Gehörlose und Internet
Kurzfassung der Auswertung der Umfrage
(von Stefan Klotz)


Diese Informationen können zitiert werden - unter folgender Quellenangabe:

Klotz, Stefan: Vergessene Zielgruppe des Internets? Gehörlose und Internet - Analyse der Bedürfnisse einer Zielgruppe und Schlußfolgerungen am Beispiel Berlins. Potsdam, 1998, WWW-Kurzfassung bei http://www.taubenschlag.de (ergänzt um das individuelle Abrufdatum des Zitierenden)


Die Forschungsfrage, die mit dieser Arbeit auf der Grundlage empirischer Untersuchungen geklärt werden sollte, lautete: Ist das Internet heute schon für die Gehörlosen ein geeignetes Kommunikationsmittel? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, daß das Internet d a s Medium für Gehörlose wird? Schwerpunkte sind dabei die Zugangsschranken (Sprache, Computer, ferner die Kosten) sowie das Interesse und die Bedürfnisse der Gehörlosen bezüglich Internet und dessen Inhalten. Ausgehend von dieser Forschungsfrage wurden mehrere Hypothesen aufgestellt:
 

Hypothese 1 Allgemeine Medien: Gehörlosengerechte Infos sind Mangelware
Hypothese 2 Mehr Interesse bei gehörlosengerechtem Internetzugang
Hypothese 3 Es gibt noch nicht genug Internetangebote für Gehörlose
Hypothese 4 Gehörlose Internetnutzer: Exoten ihrer Bevölkerungsgruppe
Hypothese 5 Je stärker die Gehörlosigkeit, desto eher Nutzung von Gehörlosenseiten
Hypothese 6 Einfache Sprache und Orientierung auf Videonutzung ein Muß
Hypothese 7 Interesse an einer Gehörlosengemeinschaft im Internet
 

Vorgehensweise

Um die Hypothesen zu überprüfen, wurde eine zweigeteilte Befragung von Gehörlosen/Hörbehinderten (online/offline) durchgeführt.
Online-Befragung: Insgesamt wurde der Fragebogen 94 mal beantwortet. Dazu gab es Links vom taubenschlag.de , gehoerlos.de und der BSHA. Zur Aufteilung der Online-Einsender in Fallgruppen: 42 Befragte waren von Geburt an gehörlos, 11 spätertaubt und 14 extrem schwerhörig. Der Fragebogen wurde auch von 13 Schwerhörigen und 14 Personen aus dem Umfeld von Gehörlosen (Verwandte, Lehrer u.ä.) beantwortet. Antworten kamen aus 14 Bundesländern mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen.
Offline-Befragung: Es erfolgte eine Verteilung über das "Zentrum für Kultur und visuelle Kommunikation Gehörloser Berlin/Brandenburg e.V.", insbesondere durch Uwe Schönfeld. Als Rücklauf erhielt ich 74 ausgefüllte Fragebögen. Es antworteten 56 von Geburt an gehörlose Personen, 8 spätertaubte und 10 extrem schwerhörige Menschen. Der geringe Anteil der beiden letzteren Gruppen hat seine Ursache darin, daß spätertaubte und extrem schwerhörige Menschen sehr viel seltener eine Gebärdensprach-Sozialisation erfahren und somit auch sehr viel weniger in der Gehörlosenkultur, von der das Berliner Zentrum ein Teil ist, anzutreffen sind. Regional und nach Geschlecht sind die Antworten wie folgt verteilt: Ost-Berlin 35, West-Berlin 20, Land Brandenburg 19 Fragebögen. 49 ausgefüllte Fragebögen kamen von Männern und 25 von Frauen.
Alle Fragebögen waren anonym, dem Datenschutz wurde Rechnung getragen. Die Befragungen fanden im März/April 1998 statt.

Allen oben genannten Unterstützern sowie Jens Heßmann (FH Potsdam) und Beate Krausmann (Frankfurt/Main) möchte ich an dieser Stelle für die aktive Hilfe recht herzlich danken.

