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... 20. September 2003 1150. Sendung
In dieser Sendung:
„HOMMAGE AN CHARLIE CHAPLIN“
Gehörlose und schwerhörige Schülerinnen und Schüler produzieren einen „echten“ Chaplin-Stummfilm
Präsentatorin Conny Ruppert:
Hallöchen und willkommen! Ich bin hier in Freiburg. Wie ihr seht, tummeln sich hier eine Menge Leute. Klar, denn hier ist das alljährliche „Zelt & Musikfestival“. Die haben echt eine Menge Programm: Von Musik- bis hin zu anderen Unterhaltungsprogrammen, ist alles da! Ihr kennt doch sicherlich Charlie Chaplin, nicht wahr!? Den „Meister der Pantomime“! Naja, aber was der alles konnte, ist für uns Gehörlose natürlich selbstverständlich. Wir benutzen unseren Mimik jeden Tag. Die Schüler der Gehörlosen- & Schwerhörigenschule Stegen, zeigen uns heute einen selbstproduzierten Stummfilm. Die Originalfassung hat eine Länge von 50 Minuten und trägt den Titel: „Eine Hommage an Charlie Chaplin“. Hm, ...hier riecht es schon ganz nach Hollywood!
„CHARLIE CHAPLIN“
diverse Aufnahmen vom Festival, Filmprojektor, Vorführung Stummfilm beginnt
„Das Mädchen“
Marina Hartwig: Ich spiele die Rolle des Mädchens und ich hasse den „bösen Professor“, weil der viel zu streng ist. Ich bin Hals über Kopf verliebt in Artur... ich meine in Chap...in Charlie Chaplin. Ich liebe ihn sehr.
Ausschnitt
Andreas Berger: Ich habe die Rolle des Vaters. Das Mädchen, also meine Tochter, soll den bösen Professor heiraten. Die will natürlich nicht mit dem bösen Professor zusammen sein, sondern mit Charlie Chaplin. Ich aber bestehe darauf, dass sie den Professor heiratet.
Ausschnitt
Conny: Das ist Artur Rotfuß, der Hauptdarsteller. Nun, Artur? Welche Rolle spielst du?
Artur Rotfuß: Ich bin Charlie Chaplin!
Conny: Aha! Und? Hat‘s dir Spaß gemacht Chaplin zu spielen?
Artur: Naja, geht so!
Conny: Aber das Ergebnis auf der Leinwand ist ganz interessant.
Ausschnitt Szene auf dem Bett
Conny: Das ist Stefan Pößiger, der Lehrer der Schüler. Sag mal Stefan! Ich sah all die-
se Originalrequisiten wie: Einen Oldtimer, alte Kleidung u.s.w. Alles sah genauso aus wie damals. Habt Ihr vielleicht einen krankhaften Chaplin-Fan unter Euch!? Wenn ja: Bist du das? Oder sind das die Schüler? Wie kamt ihr bloß auf diese Idee???
Stefan Pößiger: Woher die Idee kam? Okay, das war so: Ich hatte gerade erst meine Arbeit als Lehrer begonnen und besuchte an einem Nachmittag die Schüler im Internat. Dort saßen die vorm Fernseher und schauten einen Chaplin-Film an. Ich verstand das für einen Moment nicht: Wieso Chaplin? Seine Filme sind doch altmodisch und langweilig. Und ich sah, wie die Schüler gebannt auf die Mattscheibe starrten bzw. sich kaputt lachten. Tja, nun! Ich habe mir da aber auch nichts weiter bei gedacht. Trotzdem kam mir kurz danach die Idee, selbst einen kurzen Chaplin-Film zu machen, ich vergaß die Idee aber wieder. Drei Jahre später traf ich nun diese Klasse wieder! Und ich sah: Einige aus dieser Klasse, waren echte Profipantomimen! Da passierte es: Mir fiel diese alte Idee wieder ein! Nun, dachte ich mir: Jetzt ist es möglich! Ich überlegte mir also eine Kurzgeschichte, mit einem guten Anfang bzw. Ende und zeigte sie den Schülern. Die sagten aber: Nein, nein! Das müssen wir anders machen! Es muss alles so sein, wie bei Charlie Chaplin! Ich war nicht gerade begeistert und sagte: Hört mal, der Chaplin ist ein Profi! Ob wir das je so gut hinbekommen? Aber sie wollten es unbedingt. Wir probierten es einfach! Am Anfang dachte ich eher an einen 10 Minuten-Kurzfilm. Tja, und dann sind 50 Minuten daraus geworden, ein richtiger Spielfilm.
