Aus : "Sehen statt hören" vom 11. Oktober 1998



 
 

Gespräch mit dem Entdecker der Gebärdensprache

Prof. William C. Stokoe, Washington, D.C., USA

Jürgen Stachlewitz: Ich bin glücklich und stolz,

heute diesen Mann treffen zu können.

Mr. William Stokoe. Er kam 1955 hierher an die Gallaudet-Universität, als Professor für Alt- und Mittel-Englisch.

Meine erste Frage lautet:

Wie wurden Sie zum Begründer der Gebärdensprach-Linguistik?

W. Stokoe:

Es ist richtig: Mein Fachgebiet war Alt- und Mittel-Englisch. Also die Sprache, die man vor langer Zeit (600 -700 Jahre) sprach! Aber ich interessierte mich immer dafür, wie Sprache funktioniert, wie die Leute sie benutzen und verändern, ebenso wie für Literatur.

Als ich in Gallaudet die Gebärdensprache neu lernen mußte, war das überhaupt keine große Umstellung für mich.

Einblendung: Broschüre "Sign Language Structure" (1960)

J. Stachlewitz:

Sie haben die Ergebnisse Ihrer Arbeit erstmals 1960 veröffentlicht.

Eine Darstellung der Grundelemente der Gebärdensprache.

Weiche Teile entdeckten Sie zuerst? Wie fanden Sie die Struktur heraus?

W. Stokoe:

Ich hatte vorher viel Linguistik-Literatur der damaligen Zeit gelesen.

Die Sprachwissenschaftler analysierten damals eine Sprache, indem sie innerhalb der Worte nach Minmal-Paaren suchten.

Z. B. Laute wie 'c', 't', 'g'. Oder wie bei 'car' und 'par'.

Beim Gebärdenlernen entdeckte ich: Ich mache dasselbe mit der Hand!

Eine kleine Veränderung der Finger und es ist ein anderes Zeichen.

Daraus ergab sich alles andere: Ich registrierte die Form der Hände, die Stelle, an der sie sich befanden und was sie dort taten.

Mit diesen 3 Elementen konnte ich die Gebärden-Struktur erfassen.

J. Stachlewitz:

Wie waren damals, in den ersten Jahren Ihrer Arbeit, die Reaktionen der hörenden und gehörlosen Kollegen?

Wie war es möglich, daß auch viele GL anfangs Ihre Arbeit ablehnten?

W. Stokoe:

Es stimmt. Viele mochten nicht, was ich sagte oder schrieb.

Sie konnten damals noch nicht wissen, was vor sich ging.

Ich registrierte die Form der Hände, die Stelle, an der sie sich befanden und was sie dort taten.

Die altgedienten GL-Lehrer und Schuldirektoren lehnten es ab, weil sie genau wußten: Wenn Gebärden als Sprache angesehen werden, erweisen sich ihre bisherigen Aussagen als falsch.

Ihre ganze pädagogische Arbeit wäre in Frage gestellt. Denn sie sagten ja:

Nur Englisch ist Sprache. Gebärden sind dummes Zeug.

Das war die schlechte Nachricht. Die gute war:

Mein Vorgesetzter, der Dekan des College, George Detmold, unterstützte mich in allem. Er gab mir Zeit für die Forschung und viel Hilfe.

Er inszenierte auch klassische Theaterstücke in Gebärdensprache.

Den Schauspielern sagte er: Gebärdet nicht wörtlich in englischer Sprache, sondern so wie bei der Unterhaltung mit euren gehörlosen Freunden!

Er war ganz einfach bereit, Gebärden als Sprache zu akzeptieren.

Gallaudet-Gebäude

In ersten Stock dieses Gebäudes befand sich lange Zeit Prof. Stokoes "Sign Language Lab".

J. Stachlewitz:

Hatten Sie damals das Gefühl, Sie müßten sich als "Einzelkämpfer" behaupten?

Oder bekamen Sie auch Unterstützung von gl oder hörenden Kollegen?

W. Stokoe:

Ich fühlte mich nicht als Kämpfer. Ich war voller Neugier, Dinge herauszufinden.

Damit war ich sehr beschäftigt. Und außerdem hatte ich die Chance, Vorträge im Zentrum für angewandte Linguistik in Washington zu halten, vor Experten. Ebenso an der Sprachschule der Georgetown-Universität.