Repräsentativität: Die Stichprobengröße umfaßte wie erwähnt im Offline-Teil 74 Fälle und im Online-Teil 94 Fälle. Diese Fallzahlen erscheinen zunächst als gering. Dennoch ist ihnen ein Aussagewert nicht abzusprechen, bezugnehmend auf die Kommmunikationsforscherin Charlotta Pawlowsky-Flodell. Sie vertritt folgenden Standpunkt: "Um z.B. beträchtliche Differenzen zwischen zwei Personengruppen nachzuweisen, genügen bereits kleine Stichproben. Je geringfügiger aber die Unterschiede sind, desto größer muß die Stichprobe sein, um eine statistisch gesicherte Signifikanz der Unterschiede nachweisen zu können." Als pragmatische Richtgrößen gelten danach: 2000 Personen für eine repräsentative Stichprobe einer heterogenen Bevölkerung, 1000 Personen für eine repräsentative Stichprobe mit spezifischer Fragestellung, 500 Personen für Stichproben, die aus homogenen Grundgesamtheiten stammen, z.B. Berufsgruppen sowie 100 bis 200 Personen für repräsentative Stichproben von sehr spezifischen Grundgesamtheiten, z.B. Bibliotheksbenutzer. Soweit die Erkenntnisse von Frau Pawlowsky-Flodell.
Daraus ergibt sich folgender Schluß für die vorliegende Untersuchung für die Gültigkeit der vorliegenden Untersuchungsergebnisse: Angesichts der starken Ausprägung einer Variablen (Gehörlosigkeitsstatus) mit gravierenden Konsequenzen für den zu untersuchenden Bereich (Mediennutzung in einer laut- und schriftsprachbasierten Kommunikationsumwelt) ist m.E. bei einer geringen Fallzahl eine Anzahl brauchbarer Daten hervorgebracht worden. Fallgruppen (von Geburt an Gehörlose, Spätertaubte, Schwerhörige) konnten gebildet werden.



Ergebnisse
Sie werden im Sinne der Bestätigung/Nichtbestätigung der Hypothesen (fett gedruckte Textteile) dargestellt:


Hypothese 1
Allgemeine Medien: Gehörlosengerechte Infos sind Mangelware

Auch Gehörlose wollen sich umfassend mit Hilfe der Massenmedien informieren. Die derzeitigen Angebote im Fernsehen und Videotext reichen ihnen nicht aus. Die von den Gehörlosen genutzten Zeitungen bilden nicht die erforderliche Alternative, da sie nur oberflächlich informieren.

Die erhobenen Daten stützen die These vollständig. Die Angebote von Fernsehen und Videotext werden genutzt, aber nicht für ausreichend befunden. Von den 74 offline Befragten sahen 42 die Tagesschau mit Untertiteln oft, 30 selten und zwei nie. Bei den 56 befragten Gehörlosen ist das Verhältnis 33 (oft) zu 22 (selten) zu 1 (nie).

Die Sendung "Sehen statt Hören" wird von zwei Dritteln der Befragten regelmäßig gesehen. Sehr eindeutig fällt die subjektive Einschätzung aus, ob beide Sendungen ausreichend informieren: Nur jeder 10. Befragte bejahte dies, wobei die Verneinung in allen drei Fallgruppen ähnlich stark ausgeprägt war. Weitere Sendungen wurden fast nicht genutzt, außer vier Nennungen zu TV-Sendungen - u.a. "Lindenstraße" und "wenn Videotext".

Das Angebot des ARD/ZDF-Senders "Phoenix", der mit Gebärdendolmetschern arbeitet, scheint noch nicht die Alternative zu sein. Eine wesentliche Ursache ist der fehlende Empfang dieses Senders: 29 Befragte kreuzten diese Antwort an. Nur 17 sahen Phoenix oft, dagegen 23 selten sowie 5 Befragte nie.

