Referat "Der Taubenschlag und andere deutschsprachige deaf sites /
Wie können hörgeschädigte Kinder und Jugendliche von den Angeboten im Internet profitieren?"


Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Hartmut Brunk hatte mich gebeten, noch einmal über den "Taubenschlag" zu referieren. Das war mir zu wenig, da ich über dieses Thema ja schon auf der vorigen Tagung gesprochen hatte. (Wer mag, kann es ja nachlesen.) Deshalb habe ich das Thema ausgeweitet, und zwar gleich nach zwei Seiten hin. Zum einen wollte ich nicht nur den Taubenschlag darstellen, sondern auch andere deutschsprachige Websites für Hörgeschädigte, und zum anderen geht es mir darum, welchen Nutzen gerade hörgeschädigte Kinder aus den Angeboten im Internet ziehen können.

Insgesamt ist die Thematik, über die mein Kollege Günter Pfeiffer und ich hier referieren, sehr umfangreich und vielschichtig. Wir müssen daher stark kürzen und können nur einige Teilaspekte herausheben.

Vorweg also eine Kurzdarstellung der "deutschsprachigen deaf sites". Gemeint hatte ich damit die größeren überregionalen Websites wie www.hoerbehinderten-info.de, www.gehoerlos.de und www.planetdeaf.de - und eben nicht nur den Taubenschlag. Wenn Sie allerdings heute diese links anklicken, werden Sie feststellen, dass keine dieser sites erreichbar ist.

hoerbehinderten-info ist seit über einem Jahr nicht mehr aktualisiert worden und besteht nur noch aus einer Blanko-Seite. Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen an mein Referat in Husum. Damals hatte ich schon auf die Probleme des gehörlosen Betreibers hingewiesen, der sich und seine Website nach allen Seiten abgeschottet hatte. Das hat letztlich dazu geführt, dass seine Website gestorben ist.

gehoerlos.de ist seit einem Vierteljahr überhaupt nicht erreichbar. Der gehörlose Betreiber ist auf der Suche nach einem neuen Server. Warum das allerdings so lange dauern muss? Für die überwiegend jungen Gehörlosen, die dort regelmäßig das Café, ein Diskussionsforum, besucht haben, ein herber Verlust. Sie haben sich allerdings eine Vielzahl neuer Ersatz-Foren selbst eingerichtet. gehoerlos.de soll aber demnächst wieder online gehen.

planetdeaf war Mitte letzten Jahres DER shooting star unter den deutschen deaf sites. Leider ist der planet genauso rasant wieder verglüht. Über die Gründe kann man nur mutmaßen. Offensichtlich hatte die 21jährige gehörlose Betreiberin sich übernommen. Ein Comeback war über Monate angekündigt. Im Moment ist die site aber auf eine Willkommens-Seite reduziert, nicht einmal der Chat funktioniert mehr, und es kursieren Gerüchte, dass planetdeaf definitiv eingestellt werden soll - oder am 1. April wieder online geht.

De facto hat der Taubenschlag momentan eine Monopolstellung. Das war weder angestrebt, noch wird es auf Dauer so bleiben. Und selbstverständlich gibt es eine Vielzahl kleinerer Websites im Hörgeschädigtenbereich. Sie finden sie unter "private Homepages" oder "Websites von Verbänden" im Taubenschlag verlinkt. Ebenso gibt es natürlich im professionellen Bereich eine Vielzahl von Websites.

Zur Entwicklung des Taubenschlags will ich nur kurz Stellung nehmen. Der Taubenschlag existiert mittlerweile seit ca. 2 1/2 Jahren. Die Besucherzahlen haben sich bei etwa 400 pro Tag eingependelt. Als beliebteste Rubriken haben sich inzwischen die Presse und die Kontaktanzeigen herauskristallisiert, und erst an dritter Stelle folgt die Rubrik "lernen". Die noch in Husum geäußerte Vermutung, dass der Taubenschlag eine Website für hörende Profis und hörgeschädigte "Eierköpfe" sei, scheint so also nicht zu stimmen. Der "Institution" Taubenschlag fallen unterschiedlichste Aufgaben zu, wobei die wichtiste natürlich die Information ist. Täglich gehen aber auch Anfragen ein: nach Gebärdenkursen, der besten Unterbringung des gehörlosen Kindes, wie man mit einem geistig behinderten russischen Gehörlosen wohl kommunizieren könne usw. Wir "Taubenschläger" müssen von den Besuchern wohl für allwissend gehalten werden. Allerdings - so manchen Ratschlag können wir schon geben.

Nach wie vor lebt der Taubenschlag von seiner Aktualität. Seit längerem ist auch eine "Renovierung" in bezug auf Struktur und Layout geplant.

