Sehen statt Hören - 22.02.1998 - 896. Sendung


HEUTE IM PROGRAMM:
LEHRERAUSBILDUNG - Die "Bundesgemeinschaft der Studierenden der Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik" stellt sich vor
ZEITZEUGEN - Tom Bierschneider interviewt die 89-jährige Grete Kreuzer

PRÄSENTATOR: Guten Tag.....
Beim letzten Bundestreffen der Bundesgemeinschaft der Studierenden der Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik in Berlin, waren zum ersten Mal Vertreter aller 5 Universitäten Deutschlands, an denen man GL- bzw. SH-Pädagogik studieren kann, da.
Diese Gruppe von Studenten stellen wir Ihnen heute vor. Sie haben sich vor 2 Jahren zu diesem Bundesverband organisiert, der sich zum Ziel gesetzt hat, die Inhalte des SH- bzw. GL-Pädagogikstudiums zu hinterfragen und zu reformieren.
Gegenwärtig bemängelt der Bundesverband, daß die zukünftigen Hörgeschädigten-Lehrer/Lehrerinnen zu einseitig ausgebildet werden, nämlich fast nur für die "hörgerichtete Erziehung".
Die Studenten dagegen verlangen eine Auswahl an didaktischen Methoden, um sie in ihrem späteren Beruf bedürfnisorientiert anwenden zu können. Dazu gehört z. B. die Ausbildung in bilingualen Konzepten. Doch leider ist Methodenvielfalt bislang fast kein Thema an den Universitäten.
Sabine Fries hat für uns auf der Bundesversammlung in Berlin die Interviews geführt.

Pädagogik-Studenten
Die Humboldt-Universität in Berlin ist seit mehr als 150 Jahren auch Ausbildungsstätte für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogen.
Interv. S. Fries: An der HU Berlin, am Institut für Rehabilitations-Wissenschaften, studieren etwa 170 Studenten Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik.
Auch Nicole und Anja. Die beiden haben vor einigen Jahren eine Arbeitsgemeinschaft gegründet. Wie kam es dazu?
Nicole LOHE: Studierende der GL- und SH-Pädagogik gründeten 94 die AG Gebärdensprache.
Damals sollten GS-Kurse an unserem Institut gestrichen werden.
Dies konnten wir verhindern. Inzwischen verstehen wir uns schon als eine Art Interessenvertretung der Studierenden der GL-/SH-Päd.
Wir haben Raum geschaffen für Information und Diskussion und wollten auch von Beginn an den bilingualen Ansatz in unsere Ausbildung mit einbeziehen.
Anja MÖBIUS: Eine weitere Forderung von uns ist, daß die LBG- und DGS-Kurse in unserem Studienangebot fest verankert sind.
Derzeit läuft nur ein LBG-Kurs. Für das nächste Semester hat man uns zugesagt, daß es einen DGS-Kurs geben soll. Aber es ist unsicher.
Nicole: Wir luden die Studierenden nach Berlin ein.
Wir merkten: Wir haben ähnliche Probleme und möchten zusammenarbeiten, um die Probleme bundesweit
angehen zu können.  Das ist effektiver.
Wir gründeten die Bundesgemeinschaft der Studierenden der GL-/SH-Päd. 1996 in München. Jetzt haben wir
schon unser 5. Treffen, ein Jubiläum.
Arbeitsgruppen-Themen sind u. a.:
Kommunikation, Integration, CI, Elternarbeit, Öffentlichkeitsarbeit.
Studentin: Was ich noch sagen wollte: Ich merkte erst im Lauf des Studiums, daß das wirklich ein heißes Eisen ist, was  ich da angefaßt hab'.
Ich denke, das ist vielen an der Uni überhaupt nicht klar:
Daß das so ein komplexes Thema und eine bis jetzt ungeklärte Sache ist.
Ich denke, es ist unsere Aufgabe, da Aufklärungsarbeit zu betreiben.
Burkart HOCHMUTH: Wir sind in München ca. 260 Studierende der GL- und SH-Pädagogik.
Zur Studiensituation, wenn ich nur mal die Gebärdenkurse betrachte:
Wir haben viel zu wenig Gebärdenkurse. 3 DGS- und 3 LBG-Kurse bauen aufeinander auf. Aber es gibt nur einen zur gleichen Zeit.
