Rezension von Bernd Rehling
Tommy ist gewachsen. Und damit auch sein Wortschatz
– an Gebärden und Wörtern. Ging es in der ersten Tommy-CD noch um den
Grundwortschatz des Vorschulalters, so setzen Tommy und seine neue
Freundin Tina sich jetzt mit typischen Grundschulthemen wie Schule, Polizei
und Arzt auseinander. Aber nicht nur Tommy ist gewachsen, sondern auch
seine Macher. Sie haben offensichtlich dazugelernt, und sowohl von der Technik
als auch von der Gestaltung her ist Tommy 2 sichtlich gereift und NOCH
professioneller geworden als Tommy
1. Das wird nicht zuletzt durch die gestochen scharfen und in relativ
großen Fenstern flüssig ablaufenden Gebärdenvideos deutlich.
CD-ROMs zum Lernen von Gebärden gibt es mittlerweile in Hülle
und Fülle. Für Erwachsene. Speziell für Kinder jedoch nicht, und da ist Tommy
noch immer konkurrenzlos. Man wundert sich schon ein wenig, dass von Lehrern,
Lehrerverbänden und Hochschulen in dieser Richtung absolut nichts kommt. Umso
erfreulicher, dass die Gebärdensprachdolmetscherin Karin Kestner mit Tommy
die Initiative ergriffen und eine offensichtlich große Marktlücke geschlossen
hat. Dass Tommy 1 ein Renner werden würde, war durchaus nicht vorherzusehen.
Es gehörte schon sehr viel unternehmerischer Mut und vor allem auch Idealismus
dazu, so viel Arbeit zu investieren und ein so großes finanzielles Risiko
einzugehen.
Klar, nobody
is perfect, auch Tommy nicht. Wer ganz genau hinschaut, findet
hier und da kleine Schönheitsfehler. Und manche Dinge lassen sich einfach
nicht perfektionieren. So ist die Gebärdenauswahl ein Stolperstein, der sich
schlicht und einfach nicht umgehen lässt. Die Entscheidung, die Gebärden der
gehörlosen Mitarbeiter zu übernehmen, ist von daher kurz und schmerzlos. Dass
andernorts z.T. anders gebärdet wird – man weiß es ja. Und ein „Hochdeutsch“
der Gebärdensprache gibt es halt nicht. Auch technische Stolpersteine sind
unvermeidlich. Die hot spots (Klickflächen) für die Begriffe sind zwar sehr
penibel eingezeichnet, oft auf den Millimeter genau. Aber wo fängt der Oberbegriff
an und wo der untergeordnete? Wenn es bei der Kirche einen Wetterhahn, eine
Glocke und eine Kirchturmuhr gibt, warum wird dann bei der Kirchentür und
bei den Fenstern nur „Kirche“ oder „Kirchturm“ gebärdet? Aber an diese kleinen
Ungereimtheiten gewöhnt man sich. Sie sind wohl unvermeidlich.
Begrüßenswert ist die große Flexibilität Tommys, sowohl
was Kommunikation als auch was Voreinstellungen betrifft. Auch wenn im Titel
die „Gebärdenwelt“ erscheint – die Lautsprache kommt nicht zu kurz. Jeder
gebärdete Begriff wird auch mit Stimme gesprochen. Gebärdet wird selbstverständlich
von Gehörlosen, gesprochen von Hörenden. Jeder macht halt das, was er am besten
kann. Die Synchronisation ist jedoch so gut, dass man sich über die vermeintlich
gute Artikulation der Gehörlosen wundern könnte. Und sie ist so gut, dass
schwerhörige Kinder sogar noch Absehübungen machen können. Natürlich wird
bei der echten DGS ohne Stimme gebärdet. Die kann man deshalb auf Wunsch auch
ausschalten - oder auch für Schwerhörige lauter stellen. Da überwiegend Einzelgebärden
gezeigt werden, eignet sich die CD auch für das Erlernen von LBG-Grundbegriffen.
Es gibt zwar auch DGS-Sätze, aber nur ganze 10 an der Zahl. Ein winzig kleiner
Einblick halt. Zu diesen Sätzen gibt es zusätzlich Grammatik-Infos, die in
kleinen Fensterchen eingeblendet werden. Wem die zehn „ersten Sätze“ nicht
reichen, der muss auf der Elternseite weitermachen. Dort gibt es dann noch
Aufforderungen, Fragen und Antworten, ohne Bilder allerdings, also nur für
Kinder geeignet, die schon lesen können. Für Grammatik-Infos, Wiedergabe der
Gebärden in Endlosschleife (oder nur einmal), Bedienerhilfe, Lautsprecher
und Hund/Vogel lassen sich Voreinstellungen vornehmen. Sehr angenehm, da Bedürfnisse
und Geschmäcker unterschiedlich sind.
