Taube Relaisdolmetscher: Begründung, Aufgaben und Einsatzgebiete
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Einführung
Haben Sie sich schon einmal bei
Ihrer Arbeit als Dolmetscher gefragt, ob Sie verstanden wurden, ob Ihre
Übersetzungen klar und bequem zu folgen waren?
Haben Sie sich schon Gedanken
gemacht, ob Ihr DGS bei tauben Benützern zufriedenstellend war oder als
einwandfrei akzeptiert wird?
Haben Sie manchmal
Schwierigkeiten, die Gebärdenäusserungen der tauben Konsumenten vollkommen und
richtig zu verstehen, um zu übersetzen?
Haben Sie erlebt, dass Ihre beste
DGS Darbietung von einem tauben Zuhörer einem anderen anders wiedergedolmetscht
wurde, also sozusagen "eines besseren belehrt" wurde?
Wenn Sie die Fragen mit ja
beantworten, sind die ersten Zeichen für die Notwendigkeit eines
Relaisdolmetschers gegeben.
Zunächst zum Sprachgebrauch: das
Wort 'Dolmetschen' bezeichnet einfachheitshalber "die bidirektionale
Übertragungstätigkeit zwischen Gebärdensprache und Lautsprache" und
'Dolmetscher' geschlechtslos diejenigen, die diese Tätigkeit ausüben (Aus Gründen
der Ästhetik vermeide ich das Suffix "-erInnen" in
Berufsbezeichnungen). Männliche Fürwörter 'er', 'sein' usw. werden uni-sex auch
für das weibliche Geschlecht verwandt. Taube Personen, die als
Relaisdolmetscher zwischen einem hörenden Dolmetscher und einem tauben
Konsumenten fungieren, werden auch einfachheitshalber als 'Zwischendolmetcher'
bezeichnet.
Den Terminus 'Lautsprache' benütze
ich schlechthin für ein aural-oral basierendes Sprachsystem (z.B. Deutsch), das
gesprochen, geschrieben oder gefingert bzw. teilweise in Gebärdenkodes
wiedergegeben wird, nicht die mündliche Äusserung der Worte oder gar das
Sprechen, wie oft mit der DGS Gebärde LAUTSPRACHE gemeint ist. Der Begriff
'Sprache' schließt umfassend auch die Gebärdensprache mit ein.
Geschichtliche
Entwicklung
Es wird immer wieder erzählt, wie
besonders begabte taube Schüler - oft aus tauben Elternhäusern - in
Schulklassen hinter dem Rücken der Lehrer dessen Äusserungen den
Klassenkameraden übersetzen. Auch geschah es oft, wenn taube Zweisprachige
aufgesucht werden, um von ihnen Schriftstücke in die Gebärdensprache übersetzen
zu lassen, Erklärungen oder Hilfe im Briefschreiben zu bekommen. Somit ist der
Keim für die Tätigkeit solcher tauben Personen als Dolmetscher gegeben worden.
Das impromptu Dolmetschen von tauben Kindern und tauben Lehrern für ihre tauben
Kameraden hat es schon immer seit den Anfängen der Bildungsgeschichte gegeben,
wie der taube Lehrer Otto Friedrich Kruse berichtet.
Die Idee von einem tauben
Relaisdolmetscher ist schon 1911 in einer Eingabe vom Allgemeinen Deutschen
Gehörlosenverband an die Regierung erwähnt. Der Ausdruck
"Zwischendolmetscher" ist dort verwendet worden, den ich hier lieber
statt des Fremdwortes benützen möchte [In: Neue Zeitschrift für Taubstumme,
7/1911, Nr. 23, zitiert in "Lesen Statt Hören", 4/1988, S.13]. Als
Grund dafür wurde hervorgehoben, daß die damals eingesetzten Dolmetscher, oft
Taubstummenlehrer, sich nicht mit "Taubstummen" einwandfrei verständigen
konnten.
In "Mit der Seele Hören"
von Harlan Lane wird von einem Einsatz von Laurent Clerc als
Zwischendolmetscher zwischen schwarzen, hörenden [im Tagungsbericht falsch
angegeben als "gehoerlos"] Sklaven vom Sklavenschiff Amistad (bekannt
durch einen Film) mit Thomas Hopkins Gallaudet als Dolmetscher bei den
Gerichtsverhandlungen berichtet [In: Lane, Harlan. "When The Mind
Hears", S.282].
