Liebe Leserin, lieber Leser,
wieder ein interessantes Gemälde "Die unerwartete Antwort" vom belgischen Maler René Magritte ist auf der Titelseite zu sehen.
Diese vorliegende Ausgabe befaßt sich besonders viel mit dem Thema "Gebärdensprache". Es ist erstaunlich, daß die deutsche Hörbehindertenpädagogik trotz wissenschaftlicher Aufklärung vor der Mit-anwendung der Gebärdensprache immer noch zurückschreckt. Zwar sieht man da und dort neue Wege und zaghafte Orientierungen an einer Handvoll der Gehörlosenschulen in Deutschland.
In meiner Zeitung "Nürnberger Nachrichten" war ein Artikel "Ein lautloser Triumph" im Juli 98 erschienen. Fünf Wochen später tauchten zwei Leserbriefe im gleichen Blatt auf, die sich auf den oben genannten Artikel beziehen. Diese Überschriften lauten: "Völlig haltlose Behauptungen" und "Höchst umstritten" (siehe Seiten 7-9). Wenn man alles aufmerksam und genau liest, wird festgestellt, daß die beiden Leserbriefschreiber – beide Gehörlosenlehrer – immer noch auf ihren nicht mehr zeitgemäßen Konzepten verharren. Der Leserbriefschreiber Haas hat sich trotz allgemein bekanntem Bildungsniveau eines Viertkläßlers mit seiner Behauptung hinsichtlich der beruflichen Professionalität der Schar ehemaliger Schüler in die Brust geworfen, was besonders auf die unbedarfte Leserschaft irreführend wirkt. Offenbar ist der andere Leserbriefschreiber Stinzendörfer – angeblich im BBW Nürnberg beschäftigt – ihm zur Hilfe geeilt und hat die Behauptung aufgestellt, daß der Stellenwert der Gebärdensprache im Unterricht nicht nur unter den Fachleuten sondern auch unter den gehörlosen Menschen höchst umstritten ist. Das stimmt überhaupt nicht. Es war eine bewußte Augenwischerei. Besonders ärgerlich war seine Aussage: "..., daß die Lautsprache für die Integration hörgeschädigter Menschen in Beruf und Gesellschaft die wichtigere Rolle spielt und auf ihre Vermittlung in einer Gehörlosenschule das Hauptaugenmerk gerichtet werden muß." Damit wird der Leserschaft wiederum eingeredet, daß wir - die mündigen Gehörlosen – uns gar nicht für die Lautsprache interessieren oder wenigstens keine Urteilskraft darüber besitzen können. Es klingt uns erwachsene Gehörlose vor aller Öffentlichkeit diskriminierend! Haarsträubend ist es auch, daß dieser Lehrer im Geist von Toleranz und gegenseitiger Achtung etwas von uns verlangt, aber uns nicht entgegnen will. Es dokumentiert immer wieder die über 100 Jahre anhaltende, akademische Betriebsblindheit, oft verbunden mit dem inhumanen Niedermachen der jungen, gut informierten und begeisterungsfähigen Junglehrer/innen durch seine konservativen Kollegen. An dieser Stelle darf mal deutlich gesagt werden, daß der über alles geltende Maßstab "Der hörende Mensch" zum vermeintlichen Nutzen der gehörlosen Schulkinder immer noch dem am bequemsten zu beschreitenden Weg gilt. Aus den beiden veröffentlichten Leserbriefen ist deutlich heraus zu lesen, daß zwischen der Nürnberger Gehörlosenschule und dem Gehörlosenpfarrer Klenk, einer der realistischeren und couragierteren Berufstätigen, offensichtlich kein ungetrübtes Verhältnis herrsche. Klenk habe wesentlich mehr als für seine Kanzelanwesenheit getan. Noch ein guter Rat für die Lehrer: Anstatt herablassend ihre vermeintliche sprachliche Überlegenheit auszuspielen, sollten sie sich von ihren Zöglingen zu einer gebärdenden Naivität auf höherer Stufe lassen. Und deshalb wurde die BSGS (siehe Seite 26) nicht umsonst gegründet. Das bezeugt, daß wir Gehörlose mit unserem Verlangen aufgrund des am eigenem Leib erfahrenen Gefühlschaos nicht allein da auf der Welt stehen. Besonders für die Gehörlosenpädagogen/innen gilt das Motto:
In seinem Beitrag hat Hartmut Teuber (siehe Seite 5) Interessantes über das Entstummen und das als "stumm" Definieren eines nicht sprechenden, aber gut gebärdenden Menschen geschrieben.
Der Schriftleitung liegt ein Begleitschreiben von der Bayerischen Staatskanzlei, Herrn Höhenberger mit dem Text der Rede des Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Stoiber vom 27. Juni 98 mit dem Titel "Für Bayern. Mit Herz und Verstand" vor.
Im Grußwort steht handschriftlich geschrieben:
Im 60 Seiten umfangreichen Vortrag steht u.a. das Thema "Neue Initiativen in der Behindertenpolitik":
"Zu einer menschlichen Gesellschaft gehören mehr Rücksicht und wirkungsvollere Hilfen für Behinderte.
Leider mangelt es an vielen Stellen noch immer an einer ausreichenden Infrastruktur für Behinderte. Dies beginnt bei akustischen Signalen für Blinde an Verkehrsampeln, die es bei uns noch viel zu wenig gibt, und endet bei fehlenden Behindertentoiletten. Hier ist ausnahmsweise nicht Deregulierung, sondern der eine oder andere Zwang ganz heilsam.
Wir wollen auch die Integration Behinderter in Regelschulen so weit wie möglich voranbringen.
Zur besseren Integration der
gehörlosen Menschen wollen wir die Deutsche Gebärdensprache
anerkennen und
fördern.
Mit dem Anteil von Schwerbehinderten im öffentlichen Dienst können wir nach wie vor nicht zufrieden sein. Wir werden ihn erhöhen."
So war es.