Das Seminar "Didaktische, kommunikative und erzieherische Perspektiven des Computereinsatzes bei hörgeschädigten Kindern" fand in der Woche vom 6. - 10.10.1997 in der Schule Marcusallee, Schule für schwerhörige und gehörlose Kinder, in Bremen statt.
Am ersten Tag fand die Vorstellung fertiger Lernsoftware statt. Es handelte sich um die "Sammelmappe Ägypten", eine CD-ROM, die von Schülern der Klasse 8E mit Hilfe von Multimediaprogrammen erstellt worden ist, und um die "Vorstadtkrokodile", einen Verbund von HTML-Seiten mit ergänzenden Erläuterungen und Bildern. Anschließend wurde beraten, welches Projekt die Gruppe in den folgenden Tagen in Angriff nehmen wollte. Die Mehrheit entschied sich für ein Projekt auf der Basis von HTML-Seiten.
Eines solches Projekt hat folgende Vorteile:
- Es kann unverzüglich im Internet veröffentlicht
werden.
- Über das Internet kann auf das Projekt weltweit zugegriffen
werden.
- Das Projekt ist plattformunabhängig und läuft auf allen
Rechnern.
Der Funktionalität eines solchen "Lernprogramms" sind natürlich enge Grenzen gesetzt. Es kann naturgemäß nicht über ein (Bilder-) Buch mit ergänzenden Erläuterungen hinausgehen. (Erweiterte Funktionalität ist unter Einsatz von Java und anderen Ergänzungsprogrammen möglich, allerdings unter erheblich höherem Aufwand - der von Laien im Rahmen eines einwöchigen Seminars nicht zuleisten ist. Siehe z.B.: www.englishtown.com .)
Eine Studentin hatte kurzerhand die Initiative
ergriffen und sich eine Mini-Geschichte von Nili, dem Nilpferd,
ausgedacht. Diese Idee wurde von der Gruppe aufgegriffen und
ergänzt. An den folgenden vier Tagen wurde arbeitsteilig
vorgegangen: Es wurden
- Texte geschrieben
- Bilder am Computer gemalt
- Texte mit einem Texterkennungsprogramm eingescannt und
nachbearbeitet
- Texte sprachlich vereinfacht
- Erläuterungen geschrieben
- Bilder ausgewählt und eingescannt
- Bilder zu kleinen Animationen verarbeitet
- HTML-Seiten mit Rahmenlayout zusammengestellt
- das Internet nach Flußpferd-Seiten durchkämmt
- ein Gruppenfoto mit einer digitalen Kamera erstellt und
umformatiert.
Diese umfangreichen Arbeiten wurden von den
StudentInnen weitgehend selbständig ausgeführt. Lediglich
zu Beginn erfolgte eine Einführung in das Programm "Claris Home
Page" durch den Lehrbeauftragten. Ansonsten stand ich nur beratend
und helfend zur Verfügung. Die StudentInnen konnten die
Erfahrung machen, daß bei der schulischen Arbeit mit
Rechnern
- nicht nur technisches Knowhow, sondern auch
- KREATIVITÄT gefragt ist, daß
- das Projektziel nur arbeitsteilig
- und kooperativ zu erreichen ist, daß
- die Unterrichtsform zwangsläufig individualisiert und
differenziert wird und daß
- demzufolge jeder entsprechend seinen Fähigkeiten und seiner
Geschwindigkeit arbeitet.
Diese Erkenntnisse wurden nicht verbal doziert, sondern beim Tun erfahren. Als Krönung der intensiven Arbeit, bei der Pausen in den meisten Fällen ausfielen, gibt es jetzt das Gemeinschaftswerk "NILI", auf das die StudentInnen mit Recht stolz sein dürfen.
Das Projekt "NILI" verdeutlicht, daß einfache Sprachübungen mit relativ geringem Aufwand - verglichen mit professioneller Lernsoftware! - erstellt werden können. Insofern hoffen wir, Lehrern und Eltern eine Anregung geben zu können, wenngleich "NILI" natürlich nicht den Anspruch erheben kann, methodisch-didaktisch perfekt zu sein.
Als Lehrbeauftragter möchte ich anmerken, daß ich selten eine Gruppe mit solch umfangreichen Vorkenntnissen, einem derart ausgeprägten Gruppenverhalten und einer so starken Motivation und Arbeitshaltung kennengelernt habe.