Brücken bauen per Internet

(Dieser Artikel wurde veröffentlicht in der Zeitschrift hörgeschädigte kinder 4/2002.)

Endlich kann Bob seiner angebeteten Catherine eine Rose überreichen, natürlich mit einem großen Herzen obendrauf. Bob ist hörender Bauarbeiter, Catherine gehörlose Bauunternehmerin. Dass die beiden sich endlich näher kommen können, verdanken sie IHNEN, den Besuchern der holländischen Website www.maakeengebaar.nl (demnächst auch auf www.gebaerdemal.de in deutscher Übersetzung). Ihre Aufgabe ist es nämlich, eine Brücke zu bauen zwischen der hörenden und der gehörlosen Welt. Sie klicken in die Lücken in der Brücke, bekommen einen kleinen Trickfilm serviert, und damit einige grundlegende Informationen zum Thema Hörschädigung. Wenn Sie die anschließenden Fragen richtig beantworten, wird ein Stein in die Lücke eingefügt, und nach und nach schließt sich die Brücke. Die Welten der Hörgeschädigten und der Hörenden kommen sich näher, werden miteinander verbunden. Ein schöner Traum, den die Studenten der Kunsthochschule Utrecht da ins Internet gestellt haben. Aber gerade durch die weltweite Präsentation des Traums versuchen sie, seiner Verwirklichung ein wenig näher zu kommen.

 

www.maakeengebaar.nl wendet sich nicht an Hörgeschädigte (obwohl natürlich auch die ihre Freude daran haben), sondern an Hörende. Dass sich Hörgeschädigten neue Welten der Kommunikation und der Information durch das Internet eröffnen, ist hinlänglich bekannt und von mir in anderen Artikeln ausführlich dargestellt worden. Welche Informationsmöglichkeiten gibt es aber für Hörende zum Thema Hörschädigung im Internet? Gibt man bei der Suchmaschine Google die Suchwörter „hörgeschädigt“ und „Eltern“ ein, erhält man 311 Suchresultate. Allein von der Unmenge von Fundstellen wird man erschlagen. Schlimmer noch wird es, wenn man von den Inhalten ausgeht. Bei www.familienhandbuch.de gibt es gleich zwei Artikel zum Thema hörgeschädigte Kinder: Wenn es ein hörgeschädigtes Kind in der Familie gibt ... was nun? von Gabriele Hollweck und Cornelia von Pappenheim (http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Aktuelles/a_Behinderung/s_473.html) und Wenn Kinder hörgeschädigt sind von Hannelore und Klaus Hartmann (http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Aktuelles/a_Behinderung/s_296.html). „Die Eltern sollten sich bemühen, Frühförderer mit Gebärdensprachkompetenz so früh wie möglich in Anspruch zu nehmen. Möglichst früh heißt schon im Babyalter!“ Das verlangen Hollweck und von Pappenheim, beide gehörlos. „Soll und kann das Kind hörgerichtet gefördert werden, oder reichen seine Hörreste für diesen Ansatz nicht aus, so dass Gebärden eingesetzt werden müssen?“ Diese Prioritäten setzen Hartmann & Hartmann, hörende Eltern, Aktivisten in der „Bundesgemeinschaft“ und Herausgeber der Zeitschrift „Spektrum Hören“ (s.u.).

 