Der Videotext (ein Abrufangebot ähnlich wie WWW-Seiten) ist eine wichtige Informationsquelle für die untersuchte Bevölkerungsgruppe. Nur 13 Befragte nutzen ihn selten, dagegen 44 täglich, davon 10 mehrmals täglich. 34 der 56 befragten von Geburt an Gehörlosen gehören zu dieser Gruppe. 10 der von Geburt Gehörlosen sind andererseits in der Gruppe der Selten-Nutzer zu finden. Trotz der starken Nutzung wird Videotext als nicht ausreichend für die Information der Befragten empfunden: Nur 11 antworteten positiv, also nur rund jeder siebente.

Die von den Gehörlosen mehrheitlich gelesenen Zeitungen sind der Boulevardpresse, zuzurechnen, ein sehr hoher Anteil der Befragten liest "Bild", "BZ" oder "Berliner Kurier". Für die Richtigkeit der Hypothese wird unterstellt, daß diese Zeitungen nur oberlächlich informieren. Besonders ausgeprägt ist deren Nutzung bei den von Geburt an Gehörlosen, von denen nur jeder zehnte etwas anderes liest. Dagegen ist bei den extrem Schwerhörigen - unter Einschränkung der geringen Fallzahl - festzustellen, daß auch sprachlich vergleichsweise schwierige Zeitungen gelesen werden.
 



Hypothese 2
Mehr Interesse bei gehörlosengerechtem Internetzugang

Weil die bisher vorhandenen Internet-Angebote den spezifischen Problemen der Gehörlosen nicht gerecht werden, nutzt nur eine geringe Zahl Gehörloser das Internet.

Die Ergebnisse stützen die Hypothese, daß es derzeit nicht sehr viele gehörlose Internetnutzer zu geben scheint. Bei der Offline-Befragung hat mit 14 nur ein kleiner Teil der Befragten einen Internet/Online-Anschluß. Ein noch interessanterer Befund ist die Tatsache, daß 9 Befragte einen Anschluß hatten, ihn aber wieder abbestellt haben.  Die Gründe: Zwei meinten "ungeeignet" und sieben sagten "zu teuer".

Die meisten Nutzer sind in der Gruppe der 20- bis 29jährigen zu finden, mit fast zwei Dritteln gegenüber einem Drittel Nicht-Nutzer.  Von denjenigen Befragten, die keinen Anschluß haben, plant eine Mehrheit keine Nutzung - 46 gegenüber 22mal "Ja". Interessant ist jedoch die Tatsache, daß auch einige der Abbesteller sich durchaus vorstellen können, wieder einen Internet- bzw. Onlinedienst-Anschluß anzumelden.

Die Gründe bestehen in verschiedenen Zugangsschranken - Schwierigkeiten der Gehörlosen mit der Lautsprache und der Schriftsprache, Scheu vor dem Computer sowie die erwarteten hohen Kosten für Anschaffung und Nutzung. Die noch nicht erreichte "kritischen Masse" bei der Einführung neuer Kommunikationstechnologien und mangelnde Kenntnisse der Möglichkeiten könnten weitere Gründe für die Nichtnutzung sein.

Die Ergebnisse der Untersuchung stützen auch diesen Teil der Hypothese größtenteils: Es ist kein Desinteresse, was die Gehörlosen vom Internet abhält. Nur sieben offline Befragte gaben an, kein Interesse zu haben und deshalb nicht einmal darüber lesen wollen. 17 Befragte, meinten jedoch, daß es ihnen zu kompliziert sei. Von den 45 offline Befragten, die keine keine Nutzung planen, ist es 22 zu kompliziert, 17 zu teuer und 10 haben kein Interesse (Gehörlose von Geburt an: 33 zu 17 zu 16 zu 5).

