Gedenkveranstaltung zum 200. Geburtstag von Karl Heinrich Wilke

Der 200. Geburtstag von Karl Heinrich Wilke wurde vom Gehörlosenverband Berlin e.V., dem Kommunikationsforum Berlin und der Deaf History Deutschland durchgeführt. Zu diesem Gedenktag wurden Gehörlose sowie Hörende eingeladen. Die Veranstaltung fand im Gehörlosenzentrum Friedrichstraße am 20. Mai 2000 statt und wurde von ca. 80 Personen besucht. Zusätzlich wurden Kopien von Wilkes Bildern  im Gehörlosenzentrum ausgestellt.

Zunächst begrüßte Thomas Zander, 1. Vorsitzender des Gehörlosenverbandes Berlin, die Gäste und stellte einige bedeutende Personen dieser Veranstaltung vor.

Im Anschluss daran hielt Helmut Vogel von der Deaf History Deutschland eine ca. einstündige Laudatio über den gehörlosen Taubstummenlehrer und Künstler Karl Heinrich Wilke (1800-1876). Zuerst erzählte Helmut Vogel über die Ausstellung von Wilkes Bildern im Ostfriesischen Schulmuseum in Folmhusen bei Leer sowie über Kurt Dröge, den Forscher und Kenner der Bilder Wilkes aus Oldenburg. Die Ausstellung läuft noch bis zum 2. Juli. Dann stellte er auch Bernd Rehling, Verantwortlicher im Taubenschlag vor, da dieser Artikel und Bilder Wilkes im Internet veröffentlicht hat. Bei der Kontaktperson der Deaf History,  Jochen Muhs, bedankte Vogel sich besonders für die Umsetzung der Idee, eine Veranstaltung in Berlin zu organisieren.

<>Danach referierte Vogel über das interessante Leben Wilkes. Er besuchte die Gehörlosenschule in Berlin und dann mehrere Jahre die Kunstakademie in Berlin. Zunächst wurde er 1820 an der Berliner Gehörlosenschule als Hilfs- und Zeichenlehrer eingestellt, später als Lehrer übernommen. Zu der damaligen Zeit war es nichts Ungewöhnliches, dass Gehörlose als Lehrer ausgebildet wurden und später selbst unterrichten durften. Damals wurde die Gebärdensprache als Basissprache der gehörlosen Kinder von Schülern und Lehrern eingesetzt. Die Gehörlosigkeit und die Gebärdensprache waren akzeptiert.

Danach sprach Helmut Vogel über die außergewöhnlichen Ideen Wilkes und ihre Umsetzung sowie die Auswirkung und Bedeutung seiner künstlerischen Arbeit. 1830 erschien ein Buch Wilkes mit dem Titel: „Methodisches Bilderbuch“, ein Wörterbuch für Taubstumme. Andere wichtige Bücher zur Veranschaulichung des Unterrichts folgten 1837/1839. Seine Bücher wurden von Gehörlosenlehrern und Grundschullehrern sehr geschätzt. Er war ein Vorbild für viele Künstler, denn sie lernten aus seiner Technik und versuchten, diese nachzuahmen. Wilke galt als „Vorreiter des Anschauungsunterrichts“.

Aber nicht nur durch sein Fachwissen war er berühmt. Genauso viel Achtung und Bewunderung erhielt er wegen seiner Menschlichkeit, da er als ein freundlicher Mann und geduldiger Lehrer bekannt war. Schließlich erfuhren die Gäste auch über sein Privatleben. Karl Wilke war mit einer hörenden Frau verheiratet und Vater zweier hörenden Töchter. Er starb 76jährig am 26. Januar 1876 und hinterließ ein bedeutendes Lebenswerk, das bis in die heutige Zeit Hochachtung verdient und mit dieser Veranstaltung auch bekommen hat.

Der Vortragende Helmut Vogel ist gehörlos und studiert in Hamburg Erziehungswissenschaften, im Nebenfach Geschichte.

