Aus : "Sehen statt hören" vom 4. Oktober 1998
Kinderpark

Eine Initiative der evangelischen Kirche in Nürnberg


Können gehörlose Kinder schon im 2. Lebensjahr Gebärdensprache lernen? 

Das war der Ausgangspunkt für Eltern und Erzieher, die sich plötzlich dem Problem gegenübergestellt sahen, daß sie ein eigenes gehörloses Kind groß ziehen mußten.

Normalerweise kommen die Kinder erst ab dem 4. Lebensjahr im Kindergarten mit anderen gehörlosen Kindern in Berührung. Und auch da liegt das Schwergewicht auf der Lautsprache; vielleicht lernen sie noch LBG.

Warum muß das eigentlich so sein? 

Diese Frage stellten sich der GL-Pfarrer Volker Sauermann und seine Mitarbeiter. Sie entwickelten in Nürnberg ein Konzept, mit dem schon Kinder ab etwa 1½ Jahren die Gebärdensprache erlernen können. Gleichzeitig 

werden auch die Eltern und Geschwister unterrichtet, damit in der Familie die Kommunikation wieder stimmt.

Wie wird das alles finanziert? 

Kann das ein Beispiel für andere Städte sein?

Wir von "Sehen statt Hören" glauben ja. Eigeninitiative ist heutzutage gefordert. 

Nur dadurch werden starre Strukturen aufgebrochen und 

neue Wege für das Zusammenleben von gehörlosen Kindern und hörenden Mitmenschen entwickelt.

Das Haus der Gehörlosen-Gemeinde in Nürnberg-Eibach, Heimat eines Pilotprojektes für gehörlose Kinder.

Hier entstand der erste

"KINDERPARK

FÜR GEHÖRLOSE KINDER"

An zwei Nachmittagen in der Woche wird Gebärdensprache (DGS) unterrichtet.

Auf spielerische Weise sollen die Kinder ihre Sprache erlernen.

Das gab es bisher nicht. DGS wurde nicht als eigene Sprache angesehen.

Kinder beim spielerischen Üben

Lautsprache war das Maß aller Dinge. Aber Kinder lernen die DGS schnell.

Und die Erfahrung zeigt: Die Lautsprache wird nicht beeinträchtigt.

Die offizielle Befürchtung war, daß die DGS die Kinder noch mehr isoliert.

Aber die Praxis beweist: Die Kinder lernen leichter zu kommunizieren.

Fragen an Stefan Dürkopp u. Friederike Baudach:

Sie sind beide gehörlos mit hörenden Eltern.

Wie war die Kommunikation als Kind bei Ihnen zu Hause?

Friederike Baudach:

Ich kann mich nicht genau erinnern. Ich habe eine gehörlose Schwester.

Meine Eltern, mein Bruder und meine jüngste Schwester sind hörend.

Wie habe ich damals mit meinem ältesten Bruder kommuniziert?

Er konnte Gebärdensprache. Auch meine jüngste Schwester wuchs mit GS auf.

Waren Sie auch im Kindergarten?

Ich war im Kindergarten von Hörenden und auch in dem von Gehörlosen. Jeweils halbtags.

Im Gehörlosen-Kindergarten hatte ich große Schwierigkeiten.

Die Erzieher benutzten fast keine Gebärdensprache. Ich konnte also nicht viel aufnehmen.

Es wurde viel Artikulation geübt.

Wenn ich vom Kindergarten nach Hause kam, war ich sehr froh.

Meine Eltern konnten etwas Gebärdensprache. Da verstand ich mehr.

Stefan Dürkopp:

Bei mir gab es keinen Kindergarten!

Meine Eltern sind hörend, meine Schwester kann auch hören.

Auch in der Verwandtschaft sind alle hörend. Nur ich bin gehörlos.

Es gab keinen Unterricht in Gebärdensprache.

Ich bin oral aufgewachsen bis zum Alter von 14.

Dann fing ich an, DGS zu lernen. Aber am Anfang nur sehr wenig.

Vor 5 Jahren habe ich mich dann voll für die DGS eingesetzt.

