Sehen statt Hören - 01.03.1998 - 897. Sendung
Moderator Jürgen
Stachlewitz:
Dieses Paket mit Videokassetten bekamen wir vor kurzem aus Schweden, von einer gehörlosen
Redakteurin des Schwedischen Fernsehens: Gunilla Wagström-Lundquist. Sie hat mit
gehörlosen Jugendlichen eine Sendereihe produziert, die den Titel "NU" trägt.
Das bedeutet: "JETZT". Sie gefiel uns so gut, daß wir heute Ausschnitte daraus
zeigen. Z. B. diesen hier, zum Thema
Gehörlosen-Kultur | |
Schauspielerin: | In der GL-Kultur fragt man immer, wie es geht. Man umarmt sich oft. |
Straßenszene: | Hallo! Hallo! Wie geht's dir? Gut, und dir? Auch gut. Bis später! |
Junger Mann: | Wir begrüßen uns, gehen weiter. Dann fällt mir ein: Ich muß
noch was sagen. Aber ich kann nicht rufen, sondern muß ihm nachlaufen! |
Straßenszene: | Hallo!!! Hallo! Hallo! Du, ich habe vergessen: Die Sitzung beginnt um 4 Uhr, nicht um 2 Uhr! |
Frau: | Eine typische Situation: Der Tisch ist schön mit Kerzen gedeckt. Aber man muß alles wegnehmen. Besser, man nimmt Teelichter. |
Spielszene 2 Frauen: | Jetzt warte mal! Ich habe gesagt: Die Farbe breitete sich zu einem riesigen Fleck aus! |
junger Mann: | Wenn man 2 Taschen hat, muß man sie beim Gebärden immer
abstellen. Oder der andere nimmt eine. |
Jugendlicher: | Wenn sich Gäste verabschieden, kommen sie nicht vom Fleck. Sie bleiben eine Stunde im Flur stehen, bis sie wirklich gehen. |
Spielszene: | Spielszene Tschüß! Tschüß! Vielen Dank! Moment! Ich hab' was vergessen! Das ist sicher spannend..... Wir unterhielten uns über China... Sie macht sich schön und ich schufte. Jetzt aber Schluß. Laß es dir gutgehen. Wir sehen uns in 2 Wochen! Ja, aber wo treffen wir uns? Hol mal deinen Terminkalender! |
Moderation: | In dieser Sendung folgen Beispiele aus Theater, Malerei und Film. Die schwed. GL-Theatergruppe "Das Leise Theater" ist schon seit 1977 fester Bestandteil des staatlichen schwedischen "Reichstheaters". |
Schauspielerin Vineta LYXELL: | Seit dem Experiment "Gewinn oder Verlust" (1989) spielen
wir für ein breiteres Publikum, für Gehörlose und Hörende. Es läuft weiter erfolgreich. |
Gunilla Vestin-Vallin: | Wir haben lange zu dritt gearbeitet. Jetzt kamen drei neue
Schauspieler von der Theaterhochschule mit neuen Ideen dazu. Das gibt Anregungen. Wir brauchen mehr Leute, neue Erfahrungen in unserer Gruppe, damit wir wirklich professionell arbeiten können. Spielszene Gunilla: Wir Schauspieler ohne Ausbildung und die neuen, die Ausbildung haben, können gemeinsam dafür kämpfen, daß sich das Theater weiterentwickelt! |
2 Moderatoren von NU, Patrik:: | Das funktioniert perfekt mit Dolmetscher! Ich mache das auch so, wenn ich hörende Mädchen treffe. Die verführe ich mit Dolmetscher |
Patrik u. Irene:: | Alle werden schwach! - Ach, nimmst du den Dolmetscher mit ins
Bett? Nein, ich mache das Licht aus! |
Irene: | Ja, beim ersten Treffen von GL und Hörenden ist das oft
schwierig. Man gestikuliert und buchstabiert. Meistens schreibt man alles auf. Was macht ihr heute abend? - Bei einem Freund gibt es eine Party. |
Hörende Jungs: | Gab es tolle Effekte? - Ja, mit Bäumen. - Schauen wir uns den
Film an? Du, da drüben sind Gehörlose! |
Junge: | Komisch, wie die da sitzen und mit den Händen wedeln. |
gl Mädchen:: | Wie die uns anglotzen. Idiotisch! |
Jungs: | Die hören, was wir sagen! - Nein, die können überhaupt nicht hören! |
Junge (Sprechblase): | "Wie süß sie ist..." |
Mädchen (Sprechblase): | "Was für ein süßer Junge..." |
Junge: | Komm, wir gehen hin und sprechen mit ihnen. - Das wird aber peinlich! |
Mädchen: | Also, um 6 bei mir zuhause |
Jungs: | Hej! |
Junge: | Könnt ihr von unseren Lippen ablesen? |
Mädchen (Sprechblase): | "Immer dieselben Fragen!" Beherrscht ihr Lippenablesen? Nein. - Nein. |