Sie waren interessiert und erfreut, von einer unbekannten Sprache zu hören.

Welche Partner ich hatte? Nun, abgesehen von Dekan Detmold. waren das vor allem die gl Kollegen Carl Cronenberg / Dorothy Casterline.

Sie hatten großen Anteil an der Arbeit am Wörterbuch von 1965. Wir arbeiteten viele Sommer. Im Semester war wenig Zeit für Forschung.

A.S.L.-Wörterbuch u. Fotos.

W. Sokoe weiter:

Aber in den Sommerferien konnten wir das Ding zusammenbasteln.

Es war wunderbar, mit ihnen zu arbeiten. Außer Dorothy und Carl saßen viele gehörlose Studenten vor unserer 16mm-Kamera und gebärdeten. Wir konnten echte Gebärdensprache auf Film festhalten.

Wir mußten nachher jedes Einzelbild anschauen. Aber es lohnte sich.

Satzbeispiel aus ASL-Dictionary

J. Stachlewitz:

Wann kam für Sie der Erfolg, so daß man von "Durchbruch" sprechen kann?

Schon 1965, mit dem Wörterbuch der Amencan Sign Language? Oder später?

Stokoe:

Das war sogar schon früher.

Weniger als ein Jahr, nachdem "Sign Language Structure" 1960 herauskam, gab es eine sehr wohlwollende Rezension von Dr. John B. Carol, einem berühmten Psychologen und Linguisten.

Er war auch Präsident einschlägiger Berufsverbände. Und er schrieb, wie wichtig es war, zu entdecken, daß Gehörlose eine Sprache haben.

Und natürlich war da George Trager, Präsident der Linguist. Gesellschaft.

Er veröffentlichte meine Arbeit in seiner Reihe 'Studies in Linguistics'.

Das war für mich persönlich schon der Durchbruch.

Wer etwas von Sprache verstand, verstand auch, was ich sagte.

Über die Gegner ärgerte ich mich nicht besonders. Sie waren gar nicht meine Ansprechpartner.

J. Stachlewitz:

Gebärdensprachen existieren schon sehr lange.

Sie waren der erste auf der Welt, der herausfand. daß es sich um echte, den Lautsprachen gleichwertige Sprachen handelt.

Warum kam nicht schon früher jemand auf diese Idee?

Ihr scharfsinniger Verstand,

ihre fließende Kommunikation, Gehörlose sind selbst die

beste Widerlegung

des oralistischen Systems.

W.Stokoe:

Der erste Teil dieser Frage ist ein Musterbeispiel für 'unterstatement'.

Gebärdensprache existiert sicherlich schon lange.

Ich glaube, sie existierte schon Jahrtausende vor den gesprochenen Sprachen!

Die ersten Sprachen müssen Gebärdensprachen gewesen sein. Denn:

Töne an sich stellen nicht dar, wie etwas aussieht. Gesten tun das.

Viele Gesten können sehr gut Bedeutungen anzeigen. Das gab Anstöße.

Nachdem sich Bedeutungen mit den Gesten verbunden hatten, konnten die Töne diese Bedeutung ersetzen. So begann das Sprechen.

Warum niemand schon früher auf diese Idee kam?

Gesprochene Sprache verbreitete sich von Anfang sehr schnell.

Wie Sie wissen, sind 999 von 1000 Menschen hörend / sprechend.

Nur einer von 1000 ist im Durchschnitt gehörlos.

Die meisten hatten nie eine andere Sprach-Erfahrung als das Sprechen.

Darum dachten sie: Weil es immer so gemacht wurde, war es immer so.

Ein Höhepunkt in der

Geschichte der Gehörlosen!

Sie konnten nicht erkennen, daß noch etwas darunter lag: Sprache begann, als sichtbare Sprachzeichen sich mit sichtbaren Bedeutungen verbanden.

J. Stachlewitz:

Sie wurden schon mit Galileo Galilei, Nikolaus Kopernikus oder Albert Einstein verglichen.

Die Gallaudet-Universität verlieh Ihnen die Ehrendoktor-Würde.

Früher Ablehnung und Kritik, dann Beifall.- Wie verkraften Sie das?

W. Stokoe:

Haha! Wie schmeichelhaft. Aber an so etwas habe ich nie gedacht.

Es ergab sich so. Ich unterrichtete gl Studenten und lernte von ihnen.

