Sehen statt Hören - 15.02.1998 - 895. Sendung


HEUTE IM PROGRAMM:
NOTFALL-HILFE - Die Stadt Lünen hat über die besonderen Probleme Hörgeschädigter nachgedacht
DINNER FOR ONE - Eine Neufassung des bekannten Stückes durch das Frankfurter Gehörlosen-Theater PAX


PRÄSENTATOR: Hallo....
Wenn Menschen in Notsituationen geraten, gibt es mittlerweile die verschiedensten Geräte, wie Telefon, Lautsprechanlagen, Notrufsäulen etc. mit Hilfe derer man für sich selbst oder für andere Hilfe holen kann.
Doch was macht ein Gehörloser in einer derartigen Situation? Oftmals sind diese Geräte keine Hilfe, denn ein Gehörloser kann z. B. über Lautsprechanlagen nicht kommunizieren.
Wendet man sich mit der Bitte um Hilfe an einen vielleicht zufällig anwesenden Hörenden, so ist in den seltensten Fällen gewährleistet, daß man von dem Hörenden verstanden wird.
Aus diesem Grund befaßt sich unser erster Filmbeitrag mit einem Modell, das in Lünen konzipiert wurde. Lünen ist eine kleine Stadt 15 km nordöstlich von Dortmund. Anfang 1997 begann man, ein Konzept für Notsituationen zu entwerfen, mit dem Ziel, daß den Betroffenen schneller und direkter als bisher geholfen werden kann. Auch GL wurden in diese Besprechungen miteinbezogen. In diesen Gesprächen stellte sich heraus, daß es bereits 33 Mal - allein in dieser kleinen Stadt - vorgekommen war, daß GL keine Hilfe holen konnten, sei es bei der Polizei, dem Notarzt, der Feuerwehr, aufgrund der bekannten Kommunikationsbarrieren.
Das bisherige Ergebnis dieser Arbeitsgruppe ist ein umfangreiches Konzept, in dessen Mittelpunkt der sog. "Notfallpaß" steht. Alle GL in Lünen wurden mit einem solchen Paß versorgt und es ist abzusehen, daß er auch in angrenzenden Städten und Kommunen übernommen wird.
Wir sind für Sie nach Lünen gefahren um herauszufinden, inwieweit sich das Konzept bislang in die Realität umsetzen ließ.

"Notfallhilfe Lünen"
Lünen bei Dortmund. Hier hat man ein "Notfall-hilfe-Netz" aufgebaut.
Der Grund: Gehörlose waren in Notfällen oft hilflos.
Ein Beispiel: 2 Gehörlose im Aufzug.
In Lünen meint man: Hier fehlt ein Schild: "Gehörlose sollen nur mit Hörenden fahren."
Denn: Was tun, wenn der Aufzug plötzlich stecken bleibt?
Die erste Reaktion wäre, nach Hilfe zu rufen.
Aber GL hören ja nicht, ob jemand den Ruf verstanden hat.
Und auch den Lautsprecher können sie nicht hören!
GL im Aufzug
Beide, Hörende und Gehörlose wissen nicht, was los ist.
Der Notfallpaß der Stadt Lünen klärt auf: "Hörgeschädigt"!
Wichtig: Der Helfer klopft an die Tür. Das spüren Gehörlose.
Der Notfallpaß hat sich mittlerweile in Lünen bewährt.

