Worte zum Abschied

Wir denken an Horst Biesold, der für viele in diesem Raum, vielleicht für jeden, eine besondere Bedeutung hat. Körperlich hat sich Horst von uns verabschiedet. Er, dessen Tod uns hier zusammengeführt hat, hat seinen Leidensweg im letzten Jahr gemeinsam mit Dir, liebe Ilse, und Euch, lieber Lars und lieber Sven, immer wieder in akut lebensbedrohlichen Situationen überwunden, bis er nun den Weg ging, diese Welt physisch zu verlassen, in Frieden mit sich selbst, in Frieden mit Euch.

Horst ist nicht kampflos gegangen, doch er wusste besser als jeder andere und früher als jeder andere, dass er den Kampf gegen den Krebs verlieren würde – und er ahnte den Zeitpunkt.

In seinem Buch der Wendungen schreibt Bertolt Brecht über den Tod: „Me-ti bewunderte die Art, wie unser Freund Ant-se gestorben war. Er hatte sterbend ein paar leichte Algebraaufgaben vorgenommen, über ihre Lösung starb er weg. > Er war entweder schon fertig oder hatte wenigstens entschieden, dass die Frage nicht zu den lösbaren gehört<, sagte Me-ti, und als ich fragte, ob es nicht eine seichte Art genannt werden könnte, antwortete er: >Wenn man über den Fluß muß, sucht man gern eine seichte Stelle<.“

Horst hat diese seichte Stelle gefunden, um auf seine Art den großen Fluß zu überqueren. Dafür und für all das, was er vielen von Euch hier gegeben hat, wollen wir neben aller Trauer auch dankbar sein.

Am 24. Oktober ist Horst Biesold gestorben. Du, liebe Ilse, hast den liebsten Menschen verloren, Deinen Mann. Du und Eure Söhne Lars und Sven, Ihr habt den Ehemann und Vater voller Stolz in seinem Werdegang begleitet.

Horsts außergewöhnliche Lebenserfahrung, sein Wissen und seine Liebe konnten Euch stets Hilfe sein. Er liebte Euch, er liebte seine Eltern und seinen Bruder; auch sie sind unter uns: Hanna, Hans und Erhard Gnauck.

Ich lernte Horst 1979 kennen, kurz nachdem ich aus Baden-Baden nach Bremen-Horn gezogen war, bei Biesolds um die Ecke, und was uns sofort näher brachte, war das Interesse an den sogenannten Schatten der Vergangenheit, an den Verbrechen der Nazis.

Horst stand zum Zeitpunkt unserer ersten Begegnung kurz vor seinem 40. Geburtstag. Mich beeindruckten sein großes Wissen und seine ungeheure Vitalität, außer mir viele andere im Osten und Westen Deutschlands, von Finnland bis Spanien, Holland bis Israel und in den Vereinigten Staaten von Amerika.

1939 in Nieheim-Höxter geboren, ging er in Nieheim und Herford zur Schule, erlang die mittlere Reife, trat in den Postdienst ein, leistete bei der Bundesmarine seinen Wehrdienst und holte auf dem zweiten Bildungsweg 1966 in Fulda das Abitur nach.

Dem folgte das erste Staatsexamen zum Fachlehrer, Fachlehrertätigkeit an Gehörlosenschulen in Homberg/Efze und Bremen, an der Universität Bremen dann bis 1973 Weiterstudium und Examen zum Grund-, Haupt- und Realschullehrer, Aufbaustudium und Examen zum Sonderschullehrer für Gehörlose, Schwerhörige und Sprachbehinderte an der Universität Hamburg, ab 1975 Gehörlosenlehrer in Bremen, ab 1978 Lehrbeauftragter an der

Universität Bremen in den Studiengängen Behindertenpädagogik und Geschichte, und noch nach der Pensionierung wirkte er an der Universität Hamburg.

Dort befindet sich heute das Archiv des Dr. Horst Biesold, Dokumente der Zeitgeschichte, Ergebnis jahrzehntelanger Forschung. Horst hätte ohne die von ihm über alles geliebte Frau Ilse und ohne seine Söhne nichts von alldem mit soviel Nachdruck und Zufriedenheit vollenden können.

