DIE ETHIK DER COCHLEAR IMPLANTATION BEI KLEINKINDERN -
WAS WIR DAZU SAGEN
von Hartmut Teuber

 

Einführung

Zur Debate zwischen CI-Mediziner und vieler Pädagogen und tauben Leute kamen verschiedene Veröffentlichungen zutage. Deutschsprachige Stimmen contra Cochlear Implants (CI) erscheinen praktisch nur in der Stillen Presse, "hörgeschädigte kinder" und "Das Zeichen", kaum in medizinischen und pädagogischen Fachzeitschriften. Sogar kritische Stellungnahmen der Verbände sind dort kaum zu sehen.[1] Lediglich liest man dort Schrifte, die die Notwendigkeit und Nützlichkeit von CI ganz groß herausstellen und sogar dessen Wirksamkeit für die Sprachanbahnung schwärmen.

Im "Selbstbewußt Werden" (SBW), Heft 38, werden Prof. Dr. Lenarz and Dr. Bertram von Cochlear Implant Centrum Hannover heftig unter Beschuß genommen, wie z.B. "Grausam" von Guido Wagner und "Unheimliche Macht ..." von Constanze von Canal (SBW 38/1996, S.11-15; siehe auch DZ, 35/1996, S.6 und 36/1996, S.140).

Prof. Dr. Lenarz and Dr. Bertram erwidern darauf in der nächsten Ausgabe von SBW und verteidigen, daß das CI medizinisch notwendig ist, weil die Taubheit eine Krankheit ist und ein Leben in Taubheit eine verminderte Lebensqualität bedeutet. Sie verneinen, daß sie Experimente führten, auf Werbung für CI gingen, einseitige Informationen gegeben zu haben, eine Täuschung in der Darstellung der Erfolge betrieben zu haben und daß die gesellschaftlichen Gesamtkosten für die mit CI-versorgten Kinder höher als für solche ohne CI sind. Auch lehnen sie schlicht die gebärdensprachlich-bilinguale Schulreform und das Leben mit tauber Identität als eine positive Option ab. Der Erwerb der Lautsprache durchs CI wird nur als "möglich" angeboten und die Möglichkeit des Versagens verschwiegen, im Gegensatz zum Eingeständnis einer solchen Versagensmöglichkeit anderswo (SBW 39/1996, S.6-9; Bertram 1992, S.542).

In der gleichen Ausgabe befindet sich auch ein Erfahrungsbericht aus ihrer langjährigen Praxis der CI-Logopädin Marianne Holm. Hier wird auch nur von der "Chance" des Lautspracherwerbs durch CI gesprochen und dessen Versagen ohne Reue auf das Bestehen der zusätzlichen Behinderungen hingewiesen (SBW 39, S.25-34).

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Heutiger Erfolgsstand des Cochlear Implants

Übereinstimmung unter Audiologen, Mediziner und Pädagogen besteht, daß die Nützlichkeit des CI nur noch im Wahrnehmen der Geräusche und kein Sprachverstehen bei den meisten Implantierten besteht und daß die CI-Kinder weiterhin hörgeschädigt bleiben und die gleichen Hilfen wie für andere tauben und schwerhorigen Kinder und Erwachsenen benötigen. Untersuchungen der Cochlea Corporation, der Indiana University und University of Iowa (zitiert in "kieler INFO", März 1996, S.21) ergeben den folgenden Fazit: Kinder, die postlingual ertaubt sind, konnten in Worttests einige Wörter erkennen; prälingual Ertaubte dagegen haben einen Median von Null Erkennung der Wörter trotz des mehrjährigen, postoperativen Hörtraining (Boothroydt 1993; Horn et al. 1991; Lane 1992, 1996; siehe auch Müllensiefen in SBW 28/1993, S.17).

Nichts nachprüfbar ist angegeben, um das, was Lenarz und Bertam mit "etablierte Therapieform ..., deren Effektivität eindeutig bewiesen" (SBW 38, S.7 & 8) bezeichnen, zu untermauern.

Zusammenfassend: das CI und die nachfolgende intensive hörtherapeutische Behandlung machen aus tauben Patienten in der überaus großen Mehrheit nur resthörig oder schwerhörig mit bekannten zusätzlichen psychischen Problemen, welche viele Schwerhörigen überwinden müssen. Die Nützlichkeit des CI für diese Mehrheit besteht in - frei nach Goethe - aus "Schall und Rauch". Lediglich ein verständlicheres Sprechen kann erreicht werden, wie erwartet von Schwerhörigen.

