Den Witz kennen Sie sicher schon:

"Ein Blinder und ein Tauber duellieren sich. Fragt der Blinde: Ist der Taube schon da? Fragt der Taube: Hat der Blinde schon geschossen?"

Dahinter steht die scheinbar unüberwindbare Kommunikationsbarriere zwischen dem Augen- und dem Ohrenmenschen. Die hat das ZEIT-Magazin aufgegriffen und ein Treffen zwischen einer Blinden und einem Gehörlosen arrangiert, und per Dolmetscherin überbrückt. Und da kommen schon gleich zu Anfang die Zweifel. Bevor das Gespräch beginnt, hat die Blinde einige Fragen an die Dolmetscherin: »Kann man damit (mit der Gebärdensprache) alles sagen?« »Vieles, wenn auch nicht so viel wie die Sprechenden.« Ups, und das von einer Dolmetscherin? Mit der Gebärdensprache kann man NICHT alles sagen? "Mario Torster schaut aus wachen Augen zu und wartet, dass Frau Spring ihm übersetzt." Da sitzt der Gehörlose daneben, während sich die Dolmetscherin mit der Blinden unterhält und bekommt nichts mit. Nur anschließend, zeitversetzt! Und genau dies wird als Gesamteindruck vermittelt: "Es ist ein Interview mit Zeitverzögerung" - eine nicht vollwertige, verzögernde und damit zeitlich behindernde Sprache! Auch wenn ansonsten in DGS gedolmetscht wurde, in dieser Situation wäre ein Ausweichen auf LBG mit Stimme angebracht gewesen. Aber die Dolmi-Faux-Pas gehen weiter: "Dann sagen Sie ihm...!" Eine der wichtigsten Grundregeln für das Dolmetschen: Die Gesprächspartner sprechen MIT einander und nicht ÜBER einander. Der Dolmi ist nur Medium, nicht der eigentliche Gesprächspartner. Genau das hätte im Vorgespräch geklärt werden müssen!

Aber nicht nur Dolmetschen und Gebärdensprache werden in einem falschen Licht dargestellt.

Der Gehörlose ist arbeitslos. Ein Schicksal, das leider viele Gehörlose teilen. Aber liegt das wirklich daran, dass er nicht telefonieren kann? In Zeiten von Fax, E-Mail, SMS und vor allem von TESS hat das Telefonieren auch für Gehörlose einen anderen Stellenwert bekommen und sollte längst nicht mehr eine berufliche Barriere darstellen. Berufliche Möglichkeiten sind eingeschränkt? "Klassische Gehörlosenberufe: Konfektionsschneider, Kfz-Mechaniker, Zahntechniker oder eben Schreiner." Alles nicht falsch, aber die hoffnungsvollen Verbesserungen wie Abi für Gehörlose, gehörlose Studenten, gehörlose Ärzte, Anwälte, Lehrer und ein gehörloser Professor - alles das kommt nicht vor. Insgesamt ein recht deprimierendes Bild, das da von der Gehörlosenwelt gezeichnet wird.

"... fast alle Menschen haben den Eindruck, die Welt wandele sich rasant. Wie ist das in Ihrer Wahrnehmung?" In Bezug auf Technik, Computer, Internet usw. sind sich die beiden einig. Aber dann geht es um die Sinneswahrnehmungen. Ist die Welt lauter und bunter geworden? Na klar! Und der Gehörlose sucht die "visuelle Ruhe" im Urlaub. "Ich fahre dahin, wo es nicht so bunt und eng ist. Ich mag weite Landschaften mehr als Städte." Hmm, das wird für ihn sicherlich stimmen, aber ob es typisch ist für Gehörlose? Da sind Zweifel erlaubt. Und die meisten DVDs haben Untertitel? Wenn das man stimmt! Die Forderung nach mehr Untertiteln im Fernsehen wird nicht erwähnt, und dass Gehörlose von der Politik übersehen werden, na das ist halt so. Weil die Gehörlosigkeit eine unsichtbare Behinderung ist. Kann man nichts dran machen. Dass die Blinde viel mehr zu Wort gekommen ist als der Gehörlose, findet er "Normal. Wir reden eben nicht so viel."

Interessante Einblicke in fremde Welten? Wer sich ein wenig auskennt in der Welt der Gehörlosen, muss leider feststellen: Knapp daneben ist auch daneben, aber dieser Artikel ist VOLL daneben. Wäre interessant zu hören, was Blinde zur Darstellung ihrer Welt meinen.

Allein die Zusammenstellung von blind und taub lässt den Verdacht der Effekthascherei aufkommen. Das riecht geradezu nach einem Knüller. Und dann kommen z.T. Fragen (zu laut, zu bunt, was möchten Sie hören/sehen können?), die die ästhetisierenden und intellektualisierenden ZEIT-Tendenzen, die des Jorunalisten und vor allem Nichtbehinderter erkennen lassen.

Zumindest was den Gehörlosenbereich betrifft, kann man nur feststellen, dass der Duell-Witz besser ist als dieser Artikel. - Den können sie im Zeitmagazin der ZEIT dieser Woche oder auch online lesen und sich selbst eine Meinung bilden:

Gesellschaftsreportage - Was siehst du? Was hörst du?

In mehreren Blogs wurde das Thema aufgegriffen und kommentiert:

Jule: Furchtbarer Artikel in der Zeit - meine Meinung dazu!

Christiane Link: Was siehst du? - Was hörst du?

Sarah Benke: Wenn blinde Gespräche auf taube Ohren treffen.