HILF DIR SELBST, SO KANN DIR GEHOLFEN WERDEN!

Unter diesem Leitsatz wollen wir, Gehörlose, selbst in die Hand nehmen, selber zu Worte melden an die Öffentlichkeit, um den hörenden Mitmenschen besser auf unsere Lebensprobleme aufmerksam zu machen!

Im vorigen Jahr, als unser Kommunikationsforum gebildet wurde, dort, wo Gehörlose und Hörende sich regelmäßig, einmal in der Woche trafen, tauchte eines Tages die Frage der Hörenden auf:

 

"Warum berichten die Zeitungen so wenig über die problematische Lebenssituation der Gehörlosen in unserer Gesellschaft?"

 

Zu diesem Fragesatz überkam uns auch die Erkenntnis, daß die Schwierigkeit der Gehörlosen in der deutschen Sprache der entscheidende Grund ist, der es uns unmöglich machte, Nachrichten an die Presse zu schaffen. Bisher schrieben nur Hörende über uns, mit solchen Unkenntnissen, so daß wir oft hilflos zusehen mußten, wie viele über uns falsche Bilder darstellten. Wir wurden, ganz unfreiwillig, als verkannte Menschen abgestempelt! So darf es nicht mehr weitergehen!

Aus diesem Grunde kamen wir auf die Idee, etwas für die Öffentlichkeit zu tun, um die ständigen Vorurteile von seitens der Hörenden besser entgegenzutreten. Wir wollen eigenes Informationsblatt, in Zusammenarbeit mit den Hörenden von unserem Forum, herausgeben.

Liebe Leser, dieses Mitteilungsblatt wird ein außergewöhnliches Heft sein, weil wir Gehörlose, trotz der Sprachschwierigkeiten selber unsere Gedanken und Gefühle niederschreiben wollen. Bitte erschrecken Sie dabei nicht, wenn Sie als gut sprechender Mensch feststellen, hier und da grammatische Deutschfehler in manchen Texten vorfinden werden. Bitte lesen - Sie nur ruhig weiter und konzentrieren Sie sich vielmehr auf den Inhalt in den Texten! Bitte versuchen Sie auch, einfach diese sprachliche Fehler zu übersehen, sondern lernen Sie lieber unsere echte Behinderung näher kennen!

Die Gehörlosen bitte ich um Verständnis, wenn wir auch Texte veröffentlichen, die nicht jeder verstehen kann. Unser Informationsblatt soll ja Gehörlose und Hörende unterrichten. Dabei möchte ich mich bemühen, diese schwierigen Texte dafür, in einfacher Sprache, ins andere Heft "Gucker" übersetzen zu lassen, wenn die Redaktion des Heftes damit einverstanden ist.

Jahrelang haben die Gehörlosen das Problem in ihrer Deutschsprache entstellt, verdrängt oder vertuscht. Ihre Behinderung sieht man ja bekanntlich nicht! Warum, also die ewige Verschwiegenheit? In Wirklichkeit sieht es anders aus, als viele Hörende das erahnen! Ständig plagen die Sprachprobleme den Gehörlosen und viele von ihnen leiden unter starkem Druck, immer als nichtbehinderte Menschen auftreten zu müssen. Nur keine peinliche Blamage, denken viele Gehörlose und gehen oft den ersten Gesprächskontakt mit den Hörenden lieber aus dem Weg. Aber, wehe dem, wenn der Kontakt aufgenommen ist, dann merkt der Hörende plötzlich und denkt: "Der ist aber nicht normal!" Da tauchen hier erneute Probleme auf und der Teufelskreis dreht sich munter weiter! Wie lange muß das also weitergehen?

Nein!!

Ab heute muß es anders werden!!

 

Wir wollen jetzt unsere "makellose Maske" (d.h. allen zu zeigen, daß wir nichtbehindert sind) endlich ablegen. Wir wollen lieber mit mehr Selbstbewußtsein unsere wahre Behinderung so ungeschminkt wie möglich, aufzeigen! Wir brauchen uns nicht mehr zu schämen, wenn wir die Gebärdensprache gebrauchen, wenn viele von uns nicht gut sprechen können. Behindert ist nun mal behindert, mit dem wir selbstbewußt leben lernen sollen! Wir können schließlich nichts dafür, wenn wir die täglichen gesprochenen Nachrichten über das Ohr nicht hören können. Es ist einfach unmöglich, wenn wir uns, nach der Vorstellung der Hörenden richten sollen, wie Hörende zu sein. Letztlich sind wir nur noch Menschen auf verlorenen Posten, ohne eigene Identität und Menschenwürde!

Auf der Titelseite dieses Heftes ist deshalb das Wort "SELBSTBEWUSST WERDEN" so angebracht, das allen Gehörlosen dazu verhelfen soll, sich mutig zu ihrer eigenen Persönlichkeit bekennen zu können. Das Heft soll auch ein Beitrag für alle Nichtbehinderte oder Eltern gehörloser Kinder sein, daß sie näher über die Lebensprobleme der Gehörlosen erfahren können. Dann könnte eine Ebene des Verstehens geschaffen werden!

Außerdem würden wir uns sehr freuen, wenn alle Leser, ganz egal, ob Hörende oder Gehörlose, Schwerhörige oder Spätertaubte, Betroffene, uns ihre Meinungen bzw. Kritik zu unserem Heft, zuschreiben würden. Leserbriefe werden - wenn es möglich ist - in der nächsten Ausgabe auch veröffentlicht!

GEHÖRLOSE, habe Mut und schreibe uns auch mal!

Schreibe uns, was Euch der Schuh drückt! Es ist sehr wichtig für unsere Arbeit an die Öffentlichkeit, um allen hörenden Mitmenschen aufzuklären, was das Wort für "kommunikationsbehindert" bedeutet.

Wir sind sehr dankbar für jede schriftliche Mitwirkung!

Mit freundlichen Grüßen

(Gertrud Mally)

von Geburt an gehörlos

Leiterin des Kommunikationsforums und der Redaktion