Was aber macht einen selbstbewußten Gehörlosen aus?
Selbstbewußt ist ein Gehörloser, der es trotz aller Schwierigkeiten, die seine Behinderung ihm auferlegt hat, zu einem Beruf, zu Familie, Häuschen und Auto gebracht hat. Seine Maxime war: "Ich bin gehörlos, na und?"
Es gibt viele Gehörlose, die wie das obige Beispiel eine erfolgreiche Biographie vorweisen können!
Ich bin Jahrgang 1940 und infolge des Krieges ertaubt. Gemessen an den Nachkriegszuständen geht es den Gehörlosen von heute prächtig! Es gibt Frühprävention, Vorschulkindergärten, Schulabschlüsse bis zur Hochschulreife, berufsbegleitende Internate, Freizeitheime, Dolmetscherzentralen und so weiter.
Und trotzdem muß, wie der Titel dieses Periodikums (= Zeitschrift) fordert, dem Selbstbewußtsein der Gehörlosen nachgeholfen werden?
Die zwei letzten mir vorliegenden Ausgaben von "sbw" befassen sich fast ausschließlich mit der Gebärdensprache: Im Abwägen der Vor- und Nachteile von DGS, LBG und Gebärden ohne Mundbild und, besonders der Durchsetzbarkeit von LGB an den Gehörlosenschulen. Das Für und Wider wird mit fast schon missionarischem Eifer verfochten. Sind die vielen Gehörlosen, die sich lautsprachlich und schriftlich gut, ausdrücken können und der "Vollwertigkeit der Gebärdensprache", zumindest skeptisch gegenüberstehen, deswegen weniger selbstbewußte Gehörlose?
Von dem Pro und Kontra zur Gebärdensprache sind unmittelbar betroffen die schulpflichtigen Gehörlosen. Sie bringen bereits in den Vorschulkindergarten eine natürliche, kompensatorische (= ausgleichende) Gabe mit: die Gebärde. Sie ist der Katalysator, auf dem erst die Schriftsprache verstandesmäßig aufgebaut werden kann!
Es ist nicht Arroganz oder Unverständnis, wenn die Pädagoginnen und Pädagogen an den Gehörlosenschulen der Gebärdensprache ab lehnend gegenüberstehen. Sie haben den staatlichen Auftrag, die Gehörlosen an die Erfordernisse des Lebens unter Normalhörenden vorzubereiten. Dem Verständnis, der Toleranz, die wir unseren hörenden Mitmenschen abverlangen, müssen auch wir einige Schritte entgegenkommen!
Es sind paradoxerweise die Dolmetscherinnen in "Sehen statt Hören", die in DGS ein großenteils völlig inakzeptables Kauderwelsch verbreiten! Da wäre ohne Untertitel nichts zu verstehen! Und die ältere Gehörlosengeneration gebärdet, "wie ihnen die Hände gewachsen sind" (in Anlehnung an ein geflügeltes Wort "Schnabel" zur Lautsprache). Auch die Linguisten in ihren akademischen Elfenbeintürmen verzapfen manchen Unsinn! So liegt mir ein Prospekt der Firma "Micro- Books" vor, in dem CD-Roms zur DGS angeboten werden. Ein Textbeispiel veranschaulicht, wie der Satz "Es ist erstaunlich, wie gut wir uns verstehen!" in DGS gebärdet wird: "Erstaunen-ich-beide- du-gut". Das empfinde ich fast schon als Körperverletzung! Ich habe überhaupt kein Problem damit, diesen Satz unter Gebärdenbegleitung syntaktisch korrekt auszusprechen!
Mir scheint, etliche der die Gehörlosen betreffenden Probleme sind hausgemacht!
aus der Regierungserklärung des Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Edmund Stoiber vor dem Bayerischen Landtag am Donnerstag, dem 29. Oktober 1998
Wirksame Hilfen für Behinderte:
Zur Umsetzung des Art.118a BV werden wir alle landesrechtlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf ihre Eignung hin überprüfen, für gleichwertige Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung zu sorgen. Dazu setzen wir eine interministerielle Arbeitsgruppe ein.
Wir werden die Deutsche Gebärdenspracheder gehörlosen Menschen fördern. Die Vorschläge einer interministeriellen Arbeitsgruppe werden wir Schritt für Schritt umsetzen. Wir setzen uns dafür ein, daß die Gebärdensprache im Fernsehen verstärkt angeboten wird und vermehrt Sendungen mit Untertiteln ausgestrahlt werden.
Wir werden mit 600.000 DM aus dem Arbeitsmarkt- und Sozialfonds ein Bayerisches Institut für Gehörlosenfragengründen. Hier sollen Gebärdensprachdolmetscher ausgebildet, Kursangebote in Gebärdensprache entwickelt und Rahmenvereinbarungen zur Finanzierung von Gehörlosendolmetscher- Einsätzen erarbeitet werden.
Wir werden den Anteil von Schwerbehinderten im Öffentlichen Dienst erhöhen. Dazu wollen wir auch in Zukunft eine bestimmte Anzahl freier und freiwerdender Stellen ausschließlich der Einstellung zusätzlicher Schwerbehinderter vorbehalten und dies gesetzlich verankern. Die entsprechende Regelung des Art. 6 c des Bayerischen Haushaltsgesetzes wird zu diesem Zweck über den Doppelhaushalt 1997/98 hinaus fortgeführt.
Um eine authentischere Sicht der Probleme der Behinderten zu bekommen, wird die Staatsregierung einen Behindertenbeauftragten ernennen, der selbst behindert ist.