Auszug aus dem Briefwechsel

zwischen dem 'sbw'-Schriftleiter Gerhard Wolf und dem Berufsschullehrer Jochen Jaeckel, Frankenthal

Zu Ihren Fragen zum CI-Implantat, wegen der Anhörung "Chancen und Grenzen des Cochlear-Implanats" am 30.Januar 99 in Hannover.

Ich habe in der Berufsschule bei den von mir zu betreuenden Schülern bisher noch keinen CI-Träger gehabt. Deshalb kann ich aus eigener Erfahrung nichts berichten. Es ist aber abzusehen, daß die vor einiger Zeit CI-implantierten Kinder vom Alter her bald den Berufsschulbereich erreichen. Ich habe aber mit ernstzunehmenden und guten Lehrern des Grund- und Hauptschulbereiches, in deren Klassen sich CI-implantierte Kinder befinden, über Ihre Fragen gesprochen. Das Ergebnis ist etwa so:

'sbw'-Frage:

Ob sie - alle? - weiterhin unbewußt die Gebärden in den Pausen, auch vielleicht im Unterricht verwenden, um sich leichter ausdrücken zu können?

Die CI-Kinder bleiben hörbehinderte Kinder mit unterschiedlichem Resthörvermögen, das bei dem einen Schüler besser, beim anderen schlechter ist. Im Umgang untereinander und mit nicht implantierten gehörlosen Schüler benützen sie auch weiterhin ganz natürlich Gebärden, je nach Vermögen. Es ist keine Verweigerung, Ablehnung oder Absonderung von der gebärdensprachlichen Kommunikation zu beobachten.

'sbw'-Frage:

Reagieren sie auf lautsprachliche Anreden wesentlich besser als die gehörlosen Kinder? Also der Durchschnitt der CI- als der gehörlosen Kinder?

Man muß hier unbedingt unterscheiden, in welchem Alter die CI-Implantierung erfolgte. Ich möchte Sie hier auf den Beitrag unserer Lehrerin, Frau Beate Rieder, in "UNSERE GEMEINDE" 12/97 verweisen. In je jüngerem Alter die Implantierung erfolgt, umso größer die Chancen für eine hörgerichtete natürliche Sprachentwicklung. Die besten Ergebnisse hatten die Kinder, die im Alter von 2-3 Jahren mit einem CI versorgt wurden. Deutliche kommunikative Rückstände zeigten bereits Kinder, die das CI erst im Alter von 3-8 Jahren erhielten, Bei den älteren Kindern, etwa ab 11/12 Jahren der CI-Versorgung, waren zwar neue Höreindrücke zu beobachten, eine wesentliche Verbesserung der lautsprachlichen Situation konnte aber nicht mehr festgestellt werden.

Als Fazit müßte man sagen, daß in der Tat das CI mit seinen jetzigen Möglichkeiten gehörlosen Kindern, welche die Voraussetzungen dafür erfüllen (intaktes Innenohr, intakte Nervenleitungen) neue Möglichkeiten einer hörgerichteten lautsprachlichen Entwicklung eröffnet; wobei die Chancen dafür umso größer sind, je jünger das Kind zum Zeitpunkt der CI-Versorgung ist. Angesichts dieser Erfahrung sollte man sich vor einer "Verteufelung" des CI hüten.

'sbw'-Frage:

Erscheinen Ihnen die CI-Kinder allgemein leistungsfähiger und geistig beweglicher?

Diese Frage ist nur mit Vorbehalten positiv zu beantworten. Das CI kann eine Voraussetzung erfüllen für gute Leistungsfähigkeit und geistige Beweglichkeit, aber nicht allein, sondern nur in Verbindung mit anderen Faktoren - nämlich guter Intelligenz, guter Arbeitshaltung, guter sozialer Forderung. Letztere Faktoren sind die wesentlichen und grundlegenden Voraussetzungen - das CI alleine tut es nicht. Intelligente und gut geförderte gehörlose Kinder ohne CI können nicht-intelligenten und im Sozialverhalten problematischen CI-Kindern durchaus überlegen sein.

'sbw'-Frage:

Gewönnen Sie den Eindruck, daß die CI diesen Menschen im späteren Leben eine wesentliche Hilfe bedeuten könnten?

