Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte mich zu Anfang kurz vorstellen. Mein Name ist Bernd Rehling. Ich bin selbst schwerhörig, war bis vor 6 Jahren Gehörlosen- und Schwerhörigenlehrer und betreibe zusammen mit einem Team Hörgeschädigter und Hörender die Websites http://www.taubenschlag.de , http://www.deafbase.de , http://www.deaf-tv.de und http://www.deafkids.de .

Nicht zuletzt deswegen sind die Organisatoren wohl auf die Idee gekommen, mir das Thema

Präsentation im Internet

zu geben.

Eines vorweg: Anders als noch vor wenigen Jahren, als ich über "Chancen und Möglichkeiten des Internets für Hörgeschädigte" referiert habe, gehe ich jetzt davon aus, dass das Medium Internet und seine Möglichkeiten Ihnen allen bekannt ist. Mittlerweile ist es zu einem selbstverständlichen Werkzeug geworden, das die meisten von Ihnen, wahrscheinlich sogar alle, täglich einsetzen, nicht nur passiv als Konsumenten sondern mit eigenen Homepages und Websites. Ich möchte Ihnen in meinem Referat Entwicklungen aufzeigen, von den Anfängen bis zu Zukunftsperspektiven. Ich möchte Ihnen zeigen, wie sich Hörgeschädigte im Internet präsentieren, und ich möchte aufzeigen, wie diese Präsentationen optimiert werden können und müssen.

Der Begriff Präsentation implementiert zwei verschiedene Inhalte: präsent sein und sich präsentieren. Dass jeder Verband und Verein, auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene im Internet präsent sein sollte, steht außer Frage. De facto verfügen auch fast alle Verbände mittlerweile über eine eigene Website oder Homepage und sind für Informationen erreichbar. Heute stellt sich eher die Frage, WIE diese Präsentationen gestaltet und organisiert werden sollten. Das führt uns zur zweiten Bedeutung des Wortes: sich präsentieren im Sinne von Repräsentation und Selbstdarstellung. Und hier wird die politische Bedeutung der Präsentation deutlich. Im Gegensatz zu Verbandszeitschriften, die intern, d.h. innerhalb der Gehörlosengemeinschaft, gelesen werden, sind Internetseiten auch für Hörende erreichbar. Internetpräsentationen gestalten das Image, das Gehörlose in der Öffentlichkeit und auf politischer Ebene haben, mit, und sind deshalb ein sehr sensibler Bereich.

Aber gehen wir kurz zurück an die

Anfänge der Internetnutzung durch Gehörlose:

1995 - und das ist internetmäßig gesehen eine Ewigkeit her - schrieb die amerikanische DEAF NATION unter der Überschrift Deaf Community Gets Wired on Web:
The Internet has become such a household phrase nowadays, and almost everybody has an electronic mail (e-mail) address nowadays.
It is almost rare to find anyone who has NOT used a computer, or does not have an e-mail address. However, there is a new explosion taking place on the Internet--the WorldWideWeb, or WWW, and creating opportunities for Deaf people.
Und die Internet-Pionierin Jolanta Lapiak äußert:
"I feel that Internet/WWW is a great part of life for deaf people. Probably, TV/closed captioning brought deaf people apart in some way, but Internet might bring them back together...WWW is like a bulletin board providing information for the deaf community/people and also is like a multimedia "book" or whatever form of information for deaf people anywhere around the world."
Lapiak hatte die wohl bekannteste Website für Hörgeschädigte (http://www.deafworldweb.org/) gegründet und jahrelang betrieben. Sie bot weltumfassende Informationen über die deaf communities. Hier ein Beispiel, die Liste der Nationen, zu denen es Informationen gab (Archiv). Diese Seite ist über die direkte URL zwar noch erreichbar, auf der Startseite von www.deafworldweb.org bekommt man aber die Information "Deaf World Web is discontinued as of January 31st, 2001." Die bekannteste und am häufigsten frequentierte deaf site hat ihren Betrieb eingestellt. Und das ist keine Ausnahme. Eine der ersten deutschen Websites, www.hoerbehinderten-info.de, existiert seit ca. 2 Jahren nicht mehr (Archiv). Die erste und vom Namen her zugkräftigste Website, www.gehoerlos.de, hat keine eigenen redaktionellen Seiten mehr sondern besteht aus einer einzigen Seite mit einer Linksammlung (Archiv). www.planetdeaf.de war der shooting star unter den deutschen deaf sites (Archiv). Mit eigenem redaktionellem Angebot war sie aber nur ein halbes Jahr online. Jetzt beschränkt sie sich auf Partyorganisation und -berichte. Wenn man sich auf der Seite der gehörlosen Webautoren umsieht, stellt man zum einen fest, dass die Seite selbst offensichtlich seit langem nicht mehr aktualisiert worden ist und dass zum anderen nur noch ein Teil der links erreichbar ist.