Ausschnitt „Morgenwäsche“
Stefan: Gleich zu Anfang überlegten wir, woher wir die Kostüme nehmen sollten. Es sollte natürlich alles „echt“ aussehen. Genau wie damals. Mein Opa hat damals als Schneider gearbeitet – natürlich bin ich traurig, dass er schon verstorben ist, aber: Seine Anzüge waren alle noch da! Die habe ich genommen. Alles andere, was fehlte, haben wir dann im Second-Hand-Shop gekauft. Wir haben dann hier und da einiges verkleinert und gekürzt. Den Rest haben wir uns beim Kostümverleih geholt.
Ausschnitt „Frühstück“
„Der böse Professor“
Mirko Scheit: Ich bin der böse Professor und forsche nach einem Mittel, das Menschen unsichtbar machen kann! Dann könnte ich unbeobachtet viel Geld klauen.
Ausschnitt
„Der Gehilfe“
Michael Schneider: Ich spiele den Gehilfen des Professors. Der Professor hat keine Ahnung und nur ich bin ein richtiger Chemiker. Deshalb versuche ich ihm zu helfen: Mit Erfolg: Er bekommt sein gewünschtes Ergebnis!
Ausschnitt „Im Labor“
Stefan: Im Film sieht man auch ein altes Auto. Einen Oldtimer – ich glaube, Baujahr 1929. Meine Mutter sah in einer Zeitungsannonce Fotos von verschiedenen Autos. Unter dem Foto unseres Autos, fand sie die Telefonnummer, rief den Besitzer an und fragte, ob wir das Auto für Dreharbeiten ausleihen dürften? Und siehe da: Wir durften! Die Dreharbeiten mit dem Auto dauerten drei Stunden. Ich war diesmal auch mit von der Partie. Ich spielte den Autofahrer. Das war schrecklich, denn der Autofahrer musste rauchen. Oh, das habe ich gehasst! Rauchen, rauchen ohne Ende. Und noch mal und noch mal. Oje, ich war froh, als alles im Kasten war.
Foto „Ford; Baujahr 1929“
Ausschnitt: Autofahrt
Conny: Du hattest also dein Drehbuch. Und danach? Wie habt ihr entschieden: Wer spielt Charlie Chaplin? Waren nicht alle Schüler heiß auf diese Rolle? Haben sie sich vielleicht darum gestritten?
Stefan: Wer Chaplin spielen sollte, war für uns von Anfang an klar:
Artur: Alle haben einstimmig darauf bestanden. Da gab es nichts zu streiten.
Ausschnitt „Beim Arzt“
Conny: Deine Rolle als „Charlie“ war doch sicherlich schwer einzustudieren. Hat dir jemand dabei geholfen?
Artur: Ja, der Herr Pößiger! Er achtete immer sorgfältig darauf, dass ich den richtigen „Watschelgang“ auch nicht vergesse. Und dass ich den Stock richtig einsetze.
„Die Mutter“
Claudia Herb: Ich spiele die Mutter. Als Herr Pößiger mich damals fragte, ob ich die Rolle der Mutter übernehmen möchte, habe ich natürlich gern mitgemacht. Am Anfang ging es ja noch, aber dann musste ich wieder und wieder alles wiederholen - das war zum verrückt werden. Aber nachdem ich die ersten Szenen mühsam geschafft hatte, ging der Rest von alleine. Es machte immer mehr Spaß. Es war schön mit diesem Team. Wir diskutierten viel, und jeder half dem Anderen: „Spiel lieber so! - Das war gerade nicht gut...“ Und so ging es immer weiter...
Conny: Wie viele Drehtage habt ihr gebraucht, um das Projekt „Stummfilm“ zu verwirklichen? Und vor allem: Wie habt ihr das finanziert? Musstest du gar am Ende selbst drauf zahlen???
Stefan: Für den Dreh haben wir die 10 Tage der Pfingstferien genutzt, und ungefähr vier darauffolgende Wochenenden. Und sogar ein paar Tage der Sommerferien. Alles in allem: ca. 30 Drehtage!
Ausschnitt: Auf der Bank
Stefan: Am Anfang war es natürlich auch eine Geldfrage, denn wir wollten mit einer 8 mm Kamera drehen. Solch eine Kamera ist natürlich sehr teuer! Schließlich haben wir dann Briefe geschrieben, um Sponsoren zu finden. Das klappte auch anfangs gar nicht so schlecht: Wir bekamen ungefähr 3000.- € zusammen. Jedoch war das schon sehr bald verbraucht! Tja, was sollten wir da machen? Aufhören!? Nein, es musste einfach weitergehen. Also habe ich den Rest selbst bezahlt. Die Gesamtproduktionskosten betrugen etwa 10.000.- €!
Ausschnitt „Charlie betrinkt sich“
Junge: Ich spiele „den Dicken mit Bart“, der mit Charlie auf der Straße zusammenstößt. Außerdem bin ich in der Cafe-Szene beim Essen.
