Gebärdensprachlehrer-Ausbildung in der Schweiz

Fast der ganze Vorstand der LAG der GSKL Bayern e.V., Margit Hillenmeyer, Kerstin Mackevicius, Gisela Sailer und Oswald Friedrich, war vom 19. bis 21. November 1997 auf einer Bildungsreise in der Schweiz. Wir wurden von Marina Ribeaud, Leiterin der Kommission für Gebärdenarbeit des Schweizerischen Gehörlosenbundes, durch das vierstöckige Gehörlosenzentrum geführt. Im Keller haben gehörlose Jugendliche einen Raum selbst eingerichtet. Dieser kann als Disco oder Unterhaltungsraum benutzt werden. Dort können die Jugendlichen verschiedene Ideen verwirklichen. Wenn sie Probleme haben, werden sie von einer Selbsthilfegruppe der Beratungsstelle betreut.

Im ersten Stock sind ein Pfarramt für Gehörlose und Mimenchor zu finden, der Lieder in Gebärdensprache während des Gottesdienstes vorträgt und dadurch die Gehörlosenkultur voran gebracht hat. In den anderen Stockwerken sind der Schweizerische Gehörlosenbund (SGB), Verein zur Unterstützung der Gebärdensprache (Vugs), eine Forschungsabteilung mit Datenbank (Hauptsitz Basel) und Beratungsstellen für Gehörlose untergebracht.

In der Forschungsabteilung, geleitet von Frau Prof. Boyes-Braem, werden zur Zeit Gebärden im Bereich Sport, Schule und Medizin gesammelt und eingeordnet. Das Thema Sport wurde bewußt ausgewählt, weil die Winterolympiade 1999 in Davos stattfindet. Außerdem sind die Gebärden im Bereich Sport sehr ähnlich. Wo die Gehörlosenschulen stehen, werden die Gebärden aus fünf Städten Zürich, Luzern, Basel, Bern und St. Gallen berücksichtigt. So werden fünf Dialekte in der Region Deutschschweiz erfaßt. Wichtig ist zu erwähnen, nicht zuerst Wörter aufzulisten, sondern vorkommende Gebärden aufzulisten. Dadurch ist der Einfluß durch die Lautsprache ausgeschlossen, was wir sehr begrüßen. Es ist auch wichtig, Gebärden aus verschiedenen Städten zu pflegen. Die Vereinheitlichung der Gebärden wird nicht angestrebt, sonst gibt es einen Konflikt.

Unser Interesse galt der Gebärdensprachlehrer-Ausbildung. Zuerst hat es im Jahre 1985 mit der Gebärden-Spracharbeit angefangen. Von der SGB-Gebärden-Kommission bekam eine Gruppe einen Auftrag, Gebärdensprachkurse durchzuführen. Von null hat sie angefangen und Unterrichtsmaterial selbst erstellt. Sie wurde vom Forschungszentrum für Gebärdensprache unter Leitung von Frau Prof. PennyBoyes-Braem viel unterstützt. Ohne dieses Zentrum wäre der Einstieg viel schwieriger gewesen. Im Auftrag des SGB-Deutschschweiz führte das Heilpädagogische Seminar (bei uns wie Fachhochschule) 1990 zum ersten Mal die 3jährige berufsbegleitende Gebärdensprachlehrer-Ausbildung durch. Sie wird von der Invaliditäts-Versicherung und vom SGB finanziert. Das Heilpädagogische Seminar kümmert sich auch um Ausbildungen für Hörgeschädigtenpädagogik, Audiopädagogik und Gebärdensprachdolmetscher.

Um Gebärdensprachlehrer zu werden, müssen folgende Bedingungen erfüllt werden: Eignungstest, einjähriges Hospitieren in verschiedenen Gebärdensprachkursen und zum Schluß Fähigkeitsprüfung und Aufnahmegespräch beim SGB.

Anschließend beginnt die Ausbildung mit Praktikum in Gebärdensprachkursen. Zum Rahmenprogramm gehören: Arbeit an der Gebärdensprache, Gehörlosenkultur, Pädagogik, Psychologie, Didaktik, Methodik des Gebärdensprach-Unterrichts und persönliches Projekt oder Gruppenprojekt. Persönliches Projekt oder Gruppenprojekt bedeutet eine Art Zulassungsarbeit. Ein bestimmtes Thema z. B. Gehörlosenkultur, Namens-Gebärden wird ausgewählt und alles, was damit zu tun hat, wird aufgeschrieben. So wird ein Buch herausgegeben. Der Verfasser muß einen Vortrag 20 Minuten halten und gestellte Fragen beantworten. Solche Projekte bilden eine Grundlage und bringen neue Erkenntnisse und Erfahrungen, die für die Ausbildung nützlich sind.