Und pro Kurs können nur 10-15 Personen teilnehmen.
Andrea WIDMANN: Bei uns in Hamburg haben wir ein breites Angebot an Geb.sprachkursen:
Drei 6-stündige Kurse am Zentrum für Deutsche Gebärdensprache sowie darüber hinaus Konversationskurse.

Und neu, seit 2 Semestern:
Ein Gebärdenkurs an unserem Institut, speziell für Sonderpädagogen.
Da lernen wir: Wie erzählt man Kindern Märchen?
Wie macht man das interessant? Wie baut man einen Spannungsbogen auf?
Imke MÜHLENSTEDT: In Köln ist es sehr voll. Insgesamt haben wir 600 Studenten der SH- und GL-Pädagogik. Daher sind auch die Seminare sehr voll.
Dieses Jahr haben wir das erstemal einen NC (Numerus Clausus) gekriegt.
Für Angebote an DGS-Kursen sind wir zu viele Leute. Nur 10 kommen rein.
Und jedes Jahr haben wir nur 2 Kurse. Das reicht hinten und vorne nicht.
Daher kann ich auch keine Gebärden. Entschuldigung!
Annette HARTMANN: In Heidelberg sind wir ungefähr 200 Studierende der GL- und SH-Pädagogik.
Wir haben 3 Professoren. Einer ist für lautsprachgerichtete Erziehung.
Die anderen beiden sind bereit, sich auf Gebärdensprache einzulassen.
Insofern wird an unserer Hochschule der Methodenstreit heftig diskutiert, aber wir bekommen beide Seiten mit. Das befürworten wir sehr.
Ein Problem ist das schlechte Angebot an Gebärdensprachkursen.
Wir haben im Moment nur 1 Kurs. Er wird zum erstenmal angeboten.
Aber nur für 10 Studierende. Ansonsten wird nichts angeboten.
Die Weiterführung ist nicht sicher.
Alle anderen gehen an die Volkshochschule und müssen selbst bezahlen.
Julia SCHMIDT: Warum sind wir jetzt hier dabei, bei der Bundesgemeinschaft?
Um über den Tellerrand zu gucken, wie es an anderen Universitäten ist.
Um Leute kennenzulernen und zu sehen: Wo können wir helfen?
Und wo kann uns geholfen werden? Wo gibt es Neuigkeiten für die Praxis, Tips, Ideen, Informationen? Darum sind wir hier dabei.
Kommunikationsforum im Gehörlosenzentrum Berlin-Friedrichstraße.
Burkart HOCHMUTH: Den Grund für die Gründung der BSGS haben Martina und Nicole erklärt.
Wir wollen uns austauschen und ein Kommunikationsnetz aufbauen.
Im Moment steht im Vordergrund, daß wir ein ausreichendes Angebot von Gebärdensprachkursen ins Studium bekommen wollen, und natürlich auch Prüfungen in GS, so daß unsere Ausbildung ausgewogen ist.
Derzeit gibt es kaum Gebärdenkurse. Tatsache ist: Viele Studierende beherrschen bei Studienabschluß wenig oder gar keine Gebärdensprache/LBG.
Dann stehen sie in der Schule und können kaum gebärden.
Wir unterstützen auch die Anerkennung der DGS.
Vor kurzem hatten wir einen Erfolg in Bayern.
Die BSGS-Gruppe reichte eine Petition im Landtag ein.
Die Lehramts-Prüfungsordnung entsprach nicht unseren Vorstellungen.
Wir meinten: Ein Landtags-Beschluß wurde nicht umgesetzt.
Unsere Petition im Bayerischen Landtag wurde für würdig befunden.
Das heißt: Sie ist berechtigt. Jetzt muß das Kultusministerium das berücksichtigen und die LPO dementsprechend ändern!
Prof. Margret HENKE, FHS Potsdam: Ich möchte den Veranstaltern ein großes Kompliment machen.
Es dauerte 20 Jahre, bis wieder mal eine Fachgruppe von Studenten es schaffte, auf Bundesebene einen Verband zu gründen.
Das ist eine Leistung, da stehe ich erstmal sprachlos davor.
Ich dachte nicht, daß es so etwas wieder gibt!
