(Aachen) Bereits kurz nach der Geburt kann bei Babys eine Schwerhörigkeit mit verschiedenen Testverfahren diagnostiziert werden. Europaweit sind sich die Experten darum einig, dass solche Untersuchungen in allen Geburtskliniken etabliert werden sollten. Doch die Umsetzung dieser Empfehlung geht nur zögernd voran - auch in Deutschland. Dies beklagen Experten bei der 70. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie in Aachen.
Bei einer europäischen Konsensus-Konferenz vor einigen Monaten waren sich die Experten einig: Eine Schwerhörigkeit kann bereits bei Neugeborenen noch in der Geburtsklinik effektiv mit verschiedenen apparativen Methoden diagnostiziert werden. Darum sollten solche Untersuchungen direkt nach der Geburt routinemäßig erfolgen.
Denn ein Hörschaden hat gravierende Folgen, wenn er nicht rechtzeitig entdeckt wird: "Ein Kind, dessen Gehör sich im ersten Lebensjahr nicht harmonisch entwickelt", erklärt Dr. Agnes Hildmann, "ist in seiner kognitiven, psychosozialen und intellektuellen Reifung beeinträchtigt." Fehlt der Hörsinn, so die Chefärztin der Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie an der Vestischen Kinderklinik in Datteln weiter, "gehen Neugierde und Aktivität verloren."
Bei gesunden Neugeborenen kommt eines von tausend schwerhörig zur Welt. Bei Risikobabys, etwa Frühgeborenen, sind sogar 15 von tausend betroffen. Mit vergleichsweise groben Untersuchungsmethoden wird das Hörvermögen hierzulande jedoch erst im Rahmen der U5 genannten kinderärztlichen Untersuchung zwischen dem sechsten und achten Lebensmonat getestet. Dies ist nach Meinung der Experten zu unsicher und aufgrund häufiger Mittelohrent-zündungen in diesem Alter auch wenig effizient. Hildmann: "Nur wenn betroffene Kinder vor dem sechsten Lebensmonat mit einem Hörgerät versorgt werden, verläuft die Sprachentwicklung mit wenig Beeinträchtigungen ab." Die traurige Realität in Deutschland: In den meisten Fällen wird die Schwerhörigkeit erst im zweiten Lebensjahr diagnostiziert. Dann müssen - neben der medizinischen Versorgung - erhebliche Gelder für die Rehabilitation dieser Kinder aufgewendet werden, um den Entwicklungsrückstand auszugleichen. Doch völlig aufzuholen ist dieser meistens nicht mehr.
Darum werden in Österreich und Belgien inzwischen alle Neugeborenen routinemäßig untersucht. In den übrigen EU-Staaten - darunter auch in Deutschland - haben einzelne Kliniken entsprechende Programme gestartet.
Screeningverfahren auf dem Prüfstand
An der Vestischen Kinderklinik in Datteln hat das Team um Agnes Hildmann nun zwei unterschiedliche Testverfahren an über 500 gesunden Säuglingen und mehr als 1100 Risikobabys erprobt und miteinander verglichen. Bei der einen Methode werden die "otoakustische Emissionen" genannten Eigengeräusche des Hörorgans auf einen akustischen Reiz gemessen. Bei dem sogenannten BERA-Screening (AABR) werden die elektrischen "Antworten" von Hörnerv und der unteren Hörbahn mit Hilfe von Elektroden abgeleitet. Das BERA-Screening erwies sich in dieser Studie als über-legen. Zwar daürt diese Untersuchung etwas länger. Doch dafür muss sie nicht so oft wiederholt werden und führt seltener zu falsch-positiven Ergebnissen.
Eine Untersuchung kostet, wie Agnes Hildmann berechnet hat, etwa acht bis neun Mark und kann von speziell geschulten Säuglingsschwestern vorgenommen werden. Nicht nur angesichts des persönlichen Leides der betroffenen Kinder und Familien, sondern auch aufgrund der Kosten für Fördermaßnahmen und Rehabilitation, die durch eine Früherkennung eingespart werden könnten, fordern die Pädaudiologin und ihre Kollegen darum routinemäßige Reihenuntersuchungen des Gehörs bei allen Neugeborenen.