KBW
- kotz! brech! würg! -

Gebärdenkursleiter, selbst gehörlos

der Gebärdenlehrer der Ärztin:
(aus einer email)

Hallo,

anbei die E-Mail einer Ärztin. Sie hatte mehrere Semester Gebärdensprache bei mir belegt, und nun freue ich mich natürlich sehr darüber, daß so vergebens meine Arbeit nicht war. Lassen wir Ihre E-Mail sprechen, sie spricht Bände! Dieser gl Patient hat bestimmt irgendwann mal in einer Gehörlosenschule "Sprechen" gelernt und was man daraus folgern kann, möchte ich gerne aus einer rein psychologischen Sicht erläutern (Ich kenne weder seinen Namen noch irgendwelche Details! Die ärztliche Schweigepflicht bleibt hier bewahrt. Der Text entsteht aus meiner eigenen visuellen Sicht- u. Denkweise von ähnlichen, geistigen und soziologischen Spektren meiner Schicksalskameraden!): Wie den Schilderungen der Ärztin zu entnehmen ist, handelt es sich bei dem Patienten um einen Typ mit ausgeprägter Kontakthemmung und einem hohen Grad an Menschenscheuheit (introversiver Typ) . Er entstammt offensichtlich einem geistig niederem Umfeld mit mangelnder Frustrationstoleranz. Er wurde wegen seiner gestörten Aussprache (Grunzlaute) gehänselt. Dieses sprachliche Unvermögen des Patienten wirkt auf Normalhörende oftmals so wie aus einem zoologischen Umfeld entsprungen. Der Patient spürt intuitiv, daß er auf andere sprachlich lächerlich wirkt. Durch mangelhafte geistige Flexibilität und organisatorisches Unvermögen war er auch nicht in der Lage, sich in eine vorteilhafte Situation zu bringen. Er spürt den Spott und seine Machtlosigkeit. Ein lange angestauter Haß gegen die "hörende Obrigkeit" bricht bei ihm aus. Vermutlich kam es dabei zu einem Handgemenge und zu einer etwaigen Augenverletzung. Ein panisches Verhalten dieses gehörlosen Augenpatienten kann auch durch einen vermeintlichen Verlust seiner Sehkraft herrühren, da wichtige visuelle Wahrnehmungen eventuell in seinem Bewußtsein als verloren gelten können. Alle hier geschilderten Vorgänge sind natürlich nur theoretisch aufgestellt und können aber durchaus einen zufälligen Wahrheitsgehalt besitzen.

Es stellen sich die folgenden Fragen:

a) Hätte dieser Patient bessere geistige Fähigkeiten mittels Gebärdensprache erworben? Könnte er dann seine desolate Situation besser einschätzen und wäre es dann nicht zu der beschriebenen Randale gekommen?

b) Hätte er statt dem -nutzlosen- Sprechenlernen bessere Kenntnisse der deutschen Sprache und ein höheres Allgemeinwissen erworben, natürlich durch die Gebärde vermittelt? Hätte er dann sich und seine Anliegen in schriftlicher aber kompetenter Form äußern können?

c) Hätte er sein geistiges und soziales Umfeld über die Gebärdensprache besser erfassen und deshalb seine prekäre Situation (Augenklinik) vermeiden können?

d) Hätte ein, durch Gebärdensprache vermittelter, höherer Wissenstand ihn befähigt, sich ein größeres Selbstwertgefühl anzueignen? Hätte er dann ärztlichen Beistand als zwingend notwendig einschätzen können? Er ließ ja niemanden an sich heran!

e) Hätte man ihn durch gebärdensprachlich orientierte Interaktionen zum offensiveren und positiverem Denken in seinem sozialen Umfeld und bei seinen hörenden Mitmenschen anregen können?

Sicherlich können alle Fragen mit JA beantwortet werden und ich stehe mit diesen Behauptungen nicht alleine da. Dieser Mensch ist das Produkt (eher Opfer) einer gnadenlos oralistisch eingestellter, obrigkeitsorientierter Schulpolitik. Wissensvermittlung, Persönlichkeitsentwicklung und selbständige Realisierung eigener Idealvorstellungen und der konstruktiven Selbstbehauptung gelingt bei Gehörlosigkeit (zum großen Teil auch bei Schwerhörigkeit) nur über die Gebärde! Ein langsames Umdenken angehender pädagogischer Stellen ist im Gange. Daß das positiv ist, liegt auf der Hand, leider geschieht dies viele Jahrzehnte zu spät! Armes Deutschland, das Entwicklungsland in Sachen Gehörlosenbildung! Dieser Patient ist m. E. das beste Beispiel für eine in frühester Jugend vermurkste Erziehungspolitik und einer fehlgeleiteten fatalen Persönlichkeitsförderung.

Der viel zu lange Dornröschenschlaf und das CI als Hoffnung für eine bessere Welt?

