr Ziel oft schon nach Minuten - überall auf der Welt! In dringenden Angelegenheiten kann es schon einmal vorkommen, daß mehrmals täglich mails zwischen den USA und Deutschland hin und her flitzen. Ich brauche keine Adresse zu schreiben, sondern klicke lediglich "beantworten" an. Ich kann an die mail beliebige Dokumente, Texte, ganze Examensarbeiten, Computerprogramme, Bilder, Tondateien, kleine Filme - schlichtweg alles anhängen und übermitteln. Und wenn es darum geht, eine erhaltene mail auch anderen zugänglich zu machen , genügt ein Kick auf "weiterleiten". Sollen das ganze Team des Taubenschlags oder gar sämtliche Webmaster aller deutschen Hörgeschädigten-Websites informiert werden, dann wird als Adressat die jeweilige Gruppe ausgewählt - und fertig ist die "Postwurfsendung". Dagegen muten selbst per Computer hergestellte Serienbriefe altertümlich an. In bezug auf den Taubenschlag bedeutet das, daß jeder im Team per "Durchschlag" über alle Vorgänge informiert wird. Mit herkömmlichen Mitteln wäre das ein unzumutbarer bürokratischer Aufwand. Per email ist es mühe- und kostenlos und ermöglicht basisdemokratische Arbeitsweisen, von denen man sonst nur träumen könnte.

Aber zurück zu meinem Beispiel-Tageslauf. Nach Erledigung der Korrespondenz bereite ich die vom Paperboy erhaltenen Pressenotizen auf und lade sie zum Taubenschlag hoch. Damit stehen sie augenblicklich weltweit zur Verfügung. Von den Berliner Veranstaltern der "Love Parade for the Deaf" habe ich Textunterlagen und Zeichnungen erhalten. Da geht es dann an die handwerkliche Arbeit, ans Scannen, Nachbearbeiten von Fotos, Tippen, Erstellen von Internetseiten usw. Das ist dann schon etwas zeitaufwendiger, lohnt aber die Mühe, wenn ich später in der Statistik des Taubenschlags sehe, wieviele hundert Besucher sich die Seite angeschaut haben. Und von einigen Schülern höre ich, daß sie tatsächlich in Berlin waren. Ich trage mit dieser Arbeit also offensichtlich zur Verbreitung von Informationen unter Hörgeschädigten bei. Im Vergleich zu anderen Medien bietet das Internet jedoch entscheidende Vorteile:

* Es ist unschlagbar schnell. Internetseiten können die gleiche Aktualität wie Radio oder Fernsehen haben.

* Es basiert auf dem geschriebenen Wort und ist damit auch für alle Hörgeschädigten zugänglich.

* Es ist über alle Grenzen hinweg erreichbar. So kann mein gehörloser Freund in Boston die im Taubenschlag veröffentlichte Zeitschrift "selbstbewußt werden" jetzt 6-8 Wochen früher lesen als sonst.

Am Nachmittag erhalte ich ein Fax von einem Gehörlosen in Süddeutschland. Er weist mich darauf hin, daß heute abend im Fernsehen ein Film über einen gehörlosen Hotelier in Rom gezeigt wird, mit Untertiteln. Sofort setze ich eine Mitteilung in den Taubenschlag, und zusätzlich gebe ich über t-online eine Gruppenmeldung an den Taubenschlag-Quix-Club auf. Minuten später piepsen oder vibrieren die kleinen Empfänger an Gürteln oder Brusttaschen ihrer Empfänger und machen sie auf die abendliche Sendung aufmerksam.

Nun verbringe ich zwar einige Stunden des Tages am Computer, aber hin und wieder mache ich auch einmal etwas anderes. Heute abend wird auf WDR3 in Quarks & Co über Astrologie berichtet. Mit meinen Infrarotkopfhörern genieße ich die Sendung. Einfach köstlich, wie die Redakteure ein Horoskop für den Massenmörder Haarmann ausstellen lassen, es dann an 200 Leser einer Anzeige verschicken und 75% der Empfänger sich in diesem Horoskop dann wiedererkennen - im Horoskop eines Massenmörders! Aber im Fernsehen läuft das natürlich alles sehr schnell ab, und die kompletten Texte kann man im Fernsehen natürlich nicht darstellen. Kein Problem! Quarks & Co hat natürlich eine eigene Homepage. Nach der Sendung suche ich sie auf, lade mir die kompletten Texte herunter, drucke sie mir aus und kann dann in Ruhe und auf Papier das vollständige Horoskop von Haarmann lesen - und sämtliche andere Dokumente, die in der Sendung erwähnt werden.

Ich schaue noch einmal nach, wer von meinen Freunden vielleicht online ist. Aha, unter anderen Lars aus Hamburg. Er entdeckt mich auch und spricht mich an. Lars ist ein junger gehörloser Mann, den ich noch aus seiner Schulzeit kenne. Ich weiß, daß er vor kurzem eine Ausbildung in einem Berufsbildungswerk begonnen hat. Nun berichtet er, daß er die Ausbildung abgebrochen hat und wieder arbeitslos ist. Aber er nutzt die Zeit für sein Hobby und hat sich eine neue Homepage zusammengestellt. Ich sehe sie mir an, während wir uns unterhalten, und stelle fest, daß Lars die "Nur oral - nein danke!"-Aufkleber, die ich vor langer Zeit einmal habe drucken lassen, in seine Homepage eingebaut hat. Geradezu nostalgisch, aber leider auch immer noch utopisch. Und ich sehe, daß Lars offensichtlich mit Begeisterung kleine animierte Bildchen bastelt, sogenannte animierte gifs. Ich frage ihn, ob er Lust hat, für den Taubenschlag eine bewegte Taube zu machen. Er stimmt begeistert zu. Am nächsten Tag treffe ich ihn wieder. Er schiebt schnell mal seinen ersten Entwurf rüber. Wir besprechen Änderungen, die er umgehend angehen will. Mittlerweile ziert Lars' animierte Taube die Titelseite des Taubenschlags. Lars hat Tage mit der Feinarbeit verbracht, und er hat es wirklich vorbildlich sauber gestaltet. Jetzt kann er alle Freunde auf sein Werk hinweisen. Es ist ja weltweit sichtbar, und mit seinem Namen versehen. So hat die Arbeit im Internet hin und wieder sogar therapeutische Auswirkungen.