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Zur Ethik

Über die Ethik von CI schreibt Dr. Armin Löwe in der HÖRGESCHÄDIGTENPÄDAGOGIK (Löwe 1994), in der er unsere und Dr. Lanes ethische Bedenken gegen CI zerstreut und den operationellen Eingriff bei Klein- und Kleinstkindern als vollkommen ethisch und sogar als notwendig verteidigt, solange nichts psychologisch und pädagogisch kontraindiziert ist. Als eine maßgebende pädagogische Kontraindikation der Operation nennt Löwe merkwürdigerweise ungünstige Umstände im Umfeld des Kindes im Elternhaus, Schule oder Kindergarten, d.h., wenn keine Voraussetzungen für die postoperative Hör-Spracherziehung bestehen, soll die Einpflanzung nicht stattfinden (S.309, 311). Die "Notwendigkeit" der Implantation wird hierin sofort heruntergeschraubt! Unsere ethischen Bedenken weist Löwe als den verbandspolitischen Interessen zu hörig ab mit den Worten: "die Funktionäre um ihre Sessel bangen" und "die CI Versorgung ist vor der Solidargemeinschaft [der Versicherungsnehmer], nicht aber vor Gehörlosenverbänden zu rechtfertigen" (S.312-315).

Die Einstellungen der CI-Mediziner und vieler Pädagogen können wir nicht als ethisch und aufklärend beurteilen. Wie Dr. Schwevelov aus Schweden, selbst auch Arzt und Vater eines tauben Kindes, sagt, die Mediziner müssen ihre Berufsethik neu durchdenken (SBW, 39, S.17). Ein solches Umdenken ist bereits im Gange, besonders in der Behandlung der Todkranken und in Bereichen der Genetik, Gentechnologie und daraus resultierende Gentherapie. In den U.S.A. und Schweden gilt es auch für die CI Prozedur. Ein Artikel über die Ethik von CI-Einpflanzungen ist von den Professoren Dr. Lane und Dr. Michael Grodin (Professor und Direktor des Law, Medicine & Ethics Program der Boston Universität) bald erscheinen.

Wollte man da "Gott spielen" und die Natur und Menschheit neu umformen durch Ausmerzen der Taubheit? Wollte man da die nationalsozialistische Idee des Züchtens einer makellosen Menschenrasse weiterführen durch Medizin und Elektrotechnik statt Sterilisation und erzwungenene Fetusabführung? Die Opfer sind damals wie auch heute taube Leute.

Die Ethik der CI-Leute gleicht deren des Automechanikers, der immer repariert, auch wenn das Auto es nicht nötig hat. Er würde sowieso eine Reparatur empfehlen, nur weil das Auto wahrscheinlich dadurch besser würde.

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Unsere ethische Bedenken beruhen auf folgende Punkten:

* Wieso soll eine drastische körpereingreifende Operation empfohlen werden, wenn die Gewißheit nicht besteht, daß das Kind soviel hören lernen wird, um die Lautsprache durchs Hören zu erwerben? Die CI befürwortenden Autoren reden nur noch von "Chancen".

* Wie kann diese Prozedur gerechtfertigt werden, wenn sie nur auf chirurgischer Harmlosigkeit und auf zweifelhaften wissenschaftlichen Argumenten aus Neurologie beruhen? Über die Unhaltbarkeit des Vertaubstummungsarguments (Absterben der Gehörnerven wegen des Fehlens von intracochlear Stimulation) und Verdrängungsargument (Visuelle Stimulation verdrängt die Entwicklung der Hör- und Sprachzentren im Gehirn) habe ich hingewiesen (Teuber 1996, S.232).

Dr. Harlan Lane recherchierte die Fachliteratur und befragte Wissenschaftler der Neurologie und kam zum Schluß, daß "solche Behauptungen reine Spekulationen sind, die nicht zur Rechtfertigung eines chirurgischen Eingriffes bei Menschen herangezogen werden können" (Lane, e-mail Kommunication 1995 in meiner Übersetzung).

Es könne doch nicht allgemein ethisch sein, das Verschwinden der Taubheit zu wünschen und daran zu arbeiten.