Mit Benno Caramore, Leiter der Dolmetscher-Ausbildung, hat Patty Shores-Herrmann aus Kanada die Ausbildung zum Gebärdensprachlehrer und Gebärdensprachdolmetscher zusammen aufgebaut. Zuerst durften wir der Dolmetscherausbildung beiwohnen und konnten mit Hilfe einer Dolmetscherin einem Vortrag von Frau Dr. Penny Boyes-Braem über Linguistik folgen. Sie erklärte über den Unterschied zwischen der Lautsprache und Gebärdensprache und linguistische Begriffe z. B. Phonem, Morphem, Phonetik usw. und erzählte vom Produktionstempo der Gebärdensprache. Die Gebärden werden in drei Gruppen (1. transparent = bildhaft, deswegen sofort erkennbar z. B. schlafen, 2. halb-transparent = nicht gleich erkennbar, hat aber Verbindung zu Sachen z. B. Milch 3. nicht transparent = nicht erkennbar z. B. Montag). Danach schauten wir zu, wie die Dolmetscherkurs-Teilnehmer/innen das eigene Notationssystem lernten (Notation = Verschriftlichung). Dieses System ist zum Teil dem Hamburger Notationssystem ähnlich. Verschiedene Gebärden wurden per Video gezeigt. Die Teilnehmer/innen übten, die Gebärden mit Symbolen für Handform, Handstellung, Ausführungsstelle und Bewegung zu beschreiben.

Nach einem gemütlichen Abendessen in einem Lokal mit Gebärdensprachlehrern besuchten wir am nächsten Tag die Gebärdensprachlehrer-Ausbildung. Es kam zu einem Meinungsaustausch über einen Lehrplan für die 4. Kursstufe im Bereich Beruf. Als Übung haben die Teilnehmer diesen Lehrplan selbst aufgestellt, wenn ein Gebärdensprachlehrer wegen Krankheit ausfällt und seine Vertretung wissen möchte, was er unterrichten solle. Alle Lehrpläne wurden umgetauscht. Die Teilnehmer versuchten, sie zu verstehen und wiesen darauf hin, was fehlte oder nicht richtig beschrieben wurde. So konnten sie herausfinden, was sie beim nächsten Mal beachten sollen. Anschließend befaßten sie sich in Gruppenarbeit mit direkter und indirekter Gebärdensprachäußerung (zu vergleichen mit direkter und indirekter Rede). Als Hausaufgabe müssen sie einen neuen Lehrplan für dieses Thema vorbereiten. Nach dem Mittagessen wurde über Sozialpsychologie unterrichtet. In Gruppenarbeit mußten die Teilnehmer/innen die Ursachen der Vorurteile herausfinden und anschließend erzählen.

Bevor wir heimfuhren, konnten wir Patty Shores-Herrmann und Marina Ribeaud in bezug auf den Aufbau der Gebärdensprachlehrer-Ausbildung ausführlich befragen. Wir möchten Patty Shores-Herrmann und Marina Ribeaud herzlich danken, daß sie uns zur Verfügung standen und sich für uns Zeit genommen haben. Als Dank haben wir den Beiden ein schönes Bild mit Händen als Gehörlosenkultur geschenkt. Viele Tips können wir für unsere eigene Ausbildung gut gebrauchen. Wir hoffen, daß die Ausbildung auch hier in Bayern ermöglicht wird, und zwar auf absehbare Zeit. Die gute Ausbildung wird sich auf die Qualität der Gebärdensprachkurse auswirken. Das wollen wir alle. LAG der Gebärdensprach-

kursleiter/innen Bayern e.V.
Margit Hillenmeyer
 
Gemütliches Beisammensein im Lokal
 
Mal was zu lächeln:

Auszug aus Allgäuer Zeitung - Marktoberdorfer Landbote vom 2. 07. 98:

"Hörendes Auto" in Köln vorgestellt

Köln (dpa). Der Automobil-Zulieferer Visteon hat in Köln ein "hörendes Auto" vorgestellt. Das sprachgesteuerte System ermöglicht Autofahrern, das Radio, die Klimaanlage und das Autotelefon auf Zuruf zu steuern. Das sagte der Projektleiter Hakan Kostepen in Köln. Anfangs nächsten Jahres sei das System am Markt erhältlich. Es soll zunächst in ein Oberklassen-Modell von Ford eingebaut werden. Die Sprachsteuerung verteuert ein Auto laut Kostepen um etwa 1000 DM. Visteon-Automotive-System (Detroit) ist eine hundertprozentige Tochter der Ford-Motor-Company.

Kommentar des Einsenders:

Wann wird das "gebärdensprach-beherrschende Auto" in München vorgestellt??? Das wäre der Wunschtraum der Gehörlosen. Das "gebärdensprach-beherrschende Au-to" ermöglicht den gehörlosen Autofahrern das Kombi-Radio-Fax per Zeichen einzuschalten und die gesprochenen Nachrichten zu lesen (z. B. Staumeldungen, Warnungen und vielleicht auch die Anerkennung der Gebärdensprache) Auch Pannenmeldung an den ADAC ist mit automatischer Standortsangabe übers Kombi-Radio-Fax möglich. Eine Videokamera setzt per Laser die Gebärdenzeichen des gehörlosen Autofahrers in akustische Töne für Hörende um. Ein Warnzeichen leuchtet noch vor Eintritt einer technischen Panne am Armaturenbrett auf. Die Kosten für dieses System wird voll von den Gebärdensprachgegnern übernommen. Ernst Henke, Marktoberdorf