Meine gehörlosen Lehrer-Kollegen waren sehr scharfsinnig.

Sie waren die Spitzen-Vertreter ihrer Gemeinschaft, hochgebildet.

Alle hatten ein Gallaudet-Studium absolviert.

Diese GL hatten einen eigenen Verstand und eine eigene Sprache.

Das war für mich Belohnung genug in dieser Zeit.

Anerkennung von außen tat natürlich auch gut: Von Linguisten, die meine Idee übernahmen, daß Gebärden eine Sprache sind.

Aber im großen und ganzen war es ein Vergnügen, das alles zu erleben, diese Forschungen zu betreiben und das alles herauszufinden!

Archiv-Aufnahme von 1988

Verleihung der Ehrendoktor-Würde durch Präsident King Jordan, Gallaudet-Universität 1988

J. Stachlewitz:

Sie kritisierten oft andere Gebärdensprachforscher, daß sie bei ihren Arbeiten zu mechanisch, zu formalistisch vorgehen.

Stehen Sie da im Gegensatz zu anderen Wissenschaftlern?

W. Stokoe:

Ich gehöre einer Linguistik-Schule an, die davon überzeugt ist:

Man kann Sprache nicht trennen von der Kultur derer, die sie sprechen.

Auch nicht davon, was die Benutzer damit machen.

Mit Sprache zu arbeiten, als wäre sie nur ein abstraktes Gebilde aus Regeln und Gesetzen, das wäre ganz schön steril.

Das Interessante an Sprachen ist: Wofür gebrauchen sie die Leute?

Und: Wie sind sie dazu imstande, sie zu gebrauchen?

Die Schwierigkeiten kommen daher, daß die Sprachwissenschaften ihre Methoden aus der Erforschung gesprochener Sprachen entwickelten.

Wer diese Methoden auf eine Gebärdensprache anwenden will, muß sie in dieses Muster hineinzwängen. Ich glaube aber:

Gebärdensprachen sind ein Phänomen für sich. Man muß sie so betrachten wie in den Naturwissenschaften: Was ist ihr Wesen und ihre Funktion?

Sie müssen nicht genauso sein wie die gesprochenen Sprachen!

J. Stachlewitz:

Sie haben eben Lautsprache und Gebärdensprache verglichen.

Gibt es besondere Eigenschaften, die nur Gebärdensprachen haben?

W. Stokoe:

Ich denke, ja. Wegen des Unterschieds zwischen Hören und Sehen. Man hört Sprache als eine Abfolge von Tönen, die ins Ohr fließen.

Aber was man sieht, sieht man auf einmal: Eine Menge Informationen!

In jedem einzelnen Moment kommt nicht viel Information in die Ohren.

Sie müssen warten, was kommt, und es mit dem verbinden, was davor kam.

Man kann in gesprochenen Sprachen - außer in denen, die man Kennt - aufgrund der Töne nicht ein Substantiv von einem Verb unterscheiden.

Aber unsere Augen, unsere Körper, geben uns den Einblick, zu wissen:

Was die Hände verkörpern, sind Dinge oder Menschen.

Und die Handbewegungen, das sind Aktionen, Verben, Veränderungen.

Darum kommt die Syntax, die Basis für das Zusammenhalten der Sprache, von der Gebärdensprache, und nicht von gesprochenen Sprachen!

J. Stachlewitz:

Samuel Heinicke, der Begründer der "Dt. Methode" in der GL-Pädagogik, sagte: 'Nur eine gesprochene Sprache ist wirklich eine Sprache'.

Können Sie kurz sagen, was man am besten tun kann, um dieses Vorurteil, das immer noch weit verbreitet ist, abzubauen?

W. Stokoe:

Das ist leicht. Denn jeder Gehörlose oder auch jede Gruppe Gehörloser, die sich in Gebärdensprache verständigen, strafen Samuel Heinicke Lügen.

Ihr scharfsinniger Verstand, ihre fließende Kommunikation, Gehörlose sind selbst die beste Widerlegung des oralistischen Systems.

Oder anders gesagt: Vor 10 Jahren hatten wir "Deaf President Now".

Sie wissen schon: "DPN". Es ist weltbekannt unter den Gehörlosen.

Wenn es nach Heinicke ginge, würde es heißen: "Deaf President Never"! (= "Niemals-Gehörlosen-Präsident")

Ausschnitt aus Musikvideo "10 Years DPN" Musikvideo des TV-
Studios der Universität

J. Stachlewitz:

Das Selbstbewußtsein und die aufblühende GL-Kultur in den USA haben zur Gallaudet-Revolution des Jahres 1988 geführt:

Einem Höhepunkt in der Geschichte der Gehörlosen!

Waren Sie es, der für diese Entwicklungen Pionierarbeit geleistet hat?

"Wir brauchen einen

gehörlosen Präsidenten, der unsere Sache und Kultur

versteht!"

W. Stokoe:

Ich war beteiligt. Ich schrieb einen Brief, um die Kandidatur von King Jordan als Präsident zu unterstützen. Ich bekam zur Antwort:

Vielen Dank, daß Sie ihn nominiert haben! Ich schlug ihn also vor.

Und als dann die "Deaf President Now"-Revolution begonnen hatte, stand Brigitta Born vor einer Fernsehkamera und gebärdete:

"Wir brauchen einen Präsidenten, der unsere Sache und Kultur versteht!"

Als ich das hörte, dachte ich: Das ist das Ziel, das ich erreichen wollte!

Ich war sehr zufrieden, daß das die Gefühle der GL-Gemeinschaft waren.

Es war wirklich sehr erfreulich.

Festrede US-Präsident

Bill CLINTON

Wohl der größte Augenblick in der Geschichte dieser Universität war 1988, als die Gemeinschaft sagte: Wir akzeptieren nicht länger, daß andere über unser Leben und die Leitung dieser Universität bestimmen.

Die Verantwortung liegt bei uns. Wir nehmen Herausforderung an.

In den Tagen, die als "Deaf President Now"-Bewegung bekannt wurden, änderte sich in unserem gesamten Land das Bild, das wir von GL haben.

Unterrichtsbeispiele Gallaudet University.

Die Gallaudet-Universität bietet ihren etwa 2000 Studentinnen und Studenten insgesamt 27 Studienfächer an.

Unter anderem:

Biologie / Chemie / Geschichte / Philosophie / Psychologie / Sozialarbeit / Sport / Englisch / französisch / Spanisch / "Deaf Studies" / Mathematik / Geschäftsführung und Management / Volks- Betriebswirtschaft / Informatik / Computer-Informationssysteme.

J. Stachlewitz:

Wie beeinflußt die Gallaudet-Universität die Gl-Gemeinschaft in den US4?

W. Stokoe:

Gehörlose wissen: Keine andere Erfahrung ist mit dieser zu vergleichen, wenn man 3, 4 oder 5 Jahre auf diesem Campus unter hundert GL lebt.

Man wird hier mit der Gehörlosengemeinschaft vertraut, so wie sie ist.

Nach dem Staatsexamen gehen viele nicht weit weg von hier.

Die Bundesbehörden und Forschungseinrichtungen hier bieten Arbeit, so daß viele Absolventen in der Nähe bleiben. Was ist der Zusammenhang zwischen der Gallaudet-Universität seit 1864 und der Gl-Gemeinschaft?

Diese Universität, davor das College und die Schule, waren immer der Ort, der für gehörlose Menschen mit Führungsqualitäten bestimmt war.

Und nach ihrem Abschluß werden sie auch zu Führern der Gemeinschaft.

J. Stachlewitz:

Sie schrieben 1995, die Revolution von 1988 sei nicht abgeschlossen.

Sie bewirkte nur einen leichten Richtungswandel. Was muß geschehen?

W. Stokoe:

"Deaf President Now" ist ein guter Anfang. Aber die Revolution ist erst zu Ende, wenn jeder Lehrer, der gehörlose Kinder unterrichtet, deren Gebärden versteht und sich die Zeit nimmt, ihnen beizubringen, wie ihre guten Ideen und Gedanken aus der Gebärdensprache in die englische oder deutsche Lautsprache übertragen können.

Erst wenn die Lehrer, ob sie hörend oder gl sind, mit den Schülern jederzeit. in Gebärdensprache kommunizieren und ihnen zeigen können, wie man Gebärden-Sätze in englische oder deutsche Sätze übersetzen kann, dann ist die Revolution abgeschlossen.

Und dann wird die Öffentlichkeit Gehörlose nicht mehr vor allem als behindert ansehen, sondern als Menschen mit einer anderen Sprache. Das ist die Revolution!

Kinder im Unterricht

Englisch-Unterricht an der Kendall-

Grundschule der Gallaudet-

Universität

Denkmal: Thomas Hopkins Gallaudet Gründer der ersten Gehörlosenschule in den USA

J. Stachlewitz:

Die einen betrachten GL aus medizinischer, andere aus kultureller Sicht.

Beide Gruppen stehen sich oft feindlich gegenüber.

Mediziner, Techniker und Genenker versprechen:

Das "Problem Gehörlosigkeit" ist bald ganz aus der Weit geschafft.

Niemand braucht mehr Gebärden, weil alle hören können. Ist das möglich?

W. Stokoe:

Von dieser Ansicht halte ich gar nicht viel.

Schon seit langem, zumindest seit der Zeit von Alexander Graham Bell, bis herauf in den 2. Weltkrieg, gab es diese Vorstellung, gehörlose Menschen dürften sich nicht vermehren und keine eigene Gemeinschaft bilden, aus medizinischer Sicht.

Heute bastelt man an Genen herum und sagt: Wir beseitigen das Gen, das Taubheit verursacht (oder die Gene, denn es sind wohl mehrere).

Ich habe nichts daran auszusetzen, daß Ärzte Krankheiten heilen.

Aber wenn sie den Gen-Code des Menschen neu erschaffen wollen und daran herumpfuschen, was den Menschen zum Menschen machte, da sträube ich mich. Wenn das passiert, daß man einfach sagt, wir wechseln die Gene aus, die Taubheit/Blindheit verursachen, dann konnte dieselbe Gesellschaft auch die Techniker beauftragen, alle zu beseitigen, die die falsche Augenfarbe oder Hautfarbe haben.

Man kann nicht zulassen, daß es soweit kommt.

Zur Frage, ob Gebärdensprache verschwinden könnte: Auf keinen Fall!

Das könnte nur passieren, wenn die gesamte Menschheit blind wäre.

Aber wenn alle Menschen blind geboren würden, würde das ziemlich schnell zum Aussterben unserer Spezies führen.

Einblendung Buchtitel:

"Gestures and the Nature of Language"

J. Stachlewitz:

In Ihrem Buch von 1995, "Gesture and the Nature Language", gehen Sie weit über das Gebiet der Gebärdensprache hinaus und beschäftigen sich allgemein mit Sprache und menschlicher Natur.

Was ist dabei Ihr Grundgedanke? Und welchen Beitrag kann Gebärdensprache zur Entwicklung von Sprache und Kultur leisten?

W. Stokoe:

Aus meiner Denkweise, meiner Art, Dinge herauszufinden, ergibt sich:

Man kann die Evolution des Menschen, seine Natur und seine Sprache, nicht verstehen, ohne Kenntnisse von der Gebärdensprache zu haben!

Wir erfassen die Dinge visuell: Wir sehen, fühlen und berühren sie.

Wir gehen mit ihnen um. So erkennen wir sie.

Und mit unseren Händen verkörpern wir sie, auch ohne sie zu berühren.

Damit andere an Hämmern denken, muß man keinen Hammer in die Hand nehmen.

Man hält die Hand und bewegt sie so, daß sie denken, man erzählt davon, wie nun mit dem Hammer auf etwas drauf schlägt. Darum glaube ich:

Denken, Vorstellungskraft und Wissen, wie man eine Sprache formt, das alles entstand durch Wahrnehmen von Bewegung - wie bei Kindern!

Kinder zwischen 0 und 2 Jahren kommunizieren mit Gesten.

Sie lernen durch Zeigen und Schauen: Hinauf und hinunter, drinnen und draußen, hier und dort, näher ran, weiter weg. Alles Gesten!

Darum, glaube ich, muß mm von der Gebärdensprache ausgehen, um über sie hinaus die Evolution und Natur des Menschen zu verstehen!
 
 

J. Stachlewitz:

Es war nur wirklich eine große Freude, Sie zu treffen! Sie stellen voll Neugier immer neue Fragen - so wie ich. Herzlichen Dank!

W. Stokoe:

Dann haben wir etwas gemeinsam!

Beide schütteln sich die Hände.

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Dolmetscher: Christian Pflugfelder, Wissenschaftliche Beratung: Jens Heßmann, Regie, Gerhard Schatzdorfer