Rezension: Wired for Sound – A Journey into Hearing

Veröffentlicht in DAS ZEICHEN, Ausgabe 47/1999, S. 162 ff.

Beverly Biderman. Wired for Sound – A Journey into Hearing. Trifolium Books, Inc., Toronto, Kanada, 1998, ISBN 1-895579-32-5. 240 Seiten, englisch, illustriert. CAN. $24,95 / U.S. $21,95.

Kontaktadresse: Trifolium Books, Inc., 250 Merton Street, Suite 203, Toronto, Ontario, Canada M4S 1B1. Tel.: +1-416-483-7211. Online: http://www.pubcouncil.ca/trifolium/.

Anschrift des Verfassers: Christian Vogler, 511 S. 45th Street, Philadelphia, PA 19104, U.S.A. E-Mail: cvogler@gradient.cis.upenn.edu.

WWW: http://www.cis.upenn.edu/~cvogler/ oder http://www.taubenschlag.de/krischi/.

In der Kontroverse um das Cochlear Implant (CI) und den damit verbundenen Diskussionen, die teilweise in Schlammschlachten ausarteten, wurde ein wichtiger Gesichtspunkt bisher vernachlässigt. Wie fühlt es sich für eine betroffene Person eigentlich an, wenn sie sich entscheidet, sich der Operation zu unterziehen? Wie kommt sie dazu, diese Entscheidung zu treffen? Was macht so eine Person in den folgenden Monaten und Jahren durch, wenn sie auf das erste Einschalten des Implants wartet, und wenn sie lernt, mit den Höreindrücken des Implants umzugehen?

Das vorliegende Buch versucht, diese Lücke zu füllen. Beverly Biderman, die kanadische Autorin dieses Buches, hatte aufgrund eines dominanten Gens seit ihrer Geburt im Jahr 1946 mit einem fortschreitenden Hörverlust zu kämpfen, der sich nach dem 10. Lebensjahr noch beschleunigte. In den frühen Jahren ihres Lebens konnte sie noch Musik hören und das Telefon benutzen, aber im Alter von 20 Jahren grenzte der Hörverlust bereits an Taubheit. Anfang der 80er Jahre erwog sie schon einmal die Möglichkeit eines CIs, aber die Ärzte kamen zu dem Schluß, daß die Technik zu dem Zeitpunkt noch nicht so weit war, daß das CI ihr einen Vorteil gegenüber Hörgeräten geboten hätte. Erst im Jahr 1993, nach dem Auftreten der Mehrkanal-Implante, unterzog sie sich der Operation.

Eigentlich handelt es sich bei diesem Buch um zwei oder sogar drei in einem. In erster Linie ist das Buch zwar eine Autobiographie, aber die Autorin bietet auch eine Menge Hintergrundinformationen zum aktuellen Forschungsstand des CIs an und belegt diese akribisch genau mit über 200 Literaturverweisen, die in Endnoten zu jedem Kapitel zusammengefaßt sind. Des weiteren beschäftigt sie sich in einem eigenen Kapitel mit der Opposition der Gebärdensprachgemeinschaften gegen das CI und listet in einem langen Anhang nationale und internationale Anlaufstellen und andere Literatur quer durch das Spektrum der Gehörlosigkeit auf. Zu guter Letzt läßt sie in jedem Kapitel regelmäßig andere Personen in kurzen, am Rand eingeschobenen Zitaten über deren Erfahrungen zu Wort kommen, darunter auch Personen, die sich gegen ein CI entschieden haben.

Es ist nicht leicht, so viele unterschiedliche Aspekte – Biographie, Hintergrundinformationen und wissenschaftliche Arbeit – in einem Buch zusammenzufassen, so daß es noch lesbar bleibt. Unter diesem Gesichtspunkt hat Beverly Biderman hervorragende Arbeit geleistet. Die Hintergrundinformationen über das CI mit den Literaturverweisen sind in die autobiographischen Schilderungen eingefügt, ohne den Lesefluß unnötig zu unterbrechen. Wer jedoch gezielt nach einem Thema suchen möchte, braucht sich nur des umfangreichen Stichwortverzeichnisses zu bedienen, um die gewünschte Information aufzufinden.

Im ersten der insgesamt sieben Kapitel beschreibt Beverly den Tag, an dem ihr CI das erste Mal eingeschaltet wird. Sie beschreibt die erste Aufregung, als ihr Audiologe sagt, daß er genauso gespannt sei wie sie selber, wie es ihr mit dem CI ergehen werde, die erste Anpassung der Schwellwerte und die ersten Höreindrücke, das Gefühl der Enttäuschung und ein vorübergehendes Gefühl der Resignation, weil sich das CI nicht so anhört wie natürliche Höreindrücke. Auf der anderen Seite hatte sich ihr Ziel, mit dem CI Musik genießen zu können von Anfang an erfüllt. Für sehr viele CI-Träger geht dieser Wunsch nie in Erfüllung.

