Verstehen mit Gebärden


Peter Krause: gehörlos und im Beruf erfolgreich

Hösbach-Bahnhof. Peter Krause aus Hösbach-Bahnhof ist 48 Jahre alt, von Geburt an taub, verheiratet mit einer ebenfalls gehörlosen Ehefrau und Vater von zwei »normalhörenden« Kindern. Der frühere CAD-Anwender im Konstruktionsbüro des Technischen Dienstes bei der Degussa Hanau besuchte ein halbes Jahr die technologische Fachhochschule für die Bautechnik in der Universitätstadt Heidelberg. Die Abkürzung CAD steht für rechnerunterstütztes Konstruieren und ist vom amerikanischen »Computer Aided Design« abgeleitet. CAD hat bereits große technische Reife erlangt.

Der Alltag der Gehörlosen ist sehr stark von den Hemmungen und Berührungsängsten der Hörenden geprägt, da diese nicht wissen, wie sie mit jemanden umgehen sollen, der »anders« ist als man selbst. Dadurch entstanden bei Peter Krause ebenfalls Berührungsängste: Die Angst, etwas falsch zu machen, war und ist sehr groß. Mit ein Grund dafür war wahrscheinlich die 18monatige Arbeitslosigkeit 1983/84.

»Gehörlosigkeit nimmt Arbeitseifer und guten Zeugnissen den Glanz«, berichtete die Presse damals über Peter Krause. Spuren hinterließ das nicht zuletzt bei ihm: Bei insgesamt 904 Bewerbungen nur Absagen zu erhalten, ist verständlicherweise ein schwerer Rückschlag. Dies änderte sich jedoch schlagartig, als Peter Krause am 1. Oktober 1984 schließlich einen Arbeitsvertrag bei der Degussa AG unterschrieb.

Da Peter Krause nicht an hörenden Schulungen in technologischen Fachhoch- oder Ingenieurschulen teilnehmen kann, war eine spezielle Gebärdensprachdolmetscherin mit Fachwissen erforderlich. Dieses übernahm eine Lehrerin aus Heidelberg, die es möglich machte, ihn sehr gut in die hörende Klasse zu integrieren.

Das größte Problem ­ das Verstehen ­ war für Peter Krause nun gelöst: Von ihm selbst kam der überdurchschnittliche Unterrichtseinsatz. Dies belohnten der Fachbereichsleiter für das Bauwesen, Dietmar Machauer, Lehrgangsleiter Bernhard Horst und fünf Architekturdozenten mit einem Zertifikat, das Peter Krause bestätigt, die Anpassungsfortbildung mit »sehr gutem Erfolg« abgeschlossen zu haben. Nun ist Peter Krause CAD-Fachkraft für das Bauwesen im Chemieindustriegebiet der Degussa AG in Hanau.

Peter Krause hat ­ wie er selbst sagt ­ am Arbeitsplatz immer noch Schwierigkeiten, sich mit hörenden Kollegen und Vorgesetzten zu verständigen. Von den Lippen ablesen kann Peter Krause zwar, jedoch ist es ihm unmöglich, einer Besprechung gewissenhaft zu folgen, da meistens nur Bruchteile verstanden werden und die Redner sehr schnell sprechen. Peter Krause selbst spricht häufig monoton unmelodisch und oftmals nicht ganz verständlich für diejenigen, die den Umgang mit ihm nicht gewohnt sind. Dies und die Spracharmut darf jedoch nicht als Mangel an Intelligenz gewertet werden. Gehörlose haben nicht die Kontrolle über ihre Stimme wie Hörende, ebenfalls können sie sich nicht selbst verbessern, da sie das Ausgesprochene nicht hören.

Wenn ein Hörender von einem Gehörlosen angesprochen wird, ist dieser meist negativ berührt und geht auf Distanz. Gehörlose werden oft als hilflos und unsicher abgestempelt, manchmal sogar als dumm. Taubheit besitzt mehr Einfluß auf die Persönlichkeitsentwicklung als Blindheit. Nach Peter Krauses Meinung sollte die »hörende Welt« auf die Probleme der gehörlosen Welt aufmerksam gemacht werden. So könnten einige Anlaufschwierigkeiten und Hemmungen der Hörenden möglicherweise genommen werden.

Allerdings wird Peter Krause bei anderen Mitmenschen, die nicht wissen, daß er gehörlos ist, oft als unhöflich abgestempelt, da das »Guten Morgen« von ihm nicht gehört wird und somit nicht beantwortet werden kann. Ebenfalls können beim Mundablesen sehr große Mißverständnisse entstehen. Gerade bei Peter Krauses Beruf besitzen Wörter wie »verboten« und »verputzen« das selbe Mundbild ­ dadurch können gravierende Mißverständnisse entstehen.

Peter Krause ist überzeugt, das beste getan zu haben, um Brücken zu bauen von einer gebärdensprachlich-gehörlosen zu einer lautsprachlich-hörenden Welt. Von den insgesamt etwa 2700 Mitarbeitern der Degussa AG Hanau ist nur er gehörlos ­ und (zu Recht) stolz darauf, die technologische Fachhochschule für die Bautechnik »mit sehr gutem Erfolg« abgeschlossen zu haben. Für die Zukunft wünscht er sich vor allem, daß Gehörlose mehr in das Berufsleben integriert werden.


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