Zum Artikel:

      "Landesverband Bayern der Gehörlosen e.V. Der Landesvorstand: . . ."

Heft 46, 1.Quartal 1998, Seite 11


Ich möchte mich vorstellen: ich bin die Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenbundes, sitze in Wien am Computer und möchte zum Artikel Stellung nehmen - als gehörlose Frau.

Zum o.a. Artikel des Herrn Gast: Ich kenne Herrn Rudolf Gast mehr als vierzig Jahre. Ich war damals siebzehn, nicht auf den Mund gefallen und der junge Mann, der mit der Sprache umgehen konnte fiel mir auf, den Namen habe ich mir nicht gemerkt. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, daß ich mit manchen Gehörlosen sehr vorsichtig umgehen muß, weit vieles falsch verstanden wird. Insbesondere meine Redewendung "reden wir einmal deutsch" wird als Beleidigung aufgefaßt

Ich treffe Herrn Gast alle zehn Jahren einmal, und es berührt mich immer, wie man beim anderen sieht, daß man älter wird, Wenn man sich trifft, forscht man im Gesicht des anderen mit der Frage. "wie hast du es bis jetzt geschafft?" Rudolf Gast ist sehr konsequent, man soll nicht gleich von Rücktritt reden wenn einem etwas nicht paßt. Gast hat mit seinen Ausführungen schon recht - wenn sie mir das zu sagen erlauben.

Jeder erlebt seine Behinderung anders. ich möchte ein Beispiel anführen: ich war als junge Frau mit zwei kleinen Kindern eher eine Kämpfernatur mit einem zähen Willen. Ich "mußte" zeitlebens, niemand fragte mich ob ich wollte, da war kein Platz für Gefühl. Mit der Pensionierung und als die Kinder flügge wurden, begann ich mich vermehrt für den Verband zu arbeiten mit der Vorstellung, eine Verbesserung für andere zu erreichen, die schlechter dran waren.

Da plötzlich kommt man mit Dolmetscher zusammen, die man zuerst für den Telefondienst braucht, dann stundenweise anstellt. Man gewöhnt sich an den Dolmetscher. Die Situation wird verführerisch, alles geht bequemer, Mißverständnisse bleiben aus, man muß sich nicht mit fremden Mundbilder plagen. Aber man verkauft sich, nur merkt man das nicht gleich.

Ich konnte später nach Jahren plötzlich nicht mehr im Geschäft meine Wünsche äußern. Ich traute mich nicht, ich hatte Hemmungen. Ich mußte mich erst mühsam frei strampeln, "auf die Nase fallen" mich wieder etwas trauen und die Mitte finden. Das ist nicht so einfach, aber es ist immer besser, man bleibt bei der Realität.

Ich war einmal alleine sonntags in New York in einem Warenhaus und hatte zuwenig Geld. Es gab nur eine Bank in Manhattan, die Schillinge wechselte, und die war am Sonntag geschlossen. Die unvorhergesehene Situation nun, in einem fremden Land, in einer fremden Sprache in einem Warenhaus etwas einzukaufen ließ mich völlig verstummen. Ich verstand wie das ist, wenn man von Natur aus keine Stimme hat und nicht verstanden wird. Es hat mich nachdenklich gemacht.

Es ist leicht, als Normalhörender über Hörbehinderungen zu sprechen, die man nicht hat und denn zu Hause Musik zu hören und sich zu entspannen, was jedem zu gönnen ist, der sich's leisten kann. Aber ein armer Teufel, der frustriert herumläuft und eine Behinderung mit sich herumträgt, die er nicht nach Belieben am Bahnhof in der Gepäckaufbewahrung abgeben kann, sieht die Sache anders.

Ich will niemanden beleidigt haben, nur denke ich, - ich darf ja privat auch denken? - man soll das Beste aus der Situation machen. Toleranz ist besser als immer meckern.

Das "Land der Dichter und der Denker" tut sich mit der Gebärdensprache halt schwer.

In diesem Sinne "gute Nacht". Herrn Gast einen schönen Gruß

                                                                                          Trude Dimmel,
                                                                          Präsidentin des Österr. Gehörlosenbundes
[zurück zum Inhaltsverzeichnis von sbw 47]