Allen Verantwortlichen sei gesagt: Wacht auf, experimentiert nicht mehr am Hörbehinderten herum. Genügend Betroffene wissen genau, was Hörbehinderte brauchen: Gebärdensprachkompetenz und Bilingualismus (Zweisprachigkeit, d.h. Gebärdensprache als Muttersprache, 1. Fremdsprache: Deutsch!). Bildet endlich Gebärdenlehrer aus. Laßt intellektuelle Hörbehinderte mit der Ausbildung von Hörbehinderten beginnen! Laßt nur noch hörende Pädagogen mit graduierten Gebärdensprachkenntnissen an unsere gehörlosen Kindern ran. Geht auf vorsichtige Distanz zum CI ( ein im Kopf operativ implantiertes elektronisches Gerät, Cochlear Implant), es läßt mit größter anzunehmender Wahrscheinlichkeit spätere Persönlichkeitskrüppel entstehen. In dem einen Fall ohne Integration in einer Gehörlosengemeinschaft mit ihren breitgefächerten Kulturwerten und im anderen Fall ohne der wichtigen vollständigen Akzeptanz in der hörenden Welt ist jeder Hörbehinderte ein isolierter "Zwitter". Deshalb ist das CI eine noch nicht umfassend kalkulierte Zwielichtzone mit ungewissem Ausgang. Eines ist auf jeden Fall bewiesen: Ein 100%ig hörender Mensch mit allen seinen sprachlichen Fähigkeiten und Sinnen wird man nie! Ich kenne sogenannte "Vorzeigefälle", die später zu unserer Gehörlosen-gemeinschaft gestoßen sind und jetzt mit der Gebärdensprache und unserer Gehörlosenkultur eine neue zufriedenstellende Bewußtseinsebene gefunden haben. Sie fanden gehörlose Lebenspartner und gründeten Familien. Sie sagen zwar, daß die hörende Welt interessante Perspektiven aufweist, aber nur bei uns fühlten sie sich zum ersten mal im Leben geborgen und verstanden. Mehr kann man dazu nicht sagen.

CI - eine selbst erlebte Familiensituation.

Ich weiß wovon ich rede, da in meiner Familie eine langjährige CI-Trägerin lebt! Gewiß, mit dem CI beginnt man wieder zu hören, aber was man dabei hört, ist nicht das, was Hörende in ihrem Sinne vernehmen! Es ist vielmehr ein Konglomerat aus sprachlichen Fetzen und Surrogatgeräuschen. Ist nach einer späteren Ertaubung bereits ein entsprechender Sprachschatz vorhanden, kann das CI in Verbindung mit dem Mundablesen durchaus etwas daraus machen. Bedenklich ist jedoch die reine Sprachentwicklung mittels CI bei Kleinkindern und ohne die sie unterstützenden Gebärden. Besonders prekär ist das Verbieten bereits erlernter Gebärdensprache in der postoperativen Phase. Das operierte Kind muß seinen Gebärdensprachschatz vergessen und das Sprechen und Hören wieder von vorne erlernen. Perverser geht es nicht mehr.

Seht, wie andere Länder es vormachen:

Skandinavische Länder haben den Bilingualismus gesetzlich verankert. Dort gibt es eindeutig mehr gehörlose Akademiker. Amerika hat eine Universität für gehörlose Intellektuelle (Gallaudet Universität). Sogar gehörlose Lehrer und Professoren sind dort für die Bildung der Hörbehinderten zuständig. Kleinstkindern wird das nötige Wissen bereits mittels der Gebärde vermittelt und setzt sich bis zu einem evtl. Studium fort! Zum CI besitzt man dort eine gesunde Distanz! In einigen afrikanischen Staaten ist die Gebärdensprache bereits gesetzlich verankert und in den verschiedenen europäischen Ländern ebenso. Nur das Hörbehinderten-Bildungswesen in Deutschland liegt im Siechtum! Ansätze zu Verbesserungen sind aber bereits erkennbar, das gibt Hoffnung. Einmal wird der Tag kommen, wo sich die hörbehinderte Kinder in einem gebärdensprachlich hohem Schulungsniveau wieder finden werden. Die Landesarbeitsgemeinschaften (LAG) der GebärdensprachkursleiterInnen mit ihren angeschlossenen Mitgliedern macht es vor. Sie sind die Wegbereiter der Gebärdensprache. Sie vermitteln wichtige manuelle, verbale und visuelle Instrumente des komplexen Gebärdenwortschatzes. Sie helfen ebenfalls mit Rat und Tat aus. Unterstützt ihre Arbeit, holt Euch dort Infos: Anschrift: LAG, Vorsitzende Frau Margit Hillenmeyer, Steinheide 14, 80995 München, Fax: 089/1505516, E-Mail: 106215.50@compuserve.com. (Andere Länder-LAG auf Anfrage!)