Ja, und dann meldet sich noch Ralf, der vor einem Jahr ertaubt ist, sich vor einigen Wochen ein CI hat einsetzen lassen und der ganz begeistert davon berichtet, daß er jetzt zum erstenmal die Stimme seines neunmonatigen Sohnes gehört hat. Da werden einem auch an der Computertastatur die Augen feucht. Ralf hat Zweifel, ob es sinnvoll wäre, einen Erfahrungsbericht für den Taubenschlag zu schreiben, da er möglicherweise ein Ausnahmefall ist, aber ich ermuntere ihn dazu. Auch solche Ausnahmen haben ihren Platz im Taubenschlag, wie überhaupt selbstverständlich Meinungsfreiheit herrscht.

Soweit also ein exemplarischer Tageslauf von mir. Vielleicht haben Sie jetzt den Eindruck, daß ich ja wohl mein ganzes Leben am Computer verbringen muß. Das wäre übertrieben, aber so ganz falsch ist es nun auch wieder nicht. Was mein Privatleben betrifft, muß ich erläutern, daß ich seit 3 Jahren Frühpensionär bin und daß ich im Taubenschlag gewissermaßen eine "freiberufliche" Tätigkeit gefunden habe. Aber ein "heavy user" bin ich schon länger, seit etwa 7 Jahren. Vorher war es bei mir jedoch genau entgegengesetzt. Mit diesen blöden Computern wollte ich nichts zu tun haben. Sollen sich doch diese langfingrigen und engstirnigen Informatiker, Mathematiker und Physiker damit abgeben! Nichts für mich! Vom Saulus zum Paulus bin ich erst geworden, als mir der Nutzen für högeschädigte Schüler deutlich wurde. Das bezog sich ursprünglich auf Lernprogramme und hat sich inzwischen auf das Internet verlagert.

Technologische Entwicklung

Nach den ganz persönlichen Darstellungen will ich jetzt zum Grundsätzlichen und Theoretischen kommen. Werfen wir zunächst einen ganz kurzen Blick auf die technologische Entwicklung. Als ich vor 20 Jahren von der Regelschule zur Hörgeschädigtenschule überwechselte, war gerade das Schreibtelefon eingeführt worden. Mir als Neuling leuchtete damals noch nicht ein, welchen gewaltigen Fortschritt das für Gehörlose bedeutete. Sie konnten telefonieren, zwar nur mit anderen Schreibtelefonbesitzern, aber immerhin. Sie brauchten keine Hörenden mehr um Hilfe bitten, sondern konnten selbständig telefonieren. Bei einem Praktikum in England habe ich die dortigen, damals noch klobigen. fernschreiberähnlichen Geräte kennengelernt, und aus Amerika habe ich ein amerikanisches Modell mitgebracht - leider waren die Geräte ja alle nicht miteinander kompatibel. Aber so konnte ich für die Vorbereitung einer Klassenfahrt nach Washington mit meinem gehörlosen Partner dort Kontakt aufnehmen und wichtige Fragen klären. Aber fragen Sie nicht nach der Telefonrechnung! Ca. 100 DM waren das für ein Gespräch!

Der gewaltige technische Fortschritt mit dem Schreibtelefon hatte also zwei schmerzliche Einschränkungen: Auf internationaler Ebene sind die Geräte nicht kompatibel, und die Telefongebühren sind um ein Vielfaches höher als bei normalen Telefonaten.

Der nächste Schritt waren dann die Faxgeräte. Sie sind unter Hörgeschädigten mittlerweile mindestens so verbreitet wie Schreibtelefone. Ihre Benutzung ist billiger, sie sind weltweit kompatibel und man erreicht den Gesprächspartner auch dann, wenn er nicht zu Hause ist. Die Antwort kann allerdings dann auf sich warten lassen, während beim Schreibtelefon eben der direkte Dialog stattfindet.

Nehmen Sie Schreibtelefon und Faxgerät zusammen, fügen Sie Zeitungen, Lexika, Lernprogramme, Fotoapparate, Videokameras, Stereoanlagen usw. usw. hinzu, rühren Sie einmal kräftig um, und Sie haben die Möglichkeiten der nächsten technologischen Entwicklungsstufe, des Internets.

Wenn ich untersuchen will, welchen Nutzen das Internet für Hörgeschädigte hat, muß ich vorab darstellen, welche Defizite bei Hörgeschädigten vorhanden sind. Bei einem Hausbesuch berichtete die Mutter eines schwerhörigen Schülers: "Mein Sohn stellt ganz oft fest: 'Ich fühle mich sooo einsam!' Und sein Freund Florian stimmt dann noch mit voller Inbrunst zu :'Ich auch!! " So anrührend diese authentischen Äußerungen von Kindern auch sein mögen - unter Fachleuten sind die sozialen Probleme Hörgeschädigter, besonders Schwerhöriger, hinlänglich bekannt. Letztlich ist das ja eine Basis Ihres Berufsstandes der Schwerhörigenseelsorger.

Die Ursachen der sozialen Probleme Hörgeschädigter sind vielfältig: Ausgeschlossenheit aus der Gesellschaft der Normalhörenden durch die Hörbeeinträchtigung, durch Artikulationsauffälligkeiten, durch eingeschränkte Sprachkompetenz, andere Mentalität, visuelle Orientierung, andere Interessen...Aus meiner beruflichen Tätigkeit als Schwerhörigen- und Gehörlosenlehrer könnte ich da einige Beispiele aufzählen - was in Ihrem Kreise sicherlich überflüssig ist.

Aber um zur Systematik zurückzukommen: Will man die kompensatorischen Aspekte des Internets aufzeigen, muß man sich die Defizite Hörgeschädigter verdeutlichen -

* im kommunikativen Bereich

* im sozialen Bereich

* im kognitiven Bereich

- allgemeine Informationen

- Wissenserwerb

* im Bereich der Freizeitgestaltung.

Kompensation von Defiziten im kommunikativen Bereich

Grundsätzlich ist die Kommunikation im Internet für Hörgeschädigte zugänglich, da sie in schriftlicher Form stattfindet. Es ist zwar oft die Rede von der billigen Internet-Telefonie, die natürlich ein intaktes Gehör voraussetzt, und auch von Videokonferenzen, die aufgrund der zu übertragenden gigantischen Datenmengen aber noch im Entwicklungsstadium sind. Vorherrschendes Medium im Internet ist aber nach wie vor die Schriftsprache - und eben deshalb bietet das Internet die volle Integration Hörgeschädigter. Sicherlich ist die eingeschränkte Sprachkompetenz vieler Gehörloser und hochgradig Schwerhöriger hier eine Barriere, aber zum einen erlernt man Sprache nur durch den Gebrauch von Sprache, und zum anderen ergeben sich durch den Einsatz von Computern online und offline ungeahnte Möglichkeiten des Wissenserwerbs. Aber davon später.