Natürlich prallen im Internet Meinungen und Interessenkonflikte genauso aufeinander wie in der realen Welt. Jede Seite hat ihre eigenen Websites, Diskussionsforen und Mailinglists, und Eltern, die auf der Suche nach Informationen und Entscheidungshilfen sind, können angesichts dieser Vielfalt und vor allem angesichts der Gegensätze schier verzweifeln. Ich will deshalb versuchen, Informationsquellen aufzuzeigen und vor allem, sie zu kommentieren. Eine Hilfestellung bei der Suche nach Hilfe gewissermaßen – eine „guided tour“ durch die unendlichen Weiten der Hilfs- und Informationsangebote für Eltern hörgeschädigter Kinder. Natürlich kann ich nur eine kleine Auswahl präsentieren, und ich werde mich bemühen, keine Seite zu kurz kommen zu lassen. Allerdings muss ich gleich zu Anfang darauf hinweisen, dass Objektivität schier unmöglich ist. Bei aller Toleranz und Flexibilität ist es doch unmöglich, nicht einen eigenen Standpunkt zu haben. Mir ist der Fall eines CI-Kindes bekannt, dessen Eltern das Thema Hörschädigung aus ihrem Bewusstsein komplett ausblenden. Auch das Kind selber ist total perplex, wenn es vom Thema Hörschädigung hört: „Ich bin doch nicht schwerhörig!“ Und das, obwohl der effektive Hörstatus einer hochgradigen Schwerhörigkeit entspricht und das Kind sich nur mit allergrößter Mühe, einer „persönlichen Assistenz“, einer Ambulanzlehrerin und permanenter „Nachhilfe“ der Mutter durch die Regelschule quält. Kontakt zu Hörgeschädigten ist undenkbar. An dieser Stelle kann ich als Hörgeschädigter nicht umhin, Position zu beziehen. Für die psychische Hygiene und den Aufbau eines gesunden Selbstbewusstseins ist es m.E. unumgänglich, dass hörgeschädigte Kinder zu anderen Hörgeschädigten, sowohl Kindern als auch Erwachsenen, Kontakt halten. Und natürlich ist es auch für die hörenden Eltern hilfreich, zu sehen, wie Hörgeschädigte ihr Leben meistern. Dann können nämlich der Horror vor der Behinderung des Kindes und Zukunftsängste abgebaut werden.

 

Genau diese Zielsetzung verfolgt der Verein „Gib Zeit“ in Essen. Er setzt auf die Kooperation mit Hörgeschädigten, hat Informationsbücher herausgegeben und versucht natürlich, im gleichen Sinne auf seiner Website www.gibzeit.de zu informieren.

 

Aber gehen wir einen Schritt zurück und bleiben bei allgemeinen Informationen. Hörende, die erstmals mit der Thematik Hörschädigung konfrontiert werden - und dazu zählen ja auch Eltern hörgeschädigter Kinder – wollen zuerst einmal wissen, was und wie das überhaupt ist, wenn man nicht oder nicht alles hören kann. Ingrid Adlkofer (hochgradig schwerhörig) bemüht sich, mit der Intro auf ihrer Homepage (http://www.typolis.de/hear/) davon einen Eindruck zu vermitteln. Satte Orgelklänge begleiten eine Animation mit eingeblendeten Texten und tanzenden Noten, bis eine Note dann durchgekreuzt wird und der Orgelton nach einem Knall in Stille übergeht. Klar, damit weiß man noch lange nicht, was Hörschädigung bedeutet, und wenn überhaupt, dann Ertaubung. Aber als Einleitung zu den folgenden umfangreichen Textinformationen ist es schon beeindruckend.

 

Speziell über das Thema Gehörlosigkeit informiert die Website www.visuelles-denken.de des Journalisten Dr. Olaf Fritsche. Vom Versuch, Gehörlosigkeit zu erklären und zu veranschaulichen über die „Kinder der Stille“ bis hin zu einem Schnupperkurs in Gebärdensprache gibt es dort alles, was der Neuling wissen möchte.

 

