Rudolf Gasts Tragikomödie 
Zum Streit zwischen Rudolf Gast und Bayerischem Interessenverband zur Anerkennung
der Gebärdensprache - 'sbw' 46/1998

Es ist wirklich eine Tragikomödie, welche Rudolf Gast mit seiner "Stellungnahme zur Gründung ..." veranstaltet hat. Es ist eine Komödie, wie er breit über Mitgliederzahlen, Gebärdensprache, Spaltung, Toleranz und wer DGS befürwortet faselt (Unsinniges sagen). Es ist eine Tragödie, welcher politischer Unverstand dabei in der Diskussion über die Anerkennung der Gebärdensprache zutage kommt. Es ist auch eine Tragödie und zeugt von viel Unwissen und Vorurteil, was er über den Einsatz der Gebärdensprache im Schulunterricht tauber Kinder schreibt.

Ist Rudolf Gast so insular und politisch naiv? Hat er die internationalen Erfahrungen in der Politik, der Entwicklung der gesellschaftlichen Hochschätzung und dem unterrichtlichen Einsatz der Gebärdensprache verpaßt? Hat er nicht gesehen, wie das Ansehen der tauben Menschen in der Öffentlichkeit steigt, gerade weil wir eine eigene Sprache, nämlich die echte natürliche Gebärdensprache wie z.B. ASL und DGS, haben? Hat er nicht erkannt, wie die öffentliche Sympathien für uns steigert, wenn wir uns als Gebärdensprachbenützende, also als linguistische Minderheit, definieren, nicht als Hörbehinderte?

Seine Ansicht, daß sich DGS nicht für den Schulunterricht eignet und gebärdetes Deutsch (besserer und richtigerer Terminus statt LBG) dem Erlernen der deutschen Sprache von tauben Schülern besser ermöglicht, entspricht nicht mehr dem internationalen Wissenstand der Pädagogik mit tauben Kindern. Deutsche Pädagogen in ihrer Mehrheit möchten das noch nicht zur Kenntnis nehmen. Rudolf Gast soll doch meine pädagogischen Schriften "Grundsätze zur Durchführung einer zweisprachigen und bikulturellen Erziehung tauber Kinder" in Das Zeichen, 26/1993, und "Schwedische Verhältnisse in der Erziehung und Bildung tauber Kinder" in Hörgeschädigtenpädagogik, 3 und 4/1996, sorgfältig lesen, wo ich Argumente für den frühen Einsatz der echten Gebärdensprache bei tauben Kindern als Erstsprache und anschließendem Aufbau der deutschen Sprache aufgezählt habe und wo ich Beweise für dessen höheren erzieherischen Wirksamkeit vorgelegt habe. Im Durchschnitt erreichen taube Kinder, die die Gebärdensprache früh als Erstsprache lernten, neben anderen Leistungen eine größere lautsprachliche Kompetenz (Beherrschung) (als Zweitsprache natürlich) als wenn sie von Anfang an nur in der Lautsprache, einschließlich gebärdetes Deutsch, unterwiesen wird. Lautsprache in Gebärdenform wurde schon seit langem in verschiedenen Schulen von den Lehrern nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland wie in meiner Schule in Bamberg, angewandt, ohne eine gute Lese- und Schreibfähigkeit bei der Mehrheit der Schüler erzeugt zu haben. Schon im frühen 19. Jahrhundert fochte (= kämpfte) der taube Lehrer und Schriftsteller Otto Friedrich Kruse für den erstsprachigen Einsatz der echten Gebärdensprache bei tauben Kindern, um zur besseren Beherrschung der Lautsprache in der Schriftform zu gelangen. Er war sogar gegen den Einsatz des künstlichen gebärdeten Deutsches überhaupt (Siehe dazu "Otto Friedrich Kruse, eine große taube Persönlichkeit" in SBW 42/1997, wo Zitaten von Kruse aufgeführt sind).

Rudolf Gast braucht nicht die nebelhafte und hohle Phrase "Integration in die hörende Gesellschaft" nachzuplappern, welche von vielen Pädagogen mit tauben Kindern immer wieder politisch gegen die Gebärdensprache vorbringen. Er weiß sicher gut genug, wie die sogenannte Integration in der Wirklichkeit aussieht, auch bei tauben Personen, die ausgezeichnet sprechen können. Die Pädagogen haben das Wort "Integration" nie mit Kriterien (meßbare Maßstäbe zur Überprüfung ihrer Methode) versehen. Ich habe das Gefühl, er teilt die oft geäußerte Meinung der Pädagogen, der Gebrauch der Dolmetscher vermindere die "Integration", und möchte deswegen den Dolmetscherdienst so klein wie möglich halten. In einigen Schriften habe ich "Integration" genauer nach unserem Verständnis als Emanzipation und Gleichberechtigung in der Gesellschaft definiert, was Herr Gast als Verbandsvorsitzender zur Kenntnis nehmen und politisch vertreten soll (Siehe "Grundgedanken zur 'Integration'", SBW 38/1996).

Herr Gast repräsentiert die Position, die ich hier in den USA vor 30 Jahren erlebt habe und in anderen Ländern früher auch Mode war und nicht mehr aufrechterhalten worden ist. Schweden und Großbritannien haben ihre Gebärden-Schwedisch- bzw. Gebärden-British-Periode gehabt. Er soll sich halt international mehr umsehen und Schriften zu diesem Thema sorgfältig lesen.

Hartmut Teuber,
Arlington, Massachusetts, USA
hteuber@juno.com
Fax: 001-781-646-6170
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