(Computer-) Power to the Deaf - Teil 10
(wird veröffentlicht in hörgeschädigte kinder 4/99)

Spezielle Lernsoftware für hörgeschädigte Kinder

 

Tommys Gebärdenwelt

Last but not least der absolute Newcomer unter den Lernprogrammen, Tommys Gebärdenwelt. Tommys Gebärdenwelt setzt methodisch an beim elementaren Kommunikationsbedürfnis hörgeschädigter Kinder. Was für hörende Kinder eine Selbstverständlichkeit ist, nämlich sich in der eigenen Familie verständlich machen zu können, soll auch für hörgeschädigte Kinder selbstverständlich werden. Der leidige Spruch, selbst der Dackel habe es in der Familie besser als das hörgeschädigte Kind, soll endlich der Vergangenheit angehören. Wenn die Eltern selbst hörgeschädigt sind, taucht dieses Problem nicht auf. Die Kinder wachsen automatisch in die Gebärdensprache hinein, die Gebärdensprache ist ihre Muttersprache, und alle relevanten wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigen die pädagogische Alltagserfahrung: Gehörlose Kinder von gehörlosen Eltern sind die leistungsstärksten, nicht zuletzt auch in bezug auf Lautsprache und sogar Artikulation. Ein akademischer Dauerbrenner ist die Frage, was denn die Muttersprache gehörloser Kinder hörender Eltern sei. Die Autorin von Tommys Gebärdenwelt (Karin Kestner, Dolmetscherin und CD-Reihe „777 Gebärden“) hält sich mit solchen theoretischen Fragen nicht auf, sondern versucht, das unübersehbare Bedürfnis mit einem praktischen Hilfsmittel zu befriedigen. Mit Tommy können schon Kleinstkinder Gebärden UND lautsprachliche Begriffe erlernen – und mit ihnen die hörenden Eltern. Angesichts der zunehmenden bilingualen Schulversuche sicherlich ein erfolgversprechendes Unternehmen.

Auch bei Tommy wird natürlich die Assoziation mit Bildern genutzt. Insgesamt wird ein begriffliches Beziehungsgefüge hergestellt zwischen Bild, Gebärde, Schriftsprache und auditiver Wahrnehmung – sofern vorhanden.

Entsprechend dem Alter der „Zielgruppe“ (Kinder im Vor- und Grundschulalter) ist auch Tommys Welt noch klein und übersichtlich.

Per Mausklick begibt sich das Kind in die Stadt, ins Haus, in den Garten, auf den (Bauern-) Hof, in den Wald, in den Zoo oder in die Schule.

Dort findet es dann archetypische Situationen und Konstellationen. Die Autorin hat sich bemüht, den Grundwortschatz von Kleinkindern zu erfassen, nicht zuletzt durch Befragung von Eltern. Ca. 400 Begriffe hat sie so zusammengestellt. In den Bildern sind unsichtbare Tasten untergebracht (manchmal hätten sie etwas exakter sein dürfen), und beim Anklicken werden Gebärde und Schrift eingeblendet. Zur besseren Übersichtlichkeit sind alle im Bild untergebrachten Begriffe noch einmal am Bildrand aufgelistet.

Für die Gebärdenfilme wurde der Leiter des Deutschen Gehörlosentheaters, Thomas Zander, engagiert. Er ist sicherlich absoluter Profi in bezug auf Gebärdenpräsentation, und seine Vorgabe bei den Videoaufnahmen war es, so zu gebärden, wie er halt gebärdet. Die Problematik der Regionalität mancher Gebärden lässt sich einfach nicht umgehen, und auch nicht die Verzahnung von DGS und LBG. (So ist beim „Eisstand“ die Kombination von „Eis“ und „stehen“ für ein Kleinkind, das den Begriff überhaupt noch nicht kennt, sicherlich vom Optischen her nicht gerade verdeutlichend. Es assoziiert spontan „stehen mit Eis“, aber nicht den Verkaufsstand.) Andererseits: Die Erfindung neuer Gebärden, speziell auf kindliche Perzeption ausgerichtet, wäre mindestens so fragwürdig gewesen. Insofern kann man es an diesem Punkt keinem recht machen, und die Entscheidung, die vorhandenen und für Tommy (= Thomas Zander) üblichen Gebärden zu nehmen, war sicherlich die pragmatischste und sinnvollste.