Im zweiten Kapitel steht die Achterbahnfahrt der Gefühle im Vordergrund, als Beverly mühsam wieder das Hören lernt. Sie pendelt immer wieder zwischen Erfolgserlebnissen und Frustrationserlebnissen hin und her, wenn sie ihre eigenen Erwartungen nicht erfüllen kann. Nach einer Weile scheint sie mit dem Hören-Lernen auf einem Plateau festzusitzen, und ihre Moral langt an einem Tiefpunkt an:

"It seemed that the fabric I had woven of my life had become unraveled. In those months following my turn on, I had an overwhelming feeling of things falling apart. It seemed too that my balance was upset, and my carefully constructed adaptions to deafness had been torn down. I felt thrown back into a state like that which I must have experienced as a child with gradually worsening hearing. I was in despair, and felt helpless to do anything about it. I could not go back to my previous deaf condition, having tasted so much hearing, but I could not move ahead either. In some quiet, calm moments, I felt, quite simply, that I wantd to die. [...]"

Eine Änderung ihrer Einstellung – insbesondere das zu akzeptieren, was sie bereits erreicht hat – und weitere Erfolgserlebnisse in der Rehabilitation führen dazu, daß sie sich besser fühlt:

"Slowly, my attitude toward my hearing prowess turned around, and I started to again feel positive about my successes, and to accept the sounds I was hearing. My skills improved, and I started to relax and enjoy the sounds."

Im dritten und vierten Kapitel schreibt Beverly über ihre Erfahrungen mit ihrer zunehmenden Gehörlosigkeit, und wie diese ihr Familienleben beeinflußt hat, sowohl im Elternhaus als auch mit ihrem hörenden Mann und ihrem Adoptivsohn. Diese beiden Kapitel geben den nötigen Hintergrund, um zu verstehen, wie sich Beverlys Leben seit dem Einsatz des CIs verändert hat. Mit ihren Hörfähigkeiten nach 5 Jahren liegt sie in etwa im Mittelfeld der CI-Benutzer. In den meisten Fällen funktioniert sie in etwa wie eine Schwerhörige, obwohl sie betont, daß sie nach wie vor gehörlos sei. Sie fühlt sich mehr in das Familienleben eingebunden, sie kann mit einigen Leuten das Telefon benutzen, und sie nimmt mehr an Gruppengesprächen teil. Insgesamt fühlt sie sich wesentlich weniger von anderen Leuten abhängig und bedürftig.

Paradoxerweise bedeutet die Entscheidung für das CI auch, daß für Beverly ihre Gehörlosigkeit viel stärker in den Mittelpunkt des Lebens rückt als zuvor. Neben ihrer Tätigkeit für eine Zeitschrift, die sich mit CIs beschäftigt, hat sie viel mit Gehörlosen und dem Thema Gehörlosigkeit im Internet zu tun, sie besucht Konferenzen, die sich mit der Thematik auseinandersetzen, und sie hat eine Selbsthilfegruppe mitgegründet. Wie sie selbst schreibt: "It is as if I am trying to make up for a lifetime of denial."

Im fünften Kapitel beschreibt Beverly die Meilensteine auf ihrem Weg zu der Entscheidung für ein CI bis hin zur Implantation, darunter auch die Faktoren, die für und gegen ein CI sprachen. An dieser Stelle diskutiert sie auch die Literatur über die bisherigen Erfahrungen mit CIs, sowohl über Erwachsene, als auch über Kinder, und faßt sie in gut verständlicher Form zusammen. Die Entscheidung für das CI fällt ihr nicht leicht, angesichts der großen Schwankungen in der Erfolgsquote von einer Person zur nächsten. Außerdem bestand immer die Frage, ganz wie beim Computerkauf, ob sie sich jetzt schon auf etwas festlegen oder auf etwas noch Besseres warten sollte.

Es fällt sehr positiv auf, daß dieses Kapitel sich von jeglicher politischen Schönfärberei fernhält und sich statt dessen ganz auf die Ergebnisse konzentriert, die in der Literatur vorhanden sind. Dies macht das Kapitel zu einem guten Ausgangspunkt für diejenigen, die sich über die technischen Aspekte des CIs und das bisher Erreichte informieren möchten. Es ist übrigens erwähnenswert, daß im zweiten Kapitel auch zwei Quellen angegeben werden, die zu dem Schluß kommen, daß das Erlernen von Gebärdensprache den Fortschritt von Kindern mit dem CI nicht behindern muß und im Gegenteil sogar fördern kann.

Das sechste Kapitel trägt sehr passend den Titel "A Lightning Rod for the Deaf Culture" (in etwa: "Ein rotes Tuch für die Gehörlosenkultur"). Es setzt sich mit der Opposition der Gebärdensprachgemeinschaft gegen das CI auseinander und hebt sich somit von der Thematik her sehr vom Rest des Buches ab. Dieses Kapitel war in dieser Form für mich das überraschendste im ganzen Buch. Nach meinen bisherigen Erfahrungen mit Gehörlosen außerhalb der Gebärdensprachgemeinschaft war ich skeptisch gewesen, ob es in dem Kapitel eine faire Auseinandersetzung mit der komplexen Problematik geben würde, oder ob es etwa in eine weitere Tirade gegen die Gebärdensprachgemeinschaft ausarten würde, wie beispielsweise in "Reading between the Lips" von Lew Golan (1995).