Auf der Schriftsprache basiert zuallererst die email. Kritiker verweisen auf die Sterilität diese Mediums. Es sei doch viel schöner, einen handgeschriebenen Brief, eben mit der persönlichen Note der Handschrift, auf Büttenpapier, möglichst noch parfümiert, mit Lippenstift-Mundabdruck und beigefügter gepreßter Blume zu erhalten. Das Argument ist sicherlich nicht zu widerlegen, da es sich auf einer unangreifbaren emotionalen Ebene bewegt. Und wenn es sich um einen Liebesbrief handelt, würde ich ihn sicherlich auch in dieser Form bevorzugen als als email. Doch wie oft im Leben erhält man solch schöne Briefe? Und wie oft verzichtet man auf das Schreiben, weil man den Aufwand scheut? Was mich betrifft: Es ist wohl Jahre her, daß ich den letzten Brief mit der Hand geschrieben habe. Und meine elektrische Schreibmaschine habe ich längst verschenkt. Die Kultur des Briefeschreibens war bei mir längst vom Aussterben bedroht - bis die emails aufkamen. Und ein Blick in meinen email-Ordner zeigt mir, daß ich in den letzten 4 Monaten 995 mails verschickt habe. Auch wenn ein Großteil davon nur weitergeleitete mails sind - hätte ich sie mit der Hand schreiben wollen, ich hätte Tag und Nacht schreiben müssen oder eine Sekretärin einstellen. Kurzum: Das Medium email hat zu einer unvorstellbaren Wiederbelebung der Kultur des Briefeschreibens geführt.

In der vorangegangenen Beschreibung des Tagesablaufs habe ich einige Vorteile des Schreibens von emails schon erwähnt. Hier noch einmal systematisch:

* papierlos - und daher umweltfreundlich

* billig - da ein ganzer "Stapel" von mails für eine Telefoneinheit verschickt werden können

* schnell - sie erreichen oft ihr Ziel in Minutenschnelle

* international - Entfernungen spielen keine Rolle

* bequem - Absenderadressen werden per Mausklick übernommen

- weiterleiten einer erhaltenen mail ebenfalls per Mausklick

- "Serienbriefe" an Gruppen von Empfängern

- ablegen und verwalten der mails in programminternen Ordnern

- Volltextsuche nach Stichwörtern in mails und Ordnern

Auch wenn diese Funktionen bei handgeschriebenen Liebesbriefen fehl am Platz und überflüssig sind - bei jeder anderen schriftlichen Kommunikation stellen sie eine traumhafte Erleichterung dar. Nicht zuletzt deshalb ist die email dabei, die geschäftliche Korrespondenz zu erobern. Und das Allerschönste: Hörgeschädigte können an dieser Entwicklung teilhaben und sie nutzen wie Hörende.

Wenn die email ähnlich wie das Fax eine asynchrone Form der Kommunikation darstellt (ich kann sie empfangen, ohne zu Hause zu sein), dann ist der Chat die Parallele zum Schreibtelefon. Hier findet simultane, dialogische Kommunikation statt, zwischen zwei oder mehr Partnern. Die am weitesten verbreitete Form ist der anonyme Chat. Die Teilnehmer benutzen Pseudonyme (nicknames), treffen sich an beliebigen Orten (Chatrooms) und führen mehr oder minder oberflächliche Gespräche. Selbstverständlich sind auch Hörgeschädigte an solchen Gesprächen beteiligt. Und wenn es denn Spaß macht - wer will es jemandem verübeln, wenn er eine andere Identität, ein anderes Geschlecht etwa, vorgibt und seinen Spaß am Flirten hat.

Ich will mich hier jedoch auf das ganz gradlinige und unverstellte Gespräch unter Freunden konzentrieren. Im Gegensatz zu den Chatrooms, in denen sich Unbekannte zum Zeitvertreib treffen, gibt es Programme, die das Auffinden von Bekannten und Freunden in den unendlichen Weiten des Internets ermöglichen. Eines dieser Programme nennt sich ICQ. Es stammt aus einer israelischen Softwareschmiede, und der Name ist eines der im Englischen so beliebten Kürzel bzw. Wortspiele: ICQ = I seek you (Ich suche Dich). Das Programm zeigt mir an, wer von meinen Freunden gleichzeitig mit mir online ist. Wir können auf unterschiedliche Weise Kontakt aufnehmen. Wir können kleine messages (Botschaften) austauschen. Das verläuft dann im Ping-Pong-Verfahren, und während der Gesprächspartner noch schreibt, kann ich mich im WWW umsehen. Wir können aber auch richtig chatten. Dann öffnen sich 2 (oder mehr) Fenster, in denen jeweils das Geschriebene des Teilnehmers zu lesen ist, und zwar zeitgleich, Buchstabe für Buchstabe, inklusive Tippfehler und Korrektur. Diese Kommunikation erfordert - je nach den Schreibmaschinenkünsten der Teilnehmer - volle Aufmerksamkeit. Eine Unterhaltung über ein gemeinsames Thema, z.B. über gemeinsam interessierende Seiten im Internet, wird durch die Möglichkeit erleichtert, Adressen zu verschicken. Der Gesprächspartner braucht dann nur noch die Starttaste für die erhaltene Adresse anzuklicken, und schon sieht er die gleiche Seite wie der Absender. Und darüber kann man sich dann austauschen. Wenn man am gleichen Projekt arbeitet, kann man natürlich auch Entwürfe oder Arbeitsergebnisse übermitteln: Schnell mal einen Textentwurf oder eine Zeichnung "rüberschieben". Beliebt sind natürlich auch Fotos: dem Gegenüber schnell mal ein Familienfoto oder ein Foto vom letzten Urlaub zukommen lassen. Das alles vollzieht sich simultan, man kann dem Gesprächspartner mitteilen: Gleich kommt ein Foto, und Sekunden später ist es da - egal, an welchem Fleck der Erde. Für diese geballte Ladung von Funktionalität gibt es keinen Vergleich und keine Alternative. Sie ist absolut neuartig. Sie ermöglicht es beispielsweise, daß das Taubenschlag-Team, dessen Mitglieder sich in Bremen, Hannover, Hilgermissen, Luxemburg und Philadelphia befinden, mühelos kooperieren können. Sechs Mitarbeiter arbeiten gemeinsam an einer Aufgabe. Jeder ist ständig darüber informiert, was die anderen tun, die Mitglieder helfen und ergänzen sich, treffen sich gelegentlich zu online-Redaktionskonferenzen - und dennoch haben sich viele von ihnen noch nie im Leben real getroffen. Aber das spielt überhaupt keine Rolle. An dieser Stelle bietet sich der nahtlose Übergang an zur

