Am
30. April 1997 eröffnete das Institut "Monumenta Serica" und das "China-Zentrum"
im "Museum Haus Völker und Kulturen" im Kloster St. Augustin bei Bonn die
Ausstellung "Von Kaifeng... bis Shanghai - Juden in China". In einem Sonderteil
wurde das Werk des jüdischen gehörlosen Künstlers David Ludwig
Bloch, das während seines Exils von 1940-1949 in Shanghai entstand, besonders
gewürdigt.
Am 25. März 1910 wurde Bloch in der kleinen oberpfälzischen Gemeinde Floß geboren. Schon als Kleinkind verlor er das Gehör. Sehr früh wurden seine künstlerischen Begabungen erkannt und gefördert. Er besuchte die Landestaubstummenanstalt in München und eine Privatschule in Jena. Von 1925 bis 1930 absolvierte er eine Ausbildung als Porzellanmaler in Plankenhammer bei Floß und in Selb in Oberfranken. Er war stets bemüht, seine künstlerischen Talente auszubauen. Erste Werke, Aquarelle, die er 1937 während einer Radtour durch Deutschland (u.a. Hafenmotive aus Hamburg) schuf, fanden Beachtung, Anerkennung und brachten ihm einen ersten Erfolg. Bloch konnte diese Aquarelle bewahren und über die leidvollen Jahre retten.
Als einziger Gehörloser durfte er 1934 ein Studium an der Staatlichen Akademie für angewandte Kunst in München aufnehmen. Dort erlernte er u.a. bis 1938 die Technik des Holzschnittes, die er später zu meisterlicher Vollkommenheit ausbauen sollte.
Dem Juden David Ludwig Bloch wurde die nationalsozialistische Rassenpolitik zum Verhängnis. Er wurde 1938 von der Akademie verwiesen. Er versuchte nun, sich irgendwie "durchzuschlagen". Während der Reichspogromnacht im November 1938 wurde er von den Nazis verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Nach mehrwöchigen Drangsalierungen und Qualen konnte er gerettet werden. Sein in den USA lebender Bruder verhalf ihm zur Flucht nach Shanghai.
Warum gerade Shanghai als Zielort seiner Flucht? Die ostchinesische Hafenstadt war zu jener Zeit der einzige Zielort auf der Welt, in dem flüchtende europäische Juden kein Visum vorlegen mußten. So drängten sich 1940, als der 30jährige Bloch dort eintraf, nahezu 20.000 geflüchtete Juden aus ganz Europa in einem Ghetto zusammen. Wie alle anderen hatte auch Bloch unter den erschwerten Lebensbedingungen zu leiden: beengte Wohnverhältnisse, ungewohntes subtropisches Klima, Kulturschock, Hunger...
Trotz dieser Umstände entwickelte sich im Shanghaier Ghetto ein vielfältiges kulturelles Schaffen. Bloch wurde als Mitglied in die Vereinigung ARTA (Association of Jewish Artists and Lovers of Fine Art, Shanghai) aufgenommen. Hier fand er Anregungen und den Mut, sein Werk fortzusetzen. Nicht zuletzt verhalf ihm sein bis heute währender grenzenloser Optimismus über diese prekäre Phase hinweg. Durch Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen wurde er bekannt. Aber erst die Veröffentlichung des Zyklus "Rikschas", in dem er 60 Holzschnitte zeigte, verhalf ihm 1942 zu hohem künstlerischem Erfolg.
In den Jahren des Shanghaier Exils schuf Bloch aber auch eine Reihe von Aquarellen mit chinesischen Landschaftsmotiven und ein Ölgemälde von Shanghais bedeutender Uferpromenade.
Im Jahre 1946 lernte David Ludwig Bloch die gehörlose Chinesin Cheng Disia kennen. Sie heirateten. 1949 emigrierte das Ehepaar Bloch in die USA. Aus der Ehe sind zwei hörende Söhne hervorgegangen.
Bloch arbeitete in Mount Vernon, New York, als Kunstlithograph. Aber sein künstlerisches Schaffen gab er nicht auf. In Mount Vernon entstand u.a. der auch in Deutschland bekanntgewordene Acryl-Zyklus "Von A (Adolf Hitler) bis Z (Zyklon B)" sowie eine Vielzahl von Holocaust-Mahn-Holzschnitten.
Einige gehörlose Freunde David Ludwig Blochs glaubten, er sei durch die Nazis ermordet worden. Ja, selbst seine in Nürnberg lebende Tochter Lydia war von der Ermordung ihres Vaters überzeugt ...
Anläßlich einer von der bis dahin einzigen Gehörlosen-Synagoge, dem Temple Beth Solomon of the Deaf in Los Angeles, organisierten Vortragsreise (1983) wurde ich von David Ludwig Bloch in dessen Heim in Mount Vernon eingeladen. Blochs Persönlichkeit und sein bedeutendes künstlerisches Lebenswerk beeindruckten mich zutiefst. Auf meinen Wunsch hin erklärte sich Bloch spontan bereit, seinen Zyklus "Von A bis Z" (s.o.) in Bremen auszustellen. Der Ausstellung war ein großer Erfolg beschieden: Nicht nur die Medien, sondern auch die breite Öffentlichkeit nahmen sich der Persönlichkeit und des Schicksals des gehörlosen Künstlers an. Infolge dieser Bremer Ausstellung "Crying hands" kam es auch zu der Zusammenführung von Vater und Tochter. Seitdem ist die Tochter Blochs, Lydia Abel, mit enormer Tatkraft und großem Organisationstalent bemüht, das Lebenswerk ihres Vaters in Deutschland weiter bekanntzumachen. Mehrere Ausstellungen in deutschen Museen und Galerien sind ihr zu verdanken.