Mit der Professionalisierung des
Gebärdensprachdolmetschens in den U.S.A. stellt sich vermehrt die Notwendigkeit
heraus, taube Personen als Zwischendolmetscher einzuschalten, um bessere
Kommunikation zwischen Hörenden und frühtauberworbenen [im Tagungsbericht:
frühertaubten"] Menschen zu gewährleisten. Vor dieser Professionalisierung
waren es zumeist die sprachfähigeren Tauben, weniger die sprachlich Schwächeren
('sprachlich schwach' bei tauben Menschen bedeutet stets "sehr schwach
oder ungenügend in der Lautsprache und zugleich mangelhaft in der
Gebärdensprache, deshalb kommunikationsbeschränkt"), die den
Dolmetschdienst beanspruchen, sogar solche, die sehr gute orale Fähigkeiten
aufweisen, illustriert durch die vorwiegenden Einsätze der Berufsdolmetscher in
Colleges oder Universitäten, Regierungsämtern, wo taube Leute als Beamte [im
Tagungsbericht falsch: "Zwischendolmetscher"] arbeiten, bei Hearings
und Besprechungen mit Politikern und Beamten, bei Weiterbildungsveranstaltungen
und bei verschiedenen Fachtagungen. Selten wurden Berufsdolmetscher in
persönlichen oder geschäftlichen Angelegenheiten, wie Doktorbesuch, Hauskauf,
Bankdarlehen, Finanzamt usw. eingesetzt. Bei solchen Anlässen wurden in der
Regel entweder Familienangehörigen, taube Zweisprachige oder gar keine
beansprucht. In diesem Fall ging die Kommunikation zwischen Tauben und Hörenden
nur beschränkt vonstatten. Wenn ein Dolmetscher für einen sprachlich
Schwächeren bestellt wurde, geschah das oft vom Gericht oder von der Polizei
aus. Das ist wenn taube Zwischendolmetscher auf Verlangen der zuerst
eingesetzten hörenden Dolmetscher zugezogen wurden, oft nur ihr einziges Einsatzgebiet.
Inzwischen hat sich die Tätigkeit
von Dolmetscher teilweise wegen des Gesetzes (Section 504 of Rehabilitation
Act, Americans with Disabilities Act) und der vermehrten psychosozialen Dienste
(amerikanisch: "independent living services") ausgeweitet, die früher
ohne Berufsdolmetscher gingen. Und da begannen die sprachlichen Benachteiligten
verstärkt Dolmetschdienste zu beanspruchen. Taube Zwischendolmetscher werden
immer mehr gefragt.
Die meisten der jetzt tätigen
tauben Dolmetscher in den U.S.A. sind nebenberuflich tätig, wie ich auch. Im
Grossgebiet von Boston gibt es drei hauptberufliche und cirka zehn
nebenberufliche taube Dolmetscher.
Begründung
des Einsatzes von Zwischendolmetschern
Zwei offensichtliche Gründe kann
ich hier anführen: Erstens nenne ich besondere sprachliche Eigentümlichkeiten
bei tauben Konsumenten. Entweder beherrschen sie die lokale Gebärdensprache
nicht, z. B. sie kommen aus dem Ausland oder ihre sprachliche Entwicklung ist
wegen des vorherrschenden Monolingualismus (Oralismus) unvollkommen sowohl in
der Lautsprache als auch in der Gebärdensprache geworden, welche sie
kommunikationsbehindert machen. Ich bezeichne diese Gruppe als semilingual
(halbsprachig). Sie sind nicht immer beschränkt in Intelligenz, oft sogar
normalbegabt. Sie zeitigen gebärdensprachliche Mängel im Verstehen der oft als
alltäglich angenommenen Begriffe und unvollkommenen und unklar wiedergegebenen
Äußerungen, die von hörenden Dolmetschern oft schwer zu handhaben sind.