Die deaf sites weltweit nur noch eine Trümmerlandschaft? Ist die anfängliche Euphorie in Überdruss und Ablehnung umgeschlagen? Ist das Internet womöglich - in bezug auf Gehörlose - ein Irrweg? Sollte man Clifford Stolls LogOut - Warum Computer nichts im Klassenzimmer zu suchen haben und andere Hightech-Ketzereien für Gehörlose so ergänzen: Warum Computer nichts bei Gehörlosen zu suchen haben ?

Clifford Stolls Frage nach dem

Sinn des Computer- und Interneteinsatzes

mag berechtigt sein - bei Hörenden! Für Gehörlose wird sich diese Sinnfrage NIE stellen. Zu groß ist der Nutzen, den Gehörlose aus dem Internet ziehen. Computer und Internet tragen in ungeahntem Maße dazu bei, Defizite zu kompensieren. Gehörlosen sind Informationsquellen eröffnet, und zwar weltweit, von denen vor wenigen Jahren niemand zu träumen gewagt hätte. Durch Emails und Information Managers wie ICQ, PIM usw. ist die weltweite Kommunikation Gehörloser untereinander, aber auch mit dem "Rest der Welt", möglich. Und last but not least: Gehörlose können sich in der Öffentlichkeit präsentieren und ihre politischen Interessen vertreten.

Ein kleines Beispiel zur politischen Wirksamkeit von Internetaktionen. Der Direktor einer deutschen Gehörlosenschule hatte in einer Email an eine Castingfirma, die Gehörlose für eine Filmproduktion suchte, geäußert, es gebe nur noch wenige gebärdensprachkompetente Gehörlose aufgrund der medizinischen Fortschritte und der lautsprachlichen Unterrichtsmethode. Aus diesem Grunde sei es zu empfehlen, dass Dolmetscher die Rollen der Gehörlosen spielen. Diese Email haben wir im Taubenschlag veröffentlicht, und unter den Gehörlosen brach ein Sturm der Entrüstung los. In den verschiedenen Diskussionsforen wurde heiß diskutiert, Protestbriefe wurden an den Direktor selbst, an Presse, Rundfunksender und Gehörlosenverbände geschickt. Inzwischen hat dieser Direktor sich für seine Äußerungen entschuldigt.

Aber nicht nur gegen Diffamierungen können Veröffentlichungen hilfreich sein. So gab es IPU, eine Aktion Gehörloser, die sich für mehr Untertitel im Fernsehen einsetzte. 500.000 Unterschriften sollten gesammelt werden. Dummerweise wurde diese Aktion mit Forderungen kombiniert, die GEGEN die Interessen der Gehörlosen gerichtet waren, wie z.B. billigere und schlechter ausgebildete Dolmetscher. Eine Kontra-Aktion des Taubenschlags hat diese unsinnige und gefährliche Aktion gestoppt. Hinzu kommen kleine Dinge wie die Ablehnung eines Lichtweckers durch eine Krankenkasse, die nach Veröffentlichung im Taubenschlag schnell korrigiert wurde, oder die Kritik an einer Fernsehserie, die nach unserer Veröffentlichung doch noch schnell mit Untertiteln und Dolmetschereinblendung versehen wurde.

Kritiker würden dies alles vielleicht als eine Rückkehr zum mittelalterlichen Pranger bezeichnen. De facto geschieht aber in der etablierten Presse nichts anderes, wenn über Skandale berichtet wird. Der Vorteil des Internets besteht darin, dass theoretisch jeder, der sich im Internet eine Domain verschafft, seine Meinung öffentlich kundtun kann. So gibt es beispielsweise die Website eines jungen Gehörlosen mit folgendem header:

bengie.net - Gehörlos - Selbstbewusst - Solidarität - Widerstand - Aufstand

Auf dieser Seite ruft er zur Revolution der Gehörlosen auf:

Wir sind aufgewacht!