* Es könne weiter nicht ethisch sein, an das Verschwinden der Gebärdensprache und deren Kultur zu wirken. In diesem Sinne schreiben Lane und Grodin, daß deswegen die Prozedur weiter unethisch bleibt, auch wenn das CI das vollkommene Gehör in einem tauben Kind bringen könne (Lane & Grodin 1996; Lane 1992, S.237). Aus gleichen Gründen können genetische Maßnahmen, die zur Verringerung einer kulturellen Minderheit führen, auch unethisch werden (Jordan 1991).

* Es könne weiter doch nicht ethisch sein, die Prozedur den entscheidungsunfähigen Kindern aufzuzwingen, wenn es allgemein bekannt ist, daß taube entscheidungsfähige Jugendliche und Erwachsene in der überwältigen Mehrheit sie nicht für sich wünschen. Es ist auch bekannt, daß sehr viele das Hörgerät nach der Schulentlassung nicht mehr tragen, trotz jahrelanger Angewöhnung und Hörtraining in der Schule und im Elternhaus.

* Es könne weiter nicht ethisch sein, taube Kinder an die Geräuschwelt zu konditionieren, so daß sie dann nicht mehr in der Stille leben können. Übermäßige Hörtraining hat diesen Konditionierungseffekt erzeugt, wie ich bei einigen tauben Freunden beobachtet habe. Ein erwachsener "hörgeschädigter" Sohn einer hörgerichteten Erziehungsfanatikerin konnte sein Hörgerät beim Schwimmen nicht ablegen.

* Es könne doch nicht human sein, die Taubheit geringschätzig als Krankheit und taube Leute paternalistisch als Leidtragende zu betrachten. Lane (1995) nennt dies eine "Konstruktion der Taubheit als Behinderung". Sie manifestiert sich in der erhöhten Wertvorstellung des Hörens und in den Verweigerungen, die Gebärdensprache zu lernen und Kommunikations- und Informationszugangsbarriere zu entfernen. Gerade die Provision des CI verstärkt diese Konstruktion der Taubheit.

Sehr bedenklich wirkt es, wenn für einen chirurgischen Eingriff Reklame geschlagen wird. Niemand macht Reklame für eine Herzoperation! Die Broschüren aus CI-Zentren und Vorträge der hochbezahlten Doktoren aus solchen Zentren können sicherlich nicht als rein informativ gelten, wenn von einem "großen Glück, etwas hören zu können", die Rede ist.

Als Beispiel der unlauteren Werbung zeigte ein Salzburger CI-Arzt bei einem Informationsvortrag 1995 in Graz eine Schlagzeile "Taubstumme von einem Zug überfahren" (Österreichische Gehorlosen-Zeitung, 1995).

Lane & Grodin (1996) erwähnen Parallelfällen, die das ethische Dilemma klären helfen können. Bei transrassischen Adoptionen der schwarzen und Indianer-Kinder von weißen Leuten würden diese Kinder Schwierigkeiten als Erwachsene im Zusammenleben mit Angehörigen der "Black Culture" oder eines Indianerstammes erfahren und Identitätskonflikte erleiden. Gewisse schulische Maßnahmen für Indianerkinder würden zum Schwund der Indianerkulturen und ihrer Sprachen führen. Der Erhalt einer Kultur, besonders die der Minderheit, ist durch eine United Nations Resolution als wichtig für die Menschheit erachtet worden (U.N. 1992). Bemühungen, die zur Verminderung oder Schwund der Minderheitskultur führen, wird als Volksmord (genocide) und Verbrechen gegen die Menschheit erklärt (Diamond 1970). Ein hypothetisch perfektes CI würde dann zur als Verbrechen erklärten Verminderung einer ungewöhnlichen Kultur mit Gebärdensprache führen, weil die Eltern keine Interesse haben würden, ihr taubes Kind bilingual and bikulturell zu erziehen, wie liberale weiße Adoptiveltern für schwarze angenommene Kinder möglicherweise tun würden. Gerade die Existenz von perfektem CI verstärkt die Verachtung der den Eltern fremden Gebärdensprachkultur und des tauben Kindes Lebensbahn, die normalerweise in diese Kultur bringt, wird deswegen jäh weggelenkt.

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CI in den U.S.A.