Zweitens haben viele hörende
Dolmetscher die Gebärdensprache als Zweitsprache erlernt, also beherrschen sie
sie noch unvollkommen. Dies zeigt sich oft durch die unrichtige Anwendung der
Gebärden, der Idiomatik, durch Unkenntnisse in der Pragmatik und Diskursstruktur
(oder "Denkstruktur") der Gebärdesprache. Ihre gebärdensprachliche
Produktion wird nur teilweise verstanden oder nur geduldet. Auch haben sie
Schwierigkeiten, gebärdensprachliche Äusserungen vollkommen zu verstehen, um
sinngetreu in die Lautsprache wiedergeben zu können.
Hier möchte ich einige Beispiele
geben, die Kenntnisse in der Sprache und Kultur eines Muttersprachlers oder
"Eingeweihten" voraussetzen, die oft von Zweitsprachlern selten
vorzufinden sind.
Eine Krankenschwester bittet:
"Ich möchte von Ihnen um die Erlaubnis bitten, eine Blutprobe abzunehmen.
Die Blutprobe dient nur dem Zweck, bestimmte körperliche Ursachen Ihrer
Depressionen auszuschließen."
Diese Bitte kann in der gleichen
Reihefolge - Bitte um Erlaubnis, Blutprobe Abnahme, Begründung - in ASL
bewerkstelligt werden. Aber man bekommt statt Ja oder Nein (Erlaubnis oder kein
Erlaubnis) eine Gegenfrage über die möglichen Krankheiten, die der Patient
haben könnte. Also hat der Patient die verdolmetschte Übertragung
missverstanden. Ein tauber Gebärdender würde die Bitte anders aufspannen, und
zwar in der Reihenfolge: Abnahme von Blutprobe, Untersuchung nach bestimmten
Krankheitsmerkmalen, die Notwendigkeit dafür, und dann die Bitte. Der Patient
gibt daraufhin folgerichtig die Erlaubnis.
Was bedeutet "negativ"
und "positiv" in einem Befundsbericht eines medizinischen Tests? In
ASL werden das Gebärdenzeichen POSITIV allgemein für "positive" Dinge
gebraucht (z.B. "positive Zukunft", "positive Einstellung"),
aber nicht für den Befund einer Gewebe- oder Blutuntersuchung. Die Übersetzung
eines positiven Befundes für die Existenz von HIV mit diesem Zeichen kann als
dessen Nichtvorhandensein verstanden werden und tötliche Folgen erzeugen.
Ja-Nein Fragen, besonders wenn es
negativ ausgerichtet ist, werden anders in der Gebärdensprache gehandhabt, die
gute Kenntnisse in der gebärdensprachlichen Pragmatik voraussetzt.
Entscheidungen, ob ein
Zwischendolmetscher erforderlich ist, werden bisher oft von hörenden
Erstdolmetschern gefällt. Inzwischen aber wird ihr Einsatz vermehrt von tauben
Personen, Angehörigen oder Beratern verlangt. Kriterium ist stets die
Möglichkeit eines Kommunikatonszusammenbruchs.
Einsatzgebiete
und die dafür erforderliche besondere Fertigkeiten:
o mit tauben, sprachlichen Benachteiligten:
Hier wird die Übertragung in die
reinere Gebärdensprache mit besonderer Berücksichtigung auf individuellen
Kommunikationsbeschränkungen und Wissensrückständen betont. Je nach Natur und
Ausmass der Beschränkungen kommen besondere Kommunikationstechniken, welche
eine Botschaft erhellen können, zum Zug. Taube Amerikaner reden von 'Visual
Gesturing' (kurz fingerspelled VG, früher nannte man das "low verbal
signing"), was ich als nicht sinnentsprechend bezeichne. Als Ersatz
benütze ich 'Communication Enhancement Techniques', auf Deutsch
'kommunikations-erhellende Techniken'. Sie bestehen unter anderen aus
Techniken, die in der Ausbildung entwickelt werden müssen:
Bildhaftmachen
der Gebärden (Gebärden werden verstärkt ikonisch gemacht);
Einschübe
von Gesprächsthema (englisch: topic), Redundanz, Hintergrundinformation,
Erklärung usw., weiter ausgeführt mit Beispielen unten;
Verwendung
von Bildmaterial;
Zerlegung
einer langen Äusserung in interaktive Teile mit Zwischenpausen für Feedback,
Wiederholung, Rückfrage;
verstärkter
und schauspielerischer Einsatz von Gesichtsmimik;
Restrukturieren
der Teile einer Äusserung in überschaubarer Reihenfolge, wie oben im
Blutprobe-Beispiel angezeigt;
Umformung
der W-Fragen in "Ja-Nein"-Form oder "A oder B (oder C)
welche?"-Form;
Pantomime;
Ein-Mann
Rollenspiel.