Es gab einen weiteren interessanten Vortrag von Manfred Wloka (h), Direktor der Ernst-Adolf-Eschke-Gehörlosenschule, über die Entwicklung der Gehörlosenpädagogik ab den späteren 60er Jahren. Er verfasste eine empirische Arbeit über die Gebärdensprache und machte sich für den Einsatz des Fingeralphabets im Unterricht stark. Er war der erste in Deutschland, der bereits 1976 Gebärdenkurse in LBG für erwachsene Hörende anbot. Auf seiner Schule sollen nach Möglichkeit gehörlose Lehrer eingestellt werden, zum jetzigen Zeitpunkt unterrichtet dort ein gehörloser Lehrer. Momentan setzt sich Manfred Wloka dafür ein, dass ab dem Schuljahr 2001/2002 der bilinguale Unterricht an dieser Schule durchgeführt wird.

Dann folgte passenderweise ein dritter anschaulicher Vortrag von Olaf Tischmann (gl), der seit 1998 als Sonderschullehrer an der Ernst-Adolf-Eschke-Schule unterrichtet, über das Thema „Perspektive der Gehörlosenpädagogik nach 120 Jahren ohne gehörlose Sonderschullehrer“. Er hatte in seinem Unterricht ein interessantes Projekt durchgeführt, in dem seine Schüler nach Karl Heinrich Wilkes Anschauungsbildern gelernt hatten, und genau an Wilkes 200. Geburtstag eine Infowand über Wilke fertiggestellt, die seine 10. Klasse selbst geschrieben, geklebt und gebastelt hat.

Es wurden auch Fragebögen an die Lehrer/innen verteilt, um ihre Meinung zu erfahren. Es gab viele positive Rückmeldungen. Eine der Rückmeldungen hieß: „Schade, dass es bisher so wenig gehörlose Lehrer/innen an den Schulen gibt“. Es wurde im Lehrerzimmer allerdings gebärdet.

Auch haben Olaf Tischmanns Schüler/innen nach Wilkes Grab auf dem Friedhof Pankow gesucht, aber leider nicht gefunden.

Nach diesen Vorträgen wurde deutlich, wie der Wandel der Zeit nicht immer das Bessere mit sich bringt. Aber auf Grund der Entwicklung an der Ernst-Adolf-Eschke-Schule und in der Hoffnung auf das Übergreifen auf andere Regionen bemerkte Manfred Wloka locker am Schluss dieser Veranstaltung, dass der Kreis sich wieder geschlossen hat, als Thomas Zander ihm Glück für die Einführung des bilingualen Konzeptes wünschte.

Es war eine sehr interessante Veranstaltung mit Gästen, die so viel wie möglich aus der Gehörlosengeschichte erfahren wollten.

Helmut Vogel, Olaf Tischmann, Thomas Zander, Jochen Muhs und Manfred Wloka (v.l.n.r.)

Nach der Veranstaltung besprachen Vogel, Muhs und die Gäste von den Bibliotheken und Museen die Möglichkeit, eine öffentliche Ausstellung der Bilder Wilkes und seiner Konkurrenten im nächsten Jahr oder 2002 durchzuführen.

Es war ganz neu, dass anlässlich des 200. Geburtstags von Karl Wilke eine Gedenkveranstaltung durchgeführt wurde. Es ist schon sehr wichtig, diese Geschichte aufzuzeigen, die ab dem späten 19. Jahrhundert in Vergessenheit geriet. Im 19. Jahrhundert war es selbstverständlich, dass selbst Gehörlose als Lehrer unterrichteten.

Die Geschichte soll daher verbreitet werden und zeigen, dass die damalige Unterrichtsmethode vergleichbar ist mit der heutigen bilingualen Methode.

Besonderer Dank gilt dem Team der Deaf History für seine Bemühungen um die Forschung und die praktische Umsetzung.

Dorothee Reddig