Das sage ich als Soziologin: Ihre Interessen als künftige Lehrer oder als Bürger eines Staates mit einigen humanen Prinzipien können sie nur durch Zusammenschluß in einem Verband durchsetzen!
Ein bißchen Sorge macht mir, daß Sie fast alle im 9. Semester sind.
Interv.: Noch einmal zurück zur Situation an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Warum sind viele Studenten der GL- und SH-Pädagogik unzufrieden?
Was sind die Probleme? Und welche Lösungsvorschläge habt ihr?
Anja MÖBIUS: Wir sehen den Fachbereich GL- und SH-Pädagogik am Institut gefährdet, weil unsere Professur nicht besetzt ist. Wir denken, daß unsere Lehre nicht qualifiziert genug ist.
Eine Professur bedeutet auch den Erwerb von Forschungs- und Lehrmitteln. Der ist nicht gegeben.
Wir kämpfen für die Besetzung dieser Professur, damit nicht als Folge der hochschulpolit. Sparmaßnahmen unser Fachbereich gestrichen wird.
Prof. Helfried TEICHMANN: Nun haben uns gravierende Sparmaßnahmen erreicht.
Das Institut hat eine Sparauflage von 50 %, das heißt: 3 Mill. DM.
Wir müssen jetzt alles daran setzen, daß Berlin weiterhin in allen sonderpädagogischen Fachrichtungen ausbilden kann.
Das Tuch reicht weder hinten noch vorne, um den Tisch abzudecken.
In dieser Notsituation hat der Institutsrat vorgeschlagen, die C-4-Professur zwar nicht aufzugeben, aber nicht zu besetzen, solange Kollege Große diese Arbeit mit seiner Abteilung leisten kann.
Interv.: In Berlin sind viele Lehrer im sonderpädag. Bereich nicht qualifiziert, auch in der GL- und SH-Pädagogik. Warum wird gerade hier so gespart?
Teichmann: Ich weiß nicht: Hatten die Entscheidungsträger Bedarfszahlen vorliegen?
Tatsache ist: Nur 8 % der Lehrer an Sonderschulen im Ostteil der Stadt haben eine korrekte Ausbildung. Im Westteil sind es nur 30 %!
Es ist ein unerhörter Nachqualifizierungsbedarf da, unabhängig vom altersbedingten Bedarf, der jedes Jahr entsteht.
Ich kann nicht sagen, warum gerade hier so extreme Sparmaßnahmen sind.
Wir hoffen, daß uns noch eine gewisse Toleranz eingeräumt wird, das heißt, daß die Sparsumme, die wir erbringen müssen, korrigiert wird.
Interv.: Studenten sagen in unserem Film: Weil die Professur nicht besetzt ist, entsteht ein Mangel in der Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik.
Sie sehen in dieser unsicheren Situation eine Gefahr.
Prof. Teichmann: Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt habe ich von studentischer Seite in meinem Amt niemals Klagen gehört.
Natürlich ist diese Zwischenlösung keine optimale Lösung.
Aber, wenn jemand erreichen würde, daß die Universitätsleitung oder der Berliner Senat uns ein Kontingent zur Verfügung stellt, das es erlaubt, diese Stelle auszuschreiben, wären wir sehr glücklich.
Prof. Klaus-Dietrich GROSSE: Es gibt in der Pädagogik kein Allheilmittel, nicht die Methode, die für alle Kinder und Schüler in gleicher Weise angewendet wird.
Der Lehrer - dazu müssen und wollen wir ihn befähigen - muß Einzel-Entscheidungen treffen, individuelle Entscheidungen.
Auf die vielen Faktoren kann ich jetzt nicht eingehen.
Deshalb muß er Kenntnis besitzen von den verschiedenen Konzeptionen:
vom hörgerichteten Lautspracherwerb bis zum bilingualen Ansatz.
Die Vielfalt von methodischen Varianten!
Interv.: Studenten fordern stärkere Einbeziehung des bilingualen Ansatzes und daß Gebärdensprache zum Pflichtkatalog bei Prüfungen gehört.
Große: Bei den Themen der letzten Wochen konnten die Studenten selbst über die Einzelthemen mitbestimmen. Wir sprachen über Gehörlosen-Kultur.
Wir haben behandelt: Gehörlose Maler, gehörlose Schriftsteller.
