15.06.99

Der Arsch mit Ohren

Kandidat Nr. 5 gibt Rückmeldung

Sehr geehrter Herr Rehling,

mein Name ist Stefan Schmidt, ich bin seit 18 Jahren Marketingleiter bei der Oticon GmbH in Hamburg. Ich könnte gut damit leben, wenn ich Ihre Negativ-Auszeichnung gewinnen würde, aber ich kann schlecht damit leben, wenn man mich der vorsätzlichen Diskriminierung bezichtigt. Deshalb mache ich mir die Mühe, mich konstruktiv mit Ihrer Kritik zu befassen:

Schwerhörigkeit/ Taubheit

Ein Problem, das mich in all den Jahren bei Oticon begleitet, ist der Umgang mit den verschiedenen Stufen des Hörvermögens. Audiologisch gibt es den Begriff der Taubheit nicht, aber es gibt auf der einen Seite der "Hörproblem-Skala" eine "an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit" und auf der anderen Seite "Verstehprobleme in bestimmten akustischen Situationen". Die Ansprache all dieser Menschen mit dem einen Begriff "schwerhörig" ist von unserer Seite her falsch. Aber Ihr entsprechendes Verständnis auch. Auch Sie tun so, als wären alle Schwerhörigen gleich, unabhängig von ihrem Hörvermögen. Das führt Sie meines Erachtens zu falschen Schlüssen – und vielleicht auch zu falschen Ärschen.

Bedarfsweckung

Sie empfinden es als eine fragwürdige Art der Bedarfsweckung in unserer Werbung, daß wir auch auf die Probleme des Umfelds schwerhöriger Menschen eingehen. Natürlich müssen Sie als Gehörloser dies als diskriminierend empfinden, denn Sie haben ja keine Möglichkeit, Ihrer Umwelt den Informations-Austausch zu erleichtern. So weit ist die Hörtechnik noch nicht.

Wenn Sie jedoch bereit wären anzuerkennen, daß wir nicht in jedem Druckerzeugnis die Differenzierung der verschiedenen Schwerhörigkeitsgrade vornehmen können, könnten Sie unseren Text auch wie folgt interpretieren:

Laut Deutsches Grünes Kreuz gibt es etwa 14 Millionen Schwerhörige in Deutschland. Davon sind bestenfalls 3 Millionen Menschen mit Hörgeräten versorgt, meist einohrig, also unzureichend (es sei denn, es handelt sich nur um einseitige Hörprobleme, was die Ausnahme ist). Es gibt viele Gründe, warum Bedarf und Versorgung so weit auseinander klaffen. Dabei spielt auch die Qualität vieler Hörgeräte bzw. Versorgungen eine Rolle. Hauptgrund ist jedoch die Stigmatisierung von Schwerhörigkeit. Millionen Menschen leben lieber mit stören-den und als belastend empfundenen Hörproblemen als mit Hörgeräten. Sie meinen damit als alt, unsportlich, geistig nicht mehr rege abgestempelt zu werden.

Ich weiß (!), daß viele dieser Menschen (mit leichten und mittleren Schwerhörigkeiten) ein erheblich leichteres Leben hätten, wenn Sie gute und gut angepaßte Hörgeräte benutzen würden. Gerade Oticon hat dazu zahlreiche Untersuchungen durchführen lassen. Aber die soziale Angst ist größer. Deshalb habe ich der sozialen Angst die soziale Verantwortung entgegen gestellt. Es läßt sich nun einmal nicht bestreiten, daß Gespräche mit diesen Menschen anstrengend sind – aber nicht sein müssen. Selbstverständlich gibt es Hörverluste, die mit Hörgeräten nicht entscheidend zu verbessern sind. Selbstverständlich ist es wunderbar, daß Menschen mit solchen Hörverlusten eine eigene Sprache, die Gebärden-sprache, entwickelt haben. Selbstverständlich gibt es keinen Grund, diese Kommunikations-form zu diskreditieren. Aber ebenso selbstverständlich ist es für mich, daß man den Menschen, mit denen man täglich umgeht, Vorformen des Gebärdens erspart, wenn dies möglich ist.
 
 
 
 

Unlautere Werbung

Sie behaupten, unsere Werbung sei unlauter, weil sie eine Normalisierung des Hörens mit Hilfe von Hörgeräten verspreche und die Notwendigkeit weiterer Hilfsmittel verschweige. Ich denke auch hier liegt der Hase wieder in der Vielzahl von Schwerhörigkeiten im Pfeffer begraben. Ich verspreche Ihnen, ich kenne persönlich eine Reihe von Oticon-Hörgeräte-Trägern, die angesichts einer erheblichen Schwerhörigkeit behaupten, daß sich Ihr Leben entscheidend verbessert habe, seit sie Hörgeräte tragen. Sie können sich in Restaurants mit Hintergrundmusik unterhalten, hören den Schulbus vor dem Haus vorfahren, verstehen den Lehrer ohne Zusatzeinrichtung, hören Türklingel und Telefon, hören ihren eigenen Atem, haben neue Freude an Musik usw.

Diese eindrucksvollen Erfahrungen (denen natürlich auch Enttäuschungen gegenüber stehen) haben mich so lange in diesem Beruf gehalten.

Wenn Sie nun sagen, die werden aber morgens den Wecker nicht hören, weil sie nachts die Hörgeräte ablegen, dann haben Sie recht. Aber ich hoffe, das ist nicht unser Thema, wenn wir über die Verbesserung der alltäglichen Kommunikation sprechen.

Fazit

Schwerhörigkeit, Hörgeräte und Anpassung sind komplexe Themen. Ich räume ein, daß wir, die bösen Werbewillis, diese Vielfältigkeit meist nicht beachten, wenn wir Werbung machen. Die Hauptgründe sind: 1. Werbung darf nicht zu kompliziert werden, 2. Werbetexte müssen möglichst kurz sein, 3. Wir wissen, daß wir gehörlosen und extrem schwerhörigen Menschen heute nicht (oder nicht ausreichend) helfen können – und daß diese Menschen das wissen.

Dies unterstellen wir bei unserer Werbung. Wir gehen von einem selektiven Verhalten der Werbekonsumenten aus: Die einen werden uns nicht wahrnehmen, weil sie keinen Bedarf oder keine Hoffnung haben, die anderen – und das werden meist die mit leichten oder mittleren Schwerhörigkeiten sein, werden uns ggfls wahrnehmen. Deshalb richtet sich unsere Ansprache an diese Gruppe.

Wenn Menschen wie Sie sich dadurch diskreditiert fühlen, muß ich mich dafür entschuldigen.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Stefan Schmidt