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(Computer-) Power to the Deaf (4)
hörgeschädigte kinder 1/97, S. 34 ff
Lernsoftware für den Sprachauf- und -ausbau
Alfons - Beispiele
MEIN ERSTES LEXIKON - Beispiele
"Multimedia Sprachen Lernen Plus! - Deutsch" - Beispiele

"Selber schuld! Warum kaufen Sie auch den ADI im Sack!" Das war das Resümee meiner Beurteilung des Lernprogramms "ADI-Deutsch" in Heft 3/96 dieser Zeitschrift. Gemeint war damit nicht etwa, daß es keine geeignete Lernsoftware gäbe. Ich wollte lediglich

Glücklicherweise ist man als Konsument nicht total hilflos den Werbeversprechungen der Produzenten ausgeliefert. Die meisten Verlage bieten kostenlos Demoversionen ihrer Lernprogramme an, und in letzter Zeit entstehen immer mehr kleine CD-ROM-Spezialgeschäfte, in denen man sachkundig beraten wird und wo man selbst - und vor allem auch Ihr Kind selbst - die CDs einmal ausprobieren kann.

Natürlich gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Lernprogrammen, die durchaus empfehlenswert sind. Sie als Eltern hörgeschädigter Kinder richten ihr Interesse dabei vornehmlich auf Programme, die der Sprachförderung dienen. Das Angebot ist mittlerweile gigantisch und für den Verbraucher total unübersichtlich geworden. Ich will deshalb aus der Vielzahl drei Lernprogramme auswählen und sie nach pädagogischen, besonders aber nach hörgeschädigtenpädagogischen Kriterien durchleuchten.

Um es vorweg zu sagen: Es gibt (außer dem Begriffetrainer von Ulrich Petz) keine spezielle Lernsoftware für hörgeschädigte Kinder. Aber das hatten Sie auch nicht erwartet, oder? Es geht um "stinknormale" Lernsoftware, die für Hörende entwickelt wurde und in jedem Warenhaus erhältlich ist (wobei ich aus den o.g. Gründen doch ein CD-ROM-Spezialgeschäft empfehlen würde).

In direkter Konkurrenz zu ADI steht ALFONS: ALFONS gibt es auf CDs für die Schuljahre 1 - 6 in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch - ein Komplettangebot! ALFONS wird vom renommierten Schroedel-Verlag vertrieben und läßt daher schon solide Qualität vermuten. Anders als bei ADI sucht man nach Deutschfehlern vergeblich. ALFONS läßt keine Zweifel aufkommen, daß er von fähigen Pädagogen entwickelt wurde. Ich will hier einmal ALFONS Deutsch für das 2. Schuljahr etwas genauer unter die Lupe nehmen. (Die anderen ALFONS-CDs sind aber nach dem gleichen "Strickmuster" aufgebaut.) Die Autoren haben sich bemüht, Alfons ansprechend, aber ohne allzuviel Schnickschnack und Comics-Gequäke zu gestalten. Diese grundsätzliche Frage wird natürlich sehr subjektiv beurteilt. Wo ist die Grenze zwischen motivierenden kindgerechten Animationen und übertriebenem Firlefanz? Manchen mag ALFONS zu nüchtern und zu schematisch erscheinen. Und in der Tat beschränken sich die "Beigaben" auf einen bunten Startbildschirm, eine Vielzahl von Puzzles, die man nach getaner Übungs-Arbeit spielen darf und auf einen ALFONS, der als Feedback für gelöste Aufgaben über den Bildschirmrand lugt. Ansonsten gibt es bei jeder Übungseinheit einen stereotypen Ausgangsbildschirm mit einer vordefinierten Anzahl von Quadraten (= Fragen bzw. Übungen), und die CD macht den Eindruck, als habe man ein Sprachbuch in ein Computer-Lernprogramm umgesetzt. Wie weit dies die Lernmotivation des übenden Kindes beeinträchtigt, ist sicherlich individuell unterschiedlich. Sicherlich mag kein Kind stundenlang mit ALFONS pauken. Aber ALFONS ist wenigstens ehrlich und tarnt sich nicht als Computerspiel. Und die Übungsvielfalt ist beeindruckend. Auf kleine Portionen verteilt ergibt sich ein Übungsmaterial für Wochen und Monate. Als sehr positiv zu vermerken ist auch die akkurate und umfassende "Buchführung" für die Lernfortschritte der Kinder. Für hörgeschädigte Kinder gibt es, je nach Hörstatus, natürlich Einschränkungen bei den Übungen, die auf Sound basieren, wie z.B. bei Diktaten. Aber diese Übungen stellen nur einen Teilbereich dar und können durchaus ausgelassen werden. Andere Übungen, in denen nach Gehör geschrieben werden muß, könnten dagegen durchaus zum Hörtraining genutzt werden. Fazit: ALFONS ist ein wenig dröge, aber sehr solide und auch für hörgeschädigte Kinder sehr empfehlenswert.

