Wir wollen und brauchen das Mundbild in der Gebärdensprache

Noch haben wir nicht für jedes Wort eine Gebärde, Beispiel: "arbeiten, machen usw." oder "Gesetz, Programm usw.". Nur das Mundbild unterscheidet hier das Wort und deren Bedeutung.

Das Mundbild dient als Hilfe bei den Dialekten.

Eine Sprache entwickelt sich, sie kann nicht durch eine neue Vorsitzende der Gesellschaft für Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser als Innovation "verabreicht" werden, zumal anfangs noch behauptet wurde, die Gebärdensprache ohne Mundbild sei als Poesie in der Liturgie (Gottesdienst) und den Chorälen (Gebärdenlieder vortragen) zu verstehen.

Gebärdensprache ohne Mundbild ist genauso wie Hören lernen ohne Gebärde; einseitig und an den Bedürfnissen der Menschen vorbei.

Die Sprache der Gehörlosen sollte von Gehörlosen akzeptiert und ganz besonders kraß im "Frankfurter Modell", auch von diesen verstanden werden. Hier verstehen nur diejenigen die Gebärdensprache, die zum inneren Zirkel gehören, oder wie in dem Theaterstück von Nestroy, daß die Hörenden den anwesenden Gehörlosen die Gebärden übersetzen konnten, da eine Dolmetscherin den Text in Lautsprache las.

Wir wollen keine Dolmetscher der Gebärdensprache für Gehörlose, zu lange ließ man sie schon im Regen stehen ohne ihre Kommunikation.

Die Kommunikation beschränkt sich auf einen kleinen Teil derer, die an dieser Form der Kommunikation mitarbeiten, wir aber wollen mit allen Gehörlosen, Hörenden, Interessierten kommunizieren. Niemand soll sich von vornherein ausgegrenzt fühlen, denn durch das Mundbild beginnt schließlich auch der erste Kontakt "bitte sprechen Sie langsam und deutlich".

Die Menschen, die Gebärdensprache ablehnen und dafür fordern, daß ihr hörgeschädigtes Kind hören lernen soll, sehen sich nun leider durch diese Form der Kommunikation noch mehr als bisher bestätigt, daß Hörgeschädigte mit der Welt der Hörenden nichts oder nur sehr wenig gemein haben. Niemand kann ernsthaft annehmen, daß diese Kommunikation Einzug in Schule und Erziehung halten kann.

Im Sinne der Entwicklung und der Forderung nach Anerkennung der Gebärdensprache, kann diese Form der Kommunikation nur einen sehr schlechten und negativen Beitrag leisten, mögen sich die Menschen, die Gebärdensprache ohne Mundbild fordern und leben in ihrem Kreis bewegen. Mit der großen Masse derer, die Gebärdensprache als Muttersprache sprechen, oder deren Freunde, Familie, Bekannte, oder Dolmetscher und Interessierte, hat dies nichts zu tun. In dem Theaterstück "Gottes vergessene Kinder" wurde sehr deutlich, daß die Gehörlose aus Protest die Lautsprache und auch das Mundbild ablehnte und sie hatte in ihrem Fanatismus fast ihre persönliche Chance nicht gesehen. So verbittert sind wir nicht, wir möchten kommunizieren mit jedem, der Freude an der Gebärdensprache hat. Wir wünschen uns, daß diese schöne Sprache eine Chance bekommt, auch gelehrt zu werden, und nicht schon wieder ein Stein auf diesen Weg gelegt wird.

Beispiele aus anderen Ländern zeigen, daß Gebärdensprache ohne Mundbild und auf internationaler Ebene auskommt, aber soweit sind wir nicht, unser Stand der Gebärdensprache in Schule, Ausbildung, Beruf, Sozialkontakt. Einfach in jedem Lebensbereich der Gehörlosen fehlt diese Entwicklung, auf die diese Länder zurückgreifen können. Die Verunsicherung durch die "Frankfurter Gruppe" ist bei allen sehr groß, es wäre wünschenswert, wenn die Energien gemeinsam dahingingen, die Entwicklung voranzubringen und nicht zu blockieren.

(Anmerkung: Obiger Passus ist so zu verstehen, daß es in anderen Ländern z. B. Amerika für jedes Wort eine Gebärde gibt, so daß ein Mundbild nicht unbedingt gebraucht wird. Die 'sbw'-Schriftl.)

Gruppe von befreundeten Gehörlosen und Hörenden:
Bernadette Weber, 64646 Heppenheim
Birgit Kirchner, 65760 Eschborn
Christiane Prasse, 64287 Darmstadt
Claudia Weyel, 35510 Butzbach
Ingo Langlotz, 65307 Bad Schwalbach 6
Monika Welkoborsky, 61169 Friedberg
Marion Kühsner-Dingeldey, 64625 Bensheim

 

 

Aus "Die Welt" vom 1. Juli 98:

Gentherapie bei Gehörlosigkeit

U. S. Berlin - "Sebastian" nennen US-Forscher eine Maus, deren angeborene Taubheit erstmals mit Hilfe der Gentherapie korrigiert wurde. Möglich wurde die Behandlung nach der Entdeckung eines defekten Gens, das während der Embryonalentwicklung zu krankhaften Veränderungen im Innenohr führt. Die Folge sind Taubheit und Gleichgewichtsprobleme. Die Forscher pflanzten ein intaktes Gen in befruchtete Eizellen einer tauben Maus ein, die daraufhin ein gesundes Jungtier zur Welt brachte. Die Forscher entdeckten beim Menschen auf dem Chromosom 17 ein Gen, das eine ähnliche Funktion besitzt. Mutationen dieses Gens führen wahrscheinlich ebenfalls zur Taubheit. Von einer Gentherapie gegen Hörprobleme sind die Wissenschaftler allerdings noch viele Jahre entfernt.

Wird es soweit sein, daß es in der Zukunft nur noch Tabletten gegen Gehörlosigkeit auf dem Rezept erhältlich sein wird? Da würden praktisch alle Berufe, die in irgendeiner Weise mit den Gehörlosen vom Baby bis zum Erwachsenen zu tun haben, dann aussterben. Ist es nicht ein Hurra?

Die 'sbw'-Schriftleitung