Kompensation von Defiziten im sozialen Bereich

Da Hörgeschädigte eine kleine Minderheit sind, jedoch räumlich meist weit voneinander entfernt leben, war in früheren Jahrzehnten die soziale Isolierung Hörgeschädigter eine traurige Realität. Es gab sogar schon einmal Überlegungen und Bestrebungen, Taubstummen-Siedlungen zu gründen, in denen die Gehörlosen dann unter sich gewesen und kommunikative Not und gesellschaftliche Isolierung - des einzelnen - aufgehoben gewesen wären. Bis vor kurzem gab es auch die Rubrik in der Deutschen Gehörlosen Zeitung "Die Heimat des Gehörlosen ist sein Verein". Was darauf hindeutet, daß selbst in der elterlichen Familie das gehörlose Kind oft von der Kommunikation ausgeschlossen ist. Daher auch der böse Satz: "Selbst der Dackel hat es in der Familie besser als das gehörlose Kind."

Die wichtigsten Faktoren in bezug auf Überwindung der sozialen Isolation sind natürlich die Kommunikation und die geografischen Distanzen. Wie bereits im vorangegangenen Abschnitt erläutert, spielen im Internet beide Faktoren keine Rolle mehr. Kommuniziert wird schriftsprachlich, und die Entfernung ist unerheblich.

Obwohl der Grad meiner Schwerhörigkeit mir das Telefonieren noch mühelos ermöglicht und ich mich (fast) normal in der hörenden Welt bewege, habe ich doch die sozialen Segnungen des Internets zu spüren bekommen: Kontakte zu ehemaligen Schülern, Kollegen an anderen Schulen, Eltern ehemaliger Schüler, Hochschullehrer, Studenten, auch völlig neue Bekanntschaften, nicht zuletzt das Team des Taubenschlags - zu denen ich sonst nie Kontakt gehabt hätte. Um wieviel größer müssen die sozialen Vorteile für diejenigen sein, deren Hörschaden gravierender als meiner ist! Der oben erwähnte Schüler meiner Frau, der sich so herzerweichend über seine Einsamkeit beklagt hatte, hat die neuen Dimensionen dieses Mediums sofort erkannt. Sobald meine Frau mit ihrer Klasse in den Computerraum geht, startet Paul ICQ und schaut nach, wer online ist. Und schon blinkt es auf meinem Monitor bei mir zu Hause, und ich bekomme die erste Nachricht von ihm. Und wenn dann Krischi in Philadelphia noch eine "Nachtschicht" macht und erreichbar ist, ja, dann sind Paul und seine KlassenkameradInnen total aus dem Häuschen und bestürmen ihn mit Fragen. - Sieht so aus, als würde die scheinbar naturgegebene Isolation Hörgeschädigter durch die neuen Medien gesprengt.

Was natürlich NICHT heißen soll, daß reale menschliche Kontakte überflüssig werden sollten. Im Gegenteil, aus virtuellen Kontakten können leicht reale werden. Krischi aus den USA und Jacques aus Luxemburg, die ich im Internet kennengelernt habe, waren in den letzten Weihnachtsferien bei mir zu Besuch. Und die SchülerInnen meiner Frau planen schon, wann und wie sie die email-BrieffreundInnen in Halberstadt einmal besuchen können.

Kompensation von Defiziten im kognitiven Bereich - Informationen

Hörgeschädigten sind oftmals ganz simple Informationsquellen verschlossen. So ist z.B. die Fahrplanauskunft der Deutschen Bahn über Telefon erreichbar - und damit für Hörgeschädigte unzugänglich. Über das Internet läßt sich das auf eine sehr einfache und komfortable Weise bewerkstelligen. Man bekommt detaillierte Auskünfte und kann sie sogar ausdrucken, um unterwegs nachzulesen, wann man wo umsteigen muß. Auch die Telefonauskunft ist per Internet einfacher, bequemer und billiger. Und sie funktioniert bundesweit, nicht auf einzelne Telefonbücher beschränkt. Hier profitieren Hörgeschädigte von einem Service, der nicht speziell auf Hörgeschädigte abgestimmt, aber wegen seiner Textbasiertheit für alle zugänglich ist. Dazu gehören auch Nachschlagewerke wie der komplette Duden, Lexika, Wörterbücher und der Bereich des electronic commerce, des Einkaufens über das Internet.

Ich will mich jetzt auf Bereiche konzentrieren, die ein spezielles Angebot für Hörgeschädigte im Internet darstellen. Im WWW (World Wide Web) gibt es mittlerweile eine kaum noch zu übersehende Vielzahl von Websites (Plätzen im Netz), die sich an Hörgeschädigte und Hörende in ihrem Umfeld richten. Der Einfachheit halber benutze ich hier den englischen Ausdruck "deaf sites", da es ein deutschsprachiges Äquivalent noch nicht gibt.

Deaf sites werden überwiegend von Hörgeschädigten selbst betrieben. Nun muß ich vorweg erläutern, daß das Internet nicht nur ein Medium ist, das allen Nutzern im Sinne von Besuchern offen steht. Im gleichen Maße steht es auch allen Anbietern offen. Jede Institution, jede Firma, jede Privatperson hat die Möglichkeit, ein eigenes Angebot ins Netz zu stellen. Sie müssen lediglich eine Domain (das ist der Name, die Adresse im Internet) beantragen, also z.B. für Ihren Verband "www.ivss.de", und schon können Sie eigene Inhalte ins Internet bringen. Ich habe Kontakt zu einem ehemaligen schwerhörigen Schüler, der sich privat eine Domain zugelegt hat - thematisch zu seinem Hobby, den Jahrmarkts-Fahrgeschäften - und sie auch privat finanziert. Den Spaß läßt er sich im Jahr etwa DM 1000,- kosten. Wie bei allen Veröffentlichungen ist man natürlich an Gesetze gebunden. Aufforderungen zu Gewalt, Rassenhaß und Straftaten, Beleidigungen, Diffamierungen usw. können natürlich strafrechtlich verfolgt werden. Ansonsten besteht aber grenzenlose Presse- und Meinungsfreiheit.