Die würdige Ausstellungseröffnung im Kloster St. Augustin und die feierliche Uberreichung des Buches "David Ludwig Bloch - Holzschnitte Shanghai 1940-1949" durch den Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignaz Bubis, waren der längstverdiente Dank an Lydia Abel. Die zahlreichen gehörlosen und hörenden Besucher der Ausstellungseröffnung - Gehörlosenlehrer Joachim Winkler aus Leipzig war gar mit einer kleinen Abordnung angereist - konnten die bewegende Dankesrede des Künstlers durch den Einsatz von Gebärdensprachdolmetscherinnen sehr gut verfolgen. David Ludwig Bloch dankte mit Nachdruck seiner Tochter, ohne deren immense Arbeit weder die Ausstellung noch das Buch* zustandegekommen wären.
Die Frankfurter Kunsthistorikerin Dr. Rosamunde Gräfin von der Schulenburg befaßte sich aus wissenschaftlicher Sicht eingehend mit den Shanghaier Holzschnitten David Ludwig Blochs. Sie betonte, daß Bloch in seinen 300 Holzschnitten ein einfühlsames und vielfältiges Panorama des chinesischen Alltags geschaffen habe:
"Die Zyklen zu den Themen 'Yin Yang', 'Chinesische Kinder', 'Rikschas'und 'Bettler' sowie diverse Motive - Gebäude, Stadtlandschaften, Straßenszenen, Personen - zeugen von Blochs einfühlsamer Beschäftigung und liebevoller Beobachtung seiner chinesischen Umgebung."
Die Kunsthistorikerin Dr. Schulenburg, die sich umfassend in das Werk Blochs eingearbeitet hat, führte weiter aus:
"Im Unterschied zu vielen anderen Flüchtlingen in Shanghai tauchte David Ludwig Bloch tief in das chinesische Leben ein. Er thematisierte in seinen Holzschnitten nicht das eigene Flüchtlingsschicksal, sondern die Randgruppen der chinesischen Gesellschaft, Rikschakulis und Bettler. In seine Anteilnahme an ihrer Mühsal - der Plackerei der Rikschakulis, den Verstümmelungen und Krankheiten der Bettler - mischt sich Bewunderung für ihre Überlebenskunst, z.B. den Einfallsreichtum der Bettler beim Kampf gegen Hunger und Kälte oder der Rikschakulis beim Transport vielfältigster Güter und beim Kampf um Fahrgäste. Liebevoll sind die Porträts chinesischer Kinder gestaltet, doch auch ihr Leben ist nicht frei von Widrigkeiten: So zeigt sie nur ein Teil der Holzschnitte beim unbeschwerten Spiel, die Mehrzahl hingegen in diversen Berufen, in denen sie sich verdingen mußten: als Schuhputzer, Verkäufer von Zeitungen, Schnürsenkeln und Lebensmitteln. Im Zyklus 'Yin Yang' treten Blochs Humor und sein Sinn für Situationskomik am deutlichsten zutage: Hier werden Gegensätze und Widersprüche gezeigt, mal mit drastischer Deutlichkeit (eine Bettlerin, einmal im Sommer, einmal im Winter), mal subtiler (ein schlafender Nachtwächter). Dieser Zyklus thematisiert als einziger auch den europäischen Einfluß im kosmopolitischen Shanghai: In zahlreichen Holzschnitten wird Chinesisches mit Westlichem kontrastiert, so etwa chinesische und europäische Kleidung, ein chinesischer Hochzeitszug und ein europäisches Brautpaar und anderes mehr.
Ein hervorragendes Merkmal von Blochs Holzschnitten ist ihre Detailgenauigkeit und ihre Freude an Bewegungen. Die Konstruktion der Rikschas wird mit großer Sorgfalt wiedergegeben, sogar die Reisstrohsandalen, die als Ersatzschuhe unter dem Wagen hängen, sind in einigen Abbildungen erkennbar. Manchen der Holzschnitte liegen Skizzen und Vorstudien zugrunde. Oft hat sich der Künstler bei seinen Spaziergängen durch Shanghai jedoch nur schriftliche Notizen zu seinen Beobachtungen gemacht und Stichwörter notiert, die er später zu Hause direkt in Holzschnitte umsetzte. Sein Werkzeug hatte er sich aus Deutschland mitgebracht, für seine Druckstöcke verwendete Bloch besonders hartes chinesisches Holz. Die Drucke zog er selbst von Hand ab."
Verfasser: Dr. Horst Biesold
*) Das Buch kann über den Buchhandel bezogen werden:
Barbara Hoster/Roman Malek/Katharina Wenzel-Teuber, (Hg): David Ludwig Bloch: Holzschnitte / Woodcuts. Shanghai 1940-1949. Eine gemeinsame Veroffentlichung des China-Zentrums und des Instituts Monumenta Serica Sankt Augustin. Nettetal: Steyler Verlag 1997, 249 S., 301 Abbildungen, DM 65.-, ISBN 3-8050-0395- 1