Ein 'sbw'-Leser kämpft um die Erhaltung der Sonderschulen für
Behinderte wie Blinde, Sehgeschädigte, Gehörlose, Schwerhörige
und andere. Auch in Bayern besteht das Bestreben, die Gehörlosen-
und Schwerhörigenschulen in "Zentrum für Hörgeschädigte"
umzubenennen. Traditionelle Bezeichnungen gehen dadurch bedauerlicherweise
verloren, was einer bestimmten Gruppe von Fachleuten sicherlich ganz recht
erscheinen könnte. Der Autor hat zwei Briefwechsel und eine Zusammenstellung
seiner Gedanken 'sbw' zur Verfügung gestellt. Es handelt sich vorwiegend
um die Interessen für Blinde, was auch genauso für Gehörlose
von Bedeutung sein und vielleicht als Argumentshilfe dienen kann.
Die 'sbw'-Schriftleitung
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. . . , und so möchte ich zu dem o.a. Trend kurz Stellung nehmen:
Mit meiner Familie habe ich fast 10 Jahre auf dem Gelände eines
psychiatrischen Krankenhauses und über 15 Jahre auf dem Gelände
des Landesbildungszentrums für Blinde in Hannover-Kirchrode gewohnt
und gearbeitet. Dabei haben wir relativ viele Kontakte zu Patienten bzw.
Behinderten gehabt und ihre Entwicklung beobachtet. Ich bin inzwischen
an Taubheit grenzend schwerhörig und noch ein wenig aktiv in der "Arbeitsgemeinschaft
der Hörgeschädigten im Großraum Hannover e.V.", im "Landesverband
der Schwerhörigen und Ertaubten Niedersachsen e.V." und in der "Selbsthilfegruppe
für Hörgeschädigte an der Volkshochschule Hannover".
Integration in Regelschulen auf keinen Fall |
Auch Hörgeschädigte, die aus parteipolitischen Gründen bisher für eine integrative Beschulung von Behinderten in Regelschulen waren, sind durch die nun beabsichtigte Schließung der Schwerhörigenschule in Hannover aufgeschreckt und zum Nachdenken angeregt worden. Die meisten stark Hörgeschädigten lehnen m.E. eine Auflösung von Sonderschulen grundsätzlich ab. Deshalb darf die Integration in Regelschulen au' keinen Fall weiter unterstützt werden, sondern muß In vertretbarem Rahmen bleiben. Ich stehe noch vollinhaltlich zu meinen Ausführungen des Jahres 1988, die im "Brunnen" veröffentlicht wurden und die ich nochmals beigefügt habe - ebenso meine persönliche Stellungnahmen vom 19.2.98.
Ich denke noch mit großem Bedauern an meine ersten beiden Schuljahre zurück, als es vor allem in kleineren Städten noch keine Sonderschulen für lernbehinderte gab. In den ersten 1-2 Reihen saßen in überfüllten Klassen etwa 5-9 Lernbehinberte, die alle in den untersten beiden Klassen konfirmiert und nach 8 Jahren aus der Schule ohne Abschluß entlassen wurden. Sie hatten beruflich und menschlich überhaupt keine Chancen, in die Gesellschaft integriert zu werden.
Erst nach dem Kriege wurden auch in kleineren Orten erfreulicherweise Sonderschulen eingerichtet - vor allem auf Betreiben der SPD. Hier konnten die Behinderten optimal gefördert werden. Aus unserem Bekanntenkreis ist z.B. ein Junge in der Sonderschule für Lernbehinderte so gefördert worden, daß er jetzt seine "Mittlere Reife" nachholen kann.
Über 15 Jahre haben wir auf dem Gelände des Landesbildungszentrums
für Blinde in Hannover-Kirchrorte gewohnt und hatten guten Kontakt
zu den Sehgeschädigten. Sehr viele Blinde kamen aus sehr behüteten
Elternhäusern und konnten sich unter etwa gleich Belasteten und guten
Lehrkräften und Erzieher/innen meistens hervorragend entwickeln. Erst
nachdem sie ihr Selbstvertrauen gefunden, gute Schulkenntnisse erworben
und sich mit ihrer Behinderung arrangiert hatten, konnten sie auch als
fast "Gleichberechtigte" in ihre nicht behinderte Umwelt integriert werden.
Viele Politiker sind "Totengräber des Behindertenbildungssystems" |
Ohne die besondere Förderung in der Sonderschule wären sie für eine Integration verloren gewesen.
Von den selbst Behinderten treten m.E. nur die für eine schulische Integration aktiv ein, die auch nach früheren Maßstäben eine Schule für Nichtbehinderte hätten evtl. erfolgreich mit besuchen können - infolge ihrer Intelligenz, Charaktereigenschaften und eines außergewöhnlich gut geeigneten Elternhauses. Dieses kann nur von möglichst objektiv denkenden Fachleuten maßgeblich entschieden werden. Eltern wollen oftmals die objektiv beste Entwicklung vor allem ihrer behinderten Kinder nur schwer akzeptieren. Das weiß ich auch aus eigener Erfahrung. Wenn aber zu viele Behinderte auch schulisch integriert werden, werden die Sonderschulen nicht mehr annähernd wirtschaftlich arbeiten können und somit geschlossen werden. Damit würden m. E. viele Politiker zu "Totengräber des gesamten Behindertenbildungssystems". Die allg. Integration würde dadurch auch kaum verbessert. Wir haben z.Zt. noch ein relativ sehr gutes Sonderschulsystem für Behinderte und Hochbegabte.
