Wie bereits “angekündigt”, hier nun die
Fortsetzung meines 1. Elternberichtes.
“Alles hängt noch in der Schwebe” waren
meine letzten Worte.
Ich meinte damals, dass mein Mann und ich uns nicht sicher waren – CI,
ja oder nein. Damit meine ich, er wusste auf einmal wieder nicht, ob
ein CI nicht doch die bessere Lösung wäre. Für mich war nach wie vor klar,
dass ich meine Tochter genau so und nicht anders haben wollte.
Gehörlos! Meine Gedanken gingen in eine ganz an der Richtung als
die Gedanken meines Mannes.. Er wollte, dass sie hört, mir war es nicht
wichtig. Das “Hören” nahm noch einen immensen Platz in seinem Leben ein.
Es gab Tage, an denen ich wusste, dass ich gegen ihn entscheiden würde,
falls sich seine Meinung nicht ändern sollte. Eines Abends, fing ich an zu
weinen, weil ich meine Tochter einfach so behalten wollte, wie sie ist.
Nicht ein “umoperiertes” Kind, mit irgendwelchen künstlichen Teilen im
Kopf. Nie zweifelte ich daran, dass mein Mann Stella liebt, und
trotzdem sah ich, wie sehr er sich noch dagegen sträubte, die Taubheit
anzunehmen. Wir sollten doch ein Kind mit Implantat kennen lernen, sagte
er mir und fand auch eine Familie, die wir besuchten. Dieses Mädchen
konnte mit dem CI Sprache verstehen und auch sprechen. Aber die Mutter
wollte uns weder zu-, noch abraten. In dieser Familie kam das Kind zum
großen Teil über Gebärden zur Lautsprache. Aber ich wollte es nicht! Mein
Mann war trotz des “positiven” Beispieles auch nicht mehr so ganz
überzeugt. Die Operation, die von den Ärzten “Routineoperation” genannt
wird, war in unseren Augen keine solche. Eine OP am Kopf, obwohl das Kind
absolut gesund ist. Weshalb um Gottes Willen, sollte man ihr das antun?
Vor allen Dingen kann Stella nicht selber entscheiden und wir haben
dieses Recht nicht, denn es geht hier nicht um “lebenserhaltende
Maßnahmen”.
Mein Mann verstand Wir können
Stella doch auch lieben wie sie ist. Und man sollte sich freimachen von
all den Vorstellungen und Idealen an denen man hängt, es aus einer anderen
Perspektive sehen. Für das Kind ist es nicht, "ach so grauenvoll", nichts
zu hören. Nur für Eltern ist es schlimm und für die hörende Umwelt. Wenn
Eltern ihr Menschenbild ändern und die Gehörlosigkeit annehmen und
verstehen lernen, wird dem Kind die ganze Welt offen stehen. Wenn wir
nicht zu unserem Kind stehen, wie sollen es die Mitmenschen können? All
das und Vieles mehr, ging mir durch den Kopf und zum Glück verstand es
mein Mann dann auch - und meine Jungs waren sowieso gegen ein CI!
Sie wollten Stella nicht mit so einem „Ding“ am Kopf, sondern so wie sie
war. Kinder entscheiden da ganz einfach aus dem Bauch heraus, ohne
das "für und wieder" abzuwägen wie wir Erwachsenen. Das größtmögliche
Risiko der OP gegen den kleinstmöglichen Erfolg abzuwägen war unsere
Aufgabe. Durch ein CI besteht ja nie die Möglichkeit zwischen “nicht
hören” und “gut hören” zu entscheiden, im besten Fall hat man ein
schwerhöriges Kind, wenn überhaupt.
Viele Mails und ein fremder
Planet Ich hatte das große Glück, sehr viele positive Antworten auf
meinen ersten Bericht zu erhalten und da durch auch einige sehr liebe
Menschen kennen zu lernen. Literatur über Gehörlosigkeit und ihre
Geschichte gehörten dazu und auch unendlich viele Mails, und Telefonate.
Aber was am aller wichtigsten war, gehörlose Menschen kennen zu
lernen. Wir besuchten das Gehörlosenzentrum München. Das erste Mal war
ganz schön anstrengend (ich brauchte 3 Kopfschmerztabletten) und
danach fühlten wir uns, als ob wir gerade von einem anderem Planeten
gekommen wären. Wir mussten uns enorm anstrengen, um auch nur ansatzweise
manche Gebärden zu verstehen. Erst dann konnte ich nachempfinden, wie sich
ein gehörloser Mensch unter Hörenden fühlen muss. Oft nicht verstehen was
gesagt wird, sich ständig konzentrieren zu müssen, um vielleicht auch nur
ein bisschen mit zu kommen. Wir wurden aber liebevoll empfangen und das
linderte unsere Aufregung. Als wir gingen, waren wir fix und fertig. Es
war alles so neu für uns, dass wir einige Zeit brauchten, um alles zu
verarbeiten.