Wenn spezifische Probleme wie Sprache und spezielle Internet-Einführungskurse für Gehörlose (beides Fragen aus dem Bereich der Medienkompetenz) gelöst würden, wäre ein großer Teil bereit, das Internet zu nutzen. In der Online-Befragung wurden als Abstinenzgründe gehörloser Bekannter an erster Stelle Kostenfragen (14 Befragte) genannt, 11x spielte die Schriftsprachkompetenz eine Rolle und 10x wurde das Internet als zu kompliziert eingeschätzt, wenig interessante Inhalte wurden nur fünfmal als Grund vermutet.

Kostenargumente spielten offline in der direkten Aufzählung der Zugangsschranken keine extrem große Rolle. Allerdings ist mehr als die Hälfte der Befragten der Meinung, daß die Telefongebühren trotz Ermäßigung zu hoch sind. Online wurde die hypothetische Frage gestellt, was passieren würde, wenn Internet/ Onlinedienste plus zugehörige Telefonnutzung für Gehörlose kostenlos wären:
Von den 94 Befragten waren 28 der Meinung, daß es dann alle Gehörlosen nutzen würden, und 51 Befragte meinten, daß es dann viel mehr als jetzt tun würden. Von 42 der von Geburt an gehörlosen Befragten meinten 20 "alle" und 17 "viel mehr als jetzt".

Die Theorie der "kritischen Masse" bei der Nutzung neuer Kommunikationstechnologien gilt offensichtlich auch hier: Für die Befragten wäre es ein wichtiger Anreiz, wenn möglichst viele Gehörlose ebenfalls das Internet nutzen.

Mangelnde Kenntnisse spielen ebenfalls eine große Rolle: Nur 3 von 74 offline Befragten schätzten ihr Wissen über Internet und Online-Dienste als "hoch" ein, dagegen 52 als gering. 18 sahen ihren Kenntnis-Level dazwischen. Daß es spezielle Internetangebote für deutsche Gehörlose gibt, wußten jedoch immerhin 42 von 74 Befragten.

Ein Teil der Hypothese konnte durch die Untersuchung nicht gestützt werden: Die 74 offline Befragten sahen den Computer nicht als das Problem an. Allerdings ist ein auffällig hoher Anteil von Computernutzern unter den Befragten - 41 mit PC gegenüber 33 ohne PC. Ein Ergebnis, das mit ziemlicher Sicherheit nicht verallgemeinerbar ist. Hier macht es sich negativ bemerkbar, daß es keine Repräsentativerhebung ist. Durch die Verteilung der Fragebögen über das Zentrum für Kultur und visuelle Kommunikation Gehörloser Berlin/ Brandenburg e.V. (dort werden durch Gehörlose Videofilme gedreht und geschnitten) ist es vielmehr denkbar, daß es sich bei den Befragten vor allem um technikinteressierte Menschen handelte. Umso deutlicher ist andererseits die Internet-Abstinenz.
 



Hypothese 3
Es gibt noch nicht genug Internetangebote für Gehörlose

Die bisherigen Angebote im Internet für Gehörlose reichen noch nicht aus.

Die online erhobenen Daten stützen diesen Teil der Hypothese. Die deutliche Mehrheit von 84 Personen - durch alle Gruppen der 94 online Befragten, also auch Gehörlosen-Umfeld - sieht die drei vorhandenen Angebote als nicht ausreichend an und möchte weitere Angebote.

Angesichts der Verstreutheit der Gehörlosen auf die Bundesrepublik und der derzeitigen Internetangebote mit Inselfunktion - taubenschlag.de (Bremen), gehoerlos.de (Frankfurt/Main) und hoerbehinderten-info (Würzburg/Main) - wird dies insbesondere in Regionen als Mangel empfunden, die nicht in den Einzugsgebieten der genannten Angebote liegen.

Dieser Teil der Hypothese kann durch die vorhandenen online erhobenen Daten nicht bestätigt werden. Angesichts einer Aufsplittung in 16 Bundesländer, ergibt sich wegen der daraus resultierenden sehr geringen Fallzahlen ein zufälliges Meinungsbild.
 