Es folgen einige
Erklärungen über zwei der Techniken. Alle andere können aus dem obigen Text
leicht nachvollzogen werden.
Über den Einschub eines Gesprächsthemas (diese Überschrift
selbst ist ein Beispiel des Einschubs):
Ein Gesprächsthema, das
in der Äußerung eines Hörenden nicht enthalten ist, wird vorangestellt, um die
Aufmerksamkeit des tauben Konsumenten auf das Thema zu lenken, da es manchmal
vorkommt, daß er eine Frage wegen eines falsch angenommenen Themas falsch beantwortet.
Manchmal genügt ein kurzer Hinweis auf die vorhergehenden Äußerung, Zeit und
Ort eines Geschehens, das besprochen wird. Oder ein Element in der Äußerung
wird durch einen entsprechenden Gesichtsausdruck und Körperhaltung
"topicalisiert".
Über den Einschub eines redundanten Elements:
Manchmal kommt es vor,
daß ein oder zwei Elemente in der Äußerung wegen Informationsüberladung nicht
beachtet werden, weil zuviel Aufmerksamkeit auf etwas unwesentliche gelenkt
worden ist. Man schiebt etwas Gleichbedeutendes für einen wichtigen Bestandteil
in der Äußerung als Wiederholung hinein, um eine mögliche Ablenkung auf andere
unwesentliche Elemente zu vermeiden. Beispiele: durch ein verneintes Antonym
NAHE, NICHT WEIT; JETZT, NICHT SPÄTER; durch Verstärkung NEAR, GANZ-UM-DIE-ECKE
(oder KURZ LAUFEN); MORGENS, NACH AUFSTEHEN. Redundante Elemente hier sind
NICHT WEIT, NICHT SPÄTER, NACH AUFSTEHEN und GANZ-UM-DIE-ECKE oder KURZ LAUFEN.
Dem Einfühlungsvermögen
und der Erfahrung des Zwischendolmetschers im Umgang mit solchen Personen
bleibt es überlassen, welche erhellenden Techniken in welchem Umfang zum
Einsatz gelangen. Man vermeide das Zuviel, um das Ehrgefühl des Beteiligten
nicht zu beeinträchtigen.
Auf der rezeptiven
Seite sind ein gutes Verarbeiten von Kontext, Einfühlungsvermögen, und das
vorher ermittelte Hintergrundwissen (Namen, Ortsnamen, Zeitangaben usw.)
notwendig, um die manchmal unklaren Äußerungen der sprachlich Benachteiligten
besser zu erfassen und wirkungsvollere Rückfragen zu stellen.
o mit tauben Geistesschwachen:
Die oben angeführten
kommunikations-erhellende Techniken, kommen verstärkt zum Zug. Geistige
Beschränkungen, besonders für abstrakte Begriffe, werden Rechnung getragen.
Wiederholungen, Umformung der W-Fragen und Umschreibung mancher nicht leicht zu
fassenden Begriffen und Pantomime werden öfter angewandt. Eine Antwort auf eine
Frage kann später nach einigem Hin- und Her entstehen. Es kommt manchmal vor,
dass eine Frage, die vorher gestellt ist, für die aber die Antwort nicht oder
nur teilweise gegeben wurde, erst später plötzlich beantwortet oder die Antwort
vollständiger wird. Hier sind Kenntnisse und Einsatz der
Kommunikationseigentümlichkeiten, die einer geistesschwachen Person eigen oder
diesem Personenkreis gemein sind, notwendig.
o mit tauben Kindern:
Kenntnisse des
kindlichen Gebrauchs der Gebärdensprache und des Wissenstandes in verschiedenen
Alterstufen spielen hier eine grosse Rolle. Besonders der Stand der
sprachlichen Entwicklung muß berücksichtigt werden. Kommunikationserhellende
Techniken finden deshalb mit Kindern Verwendung.