Ich schicke das vorweg, um zu verdeutlichen, daß Veröffentlichungen im Internet durchaus keine Institutionen im herkömmlichen Sinne sind. Man kann auch den größten Unsinn im Internet finden, und es ist im Internet erheblich schwerer als bei Printmedien, die Spreu vom Weizen zu trennen. Das ist die Kehrseite der Medaille. Die positive Seite aber ist, daß jeder die Möglichkeit hat, seine Meinung unmittelbar und unverzüglich weltweit zu verkünden. (Dabei klammere ich erst einmal die Frage aus, wer bei diesem gigantischen Überangebot überhaupt noch hinschaut.)

Im Hörgeschädigtenbereich haben mittlerweile viele Privatpersonen ihre persönliche Homepage eingerichtet. Eine Homepage ist eine Form der Selbstdarstellung im Internet. Nicht jeder ist daran interessiert, an einer solchen öffentlichen Nabelschau teilzunehmen. Einen unbestreitbaren Vorteil haben Homepages jedoch: Man hat eine weltweite Visitenkarte. Trifft man einen Unbekannten im Internet, kann man sich auf seiner Homepage über die Person informieren. Dadurch werden Anonymität und Sterilität der Bildschirmbekannschaft aufgebrochen.

Institutionen wie der Deutsche Gehörlosen Bund, der Deutsche Schwerhörigenbund, Ortsvereine, Studentenverbände wie die BHSA oder iDeas usw. haben sich inzwischen eine eigene Website oder Homepage zugelegt. Keiner der Verbände hat jedoch ein übergreifendes und aktuelles Angebot. An diese Stelle sind in Deutschland zwei private Initiativen getreten: www.hoerbehinderten-info.de und www.taubenschlag.de .

Hoerbehinderten-info war die erste deutsche Hörgeschädigten-Website. Sie wird betrieben von Mario Schwarz, einem Gehörlosen in Würzburg. Unterstützt wird sie von der Deutschen Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen und Schwerhörigen. Leider hat der Betreiber Ansichten, die dem Wesen des Internets zuwiderlaufen. (Ein Netz besteht aus Verknüpfungen, im Internet "links" genannt, und ausgerechnet die werden pauschal abgelehnt.) Aus diesem Grunde hat eine Gruppe von Mitarbeitern von Hoerbehinderten-info vor etwa einem Jahr beschlossen, auszusteigen und eine eigene, weltoffenere Website zu gründen, den Taubenschlag eben. Da ich zu dieser Gruppe gehöre, möchte ich Ihnen den Taubenschlag exemplarisch ein wenig genauer darstellen.

Der Taubenschlag - www.taubenschlag.de

Die Gründung des Taubenschlags fand im Spätsommer letzten Jahres statt, und "ans Netz gegangen" ist der Taubenschlag im Dezember 1997. Die ursprüngliche Gruppe von 3 Mitarbeitern hat sich inzwischen verdoppelt. Unser Team ist eine Mischung, die bunter kaum sein könnte. Was den Hörstatus betrifft: 2 Hörende, 3 Schwerhörige und ein Gehörloser. Die Berufe: Vertreter, kaufmännischer Angestellter, Informatiker, Doktorand der Informatik, Hörgeschädigtenlehrer und Gehörlosenseelsorger. Sie sehen übrigens, es ist kein professioneller Journalist dabei. Und die Wohnorte sind über die Welt verstreut: Bremen, Hannover, Hilgermissen, Luxemburg und Philadelphia. Wir betreiben den Taubenschlag privat und aus eigenen Mitteln - hobbymäßig also. Wir legen Wert darauf, keine Werbung zu betreiben und völlig unabhängig zu sein. Wir erhalten keinerlei Spenden. Lediglich unser Server wird von einem Verlag gesponsort. Alle anderen anfallenden Kosten tragen wir privat - ein teures Hobby! Die Organisationsstruktur ist geradezu anarchisch. Der Taubenschlag ist kein Verein, und es gibt keinen Chef. Auf einer basisdemokratischen Ebene werden alle Entscheidungen vom Team gefällt. Von winzigen Reibungsverlusten abgesehen, die wohl überall auftreten, wo Menschen zusammenarbeiten, funktioniert das vorbildlich. Sechs Teammitglieder, die sich größtenteils nie gesehen haben und über die Welt verstreut leben, arbeiten gemeinsam an einem Werk. Mich fasziniert diese Vorstellung noch immer, obwohl sie mittlerweile zu meinem Alltag gehört.

Unsere inhaltlichen Vorstellungen sind die: Hörgeschädigten (und Hörenden in ihrem Umfeld) Informationen zu vermitteln, mit Querverbindungen den Zugang zu anderen deutschen und internationalen deaf sites zu erleichtern und last but not least das, was in einem amerikanischen Slogan so formuliert wird: "I support Deaf Awareness." Und nicht zufällig sind Deaf und Awareness GROSS geschrieben. Wir wollen dazu beitragen, daß das Selbstbewußtsein von Hörgeschädigten und ihr Ansehen in der Welt der Hörenden gestärkt werden. An der Zusammensetzung des Teams sehen Sie, daß es keinerlei "rassistische" Ausgrenzungen gibt. Natürlich haben nicht sechs Männer eine total identische Einstellung, aber ein entschiedenes Eintreten für die Rechte Hörgeschädigter ist schon die gemeinsame Basis. Dennoch propagieren wir die uneingeschränkte Meinungsfreiheit. Es gibt Verbände und auch deaf sites, die entschieden jede abweichende Meinung verdammen und tabuisieren. Im Gegensatz dazu kann bei uns jeder seine Meinung unzensiert veröffentlichen. Wir halten es mit dem Spruch:

"Ich finde Ihre Meinung zwar grundverkehrt, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, daß Sie sie öffentlich sagen dürfen!"

Beim Namen "Taubenschlag" gilt natürlich "nomen est omen". Hörende lachen oft spontan, da sie das Wortspiel sofort verstehen (das Vogelhäuschen und der Schlag des Tauben). Für Hörgeschädigte ist es allerdings schwieriger zu verstehen. In guter Taubstummenoberlehrer-Manier habe ich deshalb eine Erläuterung des Namens eingefügt. Nun ist es aber durchaus nicht so, daß die Tauben ständig zuschlagen. Auf den anderen Bedeutungshintergrund, nämlich den regen Flugverkehr, das ständige Ein- und Ausfliegen von Besuchern, legen wir mindestens genauso Wert.

Die Tendenz des Taubenschlags erkennen Sie auch daran, daß wir eng mit der Zeitschrift "selbstbewußt werden" zusammenarbeiten und die komplette Zeitschrift im Taubenschlag anbieten. Die Zeitschrift wendet sich in z.T. militanter Weise gegen das CI (Cochlear Implant) und vertritt damit die Auffassung der überwältigenden Mehrheit der Taubgeborenen. Das hindert uns nicht daran, auch positive Stellungnahmen zum CI zu veröffentlichen, wie z.B. den schon oben ewähnten Erfahrungsbericht von Ralf, der nach der Operation erstmals die Stimme seines neunmonatigen Sohnes hören konnte.