Bei meiner persönlich fortschreitenden Hörbehinderung bin ich absolut nicht mehr immer integriert. Ich denke nur an manche Festlichkeiten, wo viele Menschen durcheinander sprechen. Ich verstehe nichts mehr und bin auch bei gutem Willen der Nichtbehinderten fast immer nicht integriert!! Deswegen haben wir ja gerade spezielle SHG und Ortsvereine gebildet, wo wir uns integriert fühlen können.
Eine kurze Zusammenstellung meiner Gedanken beim Ausscheiden aus der Arbeit im Landesbildungszentrums für Blinde im Jahre 1988 habe ich beigefügt. Diese hatte ich auch dem niedersächsischen Kultusminister übersandt.
1. Mehr als 5% der Schüler besuchen Sonderschulen für Behinderte unterschiedlichster Art. Wenn alle oder nur der größte Teil der behinderten Schüler im allg. Schulbereich integriert würden - wie von einigen gefordert wird - so wären die Lehrkräfte und auch die Mitschüler/innen absolut überfordert - auch bei Unterstützung durch speziell ausgebildete Sonderschullehrer/innen.
2. Die jetzt wohl vorhandene überwiegend wohlwollend interessierte Offenheit gegenüber Behinderten würde bei einer allg. Integration im Schulbereich sicherlich bald in das Gegenteil umschlagen, weil die meisten Eltern dann befürchten würden, daß durch die Behinderten nun ihre nicht behinderten Kinder im Lernerfolg behindert würden.
3. Im LBZB ist m. E. eine fast optimale Förderung gegeben, weil insbesondere
a) speziell ausgebildete Lehrkräfte die einzelnen Schüler individuell fördern können,
b) die Klassenstärken relativ niedrig, jedoch - mit wenigen Ausnahmen vollwertige Jahrgangsklassen noch vorhanden sind,
c) die Lehrkräfte aller Fächer auch von ihren Studienschwerpunkten und Kenntnissen her gut abdecken können,
d) die unterschiedlichsten, oft sehr teuren neuesten blindentechnischen Geräte den jeweiligen Bedürfnissen der Schüler angepaßt und sie in der optimalen Benutzungsmöglichkeit durch Fachkräfte - bei Bedarf ununterbrochen über längere Zeiträume hinweg - eingewiesen werden können,
e) alle Schüler blind oder hochgradig sehbehindert sind und sie sich somit zunächst im kleinen Klassenverband "bewähren" und ein gesundes Selbstvertrauen entwickeln können,
f) die meisten blinden Schüler - insbesondere aus überaus behüteten Elternhäusern - noch sehr unbeholfen und unselbständig ins LBZB kommen,
g) die Selbständigkeit und das notwendige Durchsetzungsvermögen der Behinderten durch die zeitweise Trennung vom Elternhaus gefördert wird - auch wenn diese in vielen Fallen zunächst belastend sein kann,
h) jede/r Schüler/in in der Regel entsprechend seinen/ihren individuellen Fähigkeiten bereits in einem für ihn/sie geeigneten Beruf (bzw. einer Beschäftigung für Mehrfachbehinderte) eingewiesen, ausgebildet oder auf einen weiterführenden Beruf vorbereitet worden ist, bevor er/sie das LBZB verläßt und
i) die Vermittlungschancen sich - trotz allg. großer Arbeitslosigkeit – durch die individuelle, gute Berufsausbildung (und dadurch auch die Integration am Arbeitsplatz) erheblich verbessern,
4. Eine Integrationsunterstützung auch von Seiten des LOZB, aus ist weiterhin in verstärktem Maße notwendig und auch möglich.
a) Das Informationsbedürfnis von Lehrkräften und Schülern der allgemein bildenden Schulen sollte vermehrt für eine Begegnung von Behinderten und Nichtbehinderten gefördert werden.
b) Es sollten vom LBZB Einladungen an Nichtbehinderte ausgesprochen werden, mit einer angemessenen Bewirtung.
c) Vor allem der Schülerrat sollte sich mit Unterstützung der Lehrkräfte und Erzieher immer wieder um eine Bedürfnisweckung und Feststellung der Wünsche der Behinderten bemühen. Behilflich und Ansprechpartner wären u. a. die städtische Jugendpflege und Volkshochschule Hannover. Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß das Interesse bei den Behinderten immer wieder erlahmt. Trotzdem dürfen die Verantwortlichen nicht resignieren.
d) An der Begleitung dürfte es in Zukunft kaum noch scheitern. In absehbarer Zeit wird nämlich das LBZB in der Lage sein, den Zivildienstleistenden zumutbare Unterkünfte auf dem Gelände des LBZB zuzuweisen. Dann könnte vor allem durch sie - möglichst bei Berücksichtigung auch ihrer jeweiligen Interessen - die Begleitung sichergestellt werden.
e) Die Teilnahme an diesen Veranstaltungen usw. wäre für alle durch eine vertretbare Mitfinanzierung durch Spendengelder möglich.
5. Selbstverständlich sollen Behinderte bei günstigen Verhältnissen sobald dieses jeweils möglich ist - in den allgemeinen Schulbereich integriert werden. Allerdings sind bei uns nicht so ideale Verhältnisse wie in Hamburg zwischen der Blinden- und Sehbehindertenschule sowie dem in unmittelbarer Nähe gelegenem Heinrich-Hertz-Gymnasium gegeben - sie wären jedoch anzustreben. Aber auch dort profitieren nur einige wenige Blinde von der Möglichkeit der integrativen Beschulung.