Mein Sohn und meine Tochter sind hörend. Meine Frau ist gehörlos.

Ich denke, es ist wichtig, daß DGS in der Schule eingesetzt wird.

Denn sonst geht an den Kindern sehr viel vorbei.

Ist Ihre Kindheit der Grund, daß Sie sich im Kinderpark einsetzen?

Ja, das ist genau der Grund!

Es ist einfach wichtig. Wenn ich an mich selber denke, habe ich eine sehr negative Erinnerung an meine frühere Zeit.

Ich möchte den Kindern einfach eine bessere Zukunft bringen.

Wichtig ist: Die Kinder werden nicht gedrillt in DGS. Sie lernen im Spiel, Begriffe und Inhalte in Gebärden auszudrücken.

Sie, als die Eltern, haben diesen Knderpark gegründet. Wie ist denn diese Initiative entstanden?

Die Anfänge gehen schon auf das Jahr 1994 zurück.

Damals gründeten Eltern aus der Frühförderung eine Krabbelgruppe.

Damals gab es hier eine Gruppe gehörloser Eltern mit gehörlosen Kindern.

Wir hörende Eltern sahen neidvoll zu, wie gut die Kommunikation da klappte.

Das weckte den Wunsch in uns, so etwas auch zu machen.

Wir haben den Wunsch dann an die Gemeinde heran getragen.

Seit einem guten halben Jahr gibt es jetzt den Kinderpark.

Mit welcher finanziellen Belastung müssen Eltern rechnen?

Wir als Familie zahlen 50 Mark im Monat.

Wir fahren eine halbe Stunde hierher und sind zweimal lange unterwegs.

Damit kann sich das aber doch nicht völlig finanzieren ?

Zum Glück haben wir einige Sponsoren. So ist es für die Familien günstiger. Sonst wäre es schwierig, das Projekt am Leben zu erhalten.

Wie sind Sie denn inhaltlich mit dem Kinderpark zufrieden? Was bringt es Ihnen und den Kindern in der Kommunikation zu Hause?

Es ist eine Ergänzung zur lautsprachlichen Kommunikation. Durch die Gebärden werden die Inhalte besser verstanden.

So läuft in der Familie die Kommunikation besser ab.

Man fördert ja auch die Geschwister gebärdensprachlich.

So kommen auch die hörenden Kinder mit den Geschwistern gut zurecht.

Inwieweit können Gebärden die lautsprachliche Entwicklung unterstützen?

Mit meinem Sohn haben wir 2 Jahre nur mit Gebärden kommuniziert.

Dann bekam er ein Cochlear Implant.

Es dauerte etwas. Dann verstand er die Lautsprache ziemlich schnell.

Das war für mich klar. Er konnte schon 4-5-Wort-Sätze gebärden.

Er brachte Gebärden und Lautsprache zusammen. So läuft das bei uns.

Man setzt auf die Neugier und Wißbegierde der Kinder.

Sie wollen ihre Umwelt erforschen und sich mitteilen.

Wenn das Hörvermögen fehlt, kann die Lautsprache nicht viel helfen.

Die Gebärden können das Kind aus der drohenden Isolation herausholen.

Die Kommunikation mit Geschwistern und Eltern wird so gewährleistet.

Das Konzept richtet sich nach den normalen pädagogischen Erfahrungen.

Iris Ricke, Leiterin des Kinderparks

Frau RICKE, wie beurteilen Sie Ihre bisherige Arbeit hier im Kinderpark?

Im Dezember 97 wurde der Kinderpark gegründet. Ich denke, es läuft sehr gut. Es gibt einige Probleme, das ist klar.

Sie entstehen z. B., weil der Kinderpark nur zweimal die Woche stattfindet.

Die Kinder sind zu Hause ja voll in der hörenden Welt.

Dort werden sie lautsprachlich oder mit LBG erzogen.

Optimal wäre es, den Kinderpark jeden Tag stattfinden zu lassen.

Es ist ein Anfang. Mein Wunsch: Ein täglicher Kinderpark!

Ist das Alter von 1½ Jahren realistisch für den Einstieg hier?

