Vorwort des Schriftleiters 

Gerhard WolfLiebe Leserin, lieber Leser,

auf der Titelseite ist eine Abbildung eines der vielen Gemälde vom Künstler René Magritte. Das Bild entstand kurz vor seinem Tod 1967. Der belgische Maler René Magritte ist zu einem typischen Vertreter des veristischen Surrealismus geworden, der die banalen (= unbedeutenden) Dinge des Alltags, naturalistisch (= naturgetreu) im Detail, verfremdet unabhängig von Schwerkraft und Zeit wiedergibt. "Veristisch" bedeutet wirklichkeitsgetreue künstlerische Darstellung. "Surrealismus" bedeutet das Traumhaft-Unbewußte künstlerisch darstellen. Magritte malte auch unter anderem: "Brotlaibe schweben wie Wolken durch die Luft", "Ein Haus im Garten unter tiefblauem Himmel, aber mit brennender Lampe an der Haustür, als ob es Nacht wäre. Das ist absichtlich Widersprüchliches in seinen Gemälden. Das Titelbild mit dem darunter liegenden vergleichenden Text soll den Hörenden verdeutlichen, wie oft die Gehörlosen in ihrer Lebenslaufbahn hinsichtlich der Gefühle und Erlebnisse frustrierende Erfahrungen machen mußten.

Die Nürnberger Evangelische Gehörlosengemeinde gehört zu einem der ersten Pioniere (= Vorkämpfer) in Deutschland, die sich Gedanken um die geistige Förderung der Kleinkinder gemacht und es in die Tat umgesetzt hat. Es ist ein außerordentlich wichtiger Schritt für die Persönlichkeitsentwicklung eines jungen Menschen, was die einseitige, an sich gute Frühförderung der Gehörlosenpädagogik nicht richtig einschätzen konnte oder wollte. Näheres in dieser Ausgabe unter "Der barmherzige Samariter".

Wie die Gehörlosenseelsorge in Bayern im Gehörlosenbereich agiert, zeigt der folgende Auszug aus ihrem Jahresbericht 1997:

Die Zusammenarbeit mit den meisten Gehörlosenvereinen ist gut. In speziellen Fällen tauchen natürlich auch immer wieder Probleme auf. Ein wichtiger Punkt ist für die Gehörlosenvereine der Kampf um die Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache (DGS). Nachdem in den bayerischen Schulen die Deutsche Gebärdensprache mehr oder minder abgelehnt und die Lautsprachbegleitende Gebärde (LBG) nur wenig bis selten eingesetzt wird, müssen hier notwendigerweise Konflikte entstehen. Die Gehörlosenseelsorge kann sich hier nicht mehr neutral verhalten. Wir alle sind zu der Überzeugung gekommen, daß die DGS als eigenständige Sprache mit eigener Grammatik als eine hervorragende Kommunikationsbasis im Gehörlosenbereich angewendet werden muß. Gleichzeitig ist zu beachten, da sie ja in der Schule niemals gelehrt und bis heute nicht gelehrt wird, daß die älteren Gehörlosen mit der DGS nichts anfangen können. Das bedeutet in der Arbeit mit den Vereinen und Gemeinden immer die gemeinsame Kommunikationsbasis zu finden. Ganz klar ist bei uns in der Gemeinde mit den Jüngeren, in der Jugend und in den Familien DGS die Kommunikationsform. Bei den Älteren ist LBG im Mittelpunkt. Wir haben darauf zu achten, keine Spaltung in der Gehörlosengemeinschaft hervorzurufen. Zur Ausbildung bedienen wir uns gehörloser Gebärdenkurslehrer/innen, die in unserem Hause immer wieder solche Gebärdenkurse anbieten. Mit verschiedenen Vereinen, die sich als Elterninitiative um Gehörlosenarbeit bemühen, halten wir Kontakt und versuchen, engere Zusammenarbeit zu betreiben.

Es ist anerkennenswert!

Ebenfalls auch aktiv ist die Katholische Gehörlosenseelsorge in Frankfurt/Main. Sie arbeitet eng mit der Universität Frankfurt/Main in der Forschung für die DGS. Mehr auch in dieser Ausgabe unter "DGS ohne Mundbild"? Ein doppelter Denkfehler!

Gerhard Wolf (gl), Schriftleiter
 
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