Textinformationen gibt es auch auf anderen Websites in Hülle und Fülle, bei der Deutschen Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen und Schwerhörigen (http://www.deutsche-gesellschaft.de/), dem Deutschen Gehörlosen-Bund (www.gehoerlosen-bund.de) und dem Deutschen Schwerhörigenbund (http://www.schwerhoerigkeit.de/DSB/) beispielsweise. Natürlich gibt es auch und gerade im kommerziellen Bereich – oft ist leider nicht so ganz klar, wer dahinter steckt – jede Menge Informationen. So wird HEAR-IT (http://www.german.hear-it.org/), eine Website, die in der Schweiz beheimatet ist und gleich in drei Sprachen (Deutsch, Englisch und Spanisch) herausgegeben wird, sowohl vom Internationalen Schwerhörigenverband IFHOH als auch vom europäischen Verband der Hörgeräteakustiker, dem Verband der europäischen Hörgerätehersteller und diversen Firmen betrieben. „Diese Website ist eine non-profit Homepage, d.h., dass hier weder spezielle Behandlungen noch Hörhilfen oder bestimmte Hörgerätehersteller beworben werden.“ Dürfte nicht ganz einfach sein, diesen Anspruch zu realisieren. Den Begriff „Gebärde“ habe ich auf dieser Website vergebens gesucht. Dafür gibt es allerdings eine Seite mit dem Titel „Wie ist es, einen Tinnitus oder Hörschaden zu haben?“ Dort kann man sich Sounddateien herunterladen, die unterschiedliche Arten von Hörschädigungen simulieren. Allerdings nur Wiener Walzer in Variationen, keine Sprache. Aber ansonsten gibt es viele Informationen für Eltern schwerhöriger (nicht gehörloser!) Kinder. Ähnlich sieht es auf der Website von Forum Besser Hören (http://www.forumbesserhoeren.de) aus, die von der VHI - Vereinigung der Hoergeräte-Industrie betrieben wird. Das Thema „Kinderschwerhörigkeit“ wird allerdings recht kurz und oberflächlich behandelt – und vor allem sehr einseitig hörorientiert. Auch ein Dr. med. Jörg Lutz informiert in seiner Hörfibel (http://www.hoerfibel.de/) über „Hörminderungen bei Kindern“, allerdings eher rudimentär. Selbstverständlich betreiben auch alle Hersteller von Hörgeräten, CIs usw. ihre eigenen Websites. Hören macht Freunde (http://www.hoeren-macht-freunde.de/) wird von Siemens betrieben, eine Website, die nicht nur Eltern anspricht (Wie kann ich positiv mit der Behinderung meines Kindes umgehen? Wie kann ich die Diagnose "Hörbehinderung" verarbeiten?), sondern auch die Kinder selbst, mit dem „Ohrwurm Kasimir“ und den Spielen „Fang den Luftballon“ und „Ich baue mir ein Hörgerät“. Hier bemüht man sich um Kindgerechtheit. Eine der wenigen Ausnahmen!

 

 

Natürlich gibt es bei diversen Baby- und Familienwebsites Informationen zum Thema Hörschädigung. „Hör mal Baby“ heißt es bei den Nord-Mamis

(http://www.nord-mamis.de/tipps/Hoer%20mal%20Baby.htm). Die wichtigsten Informationsquellen für Eltern dürften jedoch bei den Frühberatungsstellen und den Schulen zu finden sein. Umfangreiche Adressenverzeichnisse mit URLs finden Sie bei http://www.deafbase.de. Als Beispiel sei nur die Ernst-Adolf-Eschke-Schule in Berlin (http://www.eaeschule.de/ ) genannt. Dort gibt es einen Elterntreff mit dem schönen Motto „Mein Kind ist hörgeschädigt - Meins auch!

 

Womit wir bei Selbsthilfegruppen und Elternverbänden wären. Da gibt es die regional und „ideologisch“ übergreifenden Verbände wie z.B. den Bundeselternverband gehörloser Kinder e.V. (http://www.gehoerlosekinder.de/), aber auch die einseitig lautsprachlich/hörgerichteten Verbände wie die Bundesgemeinschaft der Eltern und Freunde hörgeschädigter Kinder e.V. (http://www.bundesgemeinschaft.de/) oder die „Kleinen Lauscher“, die Hessische Elterninitiative zur lautsprachlichen Förderung hörgeschädigter Kinder (http://www.kleine-lauscher.de/). Gegen eine kommunikative Beschränkung wenden sich Elternverbände wie bilis, Interdisziplinärer Verein zur Förderung bilingualer/bikultureller Erziehung hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher e.V. (http://www.bilis.de/) und bikule, Verein zur Förderung des bikulturellen Lebens von gehörlosen und schwerhörigen Kindern und Jugendlichen (http://www.bikule.de/). Eine Übersicht finden Sie ebenfalls wieder bei http://www.deafbase.de und bei http://www.deaflink.de.