Interview: "Verbesserung von Notfallhilfen in Lünen"! Wie entstand das Konzept?
Heinz BRINKMANN,
Sozialamt Stadt Lünen:
Es entstand aus Notfällen, die wir von Gehörlosen erfuhren.
Und aus Übungen, die wir mit Feuerwehr und Gehörlosen machten.
Im Januar '97 sagte die Feuerwehr: Wir haben eine neue Technik.
Das war der Auslöser für ein neues Konzept für die Gehörlosen
Interview: Wie viele Gehörlose gibt es hier?
Ca. 70. Etwa 1 Promille der Bevölkerung einer Stadt ist gehörlos.
Das Ziel war: Jeder Hörgeschädigte in Lünen soll den Notfallpaß haben.
Brinkmann: Wir überlegten mit der Feuerwehr, was in der Vergangenheit war.
Wir setzten uns mit den Gehörlosen-Vereinen in Lünen zusammen.
Wir führten eine Befragung bei den Gehörlosen durch:
Was müßte verbessert werden? Wo soll etwas anders gestaltet werden?
Die gleichen Fragen stellten wir auch den hörenden Helfern.
Dann entwickelten wir den Notfallpaß mit der Hauptfürsorgestelle.
Und noch einige Faxvordrucke für Notfälle zu Hause.
Oder für Notfälle auf Reisen, Fragen an den Arzt, Taxibestellungen.
Und Listen von Adressen von Notfallhelfern.
Mit diesen Faxvordrucken können Gehörlose sich gut weiterhelfen.
Z. B. über die Feuerwehrzentrale in Lünen.
Hier wurde eine Faxanlage extra für Gehörlose eingerichtet.
So können sie in Notfällen sicher sein, daß man ihnen schnell hilft.
Die entsprechende Hilfe wird sofort bestellt.
Inzwischen nutzen auch Gehörlose immer häufiger die Angebote.
Interview: Haben Sie denn schon eine Resonanz, wie das praktisch genutzt wird?
Brinkmann: Feuerwehr und Polizei sagen, daß sie mit dem Notfallpaß gut klar kommen.
Man weiß in Notfällen, welcher hörende Helfer da ist.
Wir wollen auch die Notfalldaten in den Computer der Feuerwehr eingeben.
So können die Gehörlosen bei Katastrophen gleich gesichert werden.
Interview: Glauben Sie, daß dadurch die Anerkennung Gehörloser gesteigert wird?
Brinkmann: Es ist zumindest in unserer Stadt das Bewußtsein gestärkt worden:
Gehörlose haben bestimmte Probleme, aber man kann damit auch umgehen.
Die Gehörlosen haben auch gemerkt, daß sie sich selbst helfen können.
Sie wußten bisher nicht: Wen spricht man an und wie geht das?
Das haben wir erreicht und das bestätigen auch die Gehörlosen.
Interview: Wie notwendig ist der Notfallpaß für Sie?
Erika ROTHKEGEL,
GL-Verein Lünen:
Der Notfallpaß ist sehr gut und er gefällt mir auch sehr gut.
Z. B im Krankenhaus gibt es Probleme bei der Kommunikation mit den Ärzten.
Wenn ich den Paß vorzeige, dann läuft alles gut.
Sie können die Verwandten anrufen. Das ist eine große Hilfe.
Ein weiteres Beispiel: Frau Rothkegel muß ins Krankenhaus.
Zum Glück hat sie ihren Notfallpaß dabei.
So kann die Schwester gleich den Arzt holen und unterrichten.
Ich habe eine gehörlose Patientin. Könnten Sie einen Arzt schicken?
Arzt u. GL
So ist der Arzt schon ein bißchen vorbereitet auf die Problematik.
Der Notfallpaß gibt ihm die wichtigsten Daten an.
Die Patientin muß nicht lange ihre besondere Situation erklären.
Die Kommunikation bleibt schwierig. Aber es ist immerhin ein Anfang.
Rainer AUSCHRAT: Frau Rothkegel, Herr Brinkmann und ich haben das gut aktiviert.
Am 25. Oktober '97 kamen viele Gehörlose zusammen und diskutierten.
Wir luden auch höhere Beamte aus dem Kreis Unna ein.
Sie fanden es alle interessant und haben auch verstanden, daß dadurch die Probleme der Gehörlosen besser werden.
Interview: Wie sieht das in der Praxis aus? Wird das von Gehörlosen oft genutzt?
Rainer AUSCHRAT: Tja, besonders von älteren Leuten.
Z. B. bei meiner Freundin in der Nähe wohnt eine ältere Frau, etwa 65.
Sie hatte Probleme und die Nachbarin schellte bei meiner Freundin:
Sie sagt, das und das tue ihr weh.
Die beiden faxten um Hilfe und ganz schnell kam ein Auto mit Blaulicht.
Dann brachte man sie weg. Beim 2. Mal wieder. Wir sind zufrieden.
Innerhalb eines Jahres hat die Stadt Lünen das System aufgebaut.
Die Initiative soll aber noch weiter gehen.
Andere Maßnahmen, wie Pannenkurse, sind schon geplant.
Die Verantwortlichen in Lünen sind bereit, anderen Städten zu helfen.
Bericht Manfred Schramm
Dolmetscherin Erika Schäfer

PRÄSENTATOR: Der Stadt Lünen erstmal ein großes Kompliment für dieses Modellprojekt.
Wir hoffen natürlich, daß diese Idee weitere Anhänger findet. Das einzige, was mir wirklich Sorgen bereitet ist die Sache mit dem Fahrstuhl. Wie kann man nur auf die Idee kommen, ein Schild anzubringen auf dem steht: "GL dürfen den Aufzug nur in Begleitung Hörender benutzen"? Damit werden wir zu hilflosen Kleinkindern degradiert. Das kann doch nicht in der Absicht dieses innovativen Konzepts liegen - oder?

