Wer hat die größere Verpflichtung des Beweises über das CI? 

Zu "Berichterstattung über das CI" und "Meine Erfahrung mit dem magnetfreien CI" von Rolf Erdmann
im 'sbw', 46/1998

Mit großem Interesse las ich Rolf Erdmanns Bericht über seine Hörerfahrungen mit dem CI. Ihm muß gelobt werden, daß er detailliert die Entwicklung seiner Hörwahrnehmungen mit dem CI mit wenig Reklamegeschrei beschreibt. Ich sehe mit Spannung weiteren Berichten über seine weitere Entwicklung entgegen.

Ich verstehe, daß Rolf Erdmann großen Wert aufs Hören legt, auch wenn es nur auf Geräusche beschränkt ist, denn er ist ja fasthörend und wuchs als solcher auf. Er würde das Hören hoch wie ein Hörender bewerten und würde das Ausbleiben der Geräusche sehr vermissen. Sein Nichtverständnis, warum wir das Hören der Umweltgeräusche als unwesentlich für Lebensqualität erachten, kann auch aus diesem Hintergrund nachvollzogen (verstanden) werden. Wir wissen, daß das Bedürfnis für Hören angelernt und konditioniert ist. Es ist nicht angeboren. Ich kenne viele Spätertaubte, die das Leben in der Stille schätzen gelernt haben und auch nicht durch eine Hörprothese wieder in die Geräuschwelt zurückkehren möchten.

Es ist weniger schlimm, wenn wir sagen, daß das Geräuschhören unwichtig sei. Schlimmer ist das aufdringliche, intolerante Bestehen, wir müssen unbedingt nur irgendetwas hören. Was anfangs ein Vorurteil war, wir hatten ein Leiden, einen Schaden, eine verminderte Lebensqualität, wird jetzt politisiert, um das Prestige und die Interessen gewisser Berufsstände zu erhalten. Was anfangs Mitleid war, wurde zumeist zur Maske der Barmherzigkeit, wenn es um Einfluß, Macht und Einkommen geht. Dieser Einstellung nach dürfen wir nicht in der Stille leben und einer visuellen Lebensweise erfreuen. Der tiefeingewurzelte hohe Wertstand des Hörens und Vorurteil des Hörverlusts bei Hörenden, vor allem bei den Eltern tauber Kinder, werden dazu benutzt, das CI besser zu verkaufen.

Nie habe ich geschrieben, daß Spätertaubte das CI nicht erhalten sollen. Nur habe ich geschrieben, daß der Nutzen auch bei Spätertaubten zahlenmäßig nicht so groß sei, entgegen der Behauptungen der CI-Mediziner und CI-Pädagogen.

Sie sind verpflichtet, den Nutzen des CI besonders bei der Lautsprachwahrnehmung bei den meisten CI-Trägern wissenschaftlich nachzuweisen. Nicht ich die Nichterfolge. Sie sind noch eines überzeugenden Nachweises schuldig. Ich verstehe nicht, wieso Erdmann den CI-Medizinern Nachsicht über das Fehlen der Veröffentlichungen von Mißerfolgen walten läßt. Wohl berichtet man nicht oft technische Mißerfolge. Aber in der Medizin muß davon berichtet werden, und es wird tatsächlich getan, auch das Versagen des künstlichen Herzes.

Erdmann bemängelt mein Fehlen der Literaturangaben in meinen Schriften im ‘sbw’ und vermutet, ich zitiere nur einseitige Berichte. Man schreibt gewöhnlich kein "Gefälligkeitsgutachten", der einen Nichterfolg von einer Ware nachweist, sondern im Gegenteil deren Wirksamkeit. In einem anderen Artikel, der in DAS ZEICHEN (38/1996) veröffentlicht ist, führe ich genügend Literaturangaben auf.

Es stimmt nicht, daß ich keine Erfolge von CI zur Kenntnis nehmen will. Ich halte kräftig Ausschau nach Ergebnissen in Lautsprachwahrnehmung in der Fachliteratur. Zwar berichte ich, daß die Erfolge mager sind, aber das bedeutet lange noch nicht ein Nichtwollen zur Kenntnisnahme. Andere Autoren wie Harlan Lane und Klaus B. Günther, um nur zwei bekannte Namen zu nennen, haben diese Tatsache nach Durchforsten der Fachliteratur auch festgestellt. Dies schließt Berichte der CI-Industrie, auch die der CI-Kliniken, ein, die die Wahrnehmung von Lauten und Lautsprachprosodie (hoch/tief, Betonung, Silbenzahl usw.) oft schon als "Erfolg" bezeichnen und vorzutäuschen versuchen, die Implantierten (dieses Wort wird von CI-Fachleute auch gebraucht) würden damit die Lautsprache verstehen oder als Muttersprache lernen. Die Täuschung ist ähnlich, wenn damals die Oralisten der Öffentlichkeit vorgaben, wir konnten die Lautsprache mit den Augen verstehen, als wir zeigten, daß wir einige Wörter und bekannten Floskeln ablesen konnten.

