Im Streit um den Hörgeräte-Versandhandel haben die
Krankenkassen die Wahl zwischen Betrug und
Preistreiberei
Die Zerreißprobe droht noch diese Woche. Hinter
verschlossenen Türen streiten sieben
Spitzenfunktionäre der deutschen
Krankenkassenverbände über Zuschüsse für
Heilmittel.
Zoff um die Hörgeräte. Ins Visier der
Gesundheitsmanager sind Akustikhilfen des
Hamburger Versandhändlers Sanomed geraten. Der
Vorwurf: Sanomed verkaufe Mogelpackungen. Zwei
Gutachten der renommierten
Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in
Braunschweig und Berlin (PTB) sollen belegen:
Sanomed vertrieb Hörgeräte mit minderwertiger
Ausstattung. Alle fünf Prüfkriterien wurden "bei
keinem der untersuchten Hörgeräte gefunden".
Seit März kennen die Kassen das Expertenurteil,
doch Konsequenzen blieben aus. Trotz
Betrugsverdachts bezuschussen sie die
Sanomed-Geräte weiterhin in voller Höhe.
Sanomed-Geschäftsführer Andreas Coburger glaubt
zu wissen, warum. "Die PTB-Gutachten sind
wertlos." Die getesteten Geräte seien zum Teil von
der Konkurrenz manipuliert. Er wittert eine
Verschwörung "der deutschen Hörgeräte-Mafia".
Erregt kommentiert der Sanomed-Chef Vorwürfe, in
den Geräten seiner Firma stecke eine andere und
minderwertige Technik als angegeben: "Das ist der
Höhepunkt einer jahrelangen Schmutzkampagne
gegen uns."
"Bei sieben Hörgeräten wurde
das Vorhandensein von fünf Ausstattungsmerkmalen untersucht. Bei
keinem der untersuchten Hörgeräte wurden alle fünf der gesuchten
Merkmale gefunden"
Gutachten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt über angebliche Sanomed-Geräte |
Krieg ums gute Hören. 2,5 Millionen
Bundesbürger tragen die filigrane Technik im Ohr -
jahrzehntelang ein lukratives Geschäft für
Hörgeräte-Akustiker. Dort zahlen Kunden bis zu
3000 Mark pro Gerät aus eigener Tasche drauf und
vergrößern den Markt auf gut 1,5 Milliarden Mark
Umsatz.
Direktverkäufer Sanomed vertreibt seine Hörgeräte
seit 1989 über die Arztpraxen. Die etablierte Zunft
der Akustiker geht dabei leer aus und fürchtet seither
den Emporkömmling mit seinen Hörverstärkern made
in USA. Denn bei der Konkurrenz von der Elbe
erhalten die Kunden ihre Hörhilfen zum Nulltarif -
Kassenzuschuß reicht.
Der Fielmann für Schwerhörige geriet schnell
zum Liebling der klammen Gesundheitskassen. Als
sich die verwöhnte Akustiker-Zunft weigerte,
Hörgeräte zu festen Preisen abzugeben, rührten die
Kassen bei Hals-Nasen-Ohren-Ärzten die
Werbetrommel für Sanomed. Den Medizinern kam
das gerade recht: Bis zu 250 Mark Prämie zahlt der
Billigheimer an HNO-Ärzte für eine Verordnung
seiner Geräte.
Hörsturz. "Sanomed drückt die Preise im Markt.
Das entlastet unsere Budgets", frohlockten die
Gesundheitsmanager. Doch seit Sanomed den
Branchenfrieden stört, erhalten deutlich mehr
Bundesbürger Hörhilfen. Statt der erhofften
Einsparungen registrierten die Kassen
Zusatzausgaben.
Als erste stoppte die AOK Bayern die Zuzahlung.
Offiziell begründen die Süddeutschen ihren Schritt
damit, Sanomed unterhalte keine Niederlassung in
Bayern. Doch intern sprechen die Kassenmanager
Klartext: "Die Sanomed-Prämien verleiten Ärzte,
mehr Geräte als notwendig zu verordnen."
Allzu gern würden einige Kassen sofort das
Geschäft mit Sanomed beenden. Die Gutachten der
PTB haben die Position des Versandhändlers
geschwächt. "Es ist enger geworden für Coburger",
bestätigt Thomas Bublitz vom Verband der
Angestellten-Krankenkassen (VdAK) in Siegburg.
Der Spitzenfunktionär soll einem Lobby-isten der
Akustiker erst kürzlich gestanden haben: "Es ist uns
bekannt, daß wir in der Vergangenheit mit
Sanomed-Geräten betrogen worden sind."
Kassen in der Klemme. Um eine gemeinsame
Linie werden die Spitzenverbände wohl auch in
dieser Woche vergeblich ringen. Das Dilemma der
Kassen formuliert Spitzenfunktionär Bub-litz: "Ohne
den Preisdrücker Sanomed treibt die
Akustikerbranche unsere Kosten wieder in die
Höhe."
Peter Lindemann
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