Als gehörlos erkannte Kinder sollen sofort Gebärdensprache lernen.

Die Kinder sollen sofort mit ihren Bezugspersonen kommunizieren können.

Das ist lautsprachlich nicht möglich. Da geht viel an den Kindern vorbei.

Im Alter von 1½ Jahren ist es möglich, in einer Gruppe zu arbeiten.

Bei Babys macht man besser Hausbesuche.

Gehörlose Erwachsene machen dann diese Hausbesuche.

Aber im Alter von 1½ Jahren ist eine Gruppenarbeit möglich.

Behindert die frühe Entwicklung der DGS die Lautsprachentwicklung?

Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise dafür, daß Kinder, die früh DGS lernen, in der lautsprachlichen Entwicklung behindert werden.

Eher ist das Gegenteil der Fall!

Kinder mit Gebärdensprache können schnell die Lautsprache aufnehmen. Die Kinder sind schon im Besitz einer vollen Sprache.

Eine zweite Sprache können sie dann schneller erlernen.

Wir haben eine Gruppe von Kindern bis zu 2 Jahren.

Die sind ganz aufmerksam und lernen rasant schnell. Sie nehmen die Gebärden schnell auf.

Die Eltern müssen auch schnell Gebärden lernen, um mitzuhalten.

Für die Eltern wurde deshalb ein eigener Gebärdenkurs eingerichtet.

In Rollenspielen lernen sie, die Gebärden als Sprache zu benutzen.

So werden Eltern und Kinder gleichberechtigt in der Kommunikation.

Lautsprache und Gebärden gehen bei den Kindern Hand in Hand.

Bei Sabine EBERT (hörend) laufen alle Fäden zusammen. Sie ist verantwortlich für die Verwaltung und die Organisation.

Die Gruppenkoordination sprechen die Betreuer mit der Leiterin selbst ab.

Pfarrer Volker Sauermann:

Die Finanzierung des Projekts: Eltern-Kindgruppe, "Kinderpark" ist finanziert allein durch Spenden. Gespendet haben die Lions-Clubs Nürnberg und Fürth, die Firma Geis, die Rödl-Mitarbeiter-Stiftung und die Eltern selbst.

Damit können wir eine Finanzierung von ca. 18.000 Mark 1998 aufbringen. Das nächste Jahr ist die feste Einstellung von Frau RICKE und FREDDIE über Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) finanziert.

Und wieder durch Spenden von den Lions-Clubs und Elternspenden.

Wie stellt sich denn Bayern oder Nürnberg zu dem Projekt?

Wir haben bisher noch keine Anfrage gemacht.

Das Problem ist, daß die Schule im Kinderpark eine Konkurrenz sieht.

Wir haben eine Grundlagenaufgabe des Staates übernommen.

Es wird bislang nicht gemacht, daß Kleinstkinder systematisch Gebärdensprache lernen.

Das steht in dem Widerspruch:

Kinder von einem Jahr sind nicht gruppenfähig. Aber für uns ist die Kommunikationsfähigkeit wichtiger.

Wir haben zwei widersprechende Probleme. Dafür brauchen wir eine Lösung. Das gefällt nicht allen Pädagogen gleich.

Die Kommunikation in der Familie für die Kinder ist wichtig zum Erlernen einer Sprache, vor allem der Gebärdensprache, Sprechen, Lesen, Schreiben. Das ist wichtig von Anfang an.

Sind die Räumlichkeiten ausreichend?

Sie sind sehr begrenzt. Wir haben viele andere Veranstaltungen.

Wir müssen für uns selber schon erweitern. Dafür ist kein Geld da.

Wir tun das Notwendige, um weiter

planen zu können.

Schön wäre es, wenn wir mehr Raum hätten. Z. B.: Einen eigenen Raum für den Kinderpark, der immer zur Verfügung steht.

Das wäre sehr schön, aber das ist ein Finanzproblem. Den Kindern geht es hier gut. Die Betreuer sind engagiert.

Bleibt nur zu hoffen, daß die Geldduellen nicht versiegen und die Gebärdensprache gleichberechtigt anerkannt wird.