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Rolf Erdmanns Beiträgen in 'sbw' 46/1998 

Herr Erdmann ist Herrn Lenarz dankbar für die bei ihm durchgeführte Operation, die sein nachlassendes Resthörvermögen steigerte. Ich kann verstehen, daß er diesen Dank anderen mitteilen will. Allerdings preist er Herrn Lenarz mit Worten, die bei mir Widerspruch auslösen.

Dieser sei nicht nur "ein ausgezeichneter Facharzt", sondern auch ein "hilfsbereiter Mensch". Er habe viel Zeit investiert, "um hörgeschädigten Menschen direkt zu helfen" und "kostenfrei" an Podiumsdiskussionen teilgenommen. Schließlich sei er "erfreulich offen für die Vorschläge und Wünsche aktiver Betroffener."

Wie verträgt sich diese erfreuliche Offenheit mit seiner kürzlich gemachten Bemerkung, daß "die Heranführung und Integration in die hörende Gesellschaft durch die Gebärdensprache nicht möglich" ist? (DAfEG-Informationen, Sondernummer 1997, Seite 12).

Woher weiß er das so genau?

Gerade mit einer ungebrochenen Identität und der Gebärdensprache gelingt es vielen Gehörlosen, wie Helmut Vogel in einem Nachruf auf Tom Bierschneider so treffend schreibt, eine "Verständigung zwischen der (großen) Gesellschaft und der (kleinen) Gehörlosengemeinschaft" zu erreichen und auch uns Hörenden "in gewinnbringender Weise" die Bedeutung der Gehörlosenkultur zu vermitteln ('sbw' 46/1998, Seite 4 und 5).

Doch zur Gehörlosigkeit hat Herr Lenarz eine fertige Meinung: Er schreibt, er könne sich "keineswegs der Meinung anschließen, daß Gehörlosigkeit in Ordnung ist" und er bestreitet, daß "die Identität als Gehörloser eine für das Kind positive Option ist." ('sbw' 39/1996, Seite 7).

Mit einer solchen Sichtweise untergräbt er das Selbstbewußt-werden der gehörlosen Menschen, und der unlängst in "selbstbewußt werden" gedruckte Satz: "Ich leide unter Eurer Ablehnung, nicht unter meiner Behinderung" ('sbw' 43/1997, Seite 37) bekommt traurige Aktualität.

Was drängt Herrn Lenarz dazu, auf den "kostenfreien" Podiumsdiskussionen dabei zu sein und sich zu Themen zu äußern (Gebärdensprache), von denen er nichts versteht?. Er erzählt den Eltern, es sei ihre Freiheit, "aber auch ihre Pflicht", sich so zu entscheiden, daß für das Kind eine "optimale Möglichkeit zur Entwicklung und späteren Lebensbewältigung geschaffen wird." Und fügt gleich hinzu: "Die Kinder wären einem besonderen Leistungsdruck ausgesetzt, wenn ihnen die Möglichkeit des Implantates nicht mehr gegeben wäre." (DAfEG-Informationen, Sondernummer 1997, Seite 12).

Ob da nicht jemand seine Implantate für gutes Geld an das Kind kriegen will? Oder treibt ihn einfach seine Hilfsbereitschaft so sehr, daß er einen Weltrekord nach dem anderen schlagen, immer kleinere gehörlose Menschen operieren und gleichzeitig unermüdlich auf der Werbetrommel schlagen muß?

Herr Lenarz schreibt, er wisse, wie das kleine Kind glücklich gemacht werden könne. Es müsse zu "einem vollwertigen Mitglied der Gesellschaft" erzogen werden (DAfEG-Informationen, Sondernummer 1997, Seite 13).

Jedes Kind, möchte ich da erwidern, kommt bereits vollwertig auf die Welt und bleibt vollwertig, Auch wenn es nicht auf Herrn Lenarz' Operationstisch landen sollte.

Was in unserer Zeit der schnellen Technik notwendig ist, ist nicht vor der Technik die Augen zu verschließen, aber doch darauf zu achten, daß der Mensch, und also auch das faire Gespräch, im Mittelpunkt bleibt bzw. dorthin rückt. Wir alle sollten uns davor hüten, Menschen oder Sprachen, die anders sind als wir, abzuwerten.

Uwe von Stosch, Neuss
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