Hypothese 4
Gehörlose Internetnutzer: Exoten ihrer Bevölkerungsgruppe

Unter den Gehörlosen, die das Internet nutzen, haben überproportional viele eine hohe Lautsprachkompetenz und Bildung.

Die erfragten Daten in Sachen Lautsprachkompetenz stützen die Hypothese, wenn auch nicht in dem erwartet starken Maße. Dem größeren Teil der online Befragten erschweren Fremdwörter und komplizierte Begriffe nicht den Umgang mit dem Internet. Auch wird ein Wechsel zu einem reinen Online-Dienst wie T-Online oder AOL wegen der Sprache von einer Mehrheit nicht erwogen. Allerdings sind bei beiden Fragen die Unterschiede zwischen der Zahl der Pro- und Contra-Nennungen nicht extrem groß.

Ein erheblicher Teil der gehörlosen Internetnutzer hat einen Bildungsabschluß an der Fachhochschule bzw. Hochschule/Universität: 28 von 67 Gehörlosen seit Geburt, Spätertaubten oder extrem Schwerhörigen. Dieser Befund korrespondiert mit dem Online-Nutzungsverhalten: Von 80 Betroffenen nutzten 50 den Anschluß auch beruflich, bei den 42 von Geburt an Gehörlosen waren es immerhin 22. Das Verhältnis Ost-West-Nutzer lag bei rund 1/4 zu 3/4.

Sie haben meist schon Online-Erfahrung aus Zeiten vor dem großen Online-Hype 1995 (Funkausstellung mit T-Online/Internet).

Diese hypothetische Aussage wird durch die Daten teilweise gestützt. Ein beträchtlicher Teil der online-Befragten kennt das Internet schon sehr lange. Von 80 online Befragten - die 14 Antworten aus dem Gehörlosen-Umfeld wurden nicht berücksichtigt - erfuhren 49 erstmals vom Internet vor 1995, immerhin 29 vor 1993. Nutzer waren vor 1995 allerdings nur 21 von 80 Befragten. Sie haben sich den Umgang mit der neuen Informationstechnologie in der Mehrheit selbst angeeignet. Durch einen Verein oder Kursus hat sich nur ein einziger Befragter den Umgang mit dem Internet angeeignet. 59 Befragte von 80 (die 14 Antworten aus dem Gehörlosen-Umfeld wurden nicht berücksichtigt), davon 27 Gehörlose von Geburt, haben sich dagegen den Umgang mit dem Netz selbst angeeignet. 20 Befragte haben den Umgang von Verwandten oder Bekannten gelernt. Damit stehen sie im deutlichen Kontrast zu den offline Befragten, die das Fehlen spezieller Einführungskurse für Gehörlose als Zugangschranke nannten.

Sie setzen den Schwerpunkt ihres Nutzungsverhaltens vornehmlich auf Bildungs- und Informationsangebote. Sie entsprechen dem Bild eines ,aktiven Publikums'.

Die online erhobenen Daten stützen diesen Teil der Hypothese. So gibt es sehr viele Nutzer von Uni-Seiten, Bibliotheksseiten und vor allem internationalen Gehörlosen-Seiten: 46 Nennungen bei insgesamt 67 Gehörlosen von Geburt, Spätertaubten u. extrem Schwerhörigen. Ein erheblicher Teil hat sogar eine eigene Homepage oder plant deren Einrichtung. Es dürfte sich somit um eine Art "Info-Elite" unter den Gehörlosen handeln. Bei den einzelnen Internet-Diensten liegt das WWW (94 Nutzer) in der Nutzungsgunst vor eMail (85), Chat (43), Usenet (19), Telnet (13) und Gopher (5).