Auch das Team des Taubenschlags ist nicht statisch. Es kommen glücklicherweise immer wieder neue Mitglieder hinzu. Das wirkt sich natürlich auch auf die Inhalte aus. So hat unser neuestes Teammitglied als "Mitgift" gleich die Gesundheits-Abteilung eingebracht. Ebenfalls neu ist die Rubrik "deaf kids". Kein Zufall übrigens, dass sie kurz vor Beginn dieser Tagung eingefügt wurde. Geplant war sie schon lange, eine Anregung hatte Hartmut Brunk zudem in Husum gegeben, und nun war sie einfach unumgänglich für die zweite Ausweitung des Referat-Themas:

Wie können hörgeschädigte Kinder von den Angeboten des Internets profitieren?

Bisher ist es wohl noch Realität, dass die Mehrheit der Lehrer bereits Probleme hat beim Einsatz des Computers. Lernprogramme auszuwählen und sinnvoll einzusetzen, das ist schon schwierig genug und für viele durchaus noch fragwürdig. Jetzt noch einen Schritt weiterzugehen und die Nutzung des Internets für hörgeschädigte Kinder zu fordern, dürfte bei manchem über die Schmerzgrenze gehen. Wir wollen deshalb versuchen, Ihnen einige Bereiche und Beispiele aufzuzeigen, in denen das "Internet für deaf kids" sehr viel Sinn macht. Wir haben für Skeptiker eine Sammlung von Argumenten zusammengestellt. Die können Sie sich bei Gelegenheit in Ruhe ansehen. Ich möchte lieber von praktischen Beispielen ausgehen. Zu diesem Zweck begeben wir uns in die deaf kids-Abteilung.

Spiel und Spaß sind für die kids wahrscheinlich wichtiger als das Lernen. Bei Ihnen dürfte die Interessenlage eher umgekehrt sein. Wenden wir uns also der Unterabteilung Lernen zu - spielen können Sie bei Bedarf ja zu Hause ;-)

Nili ist inzwischen schon ein wenig in die Jahre gekommen. Um die Entwicklung von online-Lernmöglichkeiten aufzuzeigen, ist das Nilpferdkind aber doch noch brauchbar. Bei Nili wurde im Prinzip die Frame-Technik genutzt, um Worterklärungen einzublenden. Das war die ganze Funktionalität. Ein Nachfolger von Nili ist das Wusel, erstellt von einer Seminargruppe der Uni Münster. Beim Wusel wird per Javascript immerhin schon ein Feedback in bezug auf falsch/richtig gegeben. Ebenfalls mit Javascript arbeitet der "Deutschtest", der in einem Folgeseminar entstanden ist. Er gibt nach Abschluss der Übung immerhin einen Überblick über den Leistungsstand, indem er den gemachten Fehlern die richtigen Lösungen gegenüberstellt. Das Fremdwörterquiz befindet sich, programmiertechnisch gesehen, auf der nächsten Stufe. Es arbeitet mit Java. Allerdings werden auch hier nur falsch und richtig angezeigt. - Dieses waren alles Arbeitsergebnisse von Studenten, die lediglich exemplarischen Chrakter haben konnten.

Komplexer wird die Angelegenheit beim "RR2000 Interaktives Lernprogramm zur Rechtschreibreform ". Hier handelt es sich um eine Software, die einen Editor zur Erstellung von online-Lernprogrammen und einen Server beinhaltet. Diese Software bietet dem Lernenden den totalen Überblick über seinen eigenen Leistungsstand. Bei jedem Fehler hat man die Möglichkeit, die Regel nachzusehen. Hat man schlecht abgeschnitten, bekommt man zusätzliche Übungsmöglichkeiten. Und beim Verlassen des Programms wird der momentane Status gespeichert, so dass man beim nächsten Mal genau an dieser Stelle fortfahren kann. Im Vergleich zu Multimedia-Programmen von CD sind solche online-Lernprogramme natürlich sehr spröde, und sie kommen letztlich über den Level von "drill and kill" nicht hinaus. Dies setzt natürlich eine starke primäre Motivation des Lernenden voraus, die man von Kindern nicht unbedingt erwarten kann. Für eine online-Volkshochschule für Gehörlose wäre solch eine Übungsform aber durchaus denkbar.

So richtig "fetzig" wird es natürlich erst da, wo die entsprechenden Mittel vorhanden sind: im kommerziellen Bereich. Nehmen wir als Beispiel learnetix. Diese Website wird vom Cornelsen Verlag unterhalten. Wer dort systematisch lernen will - und die Methodik der Übungen ähnelt der des Trierer Lernservers - muß auch zahlen. Es gibt Abos für Schüler, für die Fächer Deutsch, Englisch und Mathematik, jeweils abgestimmt auf Schulart und Jahrgangsstufe. Es stehen auch reale Lehrer zur Verfügung, die die per Email eingesandten Arbeiten der Schüler korrigieren und kommentieren. Leistungen, die verständlicherweise bezahlt werden müssen.