MEIN ERSTES LEXIKON aus dem Dudenverlag verfolgt dagegen eine ganz andere Zielrichtung. "Das multimediale Lexikon für Kinder ab 4 Jahren" richtet sich erklärtermaßen an Kinder im Vorschulalter. Da jedoch bei vielen hörgeschädigten Kindern die Sprachkompetenz eingeschränkt ist, ergibt sich die Hoffnung, mit Hilfe dieses Lexikons Begriffe verdeutlichen und Sprache aufbauen zu können. MEIN ERSTES LEXIKON ist ursprünglich eine amerikanische Produktion und vom Dudenverlag eingedeutscht worden. Das ist im Großen und Ganzen auch gut gelungen. Nur an manchen Stellen sind Amerikanismen oder auf die angelsächsische Kultur ausgerichtete Stichwortauswahl unverkennbar. Das ist jedoch unerheblich. Ausgehend von der Zielgruppe der Vorschulkinder ist das Programm sehr einfach strukturiert, und die Tätigkeit des Kindes ist auf Anschauen, Zuhören und Klicken mit der Maus beschränkt. Das schafft wirklich jedes Kind (vom Hören einmal abgesehen). Die Definitionen der einzelnen Begriffe sind zumeist sehr klar und eindeutig. Wie weit sie von einem hörgeschädigten Kind verstanden werden, hängt natürlich von dessen individueller Sprachkompetenz ab. Aber es sind ja auch Bilder und Animationen da! Manche Begriffe und die dazugehörigen Erläuterungen wirken ausgesprochen überflüssig. Selbst einem hörgeschädigten Kind muß man wohl kaum den Begriff "essen" erläutern ("Wenn Du gesund bleiben willst, mußt Du regelmäßig essen. Wir ernähren uns von Brot und Milch, Gemüse, Fleisch und Obst.") Jeder Text kann auch auf Tastendruck vorgelesen werden - wegen der Vorschulkinder, die noch nicht lesen können - aber zum Glück für hörgeschädigte Kinder liegen eben auch alle Definitionen in schriftlicher Form vor. Als multimediales Bonbon sind in alle Seiten Gags in Form von kleinen Animationen oder Sounds eingebaut. Als Erwachsener fragt man sich zwar, warum beim Stichwort "Hafen" eine Kiste vom Kran fallen und das Schiff im Hafenbecken versenken muß - aber die Kids mögen's wohl so. Und ein echtes Schmankerl für Schwerhörige sind die beigefügten Spiele. Da wird z.B. eine Anzahl von Bildern gezeigt, und beim Anklicken einer verschlossenen Tür ertönt ein Geräusch. Das Kind muß jetzt per Mausklick das Geräusch der Person/dem Tier/dem Gegenstand zuordnen. Ein Spaß, für hörende Kinder entwickelt und nicht gerade umfangreich, aber für schwerhörige Kinder geradezu der Prototyp des Hörtrainings am Computer. Man fragt sich, warum es so etwas nicht als Spezialproduktion für hörgeschädigte Kinder gibt. (Der Aufwand für eine solche Produktion hielte sich in überschaubaren Grenzen. Warum macht das bloß niemand?) Fazit: Mit MEIN ERSTES LEXIKON erhalten Sie für Ihr Kind ein ansprechendes Spielzeug, mit dem tatsächlich seine Welt begrifflich erweitert werden kann und mit dem es, einen entsprechenden Hörstatus vorausgesetzt, auch ein wenig Hörtraining betreiben kann.

"Multimedia Sprachen Lernen Plus! - Deutsch" ist weder für Hörgeschädigte noch für Kinder konzipiert, sondern für erwachsenen Ausländer. Für einen Hörgeschädigtenpädagogen ist es jedoch nichts Neues, sich in diesem Bereich nach Arbeitsmaterial für seine Schüler umzusehen. Immerhin gibt es mehrere Serien von Sprachbüchern, die für Ausländer entwickelt wurden und sich vorzüglich für den Unterricht bei hörgeschädigten Kindern eignen. Möglicherweise verhält es sich ja mit "Multimedia Sprachen Lernen Plus! - Deutsch" ähnlich.