o mit tauben Ausländern:
Die sogenannte
"internationale Gebärdensprache" wird eingesetzt oder sie wird mit
lokalen Gebärden, je nachdem wieviel der Ausländer die lokale Sprache erlernt
hat, gemischt. Da im Ausland ähnliche monolinguale oder schlimmere
Erziehungszustände bestehen können, sind manchmal erhellende
Kommunikationstechniken erforderlich. Auch Einschübe der für das Verstehen
notwendigen Hintergrundinformation und der Informationen über die Landeskultur
können notwendig werden.
o bei internationalen Kongressen:
Die außerordentliche
Kommunikationsfähigkeit der tauben Teilnehmer bei internationalen
Veranstaltungen, wie dem Weltkongreß der Gehörlosen, den Weltspielen der
Gehörlosen, International Deaf History Kongreß, Deaf Way Kongreß, ruft
Bewunderung bei den Hörenden hervor. Hier findet die internationle
Gebärdensprache oder "Gestuno" verstärkt Anwendung. Während deren
Gebrauch vorher nur auf Gespräche untereinander und Verhandlungen zwischen
Verbandsfunktionären beschränkt war, wurde erst in der jüngsten Vergangenheit
mit dem Dolmetschen wissenschaftlicher Vorträge in diese Sprache begonnen. Die
Teilnehmer sind oft selbst ausgezeichnete Kommunikatoren in ihrer
Gebärdensprache und haben bereits viel Allgemeinwissen erworben. Sie können
ganz neuartige metaphorische Umformungen, die oft für abstrakte Begriffe wegen
der fehlenden Gemeinsamkeiten ihrer Gebärden für diese notwendig sind,
verkraften. Zum Beispiel: für den Gedanke "mutig vorangehen, ohne
Zögern" habe ich einmal die Metapher von "mutig ins Wasser
hineinspringen" gewählt. Kommunikations-erhellende Techniken werden hier
selten angewandt.
o mit Taubblinden:
Es gibt zwei
Grundarten: taktil für total taublinde Personen und Gebärden im restriktiven
Gesichtsfeld für Personen mit eingeschränktem Gesichtsfeld und Nahgesicht. In
den U.S.A. ist das Lormen unbekannt, aber es gibt Taubblinde, die nur mit
Manualalphabet kommunizieren.
In den USA ist es
formell noch nicht festgelegt, ob das Dolmetschen für diesen Personenkreis
generell zum Berufsbild eines tauben Dolmetschers gehört oder als Spezialist zu
betrachten ist und deshalb gesondert geprüft werden soll. Aber da
Zwischendolmetscher häufig im Dienste solcher Menschen eingesetzt werden, hat
man sich de facto für das erstere festgelegt. (Im Gegensatz braucht dazu ein
hörender Dolmetscher nicht immer für den Einsatz bei Taubblinden in der
Dolmetscherausbildung trainiert und darüber in einer lizensierten Prüfung
geprüft zu sein.)
Man unterscheidet in
der Arbeit mit Taubblinden zwischen zwei Arten: Dolmetschen, wie gewöhnlich für
Tauben gemacht, und Shadowing. Beim Shadowing werden die Gebärden on-line so
wortgetreu wie möglich nachgeformt, wie ein Schatten seinem Besitzer, ohne
irgendwelche Umformungen.
Es ist wichtig, daß
wesentliche Informationen des näheren Umfelds mitübermittelt werden, vor allem
wer im Raum anwesend ist, wo sie positioniert sind, und wer zu wem spricht.
Dazu muß auch die Fähigkeit entwickelt werden, nonverbale Gesichtsausdrücke in
zusätzlichen Gebärden zu verbalisieren oder in entsprechende dynamische
Ausführungen der Gebärden umzuwandeln (langsam, kräftig, zornig, ausholend
usw.).
Außerdem soll man an
genügende Beleuchtung und angemessene Bekleidung (am besten dunkelblau) denken,
kein Parfüm verwenden, die dominante Hand frei von Ringen und die Fingernägel
kurzgeschnitten halten.
o und letzlich mit sprachlich nicht benachteiligten Personen:
In den USA hat der
taube Konsument einen Anspruch auf Qualität und das Recht, einen Dolmetscher zu
wählen, was natürlich nicht immer leicht zu erfüllen ist. Er wünscht sich eine
Übertragung in die reine Gebärdensprache, die am besten von einem Tauben
ausgeführt wird, um besser und auch bequem zu verstehen. Es ist vor allem eine
Frage der Qualität in der gebärdensprachlichen Übertragung. Zwischendolmetscher
werden deswegen in Lehrveranstaltungen eingesetzt.
