Referat anläßlich des DAFEG-Hearings zum Themenbereich

 

vorgetragen von Gerhard Wolf

Zu diesem Thema "Gehörlosigkeit - Behinderung oder Kultur?" sage ich:

Es gibt kein Oder! Für die Schicksalsgenossen ist diese Behinderung nur dann da, wenn die Ohren nicht in Aktion treten können. Sonst nichts außer einer vielleicht unverständlichen Aussprache. Die Gehörlosen-Kultur ist das Ergebnis nicht nur dieser Behinderung sondern auch der seelischen und geistigen Entwicklung und Kreativität der Einzelpersönlichkeit.

Das ist die Einzigartigkeit der Persönlichkeit.

Sehr zum Leidwesen hat die Gehörlosenkultur ein mageres Dasein zu führen, infolge der vorausgegangenen Verpöntheit, ja manchmal der spöttischen Abqualifikation durch die medizinischen und pädagogischen Fachleute. Weil sich viele keine Gedanken über das spätere Leben dieser gehörlosen Mitbürger in allen Lebensbereichen machen wollten oder dazu total unfähig waren.

In den Achtziger Jahren hat sich das Blatt imponierend gewendet. Noch heute sind viele unbelehrbaren Leute in der direkt damit zu befassenden Wissenschaft leider zu finden.

Ich persönlich habe vor etwa 15 Jahren auch keine gute Meinung über die später zu bezeichnende Deutsche Gebärdensprache gehabt. Inzwischen ist mir bewußt geworden, daß die Gebärdensprache doch einmalig, unschätzbar und unersetzbar ist. Ich habe meinen Lebensfilm bis in meine Vorschulkindheit zurückgedreht und dann ihn vor meinen geistigen Augen langsam ablaufen lassen. Was für ein Jammer, Traurigkeit und Pein war es gewesen!

Die Lautsprachanbahnung ist an sich gesehen eine pädagogische Meisterleistung, natürlich abhängig von den dazu befähigten Fachkräften, was uneingeschränkt mit jedem gehörlosen Kind zu üben ist. Dies darf allerdings nicht als ein isolierender Erfolg zu Lasten der Schüler mißbraucht werden.

Die anderen kommunikativen Fähigkeiten sind eminent wichtig für die Entfaltung der Kreativität und Abstraktheit und müssen als entscheidende Unterstützung für die Aus- und Lautsprache, Wissensvermehrung und das Ausbilden des Selbstvertrauens auch sehr ernst genommen werden.

Immer noch in dieser Zeit betreibt der Direktor eines Hörgeschädigten-

Zentrums Mißbrauch, indem er sogar gehörlose begabte Schüler als schwerhörige einstuft, damit dann die Gebärdensprachanwendung vermieden werden kann. Sein Ziel ist offenbar, daß es keine Klasse für gehörlose Schüler mehr geben soll.

Besonders die präverbalen Aktionen, die zwischen jedem Kleinkind und Mutter sowieso gehandhabt werden, müssen bei gehörlosen Kleinkindern - auch mit Hörhilfen - unbedingt und ohne jede Aussetzung - verbunden mit von außen energisch darauf hinweisend - fortgesetzt werden und sollen ebenbürtig die Artikulationsübungen und die kultivierende Gebärdensprachanwendung flankierend sein. Diese an sich begrüßenswerte Frühförderung muß zusätzlich mit den kompetenten Gebärdensprachlehrern ergänzt werden, wegen der großen Bedeutung für den Geist.

Der Artikel "Blauer Enzian" in der Zeitschrift HÖRPÄD 4/98 hat mir gar nicht gefallen. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß sich die hörgerichtete Frühförderung als unisensorisch darstellt und nicht als ganzheitlich, was irreführend ist und als eine offensichtliche Mogelpackung zu betrachten wäre.

Hinsichtlich der Kommunikation zwischen Eltern und ihrem gehörlosen Kind bleibt als A und O die multisensorische Vorgehensweise außer Frage, wofür meine Lebenserfahrungen sprechen.

Heute kann ich sagen, daß mein hochbefähigter Fachlehrer Dr. Schuy, deren Namen fast alle Gehörlosenlehrer vom Studium her kennen, im und außerhalb des Unterrichts nicht unter so typischen 'Oralisten' einzuordnen ist.

Das Nicht-Hören-Können ist eine sehr ernst zu nehmende Behinderung für die Seele und den Geist, wobei die wissenschaftliche, unbedachte Eifrigkeit hinter den psychischen Bedürfnissen der hörbehinderten Kinder entschieden hintanzustellen ist.

Zum Schluß möchte ich den Psalm 120 etwas verändert sagen:

 

Herr, errette uns vor den falschen Zungen und vor den Gebärdensprachen-Feinden.