Wir nehmen uns allerdings auch die Freiheit, Dinge zu veröffentlichen oder auch anzuprangern, die sonst kaum eine Chance auf Veröffentlichung hätten. So weisen wir auf krasse Fälle von Diffamierung Hörgeschädigter in der Werbung (Slogan: "Ich höre, also bin ich!") oder auf krasse Fälle von Unterdrückung der Pressefreiheit hin. In ironischer Form ernennen wir hier Kandidaten für den "AmO" - den Preis für negative Verdienste um Hörgeschädigte. "Amo" bedeutet übrigens Arsch mit Ohren. So würden wir zwar nie jemanden betiteln und diffamieren wollen, aber Kandidaten für die virtuelle Preisverleihung stellen wir schon auf. Einen positiven Preis haben wir übrigens auch ausgesetzt: Die "I love you"-Orchidee. Leider gibt es dafür noch keinen Kandidaten. Liegt es nun daran, daß schon so viele Wacker-Medaillen, Kulturpreise usw. verteilt werden, oder gibt es so wenige Menschen, die sich um die Belange der Hörgeschädigten verdient machen? Mitarbeiter des Taubenschlags sind natürlich von der Kandidatur ausgeschlossen ;-}

Die Informationsangebote des Taubenschlags sind vielseitig. Täglich erneuert werden die Presseausschnitte. Erstaunlich oft wird über Hörgeschädigte in der Presse berichtet. Wir bringen diese Ausschnitte in geballter Form und chronologisch geordnet. Fremdsprachige Artikel veröffentlichen wir in der Originalsprache. Wenn sie uns sehr bedeutsam erscheinen, machen wir uns aber auch schon einmal die Mühe, sie ins Deutsche zu übersetzen. Wie zum Beispiel bei der Artikelserie über gehörlose Mexikaner, die von ihresgleichen als Arbeitssklaven in den USA gehalten wurden. Ein Fall übrigens, der in der deutschen Presse keine Erwähnung fand, deutsche Hörgeschädigte aber brennend interessierte - und nur durch den Taubenschlag zugänglich wurde.

Auch aktuelle Ereignisse in der Hörgeschädigtenwelt können im Taubenschlag publik gemacht werden. Wir bekommen Anfragen und Bitten von Verbänden und Einzelpersonen, die Veranstaltungen wie ein Beachvolleyballturnier, die Loveparade, die Titanic-Ausstellung im Internet ans "Schwarze Brett" hängen wollen. Diesen Bitten kommen wir immer gerne nach.

Zum Informationsangebot gehören auch links zu den jeweils aktuellsten Hinweisen im Internet auf untertitelte Sendungen im Fernsehen. Einen besonderen Service bietet hierbei die Firma Untertitelwerkstatt Münster, die für Lehrer und Eltern die Untertitel zu einem demnächst zu sendenden Film komplett zur Verfügung stellt. So ist es möglich, mit Kindern das gemeinsame Anschauen eines Films textlich und inhaltlich vorzubereiten. Ein geradezu vorbildliches medienpädagogisches Projekt. Darüber hinaus hat die Untertitelwerkstatt ihr Archiv zur Verfügung gestellt. Untertitel zu älteren Filmen werden per email zugesandt. Wenn man beispielsweise an die hervorragenden Sachfilme in der "Sendung mit der Maus" denkt, ergeben sich hier traumhafte Möglichkeiten.

Viele Besucher sehen im Taubenschlag offensichtlich eine Institution, die zu allen Fragen im Zusammenhang mit Hörschädigung kompetente Antworten geben kann. Da unser Team tatsächlich aus "Profis" besteht, können wir das auch wirklich in vielen Fällen leisten. Wenn z.B. Eltern hörgeschädigter Kinder nach geeigneter Lernsoftware fragen, kann ich schon einige Hinweise geben. Es gibt allerdings auch Fragen, die uns überfordern. Diese Fragen stellen wir dann in der Abteilung Rat&Tat der Öffentlichkeit vor, in der Hoffnung, daß einer der Leser vielleicht eine Antwort weiß.

Zum Teil ähnelt der Taubenschlag einem systematischen Verzeichnis von Internetadressen aus dem Hörgeschädigtenbereich. Wer Kontakte zu Schulen, Hochschulen, Verbänden, Einzelpersonen usw. sucht, findet im Taubenschlag vielfältige und fast vollständige Verzeichnisse. Auch Verbindungen in alle Welt sind entweder thematisch oder aber auch nach geografischer Orientierung zu knüpfen. Diese Verknüpfungen potenzieren sich natürlich, wenn man vom Taubenschlag aus in weitere Verknüpfungsverzeichnisse kommt. Und das ist das, was den Begriff des "Surfens im Internet" geprägt hat: Sie können mit Leichtigkeit von einem Ort zum anderen gleiten, von den Missouri Deaf Bass Anglers über die Deaf Paragliders zum Deaf Motoring Network, von den Gehörlosen in Singapur über die in Schweden nach Australien. Diesem Surfvergnügen sind keine Grenzen gesetzt, und die Vielzahl der deaf sites weltweit ermöglicht ein Surfen nicht nur über Stunden - Sie könnten durchaus einige Wochen Urlaub in der Deaf World im Internet machen. Für dieses Surfvergnügen versteht sich der Taubenschlag als Sprungbrett und Wegweiser.

Im redaktionellen Teil gibt es darüber hinaus auch eine Vielzahl von Rubriken mit eigenen Angeboten: Rezensionen von Büchern, Tests von Lernsoftware, eigene Zeitschriftenartikel, die Zeitschrift "selbstbewußt werden" und auch virtuelle Kunstausstellungen, wie z.B. die von David Ludwig Bloch - ein gehörloser jüdischer Maler, der in die USA emigriert ist und für sein Schaffen den Kulturpreis des Deutschen Gehörlosenbundes erhielt.

