ich glaube, ich muss mich nicht vorstellen. Die meisten von euch kennen mich noch als Lehrer. Aber das ist schon lange her. Seit 10 Jahren bin ich pensioniert, und seit 8 Jahren betreibe ich den Taubenschlag.
Meine ehemaligen Schüler wissen noch, dass ich damals schon den Computer im Unterricht eingesetzt habe. Jeder Schüler und jede Schülerin in meiner letzten Klasse hatte einen eigenen Mac zu Hause. Den brauchten sie auch für die Lernprogramme, die ich selbst geschrieben hatte. In der Schule hatten wir sogar schon Internetanschluss. Damals noch etwas total Neues und Besonderes. Heute längst eine Selbstverständlichkeit. Über das Internet brauche ich wirklich nichts mehr zu erzählen. Das wäre so, als würde ich Fernsehen, Fax, Handies oder Autos erklären wollen. Jeder hat's und benutzt es täglich. Und meine ehemaligen Schüler, allen voran Danny Igersky, haben mich längst überholt. Danny erstellt professionelle Websites. Da kann ich nur staunend zuschauen!
Zuerst machen wir einen kleinen Ausflug in die Geschichte des Deaf Internet.
Die amerikanische Gehörlose Jolanta Lapiak war eine Pionierin im Internet.
Lapiak hatte die wohl bekannteste Website für Hörgeschädigte (http://www.deafworldweb.org/) gegründet und jahrelang betrieben. Sie bot weltumfassende Informationen über die deaf communities. Hier ein Beispiel, die Liste der Nationen, zu denen es Informationen gab (Archiv).
1995 schrieb Jolanta:
"Ich denke, das Internet ist ein großartiger Bestandteil des Lebens für Gehörlose. Wahrscheinlich haben Fernsehen und Untertitel Gehörlose auseinander gebracht, aber das Internet könnte sie wieder zusammenführen. Das WWW ist wie ein Schwarzes Brett, das Informationen für die Gehörlosengemeinschaft liefert, und es ist auch wie ein Multimedia-"Buch" für Gehörlose überall auf der Welt."
Leider hat deafworldweb am 31. Januar 2001 den Betrieb eingestellt. :-(
Die erste deutsche Website für Gehörlose (deaf site) war www.gehoerlos.de , betrieben von Achim Feldmann (Frankfurt). Eigentlich der beste Name, aber die site wird nicht genutzt und ist in Warteposition. Früher sah sie einmal so aus: (Archiv).
Es folgte www.hoerbehinderten-info.de von Mario Schwarz (Würzburg). Auch diese Website existiert (seit ca. 7 Jahren) nicht mehr (Archiv).
www.planetdeaf.de war der Senkrechtstarter unter den deutschen deaf sites (Archiv). Mit eigenem redaktionellem Angebot war sie aber nur ein halbes Jahr online. Vielleicht habt ihr persönlich Kontakt zu Susiafly. Im Internet findet man leider nur noch Seiten wie www.deafplanet.de. Die hatte sie einmal zusätzlich zu planetdeaf eingerichtet, weil eine Zeitschrift den Namen falsch geschrieben hatte. Mit Gehörlosigkeit hat diese Website aber nichts mehr zu tun. Wenn ihr sie ansehen wollt, tut ihr das am besten zu Hause.
Der Taubenschlag wurde übrigens 1997 gegründet (Archiv), von Pastor Ronald Ilenborg und mir. Da die Vorgänger-Websites "gestorben" sind, ist der Taubenschlag jetzt wohl die älteste deutschsprachige deaf site.
Im Internet sterben jeden Tag Websites, und es werden neue geboren. Heute gibt es wohl kaum einen Gehörlosenverein, der noch keine Homepage hätte. Auch das inzwischen eine Selbstverständlichkeit.
Deaf Internet? Das Internet wird doch von allen benutzt, von Hörenden und Gehörlosen auf der ganzen Welt! Was gibt es da für Besonderheiten für Gehörlose?
Sprache
Das Internet ist überwiegend auf Text ausgerichtet. Viele Gehörlose (nicht alle!) haben aber Probleme mit der deutschen Sprache. Viele Texte im Internet sind zu kompliziert geschrieben. Das Problem kann auf zwei Arten gelöst werden: durch einfache Sprache oder Gebärdensprache.
Lernen
Weiterbildungsmöglichkeiten für Gehörlose, z.B. an Volkshochschulen, gibt es nur selten. Da kann das Internet Angebote bereitstellen, die dann für jeden überall erreichbar sind. Zukunftsweisend ist das Aachener Projekt AILB.
Informationen
Das Internet bietet unendlich viele Informationen - auch Insiderinformationen für Gehörlose. Um nur ein Beispiel zu nennen: Bis vor wenigen Jahren wusste eigentlich niemand, dass Gehörlose eine eigene Kultur und Geschichte haben. Jetzt gibt es den Verein KUGG, auf dessen Website sich jeder informieren kann. Früher galt: Der Gehörlose ist immer der letzte, der es erfährt. Heute werden Informationen blitzschnell über das Internet verbreitet. Aber auch ÜBER Gehörlose können Hörende im Internet Informationen finden. Ein gutes Beispiel ist die holländische Seite "maakeengebaar" (mache eine Gebärde). Da verliebt sich ein hörender Bauarbeiter in eine gehörlose Architektin! ;-)
Kommunikation
Was früher das Schreibtelefon war, sind heute Messenger (MSN, ICQ usw.) und Video-Chats wie z.B. Camfrog. So können sich Gehörlose weltweit unterhalten.
