Tinnitus: Psychoterror durch den "kleinen Mann im Ohr"


t.w. - Für viele Menschen gehört der ,,kleine Mann im Ohr" mittlerweile zum Alltag. Der aufdringliche Geräuschemacher klingelt mit seinen Schellen, klopft gegen das Trommelfell oder rauscht wie ein Hochgeschwindigkeitszug durch die Gehörkanäle. ,,Tinnitus" lautet der Fachbegriff für die quälenden Ohrgeräusche, die nicht nur nerven, sondern die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen können. In Deutschland z.B. leiden nach Angaben der Tinnitus-Liga in Wuppertal rund eine Million Bürger an starken Ohrgeräuschen. Die gemeinnützige Selbsthilfeorganisation schätzt die Zahl der Leichtbetroffenen auf weitere zwei bis drei Millionen. Die DTL wurde vor zehn Jahren ins Leben gerufen. ,,Bis zu unserer Gründung fühlte sich niemand für die Leute mit dem kleinen Mann im Ohr verantwortlich", sagt der Bundesvorsitzende der Selbsthilfeorganisation. Die Betroffenen seien regelrecht diskriminiert und in vielen Fällen als Simulanten verspottet worden. Schließlich werden die Geräusche aufgrund einer Funktionsstörung im Innenohr nur vom Gehirn ,,gedacht", eine reale Schallquelle existiert nur selten.

Mittlerweile hat die Liga 18 000 Mitglieder. Die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen wurde vorangetrieben, zahlreiche Selbsthilfegruppen im gesamten Bundesgebiet wurden gegründet.

Kürzlich hat eine Befragung von 50 000 Erwachsenen in Großbritannien ergeben, daß zehn Prozent der Befragten Ohrgeräusche haben. Sieben Prozent haben deswegen bereits einen Arzt aufgesucht, vier Prozent empfinden die Geräusche als ,,Plage". Die Zahlen machen deutlich, daß Tinnitus mittlerweile zu einer ,,versteckten Epidemie" herangereift ist.

Doch wie entsteht Tinnitus? In 30 Prozent aller Fälle ist Lärm die Ursache. Weitere Ursachen können Durchblutungsstörungen, Herz/Kreislaufprobleme, Hörsturz, Stoffwechselstörungen oder Medikamente sein. Auch psychische Probleme und Dauerstreß sind als Auslöser denkbar.

Wer unter Tinnitus leidet, sollte sofort einen Arzt aufsuchen. Die Selbstheilungsquote ist zwar relativ hoch, dennoch muß jedes Risiko ausgeschlossen werden. Behandlungsmöglichkeiten wie die Infusionstherapie mit durchblutungsfördernden Mitteln oder die neue ,,Hyperbare Sauerstofftherapie" in einer Überdruckkammer können nur bei einem frischen, akuten Tinnitus angewendet werden später haben sie keine Wirkung mehr.

Bei chronischen Ohrgeräuschen kann ,,der Verlust der Stille" zum echten Problem mit negativen Auswirkungen auf die Psyche, den Beruf, Familie und andere soziale Kontakte werden. Starke Depressionen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen können zu einem mangelnden Selbstwertgefühl, in schweren Fällen sogar zur Aufgabe des Lebenswillens und zu Selbstmordgedanken führen. Heute versucht man, mit Hilfe von Psychotherapien den schweren chronischen Tinnitus - etwa 20 Prozent aller Fälle - erträglich zu machen. Abhilfe kann auch ein ,,TinnitusMasker" schaffen - ein Gerät, mit dem die quälenden Geräusche durch angenehmere Töne überdeckt werden.

Hilfe für taube Kinder durch Ohr-Implantat

Den meisten taub geborenen oder ertaubten Kindern könnte mit künstlichen Ohr-Implantaten geholfen werden. ,,Vor allem aus Unwissenheit von Eltern, Ärzten und Lehrern werden nur zehn Prozent aller in Frage kommenden Patienten operiert", kritisierte Prof. Thomas Lenarz, Leiter der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).

Das sogenannte Cochlear-Zentrum der MHH ist seit 1984 maßgeblich an der Entwicklung künstlicher Innenohren beteiligt und verfügt über die größte Operationserfahrung. Weltweit erhielten bislang 15 000 Menschen ein solches Implantat. An der MHH wurden 950 Patienten operiert, davon waren mehr als die Hälfte Kinder.

Die Implantation einer künstlichen Ohrschnecke sei gerade für Kinder bis zum fünften Lebensjahr sinnvoll. Entscheidend sei neben dem Alter aber auch das pädagogische Umfeld, in dem die Kinder lebten. ,,Vor allem ertaubte Kinder müssen von ihren Eltern und Lehrern gefördert und angelernt werden" , erläuterte der Mediziner. Außerdem müsse der Hörnerv noch funktionsfähig sein. ,,Das ist aber bei 99 Prozent aller Kinder der Fall."

Aus Luxemburger Wort vom 11.1.97


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