Es würde den zeitlichen Rahmen dieses Referats sprengen, sämtliche Angebote des Taubenschlags darzustellen. Eines muß in diesem Kreise jedoch noch erwähnt werden: Pastor Ronald Ilenborg, der auch zum Taubenschlag-Team gehört, betreut die Rubrik Kirche. Er selbst vertritt die Bremische Gehörlosenseelsorge, aber auch andere Landeskirchen und der Dachverband  DAFEG  sind in den Taubenschlag "eingezogen". Pastor Ilenborg veröffentlicht auch seine Gemeindezeitung, den "Handzettel", im Taubenschlag - parallel zur gedruckten Fassung natürlich. Und auch einen besonderen theologischen Leckerbissen finden Sie im Taubenschlag: Die Predigt der selbst gehörlosen Gehörlosenseelsorgerin Sabine Fries anläßlich der 2. Deutschen Kulturtage der Gehörlosen in der Dresdener Annenkirche zur "Heilung des Taubstummen". Wer sie noch nicht gehört oder gelesen hat, sollte hier durchaus eine kleine Pause beim Surfen einlegen und ein wenig verweilen. Auch Nichtchristen dürfte hier die Problematik der Gehörlosigkeit verdeutlicht werden, und sie werden es kaum vermeiden können, daß ihnen ein Schauer über den Rücken läuft.

Kompensation von Defiziten im kognitiven Bereich - Wissensvermittlung

Es ist ein offenes Geheimnis und durchaus keine Diskriminierung, daß der Bildungsstand Hörgeschädigter im Durchschnitt erheblich unter dem (Normal- ) Hörender liegt. Auf der Suche nach Kompensationsmöglichkeiten stellt sich bei allen neuen Medien sofort die Frage, ob sie vielleicht für diesen Zweck hilfreich sein könnten.

Es gibt mittlerweile eine unübersehbare Vielzahl von Lernprogrammen. Speziell für Hörgeschädigte sind aber nur wenige konzipiert worden. Für diese Hörgeschädigten-Lernsoftware gibt es Websites im Internet (und entsprechende links im Taubenschlag). Es drängt sich natürlich auch die Frage auf, wieweit Lernsoftware für Hörende auch für den Einsatz bei Hörgeschädigten geeignet ist. Ich habe deshalb ausgewählte Programme getestet, Artikel darüber geschrieben und in der Zeitschrift "hörgeschädigte kinder" und im Taubenschlag veröffentlicht. In viel umfangreicherem Maße hat der Kollege Mayr aus Straubing Lernsoftwaretests durchgeführt und in einer gigantischen Datenbank zusammengefaßt. Diese Datenbank ist in gedruckter Form erhältlich. Um sie einem noch größeren Kreise zugänglich zu machen, wird sie aber auch im Taubenschlag zur Verfügung gestellt.

Bei Lernsoftware handelt es sich üblicherweise um kommerzielle Produkte, die von CD ROM, Diskette oder Festplatte offline auf dem heimischen Computer laufen. Gerade für Hörgeschädigte ergibt sich aber die Frage, ob Lernen nicht auch online möglich ist. Stellen sie sich vor, ein hörgeschädigter Schüler könnte gleichermaßen in der Schule und zu Hause Lernprogramme abrufen und dabei gleichzeitig Kontakt zu anderen Schülern und zum Lehrer haben - wie gesagt, auch zu Hause! Telelernen gibt es mittlerweile im Internet, aber es richtet sich üblicherweise mit Fortbildungsangeboten an Manager und Angestellte. Sprachkurse können online besucht werden, und selbstverständlich sind Fern-Unis online erreichbar. Ein spezielles Angebot für Hörgeschädigte existiert aber noch nicht. Jammerschade, wenn man die Defizite und Bedürfnisse Hörgeschädigter kennt. Um meine Vision - oder nennen Sie es meinetwegen auch Utopie - zu verdeutlichen, habe ich mit einer Gruppe von StudentInnen der Hörgeschädigtenpädagogik der Universität Hamburg im Rahmen eines Seminars die Geschichte von Nili, dem kleinen Nilpferd, entworfen. Nili entstammt der Kreativität der StudentInnen und ist innerhalb von vier Tagen intensiver Arbeit entstanden. Nili geht aus von der Tatsache, daß hörgeschädigten Schülern oftmals der Wortschatz zum Verständnis von Texten fehlt. Die Erläuterungen durch den Lehrer bewirken Abhängigkeit. Wie also könnte ein Schüler sich einen Text selbständig erlesen? Im Teamwork wurden Texte entworfen, Bilder am Computer gemalt, eingescannt, Erläuterungen und Definitionen geschrieben, Informationstexte in Büchern gesucht, das Internet nach dem Hippopotamus abgegrast - und aus den gesammelten Ergebnissen dann ein Verbund von Internetseiten erstellt. Die entscheidende Funktionalität besteht darin, daß unbekannte Wörter angeklickt werden und im unteren Rahmen Erläuterungen oder Bilder dargestellt werden.

Nili ist nicht nur niedlich und eine beachtliche Seminararbeit. Nili soll eine Anregung sein für weitere Arbeiten in dieser Richtung. Machbar sind durchaus auch Leistungskontrolle und der schriftliche Kontakt zu Lehrern. Die Funktionalität ist nicht auf Multiple Choice beschränkt. Es könnten durchaus auch eigene kreative Antworten oder komplette Texte von Schülern eingegeben werden. Und vergessen Sie bei dieser Utopie nicht den erzieherischen und sozialen Aspekt. Gehen Sie in eine beliebige Klasse von Hörgeschädigten und sehen Sie sich nur die Sitzordnung an! Der Halbkreis als Manifestation der Lehrerzentriertheit, und als Ergebnis nicht selten die Unselbständigkeit. Sowohl zur Auflockerung der Arbeitsform in der Schule als auch zur Erziehung zu mehr Selbständigkeit und Selbstbewußtsein können Computer und Internet durchaus einen wichtigen Beitrag leisten.