PRÄSENTATOR: Wenden wir uns jetzt unserem nächsten Filmbeitrag zu. Mit Sicherheit kennen Sie alle das Stück das seit 30 Jahren immer wieder an Silvester im Fernsehen gezeigt wird: "Dinner for one" oder "der 90. Geburtstag". Man weiß, worum es geht und lacht Jahr für Jahr wieder über Freddy Frinton.
Thomas Gold und Claudia Messer von der GL-Theatergruppe "Pax" in Frankfurt haben das Stück ein klein wenig umgeschrieben und die Geburtstagsgäste ausgetauscht.
Lassen Sie sich überraschen, wer denn diesmal im stilvollen Rahmen der "Villa Frankfurt" zusammenkommt.

"Der 90. Geburtstag"
Nachfolgender Beitrag ist eine Wiederholung aus der Sendung vom 19.05.1996.
Benno als Moderator Verehrtes Publikum, liebe Damen und Herren!
Wir befinden uns hier auf dem Landsitz von Miss Sophie.
Sie hat ihre vier besten Freunde zu einem Geburtstagsessen eingeladen.
Ich möchte Ihnen die Tischfolge bekanntgeben.
Der Pfarrer wird hier sitzen,
der Admiral hier,
der Gebärdensprachforscher dort
und der Schüchterne dort.
Werte Damen und Herren! Miss Sophie feiert ihren 90. Geburtstag.
Da gibt es ein kleines Problem.
Ihre Freunde sind schon längst verstorben.
Aber: Der Butler wird diese vier Herren vertreten, wie in jedem Jahr.
Butler: Butler begrüßt Miss Sophie:
Geht es Ihnen gut?
Sophie: Gestern nicht, aber jetzt geht es mir sehr gut.
Butler: Wunderbar.
Sophie: Sind alle da?
Butler: Ja.
Sophie: Die Suppe bitte!
Butler: Dieselbe Prozedur wie jedes Jahr, Suppe?
Sophie: Dieselbe Prozedur.
Dazu Portwein.
Butler: Dieselbe Prozedur wie jedes Jahr, Portwein?
Sophie: Dieselbe Prozedur.
Sophie prostet:
Herr Pfarrer!
Butler: Als Pfarrer sage ich: Zum Wohl !
Sophie: Und Sie, Herr Admiral!
Butler: Dieselbe Prozedur wie jedes Jahr?
Sophie: Dieselbe Prozedur.
Zum Wohl!
Und Sie, Herr Gebärdensprachforscher!
Butler: Ich erforsche die Gebärden, zum Wohl!
Sophie: Sie, mein lieber Herr Schüchtern?
Zum Wohl!
Hierzu Champagner.
Butler: Prozedur wie jedes Jahr, Champagner?
Sophie: Dasselbe wie jedes Jahr.
Herr Pfarrer!
Herr Admiral!
Butler: Dieselbe Prozedur wie jedes Jahr!
Sophie: Dieselbe Prozedur.
S: Herr Gebärdensprachforscher!
Butler: Ich erforsche die Gebärden.
Sophie:
Mein lieber Schüchtern!
Herr Admiral!
Butler: Ich erforsche die Gebärden.
Sophie: Herr Gebärdenforsch - äh - sprachforscher, zum Wohl!
Ich danke Ihnen.
Ich gehe jetzt nach oben.
Butler: Nach oben? Was wollen Sie oben?
Sophie: Wir beide gehen nach oben?
Butler: Wir beide nach oben?
Sophie: Es war wunderbar, ganz wunderbar.
Butler James: Thomas GOLD
Miss Sophie: Claudia MESSER
Moderator: Benno HOUVER
vom Frankfurter PAX-Gehörlosentheater,
Leitung: Pater AMANDUS
Regie Carla KILIAN

PRÄSENTATOR: Vielen Dank auch noch mal an die "Villa Frankfurt" für die Unterstützung.
Und nun bleibt mir nur noch, mich von Ihnen zu verabschieden. Auf Wiedersehen bis zum nächsten Mal!


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