Ausschnitt „Charlie betrinkt sich“
Stefan: Den Schnitt habe ich selbst gemacht. Das war eine Menge Arbeit. Anfangs konnte ich es nicht und musste es erst einmal lernen. Bei der Szene in der Bar, wo es zur Prügelei kommt, haben mir aber zwei Schüler geholfen!
Fotos vom Schnitt
Andreas Rein: Ich spiele den „Boxer“ in der Bar. Ich rege mich zunächst über Chaplins Mundgeruch auf, dann werde ich über Charlies verliebte Annäherungsversuche wütend. Auf dem Höhepunkt dieser Szene verprügele ich ihn schließlich.
Ausschnitt „Der Boxer“
Conny: Kannst du dir vorstellen später als Schauspieler zu arbeiten?
Artur: Ich? Keine Ahnung.
Claudia: Hm, ... ja! Ich würde gern weiter als Darstellerin mit dem Team arbeiten, wenn es zusammen bleibt. Abgesehen davon würde ich gern beruflich als Schauspielerin arbeiten.
Marina: Nö, ich möchte lieber Köchin werden! Ja, Köchin!
Andreas: Ich wäre gern Schreiner! Aber abwarten ... Schauspieler wäre auch gut.
Mirko: Mein Traum ist es Chap...äh... Schauspieler zu werden!
Publikum während der Vorführung,
Ausschnitt: Café-Szene mit Tortenschlacht
Stefan: Immer wenn ich das Kamerastativ aufgebaut habe, begannen meine Hände immer fürchterlich zu zittern, so als ob ein Schauspieler mit Lampenfieber auf die Bühne muss. Genau so ging es mir, wenn ich mit dem Drehen begann. Ein Gefühl wie soll ich das beschreiben? Als wärst du auf Drogen!
Ausschnitt: Verfolgungsjagd
Andreas: Mühsam waren die ewigen Wiederholungen! Jede Szene musste in den verschiedensten Perspektiven wiederholt werden. Immer und immer wieder musste ich „meine Tochter“ fest in den Arm nehmen. Das ging mir manchmal bis hier!
Marina: Ich hatte viel Spaß! Wir haben uns alle besser kennen gelernt!
Ausschnitt Liebespaar/Filmende
Statements hörender Besucher/innen:
Ich hab die Karte zum Geburtstag geschenkt gekriegt, konnte zuerst nichts damit anfangen, bin aber froh, dass ich jetzt hier bin, das war einfach genial, hatte sehr viel Spaß. Ich fand’s voll cool, weil es war auch so das Hektische und so, man hat gleich erkannt, was es sein soll. Ich bin zwar mit etwas anderen Erwartungen hier hin gegangen. Ich hatte geglaubt, es würden alte Chaplin-Stummfilme gezeigt, die dann Live musikalisch unterlegt würden, war aber sehr überrascht, dass es eine Adaption war, die mir hervorragend gefällt, kann ich nicht anders sagen.
Genauere Informationen zu diesem Film unter: www.stummfilm.de.vu
Archivbilder vom Genfer See, Corsier-sur-Vevey am Genfer See / Schweiz.
Hier starb Charles Spencer Chaplin am 25. 12. 1977 im Alter von 88 Jahren.
„Outtakes“ (Ausschuss-Bilder), darüber Abspann:
Stefan: In den Pfingst...Pfingstferien haben wir etwa 10 Tage... Ach, Mist! Stopp! Stopp!
Conny & Artur: Hat es dir Spaß gemacht Chaplin zu spielen?
Ich...äh...naja...
Stefan: Beim Drehen...
Michael: Was läuft hier eigentlich?
Stefan: In den Pfingstferien, haben wir ungefähr 10 Tage... Ach, Mensch! Pfingsten, Pfingsten – Tage, Tage...
Conny: Mann, ist der unsicher! Überall schaut er hin, nur nicht in meine Augen.
Stefan winkt ab.
Beitrag: Marco Lipski
Moderation: Conny Ruppert
Dolmetscher: Rita Wangemann,
Holger Ruppert
Kamera: Frank Roskam,
Stefan Weiss
Ton: Markus Andis,
Sandy Hinz
Schnitt: Alexandra Königsmann,
Beate Uhlig
Klaviermusik: Günter A. Buchwald
Fax-Abruf-Service „Sehen statt Hören“: 0190 / 150 74 107 (EUR 0,62 / Min.)
Impressum:
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Redaktion: Francine Gaudray, Bayer. Rundfunk, Ó BR 2003 in Co-Produktion mit WDR
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen und Schwerhörigen e. V.
Paradeplatz 3, 24768 Rendsburg, Tel./S-Tel.: 04331/589722, Fax: 04331-589751
Einzel-Exemplar: 1,46 Euro