Die CI-Operationen werden in den U.S.A. viel zurückhaltender durchgeführt, sogar in Boston mit vielen berühmten medizinischen Instituten. Sehr viele Leute wissen über unseren Standpunkt Bescheid und versuchen uns zu verstehen. Mediziner empfehlen den Eltern die Einpflanzung weniger als anscheinend in Deutschland. In meinen American Sign Language-Klassen für hörende Anfänger äußerten fast drei-viertel schon mißfällig gegen das CI, als sie nach ihrer Meinung befragt wurden. Ich begegne oft Straßenpassanten, die mich über CI fragen, als ob sie die Debatte schon gehört haben. Im Gegensatz wurde ich früher oft gefragt, ob ich nicht hören möchte.

Wertneutrale Beratung?

Es wird immer wieder beteuert, daß die Eltern neuer tauber Kinder immer alle Informationen, auch unsere Bedenken und zweisprachliche (z.B. DGS-Deutsch) Lebensweise als eine positive Option, vom CI-Zentren und Früherziehern der tauben Kinder zur Genüge erhalten (SBW 39, S.9). Diese Beteuerung kann kaum Glauben geschenkt werden. Dem alten Vorurteil gegen Taubheit wird sicherlich nicht einzudämmen versucht. Eher werden die Einstellungen verstärkt, daß das Nichthörenkönnen eine Krankheit sei, daß ein Leben in Taubheit und die taube Identität nicht in Ordnung und keine positive Option des Taubseins seien, daß taube Kinder "aus der Gehörlosigkeit herauszuholen" bzw. "aus der Welt der Gehörlosigkeit auszubrechen" sind (SBW 39, S.6-7).

Der Standpunkt der medizinischen Notwendigkeit für CI, weil die Taubheit eine Krankheit ist, muß wegen der hochmütigen Geringschätzung gegenüber uns zurückgewiesen werden. Es wirkt wie eine Unverschämtheit, zu denken, wir hätten eine mindere "Lebensqualität". Bringt denn das Hören der verschiedenen "Wohlklängen" eine höhere Lebensqualitat (siehe dazu Schönberger, S.13)? Was verstehen sie vom Leben in der Stille als eine Lebensqualität? (Siehe dazu die Karikatur in SBW 40, S.11). Was verstehen sie von der Lebensqualität der Schwerhörigen? Sprechen sie von Benachteiligungen, die wir erleben müssen?

Dazu behaupten sie, daß das CI für taube Kinder eindeutig effektiv sei, und verneinen, daß es immer noch ein Experiment sei (SBW 39, S.7-8). Keine eindeutigen empirischen Beweise des erfolgreichen lautsprachlichen Erwerbs durchs Hören bei den meisten wurden vorgezeigt. Bloß der Hinweis, daß taube Kinder durchs CI hören lernen und dadurch "möglicherweise" die Lautsprache erwerben können, genügt, um die Entscheidung zur tiefgreifenden und seeeeeeeehr teuren Operation an einem Kleinkind zu fällen. Äußerungen anderer Eltern von CI-Kindern, wie "Mein Kind hört den Vogelgesang", "reagiert auf meinen Zuruf" usw. helfen weiter, sich den Bedenken gegen CI taub zu stellen (Ja, diese Leute brauchen ein anderes CI, um uns zu hören!). Ausgerechnet Gespräche nur mit Eltern der mit CI versorgten Kinder werden von beiden Doktoren empfohlen (SBW 39, S. 7 & 9), was gleich einem klassischen Werbungsrezept "Sprich mit zufriedenen Kunden" ist. Sind denn die Eltern der älteren tauben Menschen und vor allem wir als Gesprächspartner ungeeignet?

Die Eltern bekommen sehr spärlich Informationen von unserer Seite. Wie kann die CI-Leute unseren konträren Standpunkt vollkommen und ehrlich erklären? Wie können sie das ganz ehrlich tun, wenn schon in einem Leserbriefes eines CI-Professors und aus einer Broschüre eines CI-Zentrums die Behauptung "Die Gebärdensprache sollte genauso wie das Wort taubstumm der Vergangenheit angehören" zu lesen ist (Rudert 1995, 1996; SBW 30, S.20). Wie können sie die Eltern über die Gebärdensprache aufklären, wenn Lenarz die Schulreform mit gebärdensprachlicher bilingualer Erziehung rundweg ablehnt (SBW 39, S.8). Diese Einstellung, die sicherlich den sich kummertragenden Eltern weitergegeben wird, ist gleich dem Diktat, wie das taube (oder schließlich schwerhörige) Kind sein Leben (ohne Gebärdensprache, mit Kommunikations- und Informationsdeprivationen) zu führen hat.