Die Welt ist unser, das Land ist unser, die Gesellschaft ist unser.

Wenn wir nicht reden, wer dann? Wenn wir nicht handeln, wer sonst? WEnn wir uns nicht erheben und kämpfen, wer dann?

Unser gehörlose Volk verfügt über grosse innere Kraft. Je härter die Unterdrückung, desto heftiger sein Widerstand; was sich lange zeit hindurch angesammelt hat, wird gewiß rasch hervorbrechen.

 

Die Revolution hat noch nicht stattgefunden. Sie wird auch wohl nicht stattfinden. Wohl nicht nur deshalb, weil kaum jemand die Seite liest.

Websites wie der Taubenschlag werden jedoch täglich von über 1000 Besuchern gelesen. Da zeigen Veröffentlichungen schon Wirkung. Ein Problem bleibt jedoch die moralische Legitimation. Genauso wie alle anderen Medien bekommen Internetsites und ihre Macher eine gewisse Machtposition. Vereinzelt gibt es Webmaster, die geradezu in einen Machtrausch verfallen und sich als kleine Diktatoren aufführen. Das ist glücklicherweise die Ausnahme. Außer den gesetzlichen Einschränkungen gibt es aber nur einen freiwillig einzuhaltenden code of ethics. Wir als Webmaster des Taubenschlags sind uns der Problematik und unserer Verantwortung sehr wohl bewusst. Wer gibt uns das Recht, Menschen den AA zu verleihen, Dinge bei KBW oder zugeschlagen zu veröffentlichen? Unsere einzige Rechtfertigung ist die Zustimmung der Besucher. Wenigstens ein kleines demokratisches Korrektiv.

Wenn das Internet nun ein so hervorragendes Medium für Gehörlose ist, warum verschwinden dann so viele bekannte und gute deaf sites von der Bildfläche? Nun, die anfängliche Euphorie schlägt bei vielen Webmastern in Ernüchterung um, wenn ihnen klar wird, mit wieviel Arbeit die Pflege einer Website verbunden ist. Eine stagnierende Website ist eine tote Website. Lebendige Websites müssen intensiv gepflegt werden - möglichst täglich. Der Zeitaufwand dafür ist enorm. Man muss sich klar machen, dass eine Website, wenn sie denn so umfassende Ansprüche hat wie die oben aufgeführten "gestorbenen" Websites, so etwas wie eine Zeitung oder ein Fernsehsender ist. Entsprechend müssten personelle und finanzielle Ausstattung sein. Beim Internet hat jeder die Vorstellung, dass das Angebot gratis sein muss. Erst in der letzten Zeit beginnt sich die Vorstellung durchzusetzen, dass Leistungen auch im Internet bezahlt werden müssen. Wenn Sie z.B. die Seiten der deutschen Tageszeitung Rhein-Zeitung aufrufen, können Sie sich einige Seiten gratis ansehen. Aber spätestens, wenn Sie sich eine Seite aus dem Archiv ansehen wollen, bekommen Sie die Meldung:

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(Response Code #401)

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Solche Verfahren sollten m.E. in der deaf world vermieden werden. Der Grund für das Sterben von deaf sites ist allerdings eindeutig das Geld. Natürlich hängt von den Finanzen auch die Qualität der Gestaltung einer Website ab, sowohl was Grafik als auch was Programmierung betrifft.

Eine ganz andere Frage in bezug auf Qualität ist die sprachliche Gestaltung. Sollten deaf sites in fehlerfreier Schriftsprache verfasst sein? Schließlich präsentieren sie sich ja in der Weltöffentlichkeit und formen das Image, das Hörende von Gehörlosen bekommen, mit. Oder sollen Gehörlose sich selbstbewusst zu diesem Teil ihrer Behinderung bekennen und so schreiben, wie sie es können (Beispiel: www.glkunst.de)? Eine ideologische Frage, die ich hier nicht beantworten kann.

Ähnlich stellt sich die Frage der Inhalte. Hörende kommen oft mit Begeisterung in Diskussionsforen und suchen nach einiger Zeit wieder das Weite. Der Grund ist nicht das falsche Deutsch, das dort geschrieben wird, sondern - aus der Sicht vieler Hörender - die inhaltliche Leere. Das wiederum ist eine Frage des Bildungsniveaus, und dafür sind die Gehörlosenschulen verantwortlich. Was zur Integration in die hörende Welt dienen sollte, die lautsprachliche Erziehung, bewirkt nun das Gegenteil - selbst im Internet! Aber lassen wir das !