 

Eine Problematik, die sich heute wohl allen Eltern hochgradig hörgeschädigter Kinder stellt, ist die des Cochlea Implants. Natürlich kann kein Experte und kein Informationsmedium die Entscheidung abnehmen, ob Sie ihr Kind operieren lassen sollten oder nicht. Allerdings sollte das CI auch nicht frag- und kritiklos als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Leider werden Eltern von Medizinern (und leider auch von Pädagogen) zumeist einseitig informiert. Um eine fundierte Entscheidung zu treffen, ist es allerdings wichtig, alle Aspekte, Vorteile und Risiken abschätzen zu können. Die Zeitschrift Schnecke, Leben mit Cochlear Implant & Hörgerät hat auch ihre Website: http://www.schnecke-ci.de/. Dort findet man neben dem Inhaltsverzeichnis des aktuellen Heftes auch Basis-Informationen zur Frage „Was ist ein CI?“, vor allem aber auch ein Link-Verzeichnis zu den wichtigsten CI-Adressen im Internet. Kritisches hat dort allerdings Seltenheitswert. Auffällig und für hörende Eltern irritierend ist, dass die Mehrheit der Gehörlosen das CI vehement ablehnt. Aber selten werden sie nach ihren Gründen gefragt. Auf einem Hearing der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Gehörlosenseelsorge (DAFEG) am 30. Januar 1999 ist genau das geschehen. Fachleute jeder Couleur, und darunter eben auch Gehörlose, sind zu Wort gekommen. Aus diesem Grunde ist der Bericht auch nach über 3 Jahren noch lesenswert: http://www.dafeg.de/hearing/index.htm. Sehr kritisch setzt sich auch Karin Kestner, Gebärdensprachdolmetscherin und Herausgeberin von Gebärden-CD-ROMs für Kinder und Erwachsene, mit dem Thema CI auseinander: http://www.kestner.de/elternhilfe/frameset05.html. Neben vielseitigen grundlegenden Informationen für Eltern gibt es dort auch eine Seite zu den Risiken einer CI-Operation und Erfahrungsberichte von Betroffenen.

 

Meinungsaustausch Betroffener, also auch von Eltern, findet u.a. in Diskussionsforen statt: in den Taubenschlag-Foren (http://www.taubenschlag.de/phpBB/index.php4), im Forum der Schnecke (http://forum.foren-net.de/13397/) und bei der  Hannoverschen Cochlear-Implant-Gesellschaft (http://www.hcig.de/diskusforum/index.html).

 

Natürlich ist die Informationssuche im Internet nicht auf deutschsprachige Websites beschränkt. Wer Fremdsprachen, vor allem das Englische, beherrscht, kann ein Vielfaches an Informationen finden.

 

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass man beim Sammeln von Informationen nicht auf den Bildschirm angewiesen ist. Auf vielen Websites gibt es Informationsbroschüren, die man sich herunterladen, ausdrucken und in Ruhe lesen kann.

 

Eines werden Sie nach langem Surfen und Lesen nicht feststellen: Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor. Klüger werden Sie sicherlich durch die Vielzahl von Informationen. Gewichten und entscheiden müssen Sie dann allerdings selber. Dazu noch ein Tip: Internet- und Buchwissen sind nicht alles. Wenn Sie für Ihr hörgeschädigtes Kind nach Wegen und Lösungen suchen, dann nehmen Sie Kontakt auf mit erwachsenen Hörgeschädigten. Damit können Sie dann real beitragen zum anfangs erwähnten Brückenbau zwischen der Welt der Hörenden und der Hörgeschädigten – diesmal aber ganz real, im Interesse Ihres Kindes.

 

 

Bernd Rehling

http://www.taubenschlag.de/bernd

rehling@taubenschlag.de