Wer Thomas Zander kennt, ob nun als Moderator aus Sehen statt Hören oder vom Deutschen Gehörlosentheater, wird sich wundern, über welch makellose Artikulation er verfügt. Des Rätsels Lösung: Er wurde synchronisiert, und zwar so perfekt, dass man – auch als selbst Hörgeschädigter, der absehen kann und sonst bei synchronisierten Gesangsaufnahmen im Fernsehen entnervt ist von der Asynchronität! – geneigt ist, die Stimme für seine eigene zu halten. Dahinter steckt natürlich eine pädagogische Überlegung. Die Gebärdenwelt soll nicht nur für „voll taube“ Kinder, sondern für ein breites Spektrum von gehörlosen über resthörige, (hochgradig) schwerhörige bis hin zu CI-Kindern zugänglich sein. Die Mehrzahl der Kinder wird in irgendeiner Form noch vom auditiven Kanal profitieren können. Und da ist es halt wichtig, dass möglichst sauber und perfekt artikuliert wird.

Für Kleinkinder ist dröges Begriffepauken natürlich nicht machbar. Zu den ansprechenden und kindgemäßen Zeichnungen kommen daher einige spielerische Gimmicks. So kann man statt der Gebärden von Thomas Zander auch Minifilmchen mit dem Pantomimen Nemo einblenden.

Nemo greift die Gebärde auf und fügt dann eine kleine, pantomimisch dargestellte Geschichte hinzu. Ganz sicher werden die Kleinen davon begeistert sein. Allerdings sind nicht zu allen Begriffen Nemo-Sequenzen vorgesehen. Da wird dann die Suche nach dem Nemo-Film zu einem kleinen Klick-Spiel. Durchgehend die Auswahl zwischen Tommy und Nemo haben die Kinder auf der „Wiese“. Dort sind die Begriffe untergebracht, die sonst schwer darstellbar sind. Wie soll man auch „bitte“, „danke“, „falsch“ und „richtig“ bildlich darstellen? Da ist eine Pantomime dann schon ganz hilfreich.

Explizit gespielt wird beim „Quiz“ und beim „Memory“. Für das Quiz kann man beliebige Begriffe im Korb sammeln (Korb-Taste anklicken, der Korb öffnet sich, anschließend Gegenstände auf den Bildern anklicken). Wechselt man dann auf die Quiz-Seite über, erscheinen die eingesammelten Bilder. Nach dem Anklicken eines großen Fragezeichens wird dann eines der Bilder per Gebärde dargestellt, und man muss das dazugehörige Bild anklicken. Dafür bekommt man einen Nemo-Punkt in der linken Leiste, und wer alle 10 Punkte erreicht hat, hat den „1. Preis“ gewonnen und darf sich einen Nemo-Film zur Belohnung ansehen.

Zum Memory kommt man nur über das Kinderzimmer (wo sonst sollte man es finden!). Es ist das übliche Memory-Spiel mit zwei jeweils gleichen Bildkarten. Mit Gebärden hat dies Spiel nichts zu tun. Schade nur, dass man es nur allein spielen kann. Im Gegensatz zum realen Memory gibt es hier weder Gewinner noch Verlierer. Sinnvoll ist es (und nicht nur hier!), dass Erwachsene das Kind bei dem Spiel begleiten. So können nebenher noch die Begriffe, ob nun lautsprachlich oder per Gebärde, geübt werden.

Als Pädagoge findet man hier und da Dinge, die man bekritteln könnte, so die Auswahl mancher Begriffe, die Systematik der Darstellung usw. Nur – welches Kind stört sich an solchen Kriterien? Die Kinder haben ihren Spaß und lernen noch dabei. Bedenkt man zudem, dass die CD von einem winzigen Team (Autorin, Filmer/Programmierer, Grafikerin, Sprecher, Schauspieler und Pantomime) in relativ kurzer Zeit erstellt worden ist und dass sie sich durchaus neben professionellen Produktionen sehen lassen kann, die mit Millionenaufwand von riesigen Teams erstellt wurden, dann kann man wirklich nur noch ehrfürchtig schweigen – oder lauthals losjubeln. Das größte Verdienst aber: Die Autorin will einem schmerzlichen Mangel abhelfen, der Spracharmut und Kommunikationsnot hörgeschädigter Kleinkinder.

 

Der Begriffetrainer

Gebilex

Fazit

 

 

Den Autor Bernd Rehling erreichen Sie

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