"ALLE MACHT DEN GEBÄRDEN"

Sie ist das wirksamste Mittel zur Wissensvermittlung. Ohne Wissen keine Sprachentwicklung! Wir wollen die gesetzliche Anerkennung der Gebärdensprache, jetzt und sofort! Es haben genug Bedenkenträger und inkompetente politische und pädagogische "Fachleute" über unsere Schicksale entschieden. Sie haben den Gehörlosen zu dem gemacht was er überwiegend ist: Ein in Grund und Boden gebeuteltes und bevormundetes Individuum ohne nennenswerte geistige und sprachliche Entwicklungsmöglichkeiten! Schluß damit! Warum gibt es immer noch Direktoren und Lehrer an Bildungsstätten für Hörbehinderte, die keine Gebärdensprache beherrschen, bzw. Gegner derselben sind? Warum brauchen selbst Gehörlosenpädagogen Dolmetscher bei schwierigen Situationen mit ihren Schützlingen? Haben diese schon einmal Bilanz gezogen und den Bildungsgrad und den Erfolg in der Gehörlosenwelt gemessen? Es würde eine beschämende und armselige Buchhaltung zutage treten. Ich selbst konnte mich jahrelang von dem unzulänglichen und entwürdigendem Bildungsstand meiner Schicksalskameraden überzeugen und kann es selbst nur mit einem derben Satz aus meiner bayerischen Heimat bezeichnen: "Unter aller Sau!" Ich brauche nicht extra zu erwähnen, daß mehrere meiner gl. Freunde mit großen sprachlichen Mängeln eigentlich hochintelligente Typen sind, die möglicherweise bei entsprechender Förderung und Ausbildungsmöglichkeiten angehende Führungskräfte in privaten und wirtschaftlichen Bereichen geworden wären. So ist es!

Sogar die eigene Basis trotzt!

Warum gibt es ängstliche (und trotzdem mutige) Pädagogen, die bereits die fatale Tragweite dieser verfehlten Bildungspolitik erkennen und (anonym aus Angst um den Arbeitsplatz) ihrem Ärger Luft machen. Nachzulesen in www.taubenschlag.de unter >Kolumnen>KBW. Echt beschämender geht's nicht mehr! Wie sagte doch Gorbatschow zu Honecker: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!" Kurz darauf fiel die Mauer zwischen Ost und West, unwiderruflich! So wird es allen gehen, die nicht bereits auf den Zug in ein besseres Bildungssystem für Hörbehinderte aufgesprungen sind. Die Weichen sind gestellt und ein jeder Hörbehinderte sehnt den Tag herbei, an dem die geliebte Gebärdensprache endgültig ihren Platz in der Gesellschaft findet. Das wäre eigentlich ein verfassungsgemäßes Recht eines jeden Hörbehinderten. Sie gibt ihm auch das Recht auf wichtige Fernsehsendungen mit Untertiteln und auf einen Dolmetscher in schwierigen Lebenssituationen und bei beruflicher Fortbildung.

Wir sind nicht Gottes vergessene Kinder, wir sind die Opfer einer falschen Bildungspolitik!

Gebärdensprache besitzt Kultur, Geist, Esprit und Mutterwitz. Gebärdensprache vermittelt Erzählkunst in nie dagewesener Vollkommenheit. Sie erklärt dem gehörlosen Kleinkind seine Welt, wie nie anders und besser eine Mutter es ihrem Kind erzählen könnte. Die Gebärdensprache läßt nichtgesprochene Worte bunt und lebendig werden, die Welt des heranwachsenden gehörlosen Kindes wird greifbar und real. Sie ist ein geistiger Gegenstand von unschätzbar hohem Wert. Sie läßt die Welt der Märchen und Sagen direkt vor unserem geistigen Auge erstehen. Die Gebärdensprache öffnet Tür und Tor zu allen geistigen Gütern dieser Welt. Sie ist ein stimmungsvolles Instrument in der Welt der visuellen Wahrnehmung, eine Stradivari in gestischer Vollendung. Sie vermittelt alle geistigen Weihen höherer Schulbildung und besitzt wie kaum eine andere Sprache Mittel und Wege, wissenschaftliches Gedankengut weiter zu geben. Sie vereint in sich eine jede Nuance aller sprachlicher Ausdrucksformen und Gefühlswelten irdischen Ursprungs und sie holt jeden Hörbehinderten an die Sonnenseite einer besseren kommunikativen Welt. Keine Sprache auf dieser ganzen Welt wurde so stark unterdrückt und unterbewertet wie die Gebärdensprache. Sie ist unsere sprachliche Heimat und unser wichtigstes Instrument der Verständigung und der Meinungsbildung. Sie ist eine der interessantesten und wichtigsten Sprachen auf dieser Welt. Sie war schon vor der Entwicklung der eigentlichen Lautsprache da (!) und sie ist zugleich das älteste Verständigungsinstrument daß es auf dieser Welt gab. Gebt der Gebärdensprache die Stellung, die sie verdient: Ihren berechtigten Platz in unserer Mitte ohne wenn und aber! Keinem Hörbehinderten darf seine Sprache und seine jahrhundertealte Kultur entrissen werden.

An alle Politiker: "Gebt uns das Recht auf Sprache: Gebärdensprache ist ihr Name!"

Mit lieben Grüßen

Albert Schmidt