Beim Lesen des Kapitels wird jedoch schnell klar, daß Beverly Biderman sich wirklich die Mühe gemacht hat zu versuchen, die Gebärdensprachgemeinschaft in ihrer Opposition zu verstehen. Wie auch schon in den vorhergehenden Kapiteln läßt sie viele unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen, und sie schreibt ausführlich über einen Meinungsaustausch, den sie mit einem CI-Gegner hatte. Gegen Ende dieses Kapitels wird das Erziehen eines gehörlosen Kindes damit verglichen, sich in einem unbekannten Land wiederzufinden. Egal, ob man nun den Aussagen in diesem Kapitel in allen Punkten zustimmt oder nicht, den Schlußsätzen kann ich nur aus vollem Herzen zustimmen:

"Parents need to get as much information as possible about this country and to make decisions based on their own family’s circumstances. They do not need to have a difficult situation made even more difficult by the addition of guilt and recrimination over their choice.

Deaf culture, like all cultures, represents an adaptation to a certain situation – in this case, deafness. And like all cultures, the Deaf culture has some wonderful attributes, many stemming from its own undeniably beautiful and rich language of signs. The Deaf can justifiably take pride in their culture and language, while acknowledging the history of oppression of deaf people. It would be tragic, however, if this newfound pride became the basis for yet another kind of oppression.

Cochlear implants are another adaptation to deafness. [...] And parents have a right, and even an obligation, to choose on behalf of their children what kind of adaptation they are prepared to support. It is true that none of these choices are easy, but they can and should be made with full information about the consequences, respect for those who choose differently, and without guilt for having rejected another’s choice."

Bevor man alle Argumente aus diesem Kapitel auf den deutschsprachigen Raum überträgt, sollte man sich allerdings ins Gedächtnis rufen, daß die politischen Gegebenheiten in Kanada (und den USA) noch anders sind als hier. Vor der Operation mußte Beverly beispielsweise eine Einverständniserklärung unterschreiben, die unter anderem auch betonte, daß es sie in keinster Weise hörend machen würde. Im Buch macht sie auch wiederholt die Aussage, daß sie – und andere CI-Träger – trotz allem nach wie vor gehörlos seien. Dies steht im krassen Gegensatz zu dem, was beispielsweise im Positionspapier der Bundesgemeinschaft der Eltern und Freunde hörgeschädigter Kinder zur Gebärdensprache im vorletzten Absatz behauptet wird (1998).

Das siebte und letzte Kapitel bietet einen Ausblick auf die zukünftige technologische Entwicklung der CIs.

Alles in allem handelt es sich um ein sehr lesenswertes Buch. Momentan gibt es nichts Vergleichbares für diejenigen, die sich einen Überblick über die komplexen Themen, die mit dem CI zusammenhängen, verschaffen möchten. Dies gilt besonders dann, wenn Interesse an persönlichen Erfahrungen besteht. Dazu ist dieses Buch wesentlich besser geeignet als etwa "The Mask of Benevolence" (Lane 1992), da es alle wesentlichen Aussagen zum CI sorgfältig belegt und sich aus den politischen Aspekten des CIs heraushält. Dies macht das Buch natürlich auch besonders für Eltern mit neu diagnostizierten gehörlosen Kindern interessant, die ausgewogene Informationen zum CI suchen. Die hervorragende Literatursammlung und die Sammlung weiterer Anlaufstellen ist dabei ein besonderer Pluspunkt.

Auch unter dem Gesichtspunkt einer Autobiographie ist dieses Buch lesenswert. Mich hat sie zwar nicht ganz so fasziniert wie "Deaf Again" (Drolsbaugh 1997) oder "The Feel of Silence" (Tucker 1996), aber unter dem Strich bleibt immer noch eine interessante persönliche Schilderung. Obwohl ich schon vorher Empfänger eines CIs aus erster Hand kannte, hat das Buch mir viele neue Aspekte in das Bewußtsein gerufen. Für den Preis bekommt man jedenfalls eine ganze Menge geboten.

Literatur

Drolsbaugh, Mark. Deaf Again. Handwave Publications, Bethlehem, PA, 1997.

Golan, Lew. Reading Between the Lips: A Totally Deaf Man Makes it in the Mainstream. Bonus Books, Chicago, 1995

Lane, Harlan. The Mask Of Benevolence: Disabling the Deaf Community. Alfred A. Knopf, New York, 1992.

Positionspapier der Bundesgemeinschaft der Eltern und Freunde hörgeschädigter Kinder zur Gebärdensprache. Spektrum Hören, Dezember 1998. Online verfügbar unter: http://www.spektrum-hoeren.de/biling2.htm

Tucker, Bonnie Poitras. The Feel of Silence. Temple University Press, Philadelphia, 1996.