Ein höchst interessantes Forschungsobjekt: taube Eierköpfe.
Gemeint sind hörgeschädigte Akademiker, und zwar "hochqualifizierte
Menschen mit einer signifikanten Hörschädigung". Immerhin zehn von
dieser seltenen Spezies hat Silvester Popescu-Willigmann für sein
Forschungsprojekt ausfindig gemacht - ausreichend für eine
qualitative (nicht quantitative!) und daher nicht repräsentative
Untersuchung. 7 von diesen 10 Teilnehmern haben sogar promoviert.
Wirklich eine exquisite Auswahl! Und Gehörlose kamen leider gar
nicht vor, aus einem ganz profanen Grund: Dem Autor fehlte das Geld
für Dolmis. Das also vorweg: Bei den Probanden handelt es sich um
überwiegend lautsprachlich orientierte Akademiker, aus deren
Biografien der Autor seine Erkenntnisse über "Berufliche
Bewältigungsstrategien und 'Behinderung'" - so der Titel des Buches
- zieht. Nicht nur die Äußerungen der Teilnehmer - der Autor hat
sie interviewt und die Audioaufnahmen ausgewertet - sondern auch
die Schlussfolgerungen des Autors selbst sind erklärtermaßen
subjektiv. Das ist in den Sozialwissenschaften anders auch nicht
möglich.
Die Ausrichtung des Projekts wird schon im Titel des Buches
deutlich. Es geht um "Undoing Disability", also um die Überwindung
der Behinderung, und nicht ohne Grund ist der Begriff "Behinderung"
in Anführungsstriche gesetzt. Mit anderen Worten: die sogenannte
Behinderung. Dahinter verbirgt sich der Slogan: Wir sind nicht
behindert, wir WERDEN behindert - von der Gesellschaft! Genau das
steht im Fokus dieser Untersuchung: "Behinderung als kulturelles
Produkt".
Wie haben diese deafies es geschafft, trotz - oder gar wegen? -
ihrer Behinderung/Beeinträchtigung/Hörschädigung Karriere zu
machen? Hatten sie bestimmte Strategien, wenn ja, welche? Und was
können Otto-Normal-deafie und Profis in ihrem Umfeld daraus lernen?
Darüber hinausgehend: Gibt es so etwas wie Chancengerechtigkeit?
Das konnte keiner der Probanden feststellen. Im Gegenteil: "Die
Barrieren im Studium sind noch so hoch, dass das kaum ein
Behinderter schaffen kann" - so ein Betroffener. Sie haben es
dennoch geschafft, aber anders als die früher als
"Dennoch-Künstler" bezeichneten Mund- und fußmalenden Künstler. Für
ihren Erfolg gibt es eine Reihe von Faktoren, sowohl persönlicher
als auch gesellschaftlicher Provenienz. Popescu-Willigmann hat sie
gewissenhaft analysiert. Er kommt zu dem Schluss: "Der Kampf um
(berufliche) Anerkennung birgt - auf einen Nenner gebracht - viel
Empowerment-Potenzial... Berufliche Selbstverwirklichung ist ein
selbst mitgestaltbares Lebensziel." Dieser Kampf ist ein Kraftakt,
der durch die Kooperation mit Gruppen und Verbänden Hörgeschädigter
erleichtert und wirksamer gestaltet werden kann, ganz im Sinne von
Bürgerrechtsgewegungen.
"Berufliche Bewältigungsstrategien" betreffen nicht nur Erwachsene.
Schon in der Kindheit und in der Schule müssen das
Selbstbewusstsein gestärkt und das "I can't syndrome" bekämpft
werden. "Mit lauter Stimme" auftretende Verbände und Vorurteile
beseitigende "Erfolgstypen" tragen dazu bei, gesellschaftliche
Vorurteile zu beseitigen.
Die Studie Popescu-Willigmanns zeigt ungeschminkt die Realität auf,
eine Realität, die auch für "deaf eggheads" recht hart sein kann,
aber sie macht auch Mut, indem sie Bewältigungsstrategien aufzeigt,
die bereits zum Erfolg geführt haben. Popescu-Willigmann ermuntert
ausdrücklich zu weiteren Forschungen, und er hat zum Austausch mit
Lesern, Betroffenen und Profis, eine Website eingerichtet: www.bewaeltigungsstrategien.de.
Erhältlich ist sein Buch hier.