Bereits die Verpackung löst Erstaunen aus: Sie enthält neben der CD ein Mikrofon, und zwar ein durchaus brauchbares. "Multimedia Sprachen Lernen Plus! - Deutsch" beschränkt sich nicht nur auf die passive Rezeption, nein, man soll selber sprechen, und das Programm verfügt über eine Spracherkennung. Um es vorweg zu sagen: Mikrofon, Aufnahme und auch Spracherkennung funktionieren, letztere ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Für einen Deutsch lernenden Ausländer mit normalem Gehör mag sie eine brauchbare Kontrollfunktion darstellen, für hörgeschädigte Kinder ersetzt sie jedoch keinesfalls den Sprachtherapeuten/Hörgeschädigtenlehrer. Wenn jedoch ein Erwachsener als zusätzliche Kontrollinstanz daneben sitzt, kann die Spracherkennung durchaus hilfreich sein und Spaß bereiten.

Aber selbst, wenn man die Spracherkennung außer acht läßt, bietet das Programm eine bunte Vielfalt von Übungs- und Spielmöglichkeiten, die wirklich Spaß machen, bei denen man auch wirklich etwas lernen kann und die für Hörgeschädigte unabhängig vom Hörstatus geeignet sind. Eine zentrale Position nehmen die Dialoge ein. Es gibt eine Reihe von Gesprächssituationen, in denen sich zwei oder mehr Personen unterhalten. Hier geht es um Alltagsdeutsch, alltägliche Gespräche, "small talk", wenn man so will, aber eben gerade die Art von Kommunikation, von der Hörgeschädigte nur allzu oft ausgeschlossen sind. (Welcher Gehörlose kennt schon banale Wendungen wie "Mach's gut!" und "Mach's besser!"?) Hier können sie sie kennenlernen, wortwörtlich verfolgen, lesen, hören, Sätze zusammenfügen und auch nachsprechen. Übungen dieser Art sucht man in den wenigen Sprachbüchern für Hörgeschädigte leider meist vergeblich. Und - ein Vorteil aller Lehrmittel für Ausländer - es wird normales Deutsch gesprochen ohne entnervende Kindertümelei.

Verbunden mit den Dialogen sind Übungen zur Deklination und Konjugation, Wortschatzübungen, Bilderlotto, Bild-Wort-Zuordnungen, verschiedene Spiele usw. Als Erwachsener werden Sie viele Stunden brauchen, nur um sich einmal umzuschauen. Für Ihr Kind sollten Sie, entsprechend seinen Bedürfnissen und Vorlieben, auswählen. Aber in der geradezu umwerfenden Auswahl werden Sie sicherlich fündig werden, unabhängig vom Alter oder dem Hörstatus Ihres Kindes.

Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, daß Sie in den gängigen Computerzeitschriften, bis hin zu "ComputerBild", Rezensionen von Lernsoftware finden. Wie dort Bewertungen vorgenommen werden, ist oft mehr als fragwürdig. Aber wer sich zutraut, die Spreu vom Weizen zu trennen bzw. seinen eigenen kritischen Verstand nutzt, um Beurteilungen zu überprüfen, wird sich selber einen Weg durch den Softwaredschungel bahnen. Allein die Hinweise auf Neuerscheinungen sind oft schon hilfreich. Ganz neu erschienen ist ein Buch, das erstmals den Versuch unternimmt, einen Überblick über Software für Kinder zu geben: "Kinder-Software-Ratgeber 1997" von Thomas Feibel, erschienen im Verlag Markt&Technik. Auch bei den Beurteilungen in diesem Buch ist Vorsicht geboten, aber es bietet eine einzigartige Übersicht.

Es ist zu hoffen, daß Hörgeschädigtenpädagogen die Initiative ergreifen und speziell für die Bedürfnisse hörgeschädigter Kinder maßgeschneiderte Software erstellen. Solange dies nicht geschieht, sollten Sie jedoch die vorhandene, für hörende Kinder programmierte Lernsoftware für Ihr hörgeschädigtes Kind intensiv nutzen. Es lohnt sich allemal.

Anschrift des Verfassers:
rehling@taubenschlag.de
 
 
- Bernd Rehling - 1.1.98 -