Jungs: | Was wollen wir jetzt fragen? "Wie heißt ihr?" Johann |
Junge Nicke: | "Hört ihr überhaupt nichts?" |
Mädchen: | Nein. - Nein. |
Junge: | Könnt ihr auch keine Musik hören? |
Mädchen: | Nein. - Nein. "Wir wollen ins Kino gehen. Kommt ihr mit?" |
Mädchen: | Wir wollten heute abend weggehen. "Leider haben wir schon etwas anderes vor." Schade. Dann gehen wir. Tschüß! |
Mädchen u. Sprechblase: | "Ich wäre ja sehr gerne mitgekommen!" |
Moderator: | Hast du gesehen? Die Mädchen zeigten großes Interesse an den
Jungen. Aber die merkten es nicht, weil sie so mit Schreiben beschäftigt waren! |
Stachlewitz: | Ja, da gibt es noch eine Reihe anderer Lösungsmöglichkeiten. Welche die beste ist? Das kann sich jeder selbst überlegen. In dem schwed. Jugendprogramm gibt es auch eine Extra-Sendung: Medien. Erster Ausschnitt daraus: GL Jugendliche in einem Internet-Cafe. Dann: Über eine GL-Zeitung, die nur per Computer gelesen werden kann. |
Ann JANNSON: | Bei mir begann es, als zuhause ein Computer angeschafft wurde. Ich wurde neugierig. Mein Interesse war geweckt. Heute habe ich meinen eigenen PC und verwende ihn jeden Tag. Komm, schau mal, was hier im Galloweb steht! (Galloweb = Computerseiten der Gallaudet Universität, Washington) |
Jerker TORSTENSSON: | Meine Computerkenntnisse habe ich von Freunden und vom
Arbeitsplatz. Vor 3 Monaten kauften wir zuhause einen PC. Ich merkte: Was ich vorher wußte, reicht nicht aus. Ich muß es selbst herausfinden, mir Informationen holen. Das ist der beste Weg, den C. kennenzulernen. Wenn du nur andere Personen fragst, lernst du nicht so viel. Wenn ich z. B. "Deaf Week" lesen will, klicke ich es einfach an. |
Susan CRONA: | Du sparst viel Zeit, wenn du Bookmarks (Lesezeichen) verwendest. Damit erreiche ich auch die Homepages meiner Freunde schneller. Gehörlose brauchen das Internet in der Zukunft dringend. So bekommen sie leicht Informationen. Verglichen mit der ganzen Technik, die Hörenden zur Verfügung steht, ist Internet genau richtig für GL! Vielleicht kann ich mit Bildtelefon schon bald weltweit telefonieren. Aber die Qualität der Übertragung muß sich noch verbessern. Im Moment kann man die Gebärden oft nicht genau erkennen. Ich hoffe, ich kann bald mit meiner Schwester in den USA telefonieren! |
Moderation: | Unter den Home-Pages war die unsere nicht dabei. Wie ärgerlich! |
Patrik: | Immer mehr Organisationen und Personen richten eigene
"Heimseiten" ein. Damit sind sie länder-übergreifend einfach zu erreichen. Einige machen eine "Klatsch-Zeitung" für Gehörlose auf einer Home-Page! |
Peter EDHAGER: | Viele Gerüchte gehen herum. Man weiß nicht, ob sie wahr sind. Unsere Zeitung berichtet, wie es wirklich ist. Mit Direkt-Reportagen. Erst wollten wir eine normale Zeitung machen. Dann beschlossen wir, die Zeitung ganz einfach als Home-Page ins Internet zu legen. |
Waldemar WOJCIUK: | Erst treffen wir uns bei einem von uns, suchen Ideen, verteilen
Aufgaben: Wer macht die Interviews? Wer fährt nach XY? Meistens arbeiten wir zu zweit: Einer filmt, einer interviewt. Wir wechseln uns bei der Einteilung ab, damit nicht immer das gleiche Paar zusammenarbeitet. In den USA gibt es eine Menge Web-Seiten für Gehörlose: Deaf Zone, Deaf World Web und viele andere. Die sind ungeheuer professionell auf dem Gebiet der Multimedia. In Schweden gibt es noch nicht so viel. Der Weg ist noch weit. Du, arbeiten die gl Amerikaner professionell oder ideell? Das möchte ich auch wissen. Fragen wir sie doch per E-Mail! |
Tannlund: | Denkt daran, wie viel Bill Gates auf das Internet gesetzt hat. Wir Gehörlose müssen voll dabei sein, damit kein Rückstand entsteht. |
Stachlewitz: | Auf eine Folge innerhalb der Reihe "NU" war ich
besonders gespannt: die zum Thema Arbeitsleben. Wie geht es jungen GL in ihrem Beruf? In Schweden sind Gebärdensprache und Schwedisch seit 1981 gleichgestellt. Auch im Unterricht sind GS und Laut- und Schriftsprache gleichberechtigt. Für die Ausbildung stehen qualifizierte Dolmetscher zur Verfügung. Und der Beruf des Gebärdensprachdozenten ist voll anerkannt! Ein Paradies, wenn man es von Deutschland aus betrachtet. In den nächsten Ausschnitten sehen wir einen Vergleich: Gestern/Heute und dann die Berufsporträts einer Laborantin und einer Lehrerin. sw-film Schuhmacher Schneider Schneiderin Schreiner |
Sofia: |
Ich möchte Lehrerin werden, weil ich gern Kinder unterrichte. Meine Eltern sind beide Lehrer. Mich interessieren pädag. Fächer. |
Annika: | Ich bin sportinteressiert, schwimme gern und möchte Trainerin werden. |
Jenny: | Ich möchte Bäckerin werden. Oder Vorschullehrerin. |
Jerry: | Ich werde Tierpfleger. Oder Lehrer. Oder ich mache was im Vereinsleben. |
Kenneth: | Ich glaube, ich möchte Lehrer in mathematischen Fächern werden. |
Theresa: | Ich möchte Kunsterzieherin werden. Oder Künstlerin. |
Moderator: | Arbeitet ihr lieber mit Gehörlosen oder Hörenden? |
Kenneth: | Ich möchte zusammen mit Gehörlosen arbeiten, wegen der Sprache. Bei Hörenden muß ich immer Lippenablesen. Ich gebärde lieber. |
Annika: | Ich habe noch nie nachgedacht, was es da für einen Unterschied gibt. |
Theresa: |
Wichtig ist, ob du dich in deiner Arbeit wohl fühlst - mit Hörenden oder Gehörlosen. Als Kunst-Lehrerin würde ich mit Gehörlosen arbeiten. |
Jerry: |
Am liebsten mit Gehörlosen. Wenn es bei Hörenden ist, ist das auch o. k. |
Patrik: |
Das Angebot an Ausbildungsberufen ist heute enorm groß! Aber auch im GL-Bereich brauchen wir Geschichtsforscher, GS-Forscher oder Übersetzer für Gebärdensprache. Ja, die brauchen wir. |
Patrik: |
Aber genauso gut wie mit GL kann man auch mit Hörenden arbeiten. Nur, es gibt dann schon Unterschiede im Vergleich zu einer gebärdensprachlichen Umgebung. Wir haben nachgeschaut. |
Karin: | Ich bin seit 16 Jahren an diesem Arbeitsplatz, als einzige
Gehörlose. Am Anfang war der Kontakt mit den Kollegen mühsam und sehr gehemmt. Aber mit der Zeit lockerte es sich auf. Jetzt geht es gut. Alle wissen: Ich bin gl, wir müssen Blickkontakt haben beim Sprechen. |
Addie: |
Schon beim Studium an der Gallaudet-Uni arbeitete ich mit Kindern. Das machte mir viel Spaß. Als ich zurück in meine Heimat Schweden kam, wollte ich das weitermachen. Jetzt bin ich an der Birgittaschule. Klassenzimmer |
Karin: |
Normalerweise esse ich zu Mittag mit meinen Arbeitskollegen. Aber wir sprechen nicht viel miteinander. Wenn sie lachen, frage ich, was lustig war. Einer erzählt es mir. So bin ich dabei. Aber es ist nicht gut, zu oft nachzufragen. Ich muß spüren: Wann kann ich nachfragen, wann nicht? Manchmal geht die Initiative von den Kollegen aus. Das geht dann gut, ich fühle mich nicht isoliert, sondern als Team-Mitglied, um das sich die anderen bemühen. Unterricht |
Stenström: | In einer hörenden Umwelt zu arbeiten, ist eine nützliche
Erfahrung. Nur weil du gehörlos bist, mußt du nicht nur mit Gehörlosen arbeiten. Ich finde es gut, wenn Gehörlose unter Hörenden arbeiten. Es ist lehrreich, zu sehen, wie es da läuft. Es ist ja auch unsicher, ob es in Zukunft ausreichend Arbeitsplätze in der GL-Welt gibt. Deswegen müssen wir bereit sein, auch bei den Hörenden zu arbeiten. |
Stachlewitz: | In Schweden ist zwar vieles selbstverständlich, was bei uns noch
lange nicht selbstverständlich ist. Aber es gibt auch dort Probleme in der Kommunikation zwischen Hörenden und GL, die noch nicht gelöst sind. Nun zur letzten Folge dieser Sendereihe. Sie hat die "Zukunft" zum Thema. Hier wieder Ausschnitte. |
Patrik: |
Gebärdensprache und GL-Kultur sind heute fest in der Gesellsch.
verankert. Wir GL sind stark und selbständig, auch gegenüber der oralen Erziehung. Diese Stärke bringt uns auch ein größeres Selbstbewußtsein. |
Irene: |
Das ist richtig. Diese Entwicklung beeinflußt das Leben der GL
stark. Sie haben andere Bedürfnisse, eine andere Art zu leben. Können die Vereine die neuen Bedürfnisse erfüllen? |
Mikael: |
Viele Vereine erwarten, daß die gl Jugendlichen Mitglieder
werden. Aber sie können nicht bei allen eintreten, das käme zu teuer! Sportinteressierte wählen dann nur einen Sportclub und nichts anderes! |
Patrik: | Viele Jugendliche an GL-Schulen haben uns geschrieben, was sie
über die Zukunft denken. Das ist lustig! Einer will ein Autotelefon. Einer einen Dolmetscher an der Leine. Hm. |
Irene: | Hier ist einer, der will einen europäischen Fernsehkanal für
Gehörlose. Ich glaube, das kommt bald. Dann kann man Programme versch. Länder auf einem Kanal senden für Gehörlose in ganz Europa! Trailer: "Europäischer Gehörlosen-Kanal" |
Irene: | Das wäre toll. Hier will einer, daß alle Gebärdensprache
lernen: Mit einer Diskette, die man in den Kopf schiebt, und schon geht es los. Und: Für Hörende soll Geb.sprache als Pflichtfach in der Schule eingeführt werden. Warum nicht? Soweit die jungen Gehörlosen. Wie sieht der Präsident des Schwed. Gehörlosenbundes die Zukunft? "Gehörlosenschule" |
Lars: | GL-Schulen mit Gebärdensprache im Unterricht werden erhalten
bleiben, solange die GL mit Nachdruck verlangen, daß sie bestehen bleiben! Wenn sie diese Frage Hörenden überlassen, kommen GL in Regelschulen. Die GL-Gemeinschaft behauptet sich, wenn sie selbstbewußt bleibt. Aber GL-Schulen und Schulen für Hörende müssen nicht getrennt sein. Die Schule entwickelt sich. Da könnte es in Zukunft zu einer Zusammenlegung kommen: GL-Klassen in Schulen für Hörende. "Hörende" Gehörlose und Gebärdensprache sind heute in unserer Gesellschaft fest verwurzelt. Hörende sind sehr motiviert, Gebärdensprache zu lernen. Unser Bekanntheitsgrad ist schon sehr hoch. Ich hoffe, die Kommunikation entwickelt sich noch weiter. Ein bißchen Gebärden bzw. Fingeralphabet können schon die meisten. Ich bin sicher: Der Kontakt mit den Hörenden wird noch viel besser! "Internationale Gebärdensprache" |
Wikström: | Int. Gebärdensprache wird immer benutzt werden. Aber: Was ist
sie? Sie ist nicht genau in Büchern festgelegt, es gibt kaum Literatur. Sie entsteht aus der zwischenmenschlichen Kommunikation. Man kann die Zeichen in keinem Lexikon nachschlagen! |
Stachlewitz: |
So, das war unser Ausflug nach Schweden. Wir haben das Programm für gehörlose Jugendliche kennengelernt. Hoffentlich hat es Spaß gemacht. Tschüß, bis zum nächsten Mal! |
Die Sendereihe "NU" ist eine Produktion von UTBILDNINGSRADION (UR) des Schwedischen Fernsehens Übersetzung Jan-Ake Staffansson Realisation Gerhard Schatzdorfer |