Gehörlosigkeit begreifen Stellas
Gehörlosigkeit war bis dahin etwas gewesen, dass noch keine so festen
Formen angenommen hatte. Eigentlich hatten wir überhaupt kein wirkliches
Bild von gehörlosen Menschen. Gut, ich hatte einiges gelesen, viele, viele
Mails geschrieben, aber ich hatte noch nie persönliche Kontakte. Bis eben
an diesem Tag. Kurz danach fuhren wir ohne die Kinder in den Urlaub, um
Abstand zu gewinnen und unsere Kraftdepots aufzufüllen. Ich nahm mir
reichlich Bücher mit, entschloss mich aber nur zwei davon zu lesen.
Harlan Lanes “Mit der Seele hören” und
“Auf Pfaden gehen”.
Ich regte
mich unendlich auf, als ich anfing zu lesen. All die Ungerechtigkeiten,
Grausamkeiten, die gehörlosen Kindern und auch Erwachsenen angetan wurden,
brachten mich fast um den Verstand, denn ich sah ständig Stella dabei vor
Augen. Wir hatten vor, nach unserem Urlaub eine letzte Untersuchung
vornehmen zu lassen. Eine Kernspin und noch eine BERA, allerdings in einem
anderen Krankenhaus. Mein Mann konnte es vor unserem Urlaub nicht lassen,
doch noch einen anderen Arzt zu befragen. Ich konnte nie verstehen
weshalb, aber wir gingen zusammen in das Krankenhaus “Rechts der Isar”.
Diese Ärztin war sehr nett, aber wir erfuhren auch nur das, was wir
sowieso schon wussten. Wir vereinbarten einen weiteren Termin für
September. Wir nahmen ihn aber nicht wahr.
Jetzt müssen wir lernen Nach
unserem Urlaub nahm ich meine „Arbeit” wieder auf. Ich meldete uns zum
Gebärdensprachkurs an, der bald beginnt und lernte noch einige liebe
Menschen kennen, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen. Stella
aber war seit einiger Zeit verändert. Sie war zwar immer noch ein sehr
braves und pflegeleichtes Baby, aber sie vermisste etwas. Sie schlug
oft ohne erkenntlichen Grund mit dem Kopf auf den Boden. Ich merkte, dass
sie komplett unterfordert war, sie wollte sich mitteilen und konnte es
nicht oder wir verstanden sie nicht. Es war offensichtlich, dass sie
“Sprache” brauchte, Gebärdensprache! Da ich mit Mails, Telefonaten und
Informationsbeschaffung so ausgefüllt war, versäumte ich es
mehr Gebärden zu lernen. Ich stand ständig unter dem Druck, nicht
genügend für sie zu tun, ihr zu wenig anzubieten. Nicht zu vergessen, dass
meine Söhne auch sehr viel Aufmerksamkeit brauchen und auch lernen
müssen mit ihrer Schwester zu kommunizieren. Das Krankenhaus in dem wir
die erste BERA hatten durchführen lassen, drängte mich in dieser Zeit,
einen Teil meines Berichtes zu ändern (es ging um das Implantationsalter
bei Säuglingen) und ferner, den Namen der Professorin zu streichen, die
uns die erste Diagnose mitteilte. Sie meinten, es sei Rufschädigung und
man teilte mir mit, dass, sie den Fall schon der Rechtsabteilung übergeben
hätten. Es wurde zusätzlich ein Brief an die Frühförderstelle geschickt,
in dem außer der Diagnose noch folgender Absatz stand:
“Die
verleumderischen Äußerungen über Fr. Prof. Schorn, die Frau L. im Internet
geäußert hat, wurden mit der Rechtsabteilung der Universität besprochen”.
Also sollte offensichtlich die Frühförderstelle negativ
beeinflusst werden und ich eine schlechte Position, von Anfang an haben.
Anders kann ich mir diesen Absatz nicht erklären. Das war aber noch nicht
alles. So etwa zehn Tage später, erhielt ich wieder einen Brief. Diesmal
schrieb mir der Leitende Oberarzt der HNO Abteilung, besagter Klinik. Er
versuchte mir zu erklären, dass ein CI doch die Möglichkeit schlechthin
sei und ich mir gut überlegen sollte, wie ich mich entscheide. Er erklärte
mir, wie gut doch die Klinik im Team arbeitet, und dass die Klinik nicht
nur aus einer Person bestünde und wie viel bessere Möglichkeiten meine
Tochter mit CI hätte. Es ist für Ärzte wohl schwer zu verstehen,
dass manche Eltern tatsächlich nicht den von der Medizin vorgesehenen Weg
gehen möchten.