Voreinstellungen für Hund/Vogel? Die Macher haben sich bemüht,
Tommy 2 kindgerecht und humorvoll zu gestalten. In jedem der Bilder
erscheint beim Öffnen ein kleiner Hund oder ein Vogel. In der Kirche z.B.
versteckt der Hund sich hinter dem Taufbecken. Kommt man mit dem Cursor auf
die Kirchenbänke, erscheint die Kirchenmaus, und berührt man Tommy,
winkt er fröhlich grinsend. Im Kindergarten küsst Tommy seine Tina.
Fährt man mit dem Cursor über seinen Kussmund, verzieht Tina angewidert den
Mund nach unten. In dem Alter mag das wohl noch nicht jede(r). So gibt es
in jedem Bild einige versteckte Gimmicks, über die sich die Kinder sicherlich
freuen.
Für Spiel und Spaß, aber auch zum Lernen sind drei Quizfunktionen
eingebaut, das Gesamtquiz, das Seitenquiz und das Korbquiz. Beim Gesamtquiz
werden Gebärden eingeblendet, und man muss den richtigen Begriff eingeben
oder in der Gesamtliste anklicken. Eine Quizform, die Lese- und Schreibfähigkeiten
voraussetzt und daher eher für Erwachsene geeignet ist. Es befindet sich konsequenterweise
auch in der Elternabteilung. Beim Seitenquiz ist die Auswahl auf die Begriffe
auf der jeweiligen Seite beschränkt, und das Kind kann das dazugehörige Bild
anklicken. Als Rückmeldung bekommt man allerdings immer nur „falsch“ oder
„richtig“. Schade, dass es keine Statistik gibt und kein Protokoll. Schade
auch, dass bei der beliebigen Auswahl von Begriffen Wiederholungen vorkommen
können, und ein wenig irritierend, dass das Quiz ein Endlosspiel ist.
Da hat das Korb-Quiz schon einiges mehr zu bieten. Man sammelt
einige Gegenstände aus dem Bild im Korb. Allein das Sammeln macht schon Spaß.
Per drag and drop (Ziehen und Ablegen) werden die Gegenstände in den Korb
befördert. Während des Ziehens hängt ein Bild des Gegenstands am Cursor, und
lässt man es in den Korb fallen, erscheint kurz der Kopf von Tommy
oder Tina mit dem Wort für den Gegenstand in einer Sprechblase. Auch die Schriftsprache
kommt hier also nicht zu kurz. Leider wird für die Lösung aber nur das geschriebene
Wort und kein Bild angeboten. Das Kind muss also auch hier schon lesen können.
Ein Verlaufsbalken zeigt den Fortschritt, und nach zehn Fragen ist Schluss.
Dieses Quiz macht mehr Spaß und mehr Sinn als das Gesamt-Quiz, setzt aber,
wie gesagt, Lesefähigkeiten voraus. Schade, dass es nicht mit Bildern bei
der Lösung gekoppelt ist. Die Kombination von Seiten- und Korbquiz wäre eigentlich
optimal gewesen. Aber Tommy wächst ja weiter, und Tommy 3 zeichnet sich schon
am Horizont ab.
Völlig losgelöst von pädagogischen Hintergedanken ist das Puzzle,
das man mit fünf verschiedenen Bildern machen kann. Es sind die bekannten
Bilder vom Wohnzimmer, der Polizei usw. Sie werden in Puzzleteile zerlegt
und durcheinander gewürfelt. Die Kinder dürfen sie nun wieder richtig zusammensetzen,
und dabei geht es weder um Gebärden, Schrift noch Lautsprache, sondern nur
um den Spaß an der Freud.
Ob das mit dem Spielend-Lernen nun eine leere Versprechung
ist oder nicht – Spaß macht Tommy allemal! Und den sollte man den Kindern
nicht durch Lerndruck verderben. Wahrscheinlich wird es eher schwierig werden,
die Kinder vom PC mit Tommy wieder wegzubekommen, und von daher wird
das Lernen wohl unvermeidlich sein. Elterninfos gibt es zudem in Hülle und
Fülle: theoretische Informationen zur Gebärdensprache, Beispielsätze mit Aufforderungen,
Fragen und Antworten, eine Liste des gesamten Wortschatzes dieser CD usw.
Für wen ist nun „Tommys Gebärdenwelt 2“ konzipiert? Keineswegs nur für gehörlose Kinder, sondern auch für schwerhörige und sprachbehinderte Kinder und Kinder mit Down-Syndrom oder geistiger Behinderung. Und last but not least: CI-Kinder. Denn Gebärden sind nicht etwa, wie manche bis heute glauben, nur etwas für die „Taubstummen“ und/oder die “Doofen”! Tommy 2 ist für alle Kinder, deren Kommunikation und Entwicklung durch den Einsatz von Gebärden gefördert werden kann, sehr empfehlenswert. Diese CD-ROM ist – im wahrsten Sinne des Wortes - konkurrenzlos gut.
Bestelladresse:
Karin Kestner
Hufgarten 4b
D-34302 Guxhagen
Tel.: +49 (0)5665 3167
Fax: +49 (0)5665 3556
Preis: € 55,00 (DM 107,57)