Eine Täuschung besonderer Art tritt im Gebrauch der Statistik in den Untersuchungsberichten von den CI-Befürwörtern hervor. Also Erdmanns zitiertes Mißtrauen gegen Statistik von Churchill trifft besonders diesen Leuten zu. Wie Harlan Lane feststellt, wird von bestimmten Prozentzahlen von Verstehen der Wörter in einem offenen Worttest als Durchschnittswerte in verschiedenen Untersuchungen als Erfolg präsentiert. Es versteht sich, daß die Untersuchungspersonen jahrelang intensives Hörtraining erhalten haben. Bei der Überprüfung der Daten stellt es sich heraus, daß die meisten (mehr als 50% der Untersuchten) kein einziges Wort erkannt haben (in der Statistik spricht man von "Null-Median" (Mitte von Null)). Die so erzielten günstigen Gruppen-Durchschnittswerte kommen von außergewöhnlichen Leistungen der wenigen. Somit wird die allgemeine Hörleistung der Implantierten durch diesen statistischen Trick durch die Hochleistung der Besten vorgetäuscht. Harlan Lane stellt auch andere Ungereimtheiten in den berichteten Untersuchungen fest, wobei ich hier nicht eingehen möchte (Siehe Lane's Artikel in DAS ZEICHEN, 29/1994, und wieder in einem bald veröffentlichten Artikel in OTOLARYNGOLOGY, die auch neueste Untersuchungen in der Überprüfung mit einschließt). Die Täuschung ist ähnlich, wenn die Oralisten die am deutlichsten sprechenden Schüler den Besuchern vorführten und zu glauben vorgaben, daß die meisten ähnlich gut sprechen konnten.

                        Es ist wirklich merkwürdig, die CI-Träger als verantwortungslos zu bezeichnen, wenn sie das CI aus Enttäuschung für immer ablegen, und sie der Faulheit im Üben des Hörens zu bezichtigen. Es wird in der Regel viel Hörtraining bei ihnen nach der Operation betrieben, bevor sie das CI ablegen. Zwei Untersuchungen in den USA berichten von 73% der implantierten Schulkinder im Jahre 1994 und 47% im Jahre 1996, die das CI als unnütz erachten und nicht mehr benützen (Siehe Rose, D. et al. (1996) "Cochlear Implants in Prelingually Deaf Children" in American Annals of the Deaf, Nr.7). Der Autor berichtet in der zweiten Untersuchung (1996) zusätzlich, daß die Prozentzahl der Nichtbenützung von 47% weiter steigen wird, sobald der Zwang des Tragens wegfällt. Viele, die das CI noch tragen, sind jung im Alter und befinden sich noch in einem Untersuchungsprogramm. Auch berichtet er von Äußerungen der Enttäuschung und Widerwilligkeit von diesen. Das ist wirklich ähnlich dem Nicht-Weitertragen des Hörgerätes bei vielen tauben Personen nach der Schulentlassung.

Wenn nach vielen Jahren von CI-Operationen die Hörerfolge allgemein trotzdem klein sind, warum werden die Operationen dennoch durchgeführt und dafür geworben? Wenn es den Patienten und Eltern tauber Kinder klar gesagt wird, daß ein Hörerfolg nicht vorausgesehen werden kann, warum wird es dennoch verneint, daß die CI-Prozedur experimentell sei? Warum wird trotzdem Hoffnungen auf das vollkommene Hören gemacht? Warum muß uns das Hören der Umweltgeräusche aufgedrängt werden?

Der von Erdmann gemachte Vorwurf der Unseriosität und Glaubwürdigkeit trifft den CI-Befürwörtern eher zu. Der Wert des Hörens muß relativiert werden und der Wert des Hörens der Umweltgeräusche darf nicht als wichtig für die Lebensqualität hinausposauniert werden. Erdmann könne aus Solidarität mit tauben Menschen die Wertrelativität des Hörens beherzigen, obwohl er selbst das Hören hochschätzt, und unsere Gegnerschaft gegen das Trommeln um das CI aus dem geschichtlichen Hintergrund der Unterdrückung der Gebärdensprache und unserer Kultur verstehen.

Hartmut Teuber
Arlington, Massachusetts, USA
hteuber@juno.com
Fax: 001-781-646-6170
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