Die Kulturtage der Gehörlosen
Dann waren da noch die Kulturtage. Eine Flut an
Eindrücken brach auf mich ein. Was ich dort zu sehen bekam, bestärkte
mich mehr und mehr, dass unsere Entscheidung die richtige war!
Eigentlich wollte ich auf so viele Vorträge gehen, aber ich war so gebannt
von den Menschen um mich herum, dass ich es dann doch nur zu einem
einzigen Vortrag schaffte. So viele gehörlose Menschen auf einmal, ich
konnte es nicht glauben. Hunderte von Händen, die herumwirbelten, Menschen
in Kommunikation. Ich konnte gar nicht genug davon bekommen, zu beobachten
und zu staunen. Das sollten also die “armen” Gehörlosen sein, die ein ach
so trauriges Leben führen, weil sie nicht hören können? Davor also hatten
mich so viele Ärzte gewarnt? Das war dann also die Isolation?
Das schönste Erlebnis war der “Aufstand”.
Es sollte ein Film gezeigt werden, der Raum aber war viel zu klein für
die Menschenmenge und so machte sich die ganze Traube auf den Weg, um
zu protestieren. Man versammelte sich vor dem Stand des Deutschen
Gehörlosen Bundes und dann ging es schon los. Eigentlich standen überall
Menschen. Auf der Treppe, auf den Geländern, überall. Jeder gebärdete
mit jedem, überall flogen die Hände und meine Augen kamen kaum noch
mit. Ich grinste die ganze Zeit, verstand nur Bahnhof, aber genoss diesen
außergewöhnlichen Moment. Stella durfte dann am Samstag auch mitkommen.
Eigentlich ist sie zur Zeit mit dem Laufen lernen so beschäftigt, dass
sie nichts anderes machen möchte, außer an der Hand ziellos umher zu
rennen. Aber kaum waren wir auf den Kulturtagen, nahm ich sie auf den
Arm und sie war ganz still und ruhig. Ihre Augen wanderten umher und
sie konnte sich ganz offensichtlich nicht genug von all den Gebärden
bekommen. Ich sah sofort, hier gehört sie hin, hier spricht man ihre
Sprache. Und sie empfand das genauso! Endlich etwas, was sie begreifen
konnte. Auch wenn sie den Sinn der Gebärden (sie ist ja erst 13 Monate
alt ) nicht verstand, so sah ich ihr doch an, dass sie die visuelle
Sprache aufsaugte wie ein Schwamm. Endlich nicht nur sich bewegende
Münder, sondern Hände und Mimik, die sprachen. Es war eine zutiefst
bewegende Erfahrung. Am gleichen Abend machte sie ihre ersten Schritte!
Der richtige Weg Stella versteht
schon einige Gebärden, die kleinen Händchen wollen aber noch nicht so ganz
wie sie möchte. Sie versucht zwar auch schon etwas in die Luft zu
gebärden, aber man erkennt nicht was es sein soll. Noch nicht! Es gibt
eine Krabbelgruppe, gehörlose Kinder, gehörlose und hörende Mütter.
Stella, und jedes gehörlose Kind, (so fern es nicht in einer gl Familie
aufwächst) sollte Kontakte zu andern gl Kindern und Erwachsenen
bekommen und das so bald wie möglich. Unser Gebärdensprachkurs beginnt
nächste Woche, ich kann es kaum erwarten anzufangen, denn auch mich plagen
zwischenzeitlich Gewissensbisse. Gewissensbisse, dass ich nicht genug für
meine Tochter tue, ich ihr nicht so viele Gebärden anbieten kann wie sie
es bräuchte. Angst zu haben, sie in Ihrer Entwicklung nicht genug zu
fördern usw. Aber das sind zum Glück nur kurze Phasen, und wenn ich mir
meine kleine Tochter so an sehe, wie sie mich anlacht und sich ihres
Lebens freut, dann verfliegen diese Gedanken meist so schnell, wie sie
gekommen sind.
Ich weiß genau, für Stella und unsere ganze
Familie ist dies der richtige Weg. Fortsetzung folgt.
Joana
Latein
verantwortlich i.S.d.P: Joana und Jonas Latein
Emails an Frau Latein sind ausdrücklich erwünscht!
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