Interessante Ergebnisse brachte die Auswertung der offenen Frage nach einer Hitliste. Insgesamt 14 Nennungen von Hörbehinderten-Seiten kamen (obwohl diese gar nicht erfragt wurden). Von den von Geburt an Gehörlosen (7 Nennungen) wurden gehoerlos.de (2) taubenschlag.de (1), Links zur Gehörlosigkeit (1), deafclubs.com (1) und deafworldweb.org (2) genannt. Extrem Schwerhörige (3) nannten hoerbehinderten-info.de (2), schwerhörigen-netz.de (1); Spätertaubte (2) listeten taubenschlag.de und schwerhörigennetz.de, Schwerhörige (2) schrieben hoerbehinderten-info.de und ASL-Seiten.


 Hypothese 5
Je stärker die Gehörlosigkeit, desto eher Nutzung von Gehörlosenseiten

Wenn die derzeit das Internet nutzenden Gehörlosen als aktives Publikum Bedürfnisse (nach Zugehörigkeit, Solidarität und Selbstverwirklichung) via Internet befriedigen wollen, dann nutzen sie geeignete Angebote. Je stärker die Gehörlosigkeit die lautsprachbasierte Kommunikation einschränkt, desto eher werden spezielle Gehörlosenseiten bevorzugt.

Die Hypothese wird durch die online erhobenen Daten gestützt. Es gibt einen signifikanten Unterschied zwischen den von Geburt Gehörlosen, den Spätertaubten und den extrem Schwerhörigen. Die 42 von Geburt an Gehörlosen präferieren spezielle Gehörlosenseiten (18 nutzen lieber Gehörlosenseiten und 11 sowohl Gehörlosenseiten als auch allgemeine). Für die schwerhörigen und extrem schwerhörigen Befragten sind dagegen kaum die speziellen Gehörlosenseiten die Lieblingsseiten. Sie haben allerdings trotzdem ein hohes Interesse an den Gehörlosenseiten. Dies zeigt sich in dem hohen Anteil derer, die beide Seiten-Kategorien zu ihren Lieblingsseiten zählen. Eine Erklärung dafür könnte darin liegen, daß sich die Homepage www.hoerbehinderten-info.de an das ganze Spektrum der Hörgeschädigten wendet. Bei den Spätertaubten dominierten in dieser Frage leicht die allgemeinen Internet-Seiten.
 



Hypothese 6
Einfache Sprache und Orientierung auf Videonutzung ein Muß

Wenn ein neues Angebot im Internet speziell für Gehörlose die breite Basis der Zielgruppe erreichen soll, dann muß die Schriftsprache sehr einfach sein. Je stärker die Art der Gehörlosigkeit die lautsprachbasierte Kommunikation einschränkt, umso einfacher muß die Sprache sein.

Die Untersuchungsergebnisse stützen diesen Teil der Hypothese. So nutzen die offline befragten Gehörlosen vornehmlich Boulevardzeitungen (Bild, B.Z., Kurier), die sich durch eine einfache Sprache und kurze Texte auszeichnen. Bei den beiden anderen Gruppen (Spätertaubte und extrem Schwerhörige) ist dieses Nutzungsverhalten nicht so stark ausgeprägt. (Vgl. dazu die Ausführungen zu Hypothese 1).

Die Online-Befragung ergab kein eindeutiges Bild. In der Gesamtheit (ohne Gehörlosen-Umfeld) waren die Hörgeschädigten eher der Meinung, daß zu viele Fremdwörter und komplizierte Begriffe den Umgang mit dem Internet "nicht" oder "kaum" erschweren (insgesamt 35). Nur 20 waren der Meinung, daß dies zutreffe bzw. stark zutreffe. 25 Befragte antworteten, daß dies zum Teil so sei. Auffällig ist, daß von den 11 Antworten (ohne Gehörlosen-Umfeld), daß dies stark zutreffe, immerhin 10 Gehörlose von Geburt so antworteten.

Als mögliche Alternative hätte die Übertragung von Informationen per Video (Gebärdensprache) eine hohe Akzeptanz.