So empfand er die Promotion zum Dr.phil. 1986 nicht allein als Ergebnis nur seiner persönlichen Anstrengung, wie er drei Jahre zuvor das Bundesverdienstkreuz nicht allein als Auszeichnung seines individuellen Engagements entgegen nahm. Es sollte auch seine Familie auszeichnen. Das ließ er sie immer wissen. Andere, ganz besonders Ilse, Sven und Lars, sollten an seiner Freude Teil haben, was für ihn die größte Freude bedeutete.

Lieber Horst, Du bist nicht nur Deiner Überzeugung treu geblieben, nicht nur den Opfern und Überlebenden des Naziterrors, Du warst aus tiefer Seele ein treuer Mensch. Es musste schon sehr heftig zugehen, bis Du jemandem Deine Sympathie kündigtest. Gleichzeitig warst Du bei der Wahl Deiner Freunde ausgesprochen kritisch. Wer im politischen Spektrum rechts außen stand, kam nicht an Dich ran, der kriegte Deinen Widerstand zu spüren.

In seiner Tätigkeit als Gehörlosenlehrer, als Lehrbeauftragter und als Forscher im Auftrag des Bundesministers des Inneren hat ihn die Empörung nie verlassen.

Ungezählte Male durfte ich Zeuge sein, oft hatte ich das Glück, Horst bei seinen aus der Empörung geborenen Aktionen zu begleiten. Zum Beispiel bei Gericht: Horst übersetzte Gebärdensprache in Lautsprache; empörend zu erleben, wie vor dem Wirken des Dolmetschers Biesold das Protokoll zum Nachteil gehörloser Beschuldigter ausgelegt worden war.

Ich durfte viele glückliche Momente genießen, zum Beispiel, als Horst unentgeltlich einem vietnamesischen Jungen Einzelunterricht gab. Der Junge konnte nicht hören, sprechen hatte er nicht gelernt. Es gelang Horst nach vielen mühsamen Lehreinheiten, Schritt für Schritt das Sprechempfinden des Schülers zu trainieren, dessen Freudentränen Horst mehr bedeuteten als alles Geld dieser Erde. Ich könnte von vielen solcher Glücksmomente berichten, möchte es aber hierbei belassen.

Während wir trauern, lebt die Bekanntheit des Menschen und Autors Dr. Horst Biesold weiter, wächst weltweit Tag für Tag. Das kann man ohne Übertreibung so sagen. Gehörlosen-Verbände, universitäre Einrichtungen oder Holocaust-Gedenkstätten, in Europa, in den USA und in Israel beziehen und berufen sich auf ihn. Das Simon Wiesenthal Center, Yad Vashem, die Gallaudet University in Washington,  hunderte sind es längst. Und hunderte von Studentengenerationen – daran besteht nicht der geringste Zweifel  - werden in kommenden Jahrhunderten seine Worte zitieren.

Horst hat im vergangenen Jahr in den USA sein Buch „Crying Hands“ veröffentlicht, die in die englische Sprache übersetzte, gänzlich neu bearbeitete, aktualisierte und ergänzte Fassung seiner Doktorarbeit.

Er wusste schon von der tödlichen Schwere seiner Krankheit, als er mir am 13. August 1999 ein druckfrisches Exemplar schenkte, in das er schrieb: „Lieber Gerd, ohne Deine guten Ratschläge, ohne Deine stete Hilfsbereitschaft und ohne Deine tatkräftige Unterstützung beim Brückenbau Bremen-Ludwigshafen-Washington wäre dieses Buch in dieser Form und Qualität nicht zustande gekommen. Dafür gilt Dir mein aufrichtiger Dank!“ –

Liebe Ilse, lieber Lars, lieber Sven, liebe Trauernde, ich schließe mit einem letzten Wort an Horst. Lieber Horst:

Dein Dank zählt zum Wertvollsten, was ich je besaß, bis ich sterbe.

Shalom, Horsti, ich vermisse Dich, wir vermissen Dich. 

(Trauerrede am Sarg Horst Biesolds
Am 1. November 2000 in der Kapelle des Friedhofs Bremen-Osterholz)

Gerd Leienbach
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