Wo hört man von solchen Leuten Aufmunterung und Empfehlung, die Gebärdensprache dennoch zu lernen, wie es in Schweden und in den U.S.A. gemacht wird? Eine Mutter lehnt das schroff ab mit den Worten "Wozu auch?" (Beate Ufer in SBW 28, S.9). Oder daß Professionelle selber die Gebärdensprache vollkommen lernen, wie Marianne Holm zugesteht, nicht gebärden zu können (SBW 39, S.31)?

Was wurde wirklich gesagt, so daß eine Mutter eines CI-Kindes den Blödsinn schrieb, daß unsere Gegnerschaft durch Verbitterung, die gleichen Entwicklungschancen wie die CI-Kinder nicht erhalten zu haben, entstanden ist (SBW 38, S.13)? Wie steht es mit der Wertneutralität, wenn wenigstens gesagt wird, daß das Hören und Erkennen der Geräusche besser als taub seien?

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Entscheidungsfähigkeit der Eltern?

Die Eltern sind eben audistisch eingestellt und können unsere einfache und unkomplizierte Ansicht, "Taubsein ist O.K.", nicht sofort begreifen. Unsere positive Einstellung kann nur nach einem längerem Kennenlernen und Leben mit uns begriffen werden. Wer hilft ihnen, das zu bewerkstelligen?

Wenn die Eltern die Taubheit noch mit Kummer betrachten, können sie wirklich für ihr taubes Kind richtig entscheiden? Wir wissen aus persönlicher Erfahrung mit unseren Eltern schon, daß sie oft das nicht tun können. Deshalb müssen wir stellvertretend für diese Kinder eintreten, denn sie sind auch unsere Kinder, soziologisch betrachtet. Diese Kinder kommen schließlich zu uns. Es ist ungerecht, daß wir "emotionelle Trümmer" empfangen und diese reparieren müssen, ohne dafür Gelder von öffentlichen Stellen und Krankenkassen zu erhalten.

Einige Zwangssterilisationen unter Nazimedizin geschahen auch durch die Entscheidung oder eifrige Zustimmung der Eltern. Die Zwangssterilisierten werden stets als Opfer bezeichnet. Sind nicht Leute mit CI auch Opfer, wenn sie danach über Kopfschmerzen, psychische Depressionen und lästige Lärme klagen und dann das Ding und ein Loch im Schädel lebenslang haben? Mir sind einige implantierten Personen bekannt, die gerne das Implantat heraus möchten (Vergleiche Berichte der CI-Träger in SBW 27/1993, S.16 und 28/1993, S.17, 21).

Letztendlich, wie können die Eltern in Deutschland eine informierte Entscheidung fällen, wenn ihnen keine oder nur oberflächliche Informationen über unsere Ansichten der Taubheit zugute kommen?

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Vorwürfe der Tauben gegen die Eltern?

Glauben Sie, verehrte Eltern neuer tauben Kinder, doch nicht, daß taube Kinder Ihnen später Vorwürfe machen werden, das CI nicht erhalten zu haben. Die Befürchtung ist rein erfunden. Mit einem amerikanischen Ausdruck sage ich, "pure bullshit!". Wer von uns hat je so etwas geäußert? Das Gegenteil wurde immer wieder beklagt, daß die Eltern die Gebärden nicht gelernt haben, daß taube Kinder zu Hause isoliert sind, daß Schwerhörige es doppelt schwer haben, sich gesellschaftlich in beiden Welten zurecht zu finden, obwohl sie besser als die Volltauben sprechen können. Auch hört man immer wieder von den Eltern älterer tauben Menschen reumütig oder zornig den Refrain, daß sie von den Pädagogen ermahnt wurden, keine Gebärden zu lernen und an deren Unterdrückung mitzubeteiligen, und daß sie die Gebärdensprache hätten lernen sollen.

Bewertung von CI-Behandlung

Bestenfalls macht das CI aus tauben Leuten nur schwerhörig nach lang ausgedehntem Hörtraining. Wir wissen jetzt schon, daß es mit Schwerhörigen noch nicht bestens bestellt ist. Ja, in vielen Fällen schlimmer als volltaube Personen.