Die Untersuchungsergebnisse stützen diesen Teil der Hypothese. Die offline Befragten begrüßten fast einhellig (69 von 74 Befragten) eine solche Möglichkeit und waren nur zu einem verschwindend geringen Anteil (3 Befragte) der Auffassung, daß so etwas nicht funktionieren könne.

Die offene Frage bei der Online-Untersuchung nach der Zukunft des Internet ergab mehrere Antworten, die eine wichtige zukünftige Entwicklung in der Bewegtbildübertragung sehen und dafür höhere Bandbreiten fordern. Konkret gab es 24 Nennungen, die sich mit höheren, zum Teil sehr viel höheren Übertragungsgeschwindigkeiten und Bandbreiten befaßten. Davon enthielten 8 Nennungen die explizite Verbindung zu Themen wie Bildtelefonie bzw. Gebärdenübertragung per Video.
 



Hypothese 7
Interesse an einer Gehörlosengemeinschaft im Internet

Das Internet bietet für die Gehörlosen große Chancen als Forum, als Diskussionsmedium und als Medium zur Schaffung einer elektronischen Gemeinschaft. Wenn die deutschen Gehörlosen diese Chancen nutzen wollen, müssen sie zum einen über diese Möglichkeit aufgeklärt werden und zum anderen die Gewißheit haben, sich offen und ohne Scheu via Internet äußern zu können.

Die Datenlage ist bei dieser Hypothese zwiegespalten. Die Gehörlosen, die bereits das Internet verwenden, haben dessen Möglichkeiten erkannt und nutzen sie. Die Online-Befragung zeigte beispielsweise einen hohen Anteil von eigenen Homepages der Nutzer. Es gibt, grob gesagt, eine Drittelung zwischen eigener Homepage, geplanter eigener Homepage ("noch nicht") und keiner Homepage. Dabei machen die von Geburt an Gehörlosen keine Ausnahme.

Offline zeigte sich, daß die Möglichkeiten des Internet nicht ausreichend bekannt sind. Dies stützt die Hypothese. Zwar gaben fast zwei Drittel der 74 Befragten an, daß sie von der Deaf Community im Internet in den USA wissen. Ähnliche Internet-Angebote wie in den USA würden für die Bundesrepublik deutlich begrüßt: 46 meinten "ja" und nur 4 sagten "nein". Allerdings kreuzten 24 Befragte "weiß nicht" an. Anmerkung: Bei beiden Fragen müssen auch die Internetnutzer unter den offline Befragten berücksichtigt werden. Sie haben hohes Wissen um die USA-Verhältnisse und den starken Wunsch, ähnliches in der Bundesrepublik zu installieren.

Offensichtlich setzen die befragten Gehörlosen prinzipiell Hoffnungen in das Internet. So zweifelt nur ein sehr geringer Teil daran, daß man via Internet bessere Kontakte zu Hörenden aufbauen könnte (4 von 74). Ein großer Teil (34 Befragte) glaubt dies.
Allerdings ist etwa ebenso großer Anteil der Befragten (35 Befragte) unsicher, ob dies so sein könnte. Die 14 Internet-Nutzer unter den offline Befragten haben Kontakte zu Hörenden. Das Wissen um spezifische Möglichkeiten des Internets, wie z.B. Chat, ist noch gering ausgeprägt. Die Mehrheit von 42 Befragten kannte die Chat-Möglichkeit - mit mehreren Menschen zugleich zu reden - nicht. Von den 32 "Wissenden" können getrost die 14 Internetnutzer abgezogen werden, wodurch das Bild noch ungünstiger wird.

Die befragten Gehörlosen waren bezüglich des Angebotes einer geschlossenen Benutzergruppe speziell für Gehörlose unentschieden. 35 Ja-Stimmen standen 39 Nein-Stimmen gegenüber. Eine Aufschlüsselung nach Nutzer ja/nein bringt auch keine starke Polarisierung. Lediglich bei den 9 Abbestellern überwog die Tendenz zu einer solchen Abschottung.