Kompensation von Defiziten im sozialen Bereich - Freizeitgestaltung

Besucher in Schulen für Hörgeschädigte sind immer völlig verblüfft, wenn Schüler berichten, sie gingen gerne zur Schule, sie seien froh, daß nach den Ferien endlich wieder die Schule beginnt oder wenn sie trotz Krankheit lieber in die Schule gehen, statt zu Hause zu bleiben. "Zu Hause ist es langweilig", ist die immer wiederkehrende Antwort. Für Hörende absolut unverständlich und nicht nachvollziehbar. Dabei sind die Gründe dafür ganz simpel: Kontakte zu Hörenden sind schwierig oder gar unmöglich, und die Möglichkeiten für die Freizeitgestaltung sind durch Hörschaden und Sprachkompetenz eingeschränkt. Ein Kollege, der vor einigen Jahren mit seinen gehörlosen Schülern in die Oper ging, war entsetzt von den "Kulturbanausen". Dabei wollte er ihnen doch Kultur und Möglichkeiten der Freizeitgestaltung nahebringen. Hier erübrigt sich wohl jeder Kommentar. Bleiben wir bei Gehörlosen und ihren Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, und nehmen wir einen fiktiven "Durchschnittsgehörlosen": Radio, Musik-CDs u.ä. fallen total aus, Fernsehen macht nur Sinn mit Untertiteln (und die gibt es immer noch selten genug, und wenn, dann nur in den öffentlich-rechtlichen Sendern, da sie sich für die privaten nicht rechnen), Theateraufführungen mit Gebärdensprachdolmetschern haben noch Seltenheitswert und Experimentalstatus, Bücher liest man nicht, weil man sie sprachlich nicht versteht. Ich erinnere mich an den Anruf einer verzweifelten Mutter, deren gehörloser arbeitsloser Sohn zu Hause vor lauter Langeweile fast verrückt wurde. Was also bleibt? Im wesentlichen zwei Dinge: der Sport und der Gehörlosenverein. Und im schlimmsten Fall Alkohol oder Drogen - was durchaus nicht selten, sondern bei Hörgeschädigten eher überrepräsentiert ist. Einer sinnvollen Freizeitgestaltung und einem Ausweg aus der gesellschaftlichen Vereinsamung kommen daher eine eminente Bedeutung zu.

Wenn ich mit ICQ oder auch bei AOL chatte, dann treffe ich immer wieder dieselben Leute. Urmel und Janette sind offensichtlich auf der Suche, und sie verbringen täglich Stunden damit. Auch wenn sie vielleicht nicht den richtigen finden und daher zutiefst unzufrieden sind - allein sind sie nicht, und Langeweile kommt nicht auf. Sie können Kontakte pflegen, die weit über den Horizont von Gehörlosen- und Sportvereinen hinausgehen.

Von hörgeschädigten Schülern weiß ich, daß sie wie hörende begeistert am Computer spielen. Da Vorurteile in bezug auf Computerspiele weit verbreitet sind, will ich nur kurz darauf hinweisen, daß "Computerspiel" lediglich ein Ober- und Gattungsbegriff ist. Kein Mensch würde pauschal behaupten: Bücher sind schlecht. Es gibt schlechte, aber auch sehr gute - Bücher und Computerspiele. Eine differenzierte Beurteilung und so etwas wie Geschmacksbildung müssen als pädagogische Aufgabe gesehen werden. Und da Computerspiele oftmals auch ohne Sound sinnvoll gespielt werden können, sind sie ein durchaus begrüßenswertes neues Medium für Hörgeschädigte.

Nun kann man beides noch miteinander kombinieren, die Internetbegegnungen und die Computerspiele. So berichtete mein Freund Krischi, er habe von Philadelphia aus mit zwei unbekannten Gehörlosen aus Tennessee und diversen Hörenden aus allen Teilen der USA "Quake" gespielt. Ich will die Qualität dieses Spiels, das in Deutschland indiziert ist, jetzt einmal außen vor lassen. Tatsache ist, daß Menschen, die weit voneinander entfernt leben, miteinander sozial interagieren können, unabhängig von ihrem Hörstatus. Und obwohl bei "Quake" das Gehör sehr wohl eine Rolle spielt (man kann hören, wie Gegner sich nähern), haben in diesem Fall die Gehörlosen die Hörenden besiegt. Wann und wo gibt es schon solche Gelegenheiten?

Nun glauben Sie nicht, ich würde mit Scheuklappen und kritiklos die neuen Medien bejubeln. Sicherlich gibt es auch Gefahren und Nachteile. Virtuelle Kontakte dürfen nie eine Surrogatfunktion haben und echte menschliche Kontakte ersetzen. Und natürlich gibt es viele Dinge im Leben, die man nicht mit einer Tastatur und einer Maus bewältigen kann. Aber Zweifler und Kritiker gibt es ohnehin genug, so daß ich deren Chor nicht unbedingt noch verstärken muß.

Noch eine ganz andere Gefahr zeichnet sich ab. Computer und Nutzung des Internets sind nicht billig, der Durchschnitt der Hörgeschädigten gehört aber nicht zu den Besserverdienenden. So besteht die Gefahr, daß gerade das Medium, das ihnen so große Vorteile bringen könnte, vorenthalten bleibt. Wenn die Informationsgesellschaft zu einer Zweiklassengesellschaft wird, wie manche befürchten, dann laufen Hörgeschädigte Gefahr, in der zweiten zu landen. Hier deuten sich sozialpolitische Aspekte an, und natürlich sind die mit Wertungen verbunden. CIs werden von Krankenkassen klaglos bezahlt, da jedem Hörenden der Verlust des Gehörs als schmerzlich erscheint. Ob der Einsatz eines Computers und die Nutzung des Internets als genauso wichtig erachtet werden? Obwohl ein Computer nicht den Bruchteil einer CI-Operation kostet! Ich fürchte, dafür müßten sich die Hörgeschädigtenverbände massiv einsetzen.

Fazit

Ich glaube, deutlich gemacht zu haben, daß Computer und Internet für Hörgeschädigte ungeahnte Möglichkeiten bieten. Vor nicht allzu langer Zeit hätte niemand davon zu träumen gewagt. Dummerweise sind die hier dargestellten Möglichkeiten noch nicht in das Bewußtsein der professionellen "Betreuer" eingedrungen. Immer noch ist das Image von Geisteswissenschaftlern, zu denen sich auch die Pädagogen zählen, von Technikfeindlichkeit und Medienphobie geprägt. Die Aussage, man habe zu Hause keinen Fernseher, und vom Computer verstehe man gar nichts, erzeugt beim Gegenüber spontane Sympathie und das Image des überlegenen Intellektuellen. Die Aussage "Ich gehe heute mit den Schülern NICHT in den Computerraum. Sie müssen ja auch mal was Richtiges lernen" habe ich tatsächlich von einer Kollegin gehört. Ein anderer Kollege wird seit Jahren nicht müde, immer wieder zu betonen, daß er ja KEIN Computerfreak sei.

Macht man sich die ungeheuren Möglichkeiten der neuen Medien klar, dann kommen diejenigen in Rechtfertigungszwang, die sie immer noch nicht einsetzen. Ich gehe so weit, dies als eine unverzeihliche Unterlassungssünde zu bezeichnen. Es geht nicht um "Mediengeilheit" oder "kritiklose Fortschrittsgläubigkeit", sondern schlicht und einfach um die Nutzung eines Werkzeugs, das wie kein anderes die Lebensbedingungen Hörgeschädigter verbessern kann und wird.

 

Bernd Rehling
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