Brandschutzerziehung mit gehörlosen Kindern
Textauszug übernommen aus "Deutsche Feuerwehr Zeitung" 12/2000
Die Brandschutzerziehung bei gehörlosen Kindern ist nicht auf herkömmliche Art durchzuführen. Aus diesem Grund hat die Berufsfeuerwehr Frankfurt/Main ein Ausbildungskonzept entwickelt, das in dem Beitrag vorgestellt wird.
Mit einem Seminar fing alles an. Im Herbst 1998 wurden die Brandschutzerzieher der Berufsfeuerwehr Frankfurt/Main während eines Seminars von der Erzieherin Cornelia Redetzki besucht. Frau Redetzki ist selbst gehörlos und schilderte den Brandschutzerziehern ihre Situation. Unterstützt wurde sie von ihrem Lebensgefährten, welcher die Ausführungen von Frau Radetzki in der Deutschen Gebärdensprache (DGS) inhaltlich in Lautsprache umsetzte. Die Brandschutzerzieher waren somit von der ersten Minute an darauf angewiesen, auf die Ebene der Kommunikation zu wechseln, die neu war. Noch während des Seminars erklärte sich ein Brandschutzerzieher bereit, mit der gehörlosen Erzieherin ein gemeinsames Ausbildungskonzept zu erarbeiten. Es folgten viele Arbeitstreffen in denen die Lerninhalte der Brandschutzerziehung mit Lehrmethoden der Erziehung verknüpft wurden. Um die Brandschutzerziehung durchführen zu können, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Brandschutzerzieher und der gehörlosen Erzieherin notwendig. Im Rahmen der Vorbereitung mußte der Lehrstoff gebärdensprachlich aufgearbeitet werden, damit die Lernziele überhaupt an hörgeschädigte und gehörlose Kinder vermittelt werden können. Dieses Konzept war der Beginn einer ganzheitlichen Branschutzerziehung in Einrichtungen für gehörlose Kinder.
Aus Sicht der Feuerwehr ist es wichtig, den gehörlosen Kindern die gleichen Inhalte der Brandschutzerziehung wie den hörenden Kindern zu vermitteln - selbstverständlich unter Berücksichtigung deren individueller Situation. Ein Beispiel ist die Wortschatzentdeckung. Bei der Laut- und Schriftsprache wird die Kluft zwischen hörenden und gehörlosen Kindern immer größer, je älter sie werden. Da nur etwa ein Drittel des gesamten Wortschatzes vom Mund abgesehen werden kann, standen die Brandschutzerzieher vor dem Problem, wie sie den gehörlosen Kindern den gesamten Inhalt der Brandschutzerziehung vermitteln sollten. Hier galt es, Kommunikationsschwierigkeiten abzubauen und durch geeignete Methoden zu ersetzen. Auch bei hörenden Kindern gehören schließlich Zeigegestik, Pantomime oder Mimik zur kindlichen Kommunikation. Dieses mehrkanalige Lernen trägt vor allem dazu bei, Lerninhalte zu festigen. Es ist also erforderlich, das Mundbild durch natürliche Gebärden, Mimik, Gestik sowie Gebärdensprache zu unterstützen. Ungewohnt ist natürlich, diese Kommunikationsmittel vor der Lautsprache einzusetzen.
Die allg. Erkenntnis der Pädagogik zeigt, daß sich das Erziehungsprogramm nicht am schwächsten Punkt des Kindes orientieren darf. Um so wichtiger ist es, die Stärken des gehörlosen Kindes zu kennen, um die Unterrichtsinhalte:
- Aufgaben und Ausrüstung der Feuerwehr,
- Feuermeldewege
- Beantwortung der Fragen: "Was ist Feuer?", "Was brennt?" und "Was macht Rauch?"
- Richtiges Verhalten im Schadenfall
- Umgang mit Feuer
- Notrufmeldung für Gehörlose per Notruffax
- Vertrauensbildung zum Helfer
- Vorsichtiger Umgang mit Feuer
so zu gestalten, daß eine Verständigung in mehreren Ebenen an Hand von Reizmodellen, Folien, Arbeitsblättern, Kreisspielen, Rollenspielen sowie Bewegungsspielen möglich wird. Die Unterrichtsmittel wurden so erstellt, daß sie dem Lernniveau und den kommunikativen Möglichkeiten der hörgeschädigten, bzw. gehörlosen Kindern gerecht werden. So wurden beispielsweise Folien mit verschiedenen Tätigkeiten und Handlungsanweisungen für den Notfall in illustrierter Form erstellt. Dazu werden die Erklärungen in Form von Gestik durch die Brandschutzerzieher, unterstützt durch Gebärdensprache der gehörlosen Erzieherin, gegeben. Eine kindgerechte bildliche Sprache unterstützt die speziellen Kommunikationsbedürfnisse und ermöglicht eine gelockerte Arbeitsatmosphäre.
Das Ausbildungskonzept orientiert sich an der Ausbildungsmappe für Brandschutzerziehung in Hessen. Folien und Arbeitsblätter wurden so gestaltet, daß sie visuell leicht verständlich und in drei Ebenen der Kommunikation eingearbeitet werden konnten. Weiterhin wurden Reizmodelle für Feuer, Rauch (Rauchhaus) und Notrufmeldewege (Notrufmeldeplatte) entwickelt. Zu den Themenschwerpunkten wurden Rollenspiele eingeübt, in die Kinder während des Unterrichts mit einbezogen werden.
In der Schule wurde der Unterricht in drei Ebenen der Kommunikation (Sehen, Fühlen, Erleben) eingeteilt. Die Anzahl der Teilnehmer ist dem Leistungsstand der Kinder angepaßt und soll zehn gehörlose Kinder nicht überschreiten. Dabei wird unterschieden.
Sitzgruppenbereich: Hier erfolgt die rein visuelle Aufnahme von Unterrichtseinheiten. Dazu werden Folien gezeigt, die durch Pantomime unterstützt werden.
Arbeitsbereich: Dieser Bereich dient mit der Wahrnehmung von Reizmodellen, Durchführung von Experimenten sowie dem Ausfüllen der Arbeitsblätter der Kommunikationsebene >> Fühlen <<.
Szenenfläche: sie ist zum >> Erleben << des Theaters, des Rollenspiels und für Übungen mit Kindern gedacht.
Da die Konzentrationsleistungen für gehörlose Kinder durch die rein visuelle Aufnahme des Unterrichtsstoffs sehr hoch ist, empfiehlt es sich in kürzeren Zeitabständen eine Auflockerungspause anzubieten.
Eingebunden in das Ausbildungskonzept ist auch die Vermittlung des richtigen Notrufs, der bei gehörlosen Kindern nur schwer gelehrt werden kann. Die Notrufmeldewege von gehörlosen Menschen sind gegenüber hörenden Menschen nicht übertragbar, so daß andere Systeme zur Anwendung kommen müssen. Hier eignen sich nach heutigen Stand der Technik Faxgeräte am besten. Mit diesen Geräten sind die hörgeschädigten und gehörlosen Menschen vertraut. Es dient allg. Als Kommunikationseinrichtung im täglichen Leben. Die meisten zentralen Einsatzleitstellen sind jedoch nicht zielgerecht ausgestattet. Die Empfangs-Faxgeräte der Leitstellen werden in der Regel nicht als Notruf-, sondern als Büroeinrichtungen betrieben. Daher ist die vorrangige Bearbeitung eines eingehenden Notruffaxes nicht garantiert, es kommt zu nicht unerheblichen Zeitverzögerungen.
Bei der Feuerwehr Frankfurt/Main wurde auf diese Erkenntnis hin kurzfristig und durch einfache technische Maßnahmen im Stadtgebiet auch für ein Faxgerät die Notrufnummer 112 geschaltet. Jede Faxnachricht, die über die >>112<< gesendet wird, wird von einem gesonderten Faxgerät empfangen und als Notrufnachricht wie telefonische Notrufe vorrangig bearbeitet.
Darüber hinaus wurde eine leicht verständliche Notruffaxvorlage entwickelt. Dadurch konnte sichergestellt werden, daß gehörlose Kinder und Erwachsene in Notsituationen schnelle Hilfe herbei rufen können.
Die wesentlichen Inhalte können vorausgefüllt an zentraler Stelle im eigenen Haushalt bereitgestellt und im Bedarfsfall im Ankreuzverfahren komplettiert werden. Der Faxvordruck ist über Internet abrufbar und an jeder Feuer- und Rettungswache erhältlich.
Das Frankfurter Konzept zur Brandschutzerziehung bei gehörlosen Kindern wurde im September 1999 mit dem Förderpreis des Deutschen Feuerwehrverbandes, der >> Brandschutz 1<< ausgezeichnet. Auch während der INTERSCHUTZ in Augsburg wurde das Konzept vorgestellt.