Wir haben über Bücher gesprochen. Wir haben über das Problem der GL-Kultur und ihrer Einbe-ziehung in den Unterricht gesprochen.
Genauso über den Sprachen-Disput:
Das Problem Bilingualismus,
das Problem hörgerichteter Lautspracherwerb.
Kommen Sie mit und schauen Sie: Wer ist von diesen Studenten anwesend?
Damit komme ich zur Prüfungsordnung.
Nach unserem Studienplan ist jeder Student der GL- und SH-Pädagogik verpflichtet, damit er zum Staatsexamen zugelassen wird, daß er Lehrveranstaltungen besuchen muß: Zur Hörerziehung, zum Absehen, aber auch Gebärdensprachkurs, den wir ja jedes Semester anbieten.
Der Student kann selbst auch wählen, was er als Schwerpunkt haben möchte.
Ich muß kritisch sagen: Seit ich Prüfungen (1. Staatsexamen) abnehme, hat noch nicht ein Student von sich aus als Schwerpunkt das Problem bilingualer Ansatz oder Gebärdensprache gewählt.
Wird sich vielleicht zukünftig ändern.
Burkart HOCHMUTH: Wir sind die neue Generation der Gehörlosen- und SH-Pädagogen, weil uns der Methodenstreit reicht. Wir wollen eine sachliche Diskussion:
Nicht nur, aber auch über die Methoden in der GL- und SH-Pädagogik.
Es gibt keine sachliche Diskussion. Sie wird immer emotional geführt.
Es ist schwierig, ruhig über die Problematik der GL/SH-Päd. zu reden.
Es wird immer gestritten. Wir wollen den Studenten ein Forum bieten.
Ein Forum für uns zukünftige Hörg.-Lehrer, für einen Austausch, wo man alle Meinungen zuläßt und offen darüber sprechen kann.
Unser Ziel: Den verkrusteten Streit aufzubrechen, da etwas zu ändern!
Interv.: Was sagst du zu dem Vorwurf, daß die BSGS nur eine Minderheit unter den Studenten vertritt?
Hochmuth: Wenn man unsere absolute Mitgliederzahl anschaut, 140 ungefähr, kann man auf den ersten Blick sagen: Der Vorwurf ist berechtigt. Aber:
Genau überlegt und im Vergleich mit anderen Standesverbänden, haben wir relativ viele Mitglieder.
Von den eingeschriebenen Studenten gehen viele nicht in die Uni. Sie wollen nur ermäßigte Konzertkarten.
Viele gehen nur in die Seminare und engagieren sich sonst nicht.
Von denen, die sich engagieren, sind schon recht viele bei uns.
Es gibt in Deutschl. nur 5 Studienorte für GL- und SH-Pädagogik.
Die Zahl der Studenten ist nicht hoch. Daher lehne ich diesen Vorwurf ab.
Wir vertreten keine Mehrheit, aber einen großen Teil der Studierenden.
Nicht nur eine Minderheit!
Die Treffen der BSGS finden einmal pro Semester statt.
Unter den Teilnehmern sind auch immer mehr gehörlose Studierende.
Reporterin Sabine Fries
Dolmetscherin Dina Tabbert
Bericht Gerhard Schatzdorfer

PRÄSENTATOR: Unser nächster Beitrag setzt die Reihe "Zeitzeugen" fort.
Wir stellen Ihnen heute eine Frau vor, die 1908 geboren wurde. In ihrem langen Leben hat sie die verschiedensten Epochen der deutschen Geschichte mitgemacht. Vom Deutschen Reich, über die Weimarer Republik, über den Nationalsozialismus, die Besatzung nach dem Krieg bis zur Gründung der DDR und der Bundesrepublik und schließlich die Wiedervereinigung.
Ich denke mir, daß gerade für unsere jüngeren Zuschauer Menschen der älteren Generation hochinteressant sein müßten, die vieles, was im Geschichtsbuch steht noch selber erlebt haben. Wenn man die Gelegenheit hat, einen solchen Menschen zu befragen, nach Schule, Ausbildung, nach der Zeit im Krieg, den Lebensmittelmarken nach dem Krieg usw., so sollte man sie unbedingt nützen.
Tom hatte Zeit seines Lebens ein sehr großes Interesse für die Geschichte der älteren gl Menschen und führte das Interview.