Der Repräsentation mit Inhalten kommt bei Hörgeschädigten möglicherweise eine stärkere Bedeutung als bei Hörenden zu. Natürlich gibt es bei Hörgeschädigten die gleiche Bandbreite von Interessen und Bildungsniveaus, und entsprechend auch ihre Darstellung im Internet. Ob allerdings die Verknüpfung von Deaf Power mit der kommerziellen Webcam-Homepage einer Gehörlosen das Image fördert. Nun ja, mittlerweile stagniert auch diese Seite. Und ob die massenhafte und stereotype Darstellung junger Gehörloser mit dem ILY-Handzeichen dem Ansehen Hörgeschädigter in der Öffentlichkeit förderlich sind, darf auch bezweifelt werden.

Kein Mensch würde auf die Idee kommen, eine Website "Hörenden" zuzuordnen. "Hörend" ist für Hörende schlicht kein Kriterium. Bei Hörgeschädigten geschieht das sehr wohl. Da wird sehr wohl überlegt, ob etwas "typisch für Gehörlose" ist. Dieser anderen und erhöhten Ansprüche sollte man sich bei der Gestaltung von Websites bewusst sein.

Perspektiven

Welche Entwicklung des Internets für Gehörlose deutet sich an, und welche wäre wünschenswert?

Da Gehörlose nicht zu den einkommensstärksten Bevölkerungsschichten gehören, sollten die speziellen Quellen im Internet weiterhin frei zugänglich sein. Sowohl Politiker als auch Verbandsfunktionäre müssen sich aber darüber im klaren sein, dass zum Nulltarif letztlich nichts laufen wird. Internetpräsentationen müssen in den Budgets ein fester Posten werden. Schwierig wird es mit der Unabhängigkeit der Website-Macher. Wir Taubenschläger gestalten unsere Websites in eigener Verantwortung. Wir können spontan entscheiden, welche Themen wir aufgreifen. Eine Institutionalisierung von Websites könnte zu einer "Verbeamtung" und damit zu einer Erstarrung führen. Hier den Mittelweg zu finden dürfte nicht einfach sein.

Noch ist das Internet ein überwiegend auf Schriftsprache basierendes Medium. Das wird sich ohnehin ändern, auch für Hörende. Film und Fernsehen werden Einzug halten. Für Gehörlose dann die Chance, Informationen auch per Gebärdensprache zu verbreiten. Was dann allerdings auch wieder eine weitere Abkapselung von der hörenden Welt bedeutet. Andererseits müsste von Anfang an darauf geachtet werden, dass Filmbeiträge auch Gehörlosen zugänglich gemacht werden. Ähnlich, wie bei der Produktion von DVDs die Produzenten ständig an die hörgeschädigten Konsumenten erinnert werden müssen. Auch das geschieht übrigens über das Internet.

Abschließend möchte ich auf die Erfahrungen zurückgreifen, die wir in 4 Jahren Taubenschlag-Arbeit gesammelt haben. Besucher von Taubenschlag, deafbase, deaf-tv und deaf-kids haben möglicherweise den Eindruck, dass dort alles perfekt sei. Eher das Gegenteil ist der Fall. Wir betätigen uns täglich als Sysiphus, der letztlich keine Chance hat, sein Ziel zu erreichen. Klar, nobody is perfect, und Perfektionismus ist ohnehin nie erreichbar. Aber es gibt doch so einige Punkte, die konkret erreicht werden könnten und sollten:

So wichtig freier Zugang zum Internet gerade für Content-Anbieter ist, und so wichtig die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung für JEDEN ist, so wichtig ist aber auch die Absicherung professioneller Angebote. Wenn ein weiteres Sterben von Websites verhindert werden und statt dessen der Aufbau von Websites gefördert werden soll, dann ist eine massive Unterstützung der Betreiber unumgänglich. Ich will gerne zugestehen, dass ich dies aus eigener Sicht und auch im Interesse unserer Websites vortrage. Aber zum einen betrifft es alle anderen Websites in ähnlicher Weise, und zum anderen: Wer sonst sollte Insidererfahrungen weitergeben, wenn nicht wir?

Und was die schönste Perspektive ist: Es gibt für all die aufgelisteten Aufgaben nicht nur hörende, sondern auch hörgeschädigte Experten, die sich so für Ihresgleichen einsetzen können.