Aufgabengebiete eines Zwischendolmetschers
Zwischendolmetscher
werden kurz skizziert eingesetzt:
o vorwiegend als
Dolmetscher (Zwischendolmetscher) mit der Aufgabe der getreuen Übertragung der
Inhalte wie gewöhnlich von einem hörenden Dolmetscher erwartet.
o als Übersetzer (und
Erklärer) von Schriftstücken.
o als Monitor (zwischen
tauben Konsumenten und hörenden Dolmetscher) zur Sicherung der Genauigkeit des
Kommunikationsvorgangs. Er wird sich dann einschalten, wenn etwas nicht stimmt
oder zu erklären ist.
o als Erklärer
(englisch: clarifier). Diese Rolle wurde erstmals formal 1994 bei der
"Allies Conference" der Gebärdensprachdolmetscher eingesetzt, die
jetzt jährlich November in New Hampshire stattfindet, wo eine große Anzahl
tauber Dolmetscher und Konsumenten teilnehmen und hörende Dolmetscher
zueinander immer gebärden. Der Erklärer trat nur auf Verlangen tauber
Teilnehmer auf, wenn sie den vollkommenen Sinn einer gebärdensprachlichen
Äußerung eines Hörenden nicht erfassen konnten. Seine Aufgabe ist es, die nicht
verstandene Äußerung sprachlich umzuarbeiten und, wenn notwendig, mit
Erklärungen oder Hintergrundinformation wiederzugeben.
Rolle des hörenden Dolmetschers im Team mit
Zwischendolmetscher
o als Feeder cum
Monitor und Übersetzer der gebärdensprachlichen Äußerungen in die Lautsprache,
in der Regel so, wie der Zwischendolmetscher die Äußerungen des Konsumenten
wiedergibt. Die Äußerungen eines Hörenden werden oft simultan dem
Zwischendolmetscher zur Weiterleitung "gefüttert" und seine
Übertragung wird dann auf Vollkommenheit überwacht. Etwaige Unterlassungen
werden nachgeliefert. Manchmal klärt der hörende Dolmetscher dem hörenden
Beteiligten den Vorgang einer Übertragung, besonders wenn der
Zwischendolmetscher einen anderen Versuch bei Mißlingen der ersten Arbeit
unternimmt.
o als Dolmetscher
zwischen tauben Dolmetscher und hörenden Beteiligten in vorbereitenden
Gesprächen.
Feeding Mechanism und Vorbereitung
Feeding kann
fortlaufend oder in Gedankeneinheiten geschehen. Beide Mechanisms können
simultan oder konsekutiv vorgehen. Jedoch erweist sich die konsekutive Methode
oft als das bestmögliche.
Gewöhnlich ist ein vorbereitendes
Gespräch vor dem Einsatz notwendig, um dem hörenden Gesprächsteilnehmer die
Notwendigkeit eines zusätzlichen Dolmetschers zu erklären und auch, um alle
notwendigen Hintergrundinformationen zu sammeln. Es wird auch bei dieser
Gelegenheit die beste Sitzanordnung für alle Beteiligten ermittelt. Der
Zwischendolmetscher sitzt gewöhnlich an der Seite des hörenden
"Gegenübers" der tauben Person, während der hörende Dolmetscher etwas
hinter der tauben Person steht oder sitzt.
Eignung und Ausbildung
Psycholinguistische
Studien von Rachel Mayberry und ihren Kollegen von der McGill Universität in
Montreal, Kanada, weisen bessere Fertigkeiten in zwei psycholinguistischen
Aufgaben bei tauben Benützern von ASL aus, die die Gebärdensprache früh vor dem
sechsten Alter natürlich erworben haben (Shadowing, wo die Versuchsperson eine
gebärdensprachliche Darbietung anschaut und gleichzeitig wortgetreu gebärdet;
und Wiederholen aus Erinnerung, was vorher gebärdet wurde). Spätertaubte, die
die Gebärdensprache als Zweitsprache im Kindheits- oder Jugendalter erworben
haben, sind sogar besser als diejenigen, die die Gebärdensprache als
Erstsprache erst nach dem sechsten Lebensjahr erworben haben. Die beiden
Gruppen machen weniger Fehler und die Natur ihrer Fehler zeigen, daß sie den
Sprachstimulus tiefer im Bereich der Semantik verarbeitet haben
(Stimulusgebärde: OLDER, Fehlergebärde: YOUNGER; beide im gleichen semantischen
Feld und phonologisch einander ganz unähnlich), während die andere Gruppe noch
weiter an der Oberfläche, an der phonologischen Form hängengeblieben ist
(Stimulusgebärde: SUMMER, Fehlergebärde: DRY; verschiedene semantische Felder,
aber einander phonologisch ähnlich). Aus Mayberrys Untersuchungen kann
geschlossen werden, daß der Erwerb einer Sprache im frühkindlichen Alter eine
bessere Eignung für die Arbeit als Dolmetscher liefert. Natürlich muß das nicht
unbedingt die Voraussetzung sein, da es individuelle Unterschiede immer gibt.
Weitere Voraussetzungen
für den Beruf als Zwischendolmetscher sind natürlich ein gutes
Sprachverständnis - besonders die Fähigkeit, feine Bedeutungsunterschiede, die
in Texten vorkommen, zu erkennen -; eine gute Wendigkeit, sich in Gebärden
auszudrücken; gute Fähigkeit, deutsche Texte mit gutem Verständnis zu erfassen
und in die Gebärdensprache zu übersetzen. Grammatikalisch fehlerlose und
fliessende Beherrschung der deutschen Sprache brauchen nicht ausdrücklich
verlangt zu werden. Die Vergangenheit als Internatsschüler oder eingewurzelte
(vertieft wie eine Wurzel) Mitgiedschaft in der
Gebärdensprachkulturgemeinschaft spielen eine große Rolle für das richtige
Ermessen der linguistischen Eigentümlichkeiten der sprachlich Benachteiligten.
Die meisten der jetzt
tätigen tauben Dolmetscher sind selbsttrainiert. Jetzt können taube Kandidaten
sich in verschiedenen Trainingsstätten, wie an der Northeastern University in
Boston, mit hörenden Dolmetschstudenten ausbilden lassen. Sie befolgen den gleichen
Lehrplan für hörende Dolmetschkandidaten. In der Ausbildung wird für sie
zusätzlich ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung der Fähigkeit,
Schriftstücke genauer zu verstehen und sinngetreu in die Gebärdensprache
wiederzugeben, gelegt, z.B. Textanalysis des geschriebenen Textes, angefangen
mit kurzen Stücken, dann aufsteigend zu längeren Schriften. Andere Übungen
werden nützlich: Recall-Übungen, Umformen (paraphrasing) und Zusammenfassen von
schriftlichen Texten und Gebärden-Reden, Wiedergeben von den Darbietungen der
weniger fließend Gebärdenden (clarifying). Shadowing kann geübt werden.
Eine Sonderprüfung für
Zwischendolmetscher ist in den U.S.A. vom Dolmetscherverband Registry of
Interpreters for the Deaf (RID) in der Entwicklung. Der Verband gibt daher
jetzt ein vorläufiges CDI-P Zertifikat (Certified Deaf Interpreter Provisional)
aus, welche Kandidaten unter bestimmten Voraussetzungen erhalten können.
Schluß
Hier habe ich das
Berufsbild eines "neuen Berufs" eines tauben
Gebärdensprach-Zwischendolmetschers vorgestellt. Taube Personen mit geeigneten
Voraussetzungen können dort ein interessantes Tätigkeitsgebiet finden, das
allmählich zum Vollberuf wachsen kann. Vollkommenere Entwicklung als taube
Persönlichkeit geschieht eher durch die Gebärdensprache als durch die
Lautsprache allein. Gesellschaftliche und berufliche Integration geschieht eher
mit Dolmetscher als ohne. Der Einsatz von tauben Zwischendolmetschern wird
immer notwendig bleiben, solange die Gebärdensprache tauben Kindern in der
frühen Kindheit noch vorenthalten wird. Der Einsatz von tauben ausgebildeten
Dolmetschern bringt diesem Personenkreis mehr Zugang in die allgemeine
Gesellschaft und eine bessere Lebensqualität als bisher.