An dieser Stelle möchte ich mich bereits von Ihnen verabschieden. Auf Wiedersehen, bis zum nächsten Mal.

Zeitzeugen Grete Kreuzer
Tom u. Kreuzer
Grete Kreuzer ist Jahrgang 1908.
Tom: Wo bist du geboren und aufgewachsen?
Kreuzer: In Leipzig.
Tom: Welchen Beruf hattest du?
Kreuzer: Weißnäherin.
Tom: Bist du taub geboren?
Kreuzer: Nein.
Mit 10 Jahren hatte ich Mittelohrvereiterung und Scharlachfieber.
Danach bin ich taub geworden.
Ich war traurig, wollte niemanden mehr sehen, habe mich verkrochen.
Meine Eltern haben mir gesagt, ich muß auf die Gehörlosenschule gehen.
Ich hatte Angst, bin aber doch mitgegangen.
In der GL-Schule habe ich gesehen, daß es viele Taube wie mich gibt.
Da war ich zufrieden und habe mich damit abgefunden.
Fotos: Grete Kreuzer 1911 mit 3 Jahren.
Grete mit 18 Jahren.
Tom: Du bist in den GL-Verein eingetreten. Wo warst du aktiv?
Kreuzer: Zuerst war ich beim Sportverein, dann beim Verband für Sozialwesen, wo ich
den Gehörlosen bis heute helfe.
Fotos: Grete mit 14 Jahren im Taubstummen Turn- und Sportverein.
Tom: Du warst auch in einer Tanzgruppe?
Kreuzer:
Ja, erst nach dem 2. Weltkrieg, von 1959 bis 1969.
10 Jahre lang war ich Leiterin der Volkstanzgruppe.
Wir sind sehr viel rumgefahren und haben viel erlebt.
Das letzte Mal waren wir in Plauen beim Kirchentag.
Wir bekamen sehr viel Beifall. Das letzte Mal 1969.
Grete Kreuzer spielte auch Theater, 1924, mit 16 Jahren.
Aufführung des Stücks "Samuel Heinicke"
Tom: Du lebst schon sehr lange. Was ist für dich die schlimmste Erinnerung?
Kreuzer: Das Schlimmste war nach dem 2. Weltkrieg die Hungerzeit.
Wir gingen viel "hamstern" in den Dörfern, um Kartoffeln zu bekommen.
Es war eine sehr, sehr tragische Zeit.
Nach dem Krieg wurde die Mauer gebaut und trennte Ost und West.
Viele Jahre später wurde sie wieder abgebaut. Wie hast du das empfunden?
Es kam zu schnell.
Ob das gut oder schlecht ist. Ich weiß es nicht.
Zum Teil gefällt es mir nicht, aber der andere Teil ist gut.
Arbeitslosigkeit, Verbrechen, Mord - das gefällt mir nicht.
Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Kann auch nicht helfen, bin zu alt.
Tom: Du lebst jetzt hier im Altenheim. Wie ist das für dich?
Kreuzer: Früher war es für mich besser im Heim.
Ich hatte mehr Freiheit u. mehr Geld. Jetzt muß ich alles bezahlen.
Medikamente muß ich selbst zahlen. Ich bekomme nur 200 DM Taschengeld, das ich aber für Medikamente spare, weil ich sie selbst kaufen muß.
In der DDR waren sie frei. Das ist der Unterschied.
Tom: Du wirst nächstes Jahr 90. Du hast ein sehr langes Leben.
Was ist deine schönste Erinnerung seit 90 Jahren?
Kreuzer: Das war mein 18. Geburtstag.
Ich war auf dem Turnfest in Frankfurt am Main.
Dort habe ich beim Wettkampf mitgemacht und den 1. Preis bekommen.
Am nächsten Tag hatte ich meinen 18. Geburtstag und habe eine Rheinfahrt gemacht.
Wir sind hinauf zum Loreley-Felsen.
Dort haben wir Kaffee getrunken und sind dann wieder heimgefahren.
Ich mußte weinen, weil es sehr sehr schön war.
Das habe ich bis heute nicht vergessen. Diese Erinnerung bleibt.
Tom: Danke für das Interview!
Bericht Rona Meyendorf
Moderation Tom Bierschneider

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