Kontakte
Früher haben viele Gehörlose isoliert gelebt. Die anderen wohnten einfach zu weit weg. Außerdem waren die Gehörlosenclubs so klein, dass man nur eine beschränkte "Auswahl" hatte bei der Partnersuche. Mit E-Mails, Chats, Diskussionsforen, Kontaktanzeigen und vor allem auch Flirtportalen (z.B. www.gl-sh.de) hat sich das grundlegend geändert.
Kampf für Rechte und gegen Unterdrückung
Veröffentlichungen können eine politische Waffe sein. Wenn eine Zeitung über einen Skandal berichtet, ist das für die Betroffenen sehr unangenehm. Genauso im Internet, nur mit dem Unterschied, dass jeder alles sofort veröffentlichen kann. Da der Taubenschlag jeden Tag ca. 5000 Besucher hat, kann er mit Veröffentlichungen wirklich einen SCHLAG verpassen. Wenn Phoenix das Kanzlerduell nicht mit Dolmis senden soll, wenn beim WDR womöglich Untertitelungen eingespart werden sollen, wenn eine Pharmafirma mit dem Slogan "Taub macht stumm" wirbt, wenn eine Krankenkasse nicht für einen Lichtwecker zahlen will - da hilft dann oft schon ein Hinweis im Taubenschlag. - Die "I love you"-Orchidee war übrigens sehr begeht, aber den AmO (Arsch mit Ohren) wollte niemand haben! ;-)
Spiel und Spaß
Das Internet ist nicht nur für ernsthafte Dinge da. Man kann selbstverständlich auch spielen, mit anderen Spielern im Netz. Aber damit kennt ihr euch besser aus als ich. Und man kann natürlich auch viel Spaß haben. Als Beispiele zeige ich euch zwei Videos, das eine von Theo Stoter, einem gehörlosen Holländer, selbst erstellt (Freunde für's Leben), das andere ein brasilianisches Werbevideo für Strandlatschen (Havaiana-Werbung mit Dolmi).
Die Entwicklung des Internets, besonders auch des DEAF INTERNET, war rasant. Als der Taubenschlag gegründet wurde, hat noch niemand von DSL geträumt. ISDN erschien uns als superschnell. Von diesen technischen Voraussetzungen hängt aber gerade für Gehörlose viel ab. Kommunikation in Gebärdensprache über das Internet ist nur mit einer Breitbandverbindung wie DSL möglich.
Was wird kommen? Schon da ist z.B. das Bildtelefon über Internet. Bildtelefon, war das nicht schon gestorben? Richtig, die T-Com hatte Produktion und Vertrieb eingestellt. Unter Hörenden bestand wohl kein Bedarf. Aber auch bei den Gehörlosen hat es sich nicht durchgesetzt. Warum? Wahrscheinlich weil es zu teuer war. 1000 DM in der Anschaffung, und dann immer doppelte Gebühren für 2 ISDN-Kanäle! Das kann bei Ferngesprächen ganz schön teuer werden. Das ist bei DSL-Bildtelefonen total anders. Mit denen kann man (fast) kostenlos telefonieren. Mal abwarten, ob diese Bildtelefonie sich jetzt durchsetzt.
Ähnlich ist es mit der mobilen Bildtelefonie. Mit UMTS-Handies längst möglich. Allerdings sind die UMTS-Netze wohl eher noch Flickenteppiche, und wer nicht in einer Großstadt wohnt hat keinen Empfang. So billig wird es auch nicht sein, und wie es ganz praktisch funktioniert - Handy hinstellen und richtig ausrichten - das muss sich auch erst herausstellen. Kann sein, dass das einfach zu umständlich und zu teuer ist.
Als billiger und praktischer könnten sich Smartphones wie hiptop/Sidekick und Blackberry erweisen. E-Mails sind VIEL besser als SMS. Sie können unendlich lang sein (nicht nur 160 Zeichen!), man kann sie in die ganze Welt verschicken, Bilder und Texte anhängen - und das alles kostenlos! Außerdem kann man mit einem hiptop z.B. chatten, auch weltweit und kostenlos. Das ist ähnlich wie beim Schreibtelefon - aber besser und billiger.
Zum Telefonieren mit Hörenden gibt es auch schon verschiedene Möglichkeiten. In den USA haben sich Vermittlungsdienste (relay services) durchgesetzt. Die können dort kostenlos genutzt werden. Sogar die Bildtelefone dafür gibt es kostenlos! Ob es das bei uns jemals geben wird? Immerhin gibt es schon verschiedene Vermittlungsdienste, per Internet und Schriftsprache (Neue Dienste Vogelsberg) oder per Bildtelefon (TeleSign). Das ist sicher keine Konkurrenz. Manche Hörgeschädigte bevorzugen die Schriftsprache, andere die Gebärdensprache. Ganz toll wird's, wenn man von unterwegs einen Hörenden in den USA anrufen will. Das geht nämlich über einen relay service, den AOL zur Verfügung stellt, im AIM, kostenlos - und eben auch über den hiptop!
Gebärdensprache auf Internetseiten? Vor wenigen Jahren noch kaum vorstellbar, heute fast schon eine Selbstverständlichkeit. Im Rahmen der Barrierefreiheit sind Websites von Behörden usw. verpflichtet, ihre Internetseiten auch für Gehörlose zugänglich zu machen - per DGS-Videos. Da gibt es sogar schon Spezialisