(Computer-) Power to the Deaf! (3)
hörgeschädigte kinder 3/96, S. 134 ff
Das Lernprogramm "ADI Deutsch" für Klasse 1 + 2

Sie haben ein hörgeschädigtes Kind, und Sie besitzen einen PC. Ihr Kind hat aufgrund seines Hörschadens Defizite. Diese Defizite treten am deutlichsten in der Beherrschung der deutschen Sprache zum Vorschein. Da liegt es doch nahe, den PC zur Kompensierung dieser Defizite einzusetzen. Fehlt nur noch die passende Software. Sie gehen also in die Computerabteilung des nächstbesten Warenhauses und schauen sich um. Da stoßen Sie auf eine unübersehbare Flut von Spielen und Programmen. In bezug auf Lernsoftware sieht es schon etwas dürftiger aus, aber immerhin gibt es da eine sehr vielversprechende und seriös wirkende Serie von Programmen für die Grundschule: ADI. ADI gibt es für Deutsch 1. und 2. Schuljahr, Deutsch 3. und 4. Schuljahr, Mathematik 1. und 2. Schuljahr und als "Junior"-Ausgabe für Rechnen und Lesen im Vorschulalter. Eine wirklich komplett wirkende Serie, deren Qualität nicht zuletzt durch den stolzen Preis von DM 99,- pro CD-ROM unterstrichen wird. Bevor Sie so viel Geld anlegen, möchten Sie das Programm am liebsten einmal ausprobieren. Wer kauft schon gerne die Katze im Sack? Aber die Zeiten, in denen man sich eine Schallplatte vor dem Kauf probeweise anhören konnte, sind definitiv vorbei. Wie auch? Sollte die Originalverpackung geöffnet werden und das Programm von der CD-ROM auf einem Rechner im Warenhaus installiert werden? Und dann fehlt womöglich die richtige Soundkarte oder der richtige Treiber. Nein, diese Prozedur dürfen Sie zu Hause allein auskosten. Sie wollen trotzdem nicht die Katze im Sack kaufen und sich vorher informieren. Also lesen Sie wenigstens die Beschreibung auf der Packung. "Spielerisch lernen", "Abgestimmt auf die Lehrpläne der deutschen Bundesländer für das Fach Deutsch", "Europas erfolgreichstes Lernprogramm jetzt auch in Deutschland" - ein wenig marktschreierisch, aber es muß ja wohl was dran sein. "ADI ist ein schulbegleitendes Lernprogramm mit

 

      Eigentlich wollten Sie Ihr Kind doch nur beim Deutschlernen unterstützen, denken Sie jetzt vielleicht. Aber was soll's! Wenn es denn gleich so viele Beigaben dazu gibt, und vor allem, wenn Ihr Kind spielerisch lernen kann - sei's drum! Doch halt, da gab es doch mal einen Test von Lernprogrammen in der Zeitschrift "Familie & Computer" (die mittlerweile leider eingestellt wurde). Vorsichtshalber lesen Sie zu Hause noch einmal in Ruhe nach. Zu "ADI Mathe" finden Sie den Kommentar: "ADI läßt Kinderaugen leuchten: Selten zuvor war eine Mathestunde so spritzig und quirlig. Es rumpelt und boingt, daß es eine Freude ist. Gelernt wird nebenbei auch... " Und dann wird eine Zensur erteilt: 1 - sehr gut!

Die gleiche Beurteilung erfahren alle ADI-Programme. Auch "ADI Deutsch" für Klasse 1 und 2 ist laut Zeitschrift "Familie & Computer" sehr gut. Kommentar: "ADI im gleichen Gewand wie zur Mathestunde: Deutschunterricht! Die Silberscheibe begleitet Kids durch ein Schuljahr und bleibt dem offiziellen Lehrplan treu. Feine Sache. Es wird gespielt und ein Lexikon mit Videoszenen aufgeschlagen."

Bei so überschwenglichem Lob einer unabhängigen Zeitschrift sind Ihre letzten Zweifel beseitigt, und Sie sind sicher, den Hunderter gut anzulegen.

Nachdem Sie das Programm erfolgreich installiert haben, schreiten Sie erwartungsvoll zum Start. Sie werden begrüßt mit der verblüffenden Aufforderung: "Wir sollten uns vorstellen. Wähle ein Gesicht aus!" Merkwürdige Art der Vorstellung! Sie haben das Gefühl, die Stimme schon einmal gehört zu haben. Ein deutscher Schauspieler oder Synchronsprecher? Irgendwie pumucklmäßig, aber der ist es nicht. Ob Kinder diese verquetschten Kasper- oder Comicstimmen wirklich so lieben? Na, Ihrem hörgeschädigten Kind kann es ohnehin gleich sein. Vielleicht versteht es auch ohne die akustische Aufforderung, daß es aus Nasen, Ohren, Augen, Mündern und Haaren ein witziges Gesicht zusammensetzen soll. Die sehen ganz witzig aus, und auf diese Art kann man sich eine neue Identität verschaffen. So ganz nebenbei wird hier nämlich der Schlüssel zu einer persönlichen Akte geschaffen, in der sämtliche Daten, vor allem der individuelle Lernfortschritt, gespeichert werden. Aber das braucht man einem Erstklässler ja wirklich nicht zu erklären.

Sie gehen durch die obligatorische Ausgangstür (Mausklick auf Türsymbol) und kommen in ein bemerkenswert ausgestattetes Zimmer. Auf einem Bildschirm sehen und hören Sie erstmals ADI. Kommentar meines vierjährigen Sohnes: "Warum ist der denn nackt?" Na, weil er doch ein Außerirdischer ist. Und Außerirdische sind ja wohl mindestens so beliebt bei Kindern wie Dinos es noch vor kurzem waren. "Guten Tag! Nanu, in welche komische Kiste bin ich denn hier gefallen? Seitdem ich hier ganz allein bin, langweile ich mich zu Tode. Warum siehst du mich denn so komisch an? (Also wenn hier einer komisch guckt, dann ja wohl ADI! Ob eine Zeichentrickfigur, die so abartige Grimassen macht, für Kinder ansprechend ist?) Du bist wohl erstaunt, mich hier wiederzufinden. Ich bin sehr erstaunt, dich hier anzutreffen. Wer bist du? Wie heißt du?" (Es folgt die Eingabeaufforderung für den Namen.) Mal abgesehen davon, daß dieser Monolog ausschließlich auf der akustischen Schiene abläuft - Ihrem hörgeschädigten Kind also erspart bleibt - was soll der Quatsch mit der komischen Kiste, mit der Langeweile und dem Erstaunen über das Wiederfinden?

Der erste Eindruck fällt ein wenig anders aus als die Lobhudelei der Fachpresse. Aber wahrscheinlich würden Kinder ganz anders urteilen als Sie. Und sind diese ästhetischen Kriterien in bezug auf Stimme und Aussehen ADIs nicht nebensächlich? Versuchen wir doch mal, uns ein sachliches Urteil zu bilden!

Nach der Vorstellungszeremonie erläutert ADI dann die verschiedenen Tasten. Natürlich alles wieder auf dem akustischen Kanal. Macht ja nichts! Erstens ist hier ohnehin alles so simpel strukturiert, daß Ihr Kind sich auch so zurechtfindet, und zum anderen können Sie am Anfang ja ein wenig helfen. Es macht Sie stutzig, daß von den 8 Tasten nur eine zum eigentlichen Lernprogramm führt? Nun ja, "spielerisch lernen" ist halt die Devise. Hier stoßen wir schon auf eine grundlegende pädagogische Fragestellung, die der Motivation. (ADI: "Übrigens, ich sollte dir vielleicht sagen, daß du Zugang zu neuen Spielen haben wirst, wenn du deinen Punktestand erhöhst.") Lernen, weil das Lernen Spaß macht oder für wichtig gehalten wird? Utopisch und unrealistisch! Welches Kind will denn schon lernen? Kinder wollen doch nur spielen, oder? Also wird das Lernen eben als Nebenprodukt verkauft, oder es wird als Hürde benutzt, die man überwinden muß, um anschließend spielen zu dürfen. Sekundäre Motivation wird so etwas unter Pädagogen genannt. Und die scheint das Grundprinzip von ADI zu sein. ADI tritt als Ersatzlehrer auf und winkt mit dem Zuckerbrot. Die Peitsche besteht nur in der Verweigerung von Spielzugängen, wenn man noch nicht genug gelernt hat. Ist doch human, oder? Jedenfalls entspricht das Prinzip dem unserer Leistungsgesellschaft.

"Ich heiße ADI. Du ahnst bestimmt schon, daß ich nicht vom selben Planeten komme wie du. Ich komme von der Sternschnuppe M 823. Das weiß ich, weil ich es in dem großen Buch dort gelesen habe. M 823 ist ein Teil dessen, was du sicher als Sternenstaub bezeichnest. Es schwebt in der Galaxie und wird durch kosmische Winde vorangetrieben. Deshalb sind auch wir Bewohner der Sternschnuppen ein Nomadenvolk. Nomaden wie ich leben ohne Zeit. Und du? Erinnerst du dich noch an dein Geburtsdatum?" Aha, darum die lange Vorrede! Es geht um die Eingabeaufforderung für das Geburtsdatum. Aber "Galaxie", "kosmische Winde" und "Nomadenvolk" - entspricht das wirklich dem Wortschatz eines Erstklässlers? Selbst normalhörende Erstklässler dürften mit diesen Vokabeln hoffnungslos überfordert sein.

Schon wieder schleicht sich bei Ihnen Skepsis ein? Na, dann lesen Sie doch einmal im Benutzerhandbuch nach! "COKTEL VISION, das ist einmal ein Team von mehr als 100 Mitarbeitern.... COKTEL VISION ist aber auch eine Gruppe von Lehrern, die, begeistert von unseren Projekten, von Anfang an ihre pädagogischen Erfahrungen und ihre gründlichen Kenntnisse im Bereich der Lernprogramme an uns herangetragen haben." Na, dann können Sie doch ganz beruhigt sein! Wenn eine ganze Gruppe von Lehrern beteiligt war, muß die pädagogische Seite doch O.K. sein!

Nach der Erläuterung der verschiedenen Tasten - um darauf zurückzukommen - kann man erst einmal auf dem Bildschirm herumklicken, um einige (wenige) Animationen oder Sounds ablaufen zu lassen. Über Geschmack läßt sich streiten, aber Animationen und Sound sind nach meinem Empfinden auf dem Niveau der sattsam bekannten Comic-Massenproduktionen, die von den privaten Fernsehsendern täglich geboten werden. Und wieder die Frage, ob Kids darauf abfahren? Mit der Klickerei kann man dann auch noch einige Grundeinstellungen vornehmen. Welche Tapeten soll das Zimmer haben, welch Blumen möchte man aufstellen und welcher Hintergrundsound soll ständig abdudeln? Vogelgezwitscher, Wellenrauschen mit Möwengekreisch, Krähen eines Hahns, Uhrenticken mit Katzenjaulen, eine heulende Eule oder gar absolute Stille - mal abgesehen von ADIs ständigem Gequassel, das sich nicht abschalten läßt.

Dieses Gequassel ist schon aufschlußreich und verrät einiges über die Pädagogen, die an diesem Programm mitgewirkt haben (sofern es denn stimmt!). ADI rühmt sich ja unter anderem, ein interaktives Programm zu sein. Auf Aktionen des Kindes müssen also angemessene Reaktionen ADIs folgen. Wenn man gleich zu Beginn eine Pause einlegt, kommen von ADI folgende Kommentare: "Sag mal, du hast aber schon lange kein Zeichen mehr von dir gegeben." "Ich bin sicher, daß du Lust hast, mit mir ein bißchen zu sprechen." (Absoluter Blödsinn, hören kann ADI nun beim besten Willen nicht, und es gibt anschließend auch nicht den Ansatz eines Dialogs.) "Du bist wohl auf dem Mond. Apropos Mond, wußtest Du, daß der Mond vierhundertmal kleiner ist als die Sonne, d.h. daß die Sonne vierhundertmal größer ist als der Mond." Als Pausenfüller eine wichtige Information. Nur, was kann sich ein Zweitklässler, der gerade mal eben bis 100 rechnen kann, unter "vierhundertmal größer als der Mond" vorstellen? "Was ist denn los, hast du mich vergessen? Nein, ich schlafe nicht, ich döse vor mich hin. Das ist etwas anderes." Nur gut, daß ADI dösend auf uns wartet! "Alles ist vergänglich, und wenn wir über etwas Anderes sprächen? Unser Chef ist Fußballfan. Er sagt immer, Anpfiff ist die beste Verteidigung." Das Sprachniveau von Erst- oder Zweitklässlern? Welcher Erst- oder Zweitklässler kennt die Redensart "Angriff ist die beste Verteidigung"? Und wie soll er dann die Verballhornung mit "Anpfiff" verstehen? Daß die Autoren nicht die geringste Vorstellung von Kind- und Altersgemäßheit haben, wird an einer Reihe von Witzen deutlich, die völlig unmotiviert und willkürlich eingestreut werden.

Witze:
"Ich habe es satt, mit einem so geizigen Mann verheiratet zu sein. Hier ist der Ring!" - "Und wo ist der Geschenkkarton?"

"Sag mal, ist der Mond eigentlich bewohnt?" - "Natürlich, er ist jeden Abend beleuchtet."

Zwei Gefangene unterhalten sich: "Warum bist du im Gefängnis?" "Ich habe einen ungedeckten Scheck ausgestellt. Und du?" "Ich habe ohne Scheck eingekauft."

Eine Seife fragt die andere: "Wie kannst du nur so viel abnehmen?" "Ich bade mich jeden Tag!" 

Klickt man nur das Bild ADIs einige Male hintereinander an, merkt man schnell, wes Geistes Kind er ist und was sich hinter der freundlichen pädagogisierenden Fassade verbirgt:
"ADI, immer bereit, immer zur Hilfe."

"Du möchtest wohl wissen, wie ich auf diese Erde gekommen bin. Also, mein Haus folgt dem Rhythmus des Systems, das ich durchquere."

"Wenn du erlaubst, werde ich jetzt aus einem Wörterbuch der fünfziger Jahre zitieren: Computer: Maschine mit Binärsystem."

"Hör endlich auf, du weißt doch, daß ich kitzlig bin."

"Langsam beginnst du, mir auf die Nerven zu gehen."

anschließend:

"Also Kopf hoch, und ein bißchen Mut. Ich habe den Eindruck, daß du abwesend bist."

anschließend:

"Was ist denn los, hast du mich vergessen?"

anschließend:

"Ist es nicht Zeit, ein Mittagsschläfchen zu halten? Das dachte ich mir doch!"

"Was für ein verrückter Klicker bist du denn? Du solltest dich beruhigen." 

Wirklich beruhigend, ADI ist also auch nur ein Mensch, dem man auf die Nerven gehen kann. Aber muß er mich gleich als "verrückten Klicker" bezeichnen? Schlimmer noch als die altkluge und völlig unkindliche Ausdrucksweise ist jedoch die völlig unlogische Aufeinanderfolge von Äußerungen. Das Kind bekommt abwechseln heiße und kalte emotionale Duschen. Zu ein und derselben Aktion gibt es Anerkennung und Verriß hintereinander. Ist ADI etwa schizophren? Für Kinder ist er jedenfalls unzumutbar. Die computergesteuerte Interaktion ist mehr als mangelhaft. Aber all das geht ja glücklicherweise an Ihrem hörgeschädigten Kind vorbei. Sehen wir uns endlich das eigentliche Lernprogramm an!

Auf den ersten Blick eine überwältigende Fülle von Übungsmöglichkeiten. Nehmen wir nur das Lernprogramm für das 2. Schuljahr. Da geht es vom sinnerfassenden Lesen über Sprachbetrachtung und Rechtschreiben bis hin zur Sprachgestaltung. Und für jede Abteilung gibt es Dutzende von Übungen. Die Rückmeldungen zum Ergebnis der Übung (falsch/richtig) sind sowohl akustischer als auch visueller Art. Es laufen nach jeder Aufgabe kleine Animationen ab, die "falsch" oder "richtig" verdeutlichen. Hier also etwas, was auch für Hörgeschädigte vorteilhaft ist.

Im Benutzerhandbuch wird das Neue am ADI-Konzept so gepriesen: "Im Gegensatz zur Mehrheit der zur Zeit erhältlichen Lernprogramme ist ADI kein einfaches Frage- und Antwortspiel. ADI vermittelt nicht nur Wissen und korrigiert die Fehler in den Übungen, sondern lehrt das Kind auch, selbständig zu arbeiten..." Ein sehr hoch gestecktes Ziel. De facto sind die Aufgaben überwiegend multiple-choice-Aufgaben. Das Kind muß die richtige Antwort durch Klicken auswählen. Dabei handelt es sich dann um Buchstaben, Wörter oder Teile von Wörtern, Satzteile oder auch Bilder, die in die richtige Reihenfolge gebracht werden müssen, damit sie eine sinnvolle Geschichte ergeben. Insofern gibt es bei ADI wirklich nicht das herkömmliche Frage- und Antwortspiel, aber über falsch/richtig geht es eben auch nicht hinaus. Es wäre allerdings auch zu viel erwartet, wollte man echte Kreativität in ein Computerprogramm mit einbeziehen. Aber wie sieht es mit der Selbständigkeit aus? Diese Frage wird im Zusammenhang mit den Arbeitsanweisungen noch erörtert werden müssen.

Bei der Arbeit gibt es ständig die Kommentare ADIs. Beeindruckend ist das Repertoire an unterschiedlichen Äußerungen. Trotzdem werden sie nach einer gewissen Zeit nervtötend, da man das seelenlose Programm im Hintergrund spürt und nicht zuletzt wegen der verkinschten Quäkestimme ADIs. Bemerkenswert ist aber auch hier die Ausdrucksweise ADIs. Die Kästen "Lob" und "Tadel" verdeutlichen, wie wenig kindgemäß auch hier vorgegangen wurde.

Lob:
"Du bist wirklich in Form. Nichts bleibt von dir verschont."
"Du kannst es schon."
"Ich freue mich für dich!"
"So was von gut!" 
"Der Hammer!" 
"Dein Eifer gefällt mir. Du bist außergewöhnlich." 
"Das ist super! Hör nicht auf, wenn du gerade so gut in Form bist!" 
sofort anschließend:
"Also jetzt machen wir aber eine kleine Pause."
"Das ist genial!" 
"Das ist ausgezeichnet. Mach nur so weiter!"
"Du bist vielleicht in Form! Das gefällt mir so."
"Das Ende war nicht so toll, aber die anderen Antworten waren richtig." 
"Also da bleibt sogar dem Außerirdischen die Sprache weg. Nur weiter so!" 
"Mein Kompliment. Man kann dich in deinem Eifer gar nicht mehr aufhalten." 
"Ich bin stolz auf dich. Du bist wirklich der Beste."
"Es gibt für mich nichts Schöneres, als mit dir zusammenzuarbeiten."
"Du hast vielleicht Talent! Bewundernswert!"
"Wunderbar! Du kannst stolz auf dich sein."
"Also das war wirklich super. Wir sollten jetzt zu spielen aufhören." (Mitten in der Arbeit!!!)
"Wenn du so weitermachst, gehen mir bald meine Komplimente aus."
"Du bist ja heute in Form - im Gegensatz zu mir!"
"So langsam kommt's schon. Nur Mut!"
 

Wenn ADI denn den Lehrer vertreten soll: Man stelle sich einen Lehrer vor, der im Unterricht äußert: "Es gibt für mich nichts Schöneres, als mit dir zusammenzuarbeiten." Geradezu peinlich! Und wer schon einmal Menschen begegnet ist, die lebenslänglich darunter leiden, daß ihre Eltern ja nicht stolz auf sie sein können, weiß, wie gefährlich ein Lob wie dieses sein kann: "Wunderbar! Du kannst stolz auf dich sein!" Unangenehm moralinsauer ist auch mancher Tadel.

Tadel:
"Hee! Das doch nicht!"

"Falsch! Wirklich total falsch!"

"Gut, beim nächsten Mal wirst du mich vielleicht ins Staunen versetzen."

"Also das ist überhaupt nicht richtig!"

"Ich habe das Gefühl, du hast noch einige Schwächen."

"Wir sollten besser mal tief durchatmen."

"Du hast 'nen Fehler gemacht, Kleiner!"

"Ich hab schon was Besseres von dir gesehn. Nur die Hoffnung nicht aufgeben!"

"Nur ein kleiner Vorschlag: Willst du nicht mal in der Hilfe nachsehn?"

"Moment mal, wenn es zu schwierig wird, sieh in der Hilfe nach!"

"Ich weiß, daß du mir nicht glaubst, aber ich gebe dir immer guten Rat."

"So, jetzt konzentriere dich mal! Du kannst auch in der Hilfe nachsehen."

"Du bist einfach zu dickköpfig. Pech für dich!"

"Bevor du noch Stunden an dieser Aufgabe sitzt, versuch doch mal die nächste!"

"So toll ist das nicht. Gib mir schnell 'ne andere Antwort!" (keine Wiederholung folgt, sondern nächste Aufgabe)

"Du bist unermüdlich. Ich möchte mich jetzt ausruhen."

"Trotz des kleinen Ausrutschers am Ende darfst du weitermachen. - Es ist genial!"

"Ein bißchen zu spät, um die Fehler am Ende aufzuholen."

"Das Ende war nicht so toll, aber die anderen Antworten waren richtig. Seltsam!"

"Siehst du, wenn du mir zuhörst, wird alles besser."

"Hast du Probleme? Du kannst ja zur nächsten Übung übergehen, weißt du?"

"Was sehe ich da? Fehler! - Also wir arbeiten an derselben Übung weiter."

"Drücken wir mal ein Auge zu!"

"Ich bin nicht sehr stolz auf dich. Hör mir doch zu!" 

Da registriert ADI also tatsächlich, ob ich am Anfang oder am Ende Fehler gemacht habe, und er reagiert entsprechend. Aber obwohl ich meinen Namen anfangs verraten habe, weiß ADI natürlich nicht, ob ich Junge oder Mädchen bin. Deshalb bekommen auch Mädchen den Tadel "Du hast 'nen Fehler gemacht, Kleiner!" zu hören. Das dürfte manche Frauen nicht sonderlich erfreuen. Und wieso ich "einfach zu dickköpfig" bin, weil ich einen Fehler gemacht habe, leuchtet mir nicht ein. Vielleicht hätte ich ADI um Hilfe bitten sollen? Immerhin hatte er es mir ja einige Male angeboten.
Hilfe:
"Vergiß mich nicht! Ich bin da, um Dir zu helfen."
"Ach ja, habe ich dir eigentlich schon das Sinnbild für die Hilfe vorgestellt?"
"Moment mal, wenn es zu schwierig wird, sieh in der Hilfe nach!" 
"Ich weiß, daß du mir nicht glaubst, aber ich gebe dir immer guten Rat."
"Siehst du, wenn du mir zuhörst, wird alles besser."
"Wenn du es nicht alleine schaffst, kann ich dir eine Hilfestellung geben." 
"Vergiß mich nicht, ich bin da, um dir zu helfen."
"Du kannst mir nicht weismachen, daß du die Hilfe durchgelesen hast."
"Hast du nicht einige Zeilen übersprungen, als du die Hilfe gelesen hast? Sieh mal nach!"
"Wähle aus und bestätige!"
"Vergiß mich nicht! Ich bin da, um Dir zu helfen." Dieser Hinweis verleitet dazu, ADI anzuklicken. Wie sonst sollte man seine Hilfe in Anspruch nehmen? Es geschieht aber nichts. ADI bleibt in diesem Fall stumm (himmlisch!). Aber woher bekommt man die Hilfe? Nur durch die Taste mit dem großen Fragezeichen. Klickt man sie an, werden schriftliche Erläuterungen in einem Textfeld eingeblendet. Eine solche schriftliche Hilfe sieht beispielsweise so aus: "Jeder Satz hat einen Sinn. Stelle dir den Satz bildlich vor. Denke dabei an deine eigenen Erfahrungen. Wenn du glaubst, daß die Frage stimmt, mußt du mit ja antworten." Schön, daß in unserem Fall hörgeschädigte Kinder die Hilfe über den visuellen Kanal angeboten bekommen. Aber was sollen sie damit anfangen, wenn der Text so schwer verständlich ist, daß selbst hörende Altersgenossen kaum eine Chance haben, ihn zu verstehen?

 

Die minimale Anforderung an ein Lernprogramm dürfe wohl die sein, daß es inhaltlich, und da es hier um ein Deutsch-Lernprogramm geht, sprachlich korrekt ist. Hier einige Beispiele:

 

"Ich brauche keinen Benzin und mache keinen Lärm. Aber du brauchst Kraft, um die Pedale zu treten."
"Wer schustert das Loch zu?"
"Wer hobelt glatt den Tisch?"
"Wie heißt der komische Vogel, der uns anzeigt, woher der Wind kommt?"
"In die Nase steigt der Duft, und wir schnuppern in die Lufte."
"Die Seife ist duftig."
"Nein, nichts bestimmtes."
"Klaus und Claudia erzählen sich ihre Ferien."
"Es gibt nichts schöneres als Kamelwellen."
"Bevor wir den Obstsalat einkaufen, müssen wir verschiedene Obstorten einkaufen."
- Hier erübrigt sich wohl jeder Kommentar.

Ein weiteres Kriterium für die pädagogische Eignung sind Verständlichkeit und Eindeutigkeit von Arbeitsanweisungen. Da die Programme für das 1. und 2. Schuljahr gedacht sind, müssen Wortwahl und Darbietungsweise den Fähigkeiten von Schülern dieses Alters entsprechen. Konkret: Der Wortschatz ist beschränkt, und die Kinder können noch nicht oder noch nicht perfekt lesen. Befremdlich ist es da schon, daß grundsätzlich alle Arbeitsanweisungen in schriftlicher Form dargeboten werden. Und wenn man dann die Formulierungen liest, zweifelt man am Verstand der angeblichen Pädagogen. Beispiel für das 1. Schuljahr: "Negativsatz, ja (-) oder nein (+). Klicke das richtige Symbol an. Aufgabe: Fliegen können nicht schwimmen. (+) (-)" Welcher Erstklässler kennt die Begriffe "Negativsatz" und "Symbol"? Welcher Erstklässler kann diesen Text überhaupt lesen? Dazu diese Verwirrung: Zu "ja" gehört das Minuszeichen und umgekehrt. So sind nicht alle Arbeitsanweisungen, aber das Beispiel ist durchaus keine Ausnahme.

Was würden Sie unter einem großen Buchstaben verstehen und was unter einem kleinen? Sehen sie sich einmal das Bildschirmfoto an! "N" ist ein großer Buchstabe, und "N" ein kleiner! Dafür müssen in einer anderen Übung Wochentage anhand von großen und kleinen Buchstaben erraten werden.

"PoooPop" steht für "Samstag". Wieso? Na, weil "t" doch ein großer Buchstabe ist! Nicht gewußt? (Gemeint sind Ober- und Unterlängen.) Wie hier knirscht es oft sehr laut im methodisch-didaktischen Getriebe dieser Programme. Man hört es nur nicht, weil ja ständig im Hintergrund die Vögel zwitschern. Aber im Ernst: Wenn die Kinder die Arbeitsanweisungen nicht lesen oder nicht verstehen können, wie sollen sie dann zur Selbständigkeit erzogen werden - wie es im Konzept von ADI gepriesen wird?

Hinter der hypermodernen Multimediafassade verbirgt sich eine Lebensanschauung, die aus dem vorigen Jahrhundert stammen muß. Da gibt es Beispielsätze wie "Die Lehrerin befiehlt..." oder eine komplette Übung, in der die Kinder das falsche Deutsch von Ausländern korrigieren müssen. Mädchen scheinen als Konsumenten nicht in Betracht gezogen worden zu sein. Das methodische Konzept ist an vielen Stellen mehr als fragwürdig, und schlichte Deutschfehler kommen zu häufig vor. Da hilft es auch nicht, wenn es "spritzig und quirlig ... rumpelt und boingt, daß es eine Freude ist". Vom pädagogischen Standpunkt her ist diese Programmserie nie und nimmer "sehr gut". Eine 5 wäre die angemessenere Note.

In den Mülleimer mit dem Schrott? Mitnichten! Erstens habe ich natürlich die Schwachpunkte aufgedeckt und nicht die Vielzahl guter Ansätze dargestellt. Ich werde meine Kinder weiter mit ADI üben und spielen lassen. Nicht nur wegen des Hunderters; es sind auch einige wirklich gute Übungen dabei. Und zweitens: Man muß die Programme nehmen wie sie sind. Es gibt keine besseren. Oder etwa doch? Ja, und drittens ist da ja noch der ganze Firlefanz drumherum: Spiele, Mal- und Animationsprogramme u.s.w. Die scheinen zwar auf allen ADI-CD-ROMs gleich zu sein (insofern eine Geldschneiderei für denjenigen, der mehrere CDs aus der Serie kauft), aber die mögen die Kinder wirklich - auch wenn man ähnliche Programme anderswo billiger findet.

Falls Ihre Kinder beim "spielerischen Lernen" das Lernen dem Spielen vorziehen, dann müssen Sie sich eben selbst durch die Lernprogramme quälen, um Ihren Kindern den Zugang zu den Spielen zu ermöglichen. Für die Kinder also das Zuckerbrot und für Sie die Peitsche. Selber schuld! Warum kaufen Sie auch den ADI im Sack?

Anschrift des Verfassers:
rehling@taubenschlag.de

 

 

- Bernd Rehling - 1.1.98 -