DAS GRUNDRECHT AUF HÖREN ?

von Hartmut Teuber

So steht es auf dem Titelblatt der Zeitschrift "Spektrum Hören" (Nr.6/1997), der Zeitschrift einer Hamburger Elterngemeinschaft, die verbissen gegen die Gebärdensprache für taube und schwerhörige Kinder und das Bestehen der Gebärdensprachgemeinschaft kämpft. Sie steht unter der Federführung von Hannelore Hartmann, der Mutter eines jetzt erwachsenen schwerhörigen Mannes.

Man könnte glauben, dieses Grundrecht beziehe sich auf sie, die hörenden Eltern. Sicher nicht, denn ihnen wird es ja gar nicht weggenommen. Frau Hartmann meint bloß, daß uns tauben Menschen das Recht genommen wird, wenn wir auch mit der Gebärdensprache gefördert werden. Für sie und ihre Gesinnungsgenossen ist es vollkommen unvorstellbar - ein Anathema, das Recht auf Taubsein und Andersartigkeit zu beherzigen.

Das Recht auf Hören ist legitim (berechtigt) für Hörende und Fast-Hörende - aber auch nur für sie. Wir gönnen es ihnen und wünschen aus ganzem Herzen, daß niemand ihnen das Recht nimmt. Kein tauber Hitler oder tauber Stalin würde ihnen das Recht streitig machen. Aber was ist das, und woraus besteht das "Grundrecht auf Hören"? Ist es nicht zu künstlich erdacht - also ein Phantomrecht? Parallel zu dem Recht, "katholisch zu sein", das ein fanatischer Katholik sich für jeden ausdenken mag, oder zu dem Recht auf Heterosexualität, mit dem ein Hetero jeden Schwulen zu erfreuen glaubt? Wird etwa behauptet, daß tauben und schwerhörigen Kindern das "hochheilige" Recht auf Hören vorenthalten wird, wenn sie weniger Hörtraining erhalten möchten und die Gebärdensprache erlernen?

So wird das Recht auf Hörtraining zu diesem Recht überspannt! Aber alles hat sein Maß. Was nützt uns das übermäßige Hörtraining, das uns das Recht bescheren soll? Wir müssen schon viel hören können, um die Welt hörend mit Genuß zu erleben, besonders die Lautsprache mühelos durchs Ohr zu verstehen. Sonst ist es ein antrainiertes Dulden des Lärms und der Geräusche, ohne die wir ganz gut auskommen können. Ohne Gehör sind wir schon sicher, sogar sicherer als Hörende -durch visuelle Vorrichtungen, erhöhte Aufmerksamkeit und Konzentration durch die Stille.

Haben wir uns je über die "Rechtsverletzung" beklagt, daß uns das Recht auf Hören versagt wurde? Wenn ja, dann müßten eigentlich wir Betroffenen Klage erheben, nicht die hörenden Eltern im Namen der tauben Kinder! Wer hat Frau Hartmann zur Vorkämpferin für unsere Rechte ernannt?

Über welche Rechtsverletzung haben wir tatsächlich in der Geschichte unserer Leute geklagt? Nicht über dieses Phantomrecht, aber über das Grundrecht auf die Gebärdensprache. Die Natur unseres Taubseins bedingt naturgemäß den Gebrauch der Gebärdensprache und die Ausrichtung auf das Sehen, nicht auf das Hören. Wir klagen über das Grundrecht des natürlichen Erwerbs der Gebärdensprache, um eine vollkommene Mutter(Erst)sprache zu bekommen und nicht halbsprachig zu werden. Wir klagen, daß wir uns wegen der fehlgeleiteten Wahl eines unzulänglichen Kommunikationsmittels der unvollständigen und beschränkten Kommunikation mit der Umwelt erfreuen und deswegen wenig von der Umwelt erfahren können. Auch Schwerhörige beklagen Ähnliches. Oder glauben Frau Hartmann & Co. felsenfest an das Märchen, wir würden alle mit ihnen problemlos und streßfrei, fast wie hörend, kommunizieren können, hätten wir ihren Rat getreu befolgt?

Aus den 60er Jahren erinnere ich mich an den Slogan "Recht auf Sprechenkönnen", den die amerikanische oralistische Vereinigung Alexander Graham Bell Association einmal veröffentlichte. Im Vergleich zu oben hat dieser Slogan mehr Sinn.

Das Gerede vom "Grundrecht auf Hören" ist Audismus par excellence. Es ist wirklich krankhaft, zu denken, wir hätten uns dieses "Grundrecht" verweigert, wenn wir bei der Kommunikation dem Sehen den Vorzug geben. Oder dient die Idee vom "Grundrecht" dazu, uns das Hören aufzuzwingen?

Also meinen wir: Hören Sie auf mit dem Unsinn vom "Grundrecht auf Hören" und ersetzen Sie es durch das "Grundrecht auf Kommunikation"!