Diese Frage wird von unseren Lehrern heute eindeutig bejaht, wobei aber nicht ausgeschlossen werden kann, daß in einzelnen Fällen das CI ein Mißerfolg sein kann. In der überwiegend Zahl der Schüler sind die Rückmeldungen positiv. Ich war einer der ersten Lehrer, der CI-implantierte Kinder Anfang der 80iger Jahre in der Schule zu betreuen hatte, damals noch in der 4.Grundschulklasse. Bei beiden Schülern war das CI ein Mißerfolg. Beide Schüler ließen sich das CI später wieder entfernen. Inzwischen ist das CI verbessert worden, und in den 90iger Jahren hat die Zahl der CI-implantierten Kindern z. B. an der Frankenthaler Schule geboomt. Es waren in der Regel die Eltern, welche die Entscheidung getroffen haben. Um eine Beratung seitens der Schule haben sie sich nicht immer bemüht, Sie wollten sich "nichts hineinreden lassen". Oft kamen die Schüler nach Ferien mit dem CI-Implantat zurück, ohne daß die Lehrer von dieser Maßnahme vorher etwas gewußt hätten Lehrer und Schulen sahen sich mit diese1r neuen Situation konfrontiert und mußten sich auf diese neue Situation einstellen. Wenn ich den Bericht von Frau Rieder in "UNSERE GEMEINDE 12/97 und den Aussagen meiner Kollegen folge, so muß Ich zu dem Ergebnis kommen, daß die CI mit ihren heutigen technisch-ausgereiften Möglichkeiten "diesen Menschen im späteren Leben eine wesentliche Hilfe bedeutemn können". Wenn ich ein gehörloses Kind hätte, das die Voraussetzungen für ein CI-Implantat erfüllt, würde ich mich als Vater nach meinem heitigen Kenntnisstand unbedingt dafür entscheiden. Es wäre problematisch, einem dafür geeigneten Kind diese Maßnahme und Chance nicht zu eröffnen. Ich würde aber auch nicht erwarten, daß aus meinem "gehörlosen" man ein "hörendes" Kind wird. Nach allem, was ich sehe und beobachte, bleiben die CI-Kinder dem Hörgeschädigtenbereich zugehörig.

Dies bringt mich zu der Frage, die ganz offensichtlich zurecht die Gehörlosenverbände beunruhigt und bewegt: Wird durch das CI die Identität der Gehörlosengemeinschaft, ihre Gebärdensprache und ihre Kultur, d. h. letztlich ihr SELBSTBEWUSSTSEIN gefährdet oder gar in Frage gestellt?

Meine Antwort - immer unter dem Vorbehalt, daß ich ja nicht Betroffener bin - ist "Nein". Auch CI-Träger, unabhängig davon, in welchem Alter die Versorgung erfolgte, bleiben Hörgeschädigte bzw. Gehörlose mit allen Merkmalen dieser Gemeinschaft: - Bereitschaft und Fähigkeit zu gebärdensprachlicher Kommunikation und gehörlosenkultureller Eigenart. Allerdings wird sich vermutlich durch die CI-Träger eine neue Qualität des Begriffes "Gehörlosigkeit" ergeben. Dies sollten die Gehörlosenverbände zur Kenntnis nehmen und CI-Träger nicht diskriminieren oder aus ihrer Gemeinschaft ausschließen. Ich sehe darin die gleiche Situation wie in früherer Zeit, als die Hörgeräte aufkamen. Auch damals mag es eine Problemsituation zwischen Hörgeräteträgern und Nichthörgeräteträgern gegeben haben. Das ist heute kein Thema mehr. Hörgerätetrager gehören heute selbstverständlich zur Gehörlosengemeinschaft Ich denke, daß es diese Selbstverständlichkeit und Anerkennung in einigen Jahren auch hinsichtlich der CI-Träger in der Gehörlosengemeinschaft geben wird.

Lieber Herr Wolf, dies sind meine ehrlichen und persönlichen Antworten auf ihre Fragen. Von Ihrer Seite werden Sie sicher noch manch andere Aspekte zu diesem Thema haben. Dafür habe ich Verständnis.