Sehenswert ist aber auch das Drumherum. Cornelsen hat sich mit blaxxun verbündet und virtuelle online-Welten für Schüler erschaffen. Da gibt es die 3D-Chatwelt, in der man als Avatar herumwandern, andere Leute treffen und sich mit ihnen unterhalten kann. Besonders neckisch sind natürlich Gimmicks wie die Halfpipe, in der man skaten kann, oder der Turm, von dem herab man Bungie-Jumping machen kann. Mögen dies auch Kinkerlitzchen sein, die schnell an Reiz verlieren - das eigene 3D-Haus, das man sich einrichten kann, der eigene Chat in eben diesem Haus, der eigene Schreibtisch, der Club, den man gründen kann und nicht zuletzt einige Spiele sind schon eine reizvolle Umgebung.

Viele dieser Dinge sind aufgrund des hohen programmeirtechnischen und finanziellen Aufwands kommerziellen Websites vorbehalten. Manches lässt sich aber durchaus "abgucken", wie z.B. die Internet-Rallyes. Beim Surfen im Internet läuft man ständig Gefahr, ziellos herumzuirren. Die Internet-Rallye gibt eine Richtung vor. Die Kinder bekommen Aufgaben, unter bestimmten Adressen bestimmte Informationen zu sammeln. Die gefundenen Daten können dann z.B. das Ergebnis eines Preisausschreibens sein. Das ist eine Anregung, die für die sinnvolle Nutzung des Internets in jedem Unterrichtsfach genutzt werden kann. Wer hindert uns Profis im Hörgeschädigtenbereich daran, Rallyes zusammenzustellen, die vom sprachlichen Niveau und vom Inhaltlichen her auf Fähigkeiten und Bedürfnisse hörgeschädigter Kinder abgestimmt sind?

Nutzung des Internets zur Kompensation des kommunikativen Defizits Hörgeschädigter. Ein Schlagwort, das aber immer mehr Realität wird. Besonders junge hörgeschädigte Erwachsene tummeln sich in Chats, Diskussionsforen, mailing lists usw. Aber auch hörgeschädigte Schüler sind von den neuen kommunikativen Perspektiven fasziniert. Die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, z.B. via ICQ, oder sich in Chats oder Foren zu Wort zu melden, nutzen sie mit Begeisterung. Bei Gesprächen mit Hörenden tauchen dann allerdings die Probleme des sprachlichen Niveaus und der Geschwindigkeit auf. Ein Chatraum und ein Diskussionsforum nur für deaf kids, in denen es auf Sprachrichtigkeit und Geschwindigkeit nicht ankommt, stehen jetzt im Taubenschlag zur Verfügung.

Denkt man an Schlagworte wie "mit Sprache berieseln" oder "Sprachumsatz steigern", dann keimt natürlich schon im Stillen die Hoffnung, dass die vermehrte Nutzung von Sprache auch die Sprachkompetenz fördert. Solange die Bandbreite des Internets nicht eine durchgehende Video-Kommunikation - und damit den Einsatz der Gebärdensprache - erlaubt, ist das Internet halt ein schriftsprachliches Medium - für Hörgeschädigte und Hörende gleichermaßen. Und in bezug auf Schriftsprache ist es zudem ein immenses Warenlager. Zumindest Werke, die nicht mehr durch Copyright geschützt sind, können in vollem Umfang aus dem Internet heruntergeladen werden. Und wer sich mit fertiger Lektüre nicht begnügen will, kann sich auch am Schreiben von Fortsetzungsgeschichten beteiligen. Das wäre doch mal etwas für Hörgeschädigtenschulen: Geschichten, die von Schülern in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz gemeinsam geschrieben werden. Dazu kann man dann noch die Schüler selber Bilder malen lassen, und schon ist eine weltweite Publikation fertig, auf die die Schüler mit Recht stolz sein können. Dieser letzte Punkt, nämlich Eigeninitiative, selbständiges Arbeiten, Kooperation und Kreativität sollte bei der Arbeit mit dem Internet an vorderster Stelle stehen. Ich kann in diesem Zusammenhang nur auf die Werke von Seymour Papert verweisen. Andererseits muss trotz aller Internet-Euphorie mit Nachdruck auf den Spruch verwiesen werden: "Wer nicht weiß, wo er hin will, darf sich nicht wundern, wenn er ganz woanders ankommt." Der Lehrer muss schon wissen, wohin es gehen soll, und den Schülern eine Richtung vorgeben. Für Kreativität und Selbstständigkeit ist dann immer noch genügend Spielraum.

Einer, der ganz genau weiß, wohin es gehen soll, ist Günter Pfeiffer. Aber das wird er Ihnen jetzt selber darlegen.

 

 

 

Und für alle Skeptiker hier noch eine kleine Bestätigung ;-)