Das Hören durch 22 Kanälen in einem CI kann nie gleichwertig dem normalen oder gar geschwächten Hörsinn sein. Das ist ein Hören in 22 Tönen, nicht das ganze Spektrum von 20 bis 20,000 Schwingungen pro Sekunde, und diese 22 Töne sind nicht harmonisch zueinander geordnet. In visueller Analogie bedeutet das ein Sehen der 22 einfarbigen Lampen, die zu verschiedenen Zeiten schnell auf- und ableuchten.

Die gesellschaftlichen Gesamtkosten für ein taubes oder schwerhöriges Kind mit CI müssen beträchtlich höher liegen. Die Mehrkosten, deren Wirtschaftlichkeit noch zweifelhaft ist, bestehen in der hohen Operationskosten, die von der Gesellschaft und den Versicherungsnehmern (wir sind auch Beitragszahler) getragen werden. Genausoviel Geld wird für seine Erziehung benötigt wie für ein nicht CI-versorgtes Kind, was Erfahrung bestätigt. Da es nicht vollkommen hören kann, braucht und hat es auch Anspruch auf Berufsdolmetscher. Wer weiß, ob fünf oder zehn Jahre später zusätzliche Operationen durchgeführt und finanziert werden müssen? Auch muß die psychatrische Behandlung wegen CI bezahlt werden (siehe Gotthardt 1995).

Der Erfolg soll nicht an Einzelfällen gemessen werden, aber in der Masse. Beispiele der singenden und sprechenden Kinder auf dem Videoband sind irreführend und darf nicht zu einer wichtigen Entscheidung herangezogen werden. Wir kennen diesen Paradepferd- oder Papagei-Trick in unseren Schulen sehr gut. Man soll wissen, daß die Lautsprache auch ohne CI erworben werden kann. Verschiedene traditionelle Sprachanbahnungsmethoden (oral, hörgerichtet, kombiniert oral-manual, ausschließlich Fingeralphabet, oder rein manuell wie in der Frühgeschichte der Taubstummenpädagogik) erzeugen bereits zwischen 10 und 30 Prozent Erfolg. Jedoch bessere lautsprachliche Leistungen erbrachten bilingual erzogene taube Kinder (Teuber 1996). So beweisen die wenigen Erfolge durchs CI diese Behandlung erst recht gar nicht. Ein Erfolg liegt nur vor, wenn mindestens 80ü der Fälle ein volles Verstehen der Sprache erlangen.

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Bedeutung unserer Gegnerschaft

Es muß betont werden, daß unsere Gegnerschaft gegen das CI sich nur auf dessen Anwendung an hilflosen, tauben Kleinkindern und Babys beschränkt. Nichts gegen das CI selbst, solange es auf entscheidungsfähigen Erwachsenen und Jugendlichen beschränkt bleibt. Was uns erbost, ist die Tatsache, daß mit der Prozedur immer, mit wenigen Ausnahmen abgesehen, die Ablehnung der Gebärdensprache, unserer Lebensweise, Kultur und Daseinsberechtigung verbunden wird. Eine Mutter äußerte schon in Verteidigung ihrer CI-Entscheidung, daß sie "ihr taubes Kind nicht der tauben, stillen Kultur opfern" möchte, was einer vollkommenen Ablehnung unseres Daseins entspricht.

Schaden entstehen durch überhöhte, unrealistische Erwartungen des Hörenkönnens und Lautspracherwerbs und Anhängen an die vage definierte "Integration in die hörende Umwelt". Schaden entstehen auch durch das Aufschieben des Erlernens der Gebrdensprache, was zumeistens Verzögerungen der sprachlichen, intellektuellen, psychischen und sozialen Entwicklungen miteinschließen. Untersuchungen von Rachel Mayberry & Eichen von der McGill Universität in Montreal, Kanada, zeigen die Auswirkungen eines späten Einsatzes der Gebärdensprache: Taube Kinder, die nach dem zehnten Lebensjahr zu gebärden anfingen, beherrscht sowohl die Gebrdensprache als auch die Lautsprache unvollkommen, obwohl sie lautsprachlich seit frühem Kindesalter unterrichtet waren (Mayberry & Eichen 1991). Diesen Zustand treffe ich immer wieder in meiner Eigenschaft als Kommunikations- und Sprachevaluator an (vgl. Teuber 1993 und Teuber 1996).[2]

Alles schwärmende Gerede über CI erschwert erheblich unseren Kampf für die Gleichberechtigung, Emanzipation, Akzeptanz unseres Wesens, den gleichen Zugang zu Informationen und weiten den Gebrauch der Gebärdensprache bei den Hörenden. Auch Geldmittel für diese und andere Aufgaben kommen sehr schwer zur Verfügung, weil soooo viel Geld für das wirtschaftlich zweifelhafte CI-Vorhaben abgezweigt wird und weil den Geldgebern weisgemacht wird, daß das, was wir benötigen, überholt seien. Zum Beispiel wird fälschlich und irreführend glaubhaft gemacht, daß CI-Kinder später keine Dolmetscher brauchen würden (In den USA benützen sogar lautsprachlich gewandte, taube und schwerhörige Personen Dolmetscher öfter als die lautsprachlich schwächeren, egal ob sie ASL können oder nicht, auch wenn sie sehr gut sprechen und vom Munde absehen können).

Wir verneinen nicht, daß der Sinn des Hörens wichtig ist, aber die Wichtigkeit ist nur für Hörende, nicht für uns und auch nicht für das taube Kind, solange die Hörfähigkeit noch nicht auf das vollständige Verstehen des Sprechens erstreckt.

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Taubheit, mehr als eine medizinische Frage

Schon 1853 mahnte der französiche, taubstumme Lehrer Ferdinand Berthier die Untersuchungskommission der National-Akademie der Medizin mit den Worten: "Das Thema, das Sie, meine verehrten Herren, jetzt untersuchen, berührt nicht nur ein Problem der Medizin, aber vielmehr eine höhere Frage der Humanität und Zivilisation, welche eine gründliche Überlegung von nicht nur Ärzten, sondern auch von Lehrern, Philosophen und Gelehrten erfordert." (Lane 1984, S.152).

Hoffentlich lernen die CI-Mediziner vom Beispiel des französischen Dr. Itard, dem Begründer der Hörmedizin aus dem 18. und 19. Jahrhundert, der mit Reue seine Experimente an tauben Kindern aus Besessenheit für medizinische "Verbesserungen" als Fehler erkannt und deswegen sein ganzes Vermögen der Höherbildung tauber Kinder vermacht hatte als Versuch zur Wiedergutmachung.

Schluß

Die Öffentlichkeit muß unsere ethische Bedenken kennenlernen und aufgeklärt als der Humanität förderlich verstehen. Sie muß auch beurteilen, ob die hohen Kosten für die Einpflanzung gerechtfertigt sind im Angesicht des schmalen Gewinns der Hörfähigkeit und der zweifelhaften wissenschaftlichen Begründungen für die Prozedur. Eine aufgeklärte Öffentlichkeit schließt häufiger Eltern mit ein, die die Taubheit ihrer Kinder nicht so tragisch nehmen würden.

In seinem 1996 Papier schließt Harlan Lane, übersetzt:

"Zum letzten Ende, wie die Gesellschaft dieses Problem behandelt, sagt sehr viel über die Art der Gesellschaft, in der wir leben und zu leben wünschen. Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit (difference and diversity) sind nicht nur von evlutionärer Bedeutung, sondern, ich möchte betonen, machen sie auch was dem Leben den Reichtum und Inhalt verleihen."

Nun möchte ich diese Diskussion mit einer Geschichte aus Moses Exodus abschließen, das eindringlich die Natürlichkeit der Taubheit aufzeigt. Gott im Feuerbusch in der Wüste sagte zu Moses: "Wer hat denn Blinde, Lahme und Taube erschaffen? Bin ich nicht es, Dein Herr und Gott!"

 

Anschrift des Verfassers:

Hartmut Teuber

39 Kilsythe Road, Arlington, MA 02174 - USA
Fax: 001-617-646-6170
e-mail: hteuber@lynx.dac.neu.edu

 

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Notizen:

[1] Siehe dazu die Stellungnahmen des Deutschen Gehorlosen- Bundes, des Elternverbandes Deutscher Gehörlosenschulen u.a. im "Selbstbewußt Werden", Nr.30, 1993, S.21-23 und in "hörgeschädigte kinder", Nr.31, 1994; der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Ev. Gehörlosenseelsorge in "Das Zeichen", Nr.35, 1996, und im "Selbstbewußt Werden", Nr.39, 1996, S.35-37; und vieler nationalen Verbänden und des World Federation of the Deaf.

[2] Hannelore Hartmann erwähnt Mayberrys Untersuchung in der Hörgeschädigtenpädagogik auch, jedoch mit entstellter Interpretation, die ihre kämpferischen, monolinguistischen Ansichten favorisiert (Nr.3/1996, S.164).

 

Literaturnachweise:

Bertram, B. (1996). Erwiderung. In: Selbstbewußt Werden. Nr.39, S.8-9.

Bertram, B. (1992). "Cochlear Implant Versorgung von taubgeborenen und ertaubten Kindern" In: Sozialpädiatrie in Praxis und Klinik, Nr.14, S.542-548.

Boothyroyd, A. (1993). Profound Deafness. In: Richard Tyler (ed.) "Cochlear Implants: Audiological Foundations". San Diego: Singular, S.1-33.

Canal, C. von. (1996). "Unheimliche Macht von Herrn Bodo Bertman und Professor Thomas Lenarz gegenüber Gehörlosen". In: Selbstbewußt Werden. Nr.38, S.13-15.

Diamond, S. (1970). "[Wer hat Biafra getötet]" Les Temps Modernes, S.1194-1206.

Gotthardt, U. (1995). "Erfahrungen zur psychischen Entwicklung nach Cochlear-Implant". In: Das Zeichen, Nr.33, S.311-317.

Holm, M. (1996). "Cochlear Implant bei Kindern". In: Selbstbewußt Werden. Nr.39, S.25-34.

Jordan, I.K. (1991). Ethical Issues in the Genetic Study of Deafness. In: Annals of the New York Academy of Sciences, S.236-239.

Horn, R.M., Nozza, Robert, J. & Dolitsky, J.N. (1991). "Audiologial and Medical Considerations for Children with Cochlear Implants". In: American Annals of the Deaf, 82-86;

Lane, H. (1984). "When the Mind Hears". New York: Random House.

Lane, H. (1992). "The Mask of Benevolence". New York: Knopf.

Lane, H. (1994). "Die Kontroverse um das Cochlea-Implantat". In: Das Zeichen, Nr.29, S.332-343.

Lane, H. (1995). "Constructions of Deafness". In: Disabiity and Society, Nr.10, S. 171-189.

Lane, H. & Michael Grodin (1996). "Ethical Issues in Cochlear Implant Surgery: An Exploration into Disease, Disability and the Best Interest of the Child." Manuskript.

Lenarz, Th. (1996). Erwiderung. In: Selbstbewußt Werden. Nr.39, S.6-8.

Löwe, A. (1994) "Berufsethische Fragen bei der Cochlear Implant Versorgung gehörloser Kinder". In: Hörgeschädigtenpädagogik, Nr.5, S.305-316.

Mayberry, R. & E. Eichen (1991). "The long-lasting advantage of learning sign language in childhood: another look at the critical period for language acquisition. Journal of Memory and Language, S.486-512.

Müllensiefen (1993). "6. Steyrer Symposium". In: Selbstbewußt Werden. Nr.28, S.14-17.

Petitto, L. (1993). "On the Ontogenetic Requirements for Early Language Acquisition". In: B. de Boysson-Bardies (ed.), Developmental Neurocognition: Speech and Face Processing in the First Year of Life. New York: Kuwer Academic Press. S.365-383.

Rudert, H. Leserbrief. In: Kieler Nachrichten, 19. August 1995 und 12. März 1996; zitiert in "kieler INFO", März 1996, S.24.

Schönberger, U. (1996) "Unvorstellbare Freude". Leserbrief in: Selbstbewußt Werden. Nr.38, S.12-13.

Schorn, K. (1993) "Die Früherfassung der kindlichen Schwerhörigkeit". In: Selbstbewußt Werden. Nr.30, S.20 (erschien zuerst in "Medizin Aktuell", kein Datum der Erscheinung).

Teuber, H. (1993). "Grundsätze zur Durchführung einer zweisprachigen und bikulturellen Erziehung tauber Kinder" In: Das Zeichen, Nr.26, S.471-481.

Teuber, H. (1996). "Schwedische Verhältnisse in der Erziehung und Bildung tauber Kinder - Und in Deutschland?" In: Hörgeschädigtenpädagogik, Nr.3, S.141-155, Nr.4, S.223-235.

United Nations (1992). Declaration on the Rights of Persons Belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities". Resolution 47/135.

Wagner, G. (1996). "Grausam". In: Selbstbewußt Werden. Nr.38, S.11-12; erschien zuerst in Trierischer Volksfreund, 13.Sept.1995.

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