Kampf gegen den Pfeifton
Tinnitus: Bosenbergklinik setzt auf stationäre Therapie
Den Körper richtig entspannen lernen - ein in St. Wendel entwickelter Ansatz zur Hilfe gegen Ohrengeräusche.
St. Wendel (ck). Plötzlich war es da. Ein feines, leises Pfeifen, das nicht mehr wegging. Der Hausarzt konnte nichts machen. Auch die durchblutungsfördernden Tabletten des Ohren-Spezialisten, die Übungen des ebenfalls befragten Orthopäden und weitere Ratschläge brachten keine Abhilfe. Das Rauschen in den Ohren blieb.
Die meisten Berichte der Patienten, die in der Tinnitus-Klinik auf dem St. Wendeler Bosenberg vorsprechen, ähneln einander. "Viele Patienten haben einen Leidensweg hinter sich, wenn sie zu uns kommen. Sie wurden von einem Arzt zum nächsten gereicht", berichtet Oberarzt Dr. Günther Karisch. Damit der Bosenberg für sie nicht nur eine weitere Station wird, setzen Karisch und sein Team auf eine umfassende, stationäre Behandlung.
"Wir wollen Tinnitus nicht einäugig behandeln", sagt Karisch. "Wir nutzen alle Möglichkeiten, die eine stationäre Rehabilitation bietet." Damit setzt sich die Bosenbergklinik von Angeboten ab, die zunehmend ambulante Tinnitus-Therapien anbieten. "Menschen wieder in ihr Gleichgewicht bringen", lautet für Tinnitus-Manager Jörg Schmiedel das Ziel der umfassenden Therapie. "Wir wollen dem Patienten zeigen, wie er seine Gefühle besser wahrnehmen kann. Viele leben nicht im Einklang mit ihrem Körper." Die stationäre Betreuung, die auf diesen Ansatz aufbaut, reicht von Sport- und Bewegungstherapie, Psychotherapie und Entspannungsverfahren über den Einsatz von Hörgeräten, Therapie möglicher Begleiterkrankungen wie Diabetis bis zur Diät-Beratung. Waldlauf und Krafttraining gehören ebenso dazu wie Musiktherapie und Massagen.
Stolz ist die Klinik auf die "Motorelaxation", die auf dem Bosenberg entwickelt wurde. Gemeint sind Übungen, die dem Patienten zeigen, wie er seinen Körper wahrnehmen und sich besser entspannen kann. Vier bis sechs Wochen dauert ein Aufenthalt. Die Nachfrage nach der stationären Rehabilitation steigt. Im vergangenen Jahr zählte die Tinnitus-Klinik über 600 Patienten aus allen Teilen Deutschlands. Hauptbelegungsträger ist die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA). Auch gesetzliche Krankenkassen, Bundeswehr und andere Versicherungsträger schicken Patienten auf den Bosenberg. Mit 60 bis 70 Betten habe St. Wendel 1997 bundesweit die Spitzenposition erreicht, berichtet Karisch. An diesem Wochenende, 23. und 24. Mai, kommen wieder über 60 ehemalige Tinnitus-Patienten der Bosenbergklinik zu einem Erfahrungsaustausch in St. Wendel zusammen. Tinnitus sei eine Volkskrankheit, sagt Karisch. In Deutschland seien rund eine Million Kinder und Erwachsene behandlungsbedürftig. "Häufig gehen dem Ohrensausen psycho-soziale Belastungen voraus." Auch Lärm sei eine häufige Ursache. Der Mediziner kritisiert in diesem Zusammenhang laute Disco-Musik, die bei Jugendlichen Schäden am Ohr auslösen könne.
Betroffen seien sowohl Frauen als auch Männer aller Altersstufen. "Unser jüngster Patient ist 21 Jahre alt", berichtet Karisch. Daß die Ohrengeräusche durch medizinische Behandlung verschwinden, kann nach Karischs Überzeugung kein Arzt versprechen. "In den meisten Fällen ist das Rauschen chronisch. Aber wir können dem Patienten zeigen, wie er damit im Alltag leben kann."