Sendeplatz: DP, Kultur

Moderation:

80 000 Menschen in Deutschland können nie ins Theater. Das heißt sie könnten schon, aber verstehen würden sie nichts. Gemeint sind die Gehörlosen. Für sie ist das ein Bruch des Grundgesetzes Artikel 3, Absatz 3. Dort steht: „Es darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Dabei gibt es eine Möglichkeit, sie an der Kultur zu beteiligen: Dolmetscher, die am Rand der Bühne oder zwischen den Schauspielern stehen, können die Stücke in Gebärdensprache übersetzen. Das aber kommt in deutschen Theatern kaum vor.

Bisher scheiterte es an den Kosten und daran wird sich auch die nächste Zeit nichts ändern. Aber der Gesetzgeber plant, die notwendigsten Hilfen für Gehörlose 2001 im Sozialgesetzbuch IX und dem Gleichberechtigungsgesetz festzuschreiben. Gehörlosenverbände fordern: In einem nächsten Schritt solle die Beteiligung an der Kultur geregelt werden. Das würde bedeuten, der Stadt muß die Dolmetscher in Theatern finanzieren.

David Schubert über die späte Gleichberechtigung der deutschen Gehörlosenszene.


Beitrag:

Die Sprache der Gehörlosen: eine lautlose Sprache. Eine Gebärdensprache.

L 3 - LIMBACH 8:21 GEBÄRDE „THEATER“                                           0:15
„Die Gebärde für Theater ... da nimmt man beide Hände für und formt aus Daumen und Zeigefinger einen Kreis und setzt die Hand dann praktisch senkrecht vor sich in den Raum und bewegt die Hände im Wechsel nach oben und unten. Das heißt „Theater“ in Gebärdensprache.“

Für die Gebärdenspach-Dolmetscher wie Asta Limbach ist es jedes Mal eine Herausforderung, ein Theaterstück zu übersetzen: Wortspiele müssen aus der Sprache der Hörenden in Gebärdensprache umgetextet werden. Jeder Schauspieler bekommt ein Zeichen, das sich aus Aussehen oder Charakter ableitet, damit die Gehörlosen wissen, wer gerade übersetzt wird. Keine leichte Aufgabe.

Damit die Gehörlosen dabei das Bühnengeschehen im Blick behalten, ist das sogenannte Personendolmetschen ideal. Dabei mischen sich die Dolmetscher zwischen die Schauspieler, so daß sie den hörenden Zuschauer nicht stören, aber von den gehörlosen Zuschauern gut sichtbar sind. Ulrike Köhler, Spielplan-Disponentin vom Schauspielhaus Köln:

KÖHLER: O 1:55                                                                             0:17
„Es ist oft auch so, daß die Schauspieler wiederrum auf den Dolmetscher reagieren. Das kriegt dann so einen ganz improvisierten Charakter. Die werden manchmal regelrecht einbezogen in die Spielhandlung, das ist vorher gar nicht abzusehen. Das macht es für den hörenden Zuschauer sehr spannend.“

Weil die Stücke auch beim hörenden Publikum gut ankommen, versucht man im Kölner Schauspielhaus, regelmäßig Vorstellungen in Gebärdensprache übersetzen zu lassen. Regelmäßig heißt: Einmal im Jahr.

KÖHLER O 4:25 IDEAL                                                                          0:09
„Ich würde mir wünschen, daß wir es häufiger machen könnten. Daß wir also regelmäßig eine Vorstellung im Monat dolmetschen könnten.“

Dabei liegt das Theater mit einer Aufführung für Gehörlose im Jahr noch im Spitzenfeld. Die Meisten bieten keine Vorstellungen für Gehörlose an, denn eine Übersetzung ist teuer. Zu teuer für die Theater und auf Dauer auch für die Gehörlosenverbände, die oft mitfinanzieren. Eine Dolmetscherstunde kostet 70 Mark, die Vorbereitung und Übersetzung eines Stücks etwa 1000 Mark. Kosten, die nach Ansicht der Gehörlosenverbände der Staat zu zahlen hat.

Grund für die Weigerung der Kostenübernahme ist, daß der Staat die Gebärdensprache der Gehörlosen immer noch nicht als eigene Sprache anerkannt hat. Die bisher favorisierte Alternative: Gehörlose sollen sprechen lernen wie Hörende. Allerdings ist Gebärdensprache mehr auf die Bedürfnisse der Gehörlosen abgestimmt und nur mit ihr können Gehörlosen sich inhaltsorientiert verständigen.

 Daß Gebärdensprache künftig anerkannt wird, gilt als beschlossen. Die Frage ist, welche Verpflichtungen für den Staat daran geknüpft werden.
Eines ist klar: Der kulturelle Bereich gehört vorerst nicht dazu. In erster Linie ist die Finanzierung der Dolmetscher für das Gesundheitswesen, in Behörden und in Schulen geplant. Dagmar Schwirschke, Pfarrerin und Dolmetscherin für Gebärdensprache:

SCHWIRSCHKE O 16:13 FOLGEN ANERKENNUNG DGS à USA            0:14
„Also ich denke mal, daß ist auch so eine Sache der Gewöhnung. [...] Wenn Sie mal nach Amerika gucken, da gibt es ja fast keine Veranstaltung ohne Dolmetscher, es ist normal, es gehört dazu. Das ist bei uns noch nicht so.“

Amerika ist – neben Schweden, Finnland, Dänemark, Holland und England – Vorzeigemodell in Sachen Gleichberechtigung: Wenn ein Gehörloser im Theater keine Übersetzung bekommt, kann er klagen. Die Kosten für die Dolmetscher zahlt dabei zu 100% der Staat.

Dr. Ulrich Hase ist Vorsitzender des deutschen Dachverbandes der Gehörlosen und Behindertenbeauftragter von Schleswig-Holstein. Er ist selbst ein Betroffener.

H2 - HASE MD: 4|2:04                                                                           0:40
„Ich habe es selbst erlebt: Ich bin stark hörgeschädigt und telefoniere mit entsprechenden Hilfen.. als ich in Amerika war im letzten Jahr, hab ich irgendwo im Hotel am Tresen gestanden und habe die Frau nicht verstanden und hab ihr gesagt, daß ich taub bin.. hab es ihr auf Englisch gesagt .. sie soll bitte aufschreiben, daraufhin sagte sie sofort: „Moment, wir bestellen einen Dolmetscher, bitte warten sie zehn Minuten, dann kommt ein Dolmetscher. [..]“
H1 – 2.|3:31 „Das spielt auch eine große Rolle: Wenn wir da mehr Druck machen könnten, würde die Politiker sicher auch schneller hellhörig werden und würde sagen, in den Bereich müssen wir rein, sonst – ja, mal ganz brutal gesagt – verlieren wir Wählerstimmen. Aber so weit sind wir nicht.“

Auch für Asta Limbach spiegelt die USA das wieder, was sie unter Gleichberechtigung versteht.

L2 - LIMBACH: O 10:10 USA à Ziel in Deutschland                              0:12
„Beneidenswerte Situation. [Für die Gehörlosen wie für uns Dolmetscher natürlich auch. Also, einen Anspruch zu haben, an solchen Veranstaltungen teilnehmen zu können, uneingeschränkt, und alles mitzubekommen und verstehen zu haben, das ist fantastisch und das ist das Ziel,] worauf die Gehörlosen in Deutschland ja auch hinarbeiten. Und ich träume davon, daß das nicht mehr allzulange dauert.“