Ärzte fordern eine rechtzeitige Therapie der Schwerhörigkeit


"Bis zum Jahr 2030 wird fast jeder zweite Deutsche schwerhörig sein", so die Prognose von Professor Dr. Karl Heinz Wisotzki, der Universität Köln. Und schon heute leidet fast ein Viertel der Bundesbürger, nach Aussagen des Deutschen Grünen Kreuzes, unter einer Hörschwäche. Diese Zahlen belegen, welchen Stellenwert die Therapie der Schwerhörigen in den kommenden Jahren einnehmen wird.

Wie erkennt und berät der Hausarzt seine schwerhörigen Patienten? Welche Möglichkeiten zur Diagnostik und Therapie stehen ihm zur Verfügung? Wie hilft er seinen Patienten, ein geeignetes Hörgerät zu bekommen?

Die ansteigende Zahl von Schwerhörigen in der Gesellschaft stellt Allgemeinmediziner vor wachsenden Handlungsbedarf in ihrer täglichen Praxis. Ihnen kommt eine zentrale Rolle in der Früherkennung von Hörstörungen zu, damit Betroffene durch entsprechende Hilfen ihre Kommunikationsfähigkeit erhalten und sich sogar vor einer völligen Taubheit schützen können. Denn Hören könne verlernt werden und Schwerhörigkeit könne zur Absonderung aus der Gesellschaft und zur Vereinsamung und Isolation führen. Unter der Leitung von Professor Dr. med. Klaus Terrahe, ärztlicher Direktor der HNO Klinik des Katharinenhospitals in Stuttgart, präsentierte ein hochkarätiges Podium aus Medizinern bei dem von der Siemens Audiologische Technik initiierten MEDICA-Seminar "Der Schwerhörige Patient in der Praxis", die Möglichkeiten der Früherkennung und Therapie von Schwerhörigen.

"Wer mit einem ungenügenden Hörvermögen einem Gespräch folgen muß, dem wird ständig überhöhte Anspannung und Konzentration abverlangt, ein Hochleistungssport ohne Pause - und darin ist das Versagen vorprogrammiert." Mit dieser Aussage hat Professor Dr. med. Klaus Seifert, Präsident des Berufsverbandes der Hals-Nasen-Ohren-Fachärzte, ein wichtiges Problem der Schwerhörigen auf den Punkt gebracht. Aber nicht nur das Leben mit einer Hörschwäche sei anstrengend. Auch das Akzeptieren der eige-nen Hörschwäche, und der anschließende Gang zum Arzt scheint laut Seifert für die meisten Betroffenen sehr schwierig zu sein. Hier seien die Ärzte aufgefordert ihre Patienten regelmäßig zu untersuchen und über mögliche Therapien aufzuklären.

Laut Allgemeinarzt Dr. med. Wolfgang Sohn von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf sind etwa 20 Millionen Deutsche schwerhörig. Doch nur etwa zehn Prozent der Betroffenen seien mit einem Hörgerät ausgestattet. Ein Grund für diese niedrige Anzahl, so Sohn, sei das Gefühl, daß eine Hörschwäche negativ mit "Alter" assoziert werde. Betroffene hätten Angst vor Vorurteilen. So werde oft das Hörgerät, das vor einer völligen Taubheit noch schützen könnte, abgewertet und abgelehnt.

Dr. Sohn befürwortet ein routinemäßiges Screening durch den Hausarzt. Die Untersuchungen sollten nicht nur bei Kindervorsorgeuntersuchungen erfolgen, sondern bespielsweise auch bei der Erstuntersuchung neuer Patienten, beim Attestieren von Berufsfähigkeit und bei regelmäßigen Checkups. Der Allgemeinarzt sollte als erste Screeningmaßnahme Sprachhörprüfungen in unterschiedlichen Entfernungen und mit unterschiedlichen Lautstärken durchführen. Dies ist eine gute Standardtechnik, die zur Orientierung hilfreich sei, sie habe aber verschiedene mögliche Fehlerquellen. Besser sei die Kombination dieser Methode mit der Stimmgabelprüfung oder eine elektroakustische Hörscreening-Untersuchung. Bestehe der Verdacht auf eine Hörschwäche oder werde eine Hörschwäche festgestellt, seien weitere Untersuchungen beim Facharzt notwendig.

Während eine Schwerhörigkeit im Mittelohr sich zumeist durch operative Maßnahmen lindern lasse, sei die Schwerhörigkeit im Innenohr am besten mit Hörgeräten, beziehungsweise bei gänzlicher Taubheit durch ein Cochlear Implant zu therapieren, so der HNO-Facharzt Professor Dr. Dr. Ernst Lehnhardt, Hannover. Die Stimmgabelversuche nach Rinne und Weber bildeten nach wie vor die diagnostische Grundlage der Schwerhörigkeit. Auch die Leitsymptome Schmerz, Sekretion und der Zeitpunkt des Auftretens der Beschwerden spielten eine entscheidende Rolle in der Diagnostik, und gäben Hinweise, ob Schäden im Innenohr, Mittelohr oder im äußeren Gehörgang vorliegen.

Professor Seifert plädierte auf dem Seminar für einen frühzeitigen Therapiebeginn der Schwerhörigkeit und eine frühe Hörgeräteversorgung, denn richtiges Hören könne verlernt werden. Patienten, die unter beidohriger Schwerhörigkeit leiden, sollten auf jeden Fall beidohrig mit Hörgeräten versorgt werden. Dr. Sohn unterstrich dies mit der Aussage: "Kein Augenarzt verschreibt heute ein Monokel".

Hörgeräte-Akustikermeister Werner Köttgen aus Köln zeigte die technologischen Fortschritte auf, die es in den letzten Jahren ermöglicht hätten, viele Defizite der alten Hörgeräte zu eliminieren. Patientenwünsche nach besserem Hören und Diskretion würden immer besser erfüllt. So seien die soge-nannten CIC-Geräte (Engl.: Completely in the Canal = völlig im Gehörgang) praktisch unsichtbar zu tragen und würden sogar das Richtungshören durch die natürliche Schallaufnahme im Ohr verbessern.

Köttgen betonte, daß die Hörgeräte von heute wenig gemeinsam mit den Hörgeräten von vor zehn Jahren hätten. Vor allem die digitale Signalverarbeitung und die Entwicklungen in der Richtmikrofontechnologie hätten riesige Fortschritte gebracht, die die Lebensqualität der Schwerhörigen erheblich verbessern können. Wo ältere Geräte einfach nur alle Geräusche verstärkt hätten, könnten moderne Hörcomputer, wie "Prisma" von Siemens, genau an individuelle Hörschwächen angepaßt werden und selbst schwierigste Hörsituationen meistern. Denn moderne Hörgeräte könnten Störgeräusche wie Straßenverkehr oder laute Hintergrundmusik von Sprachsignalen unterscheiden. Die Störgeräusche würden dann reduziert, während die Stimme eines Gesprächspartners verstärkt würden. So könnten Schwerhörige wieder aktiv an Gesprächen, und somit intensiver am Leben teilnehmen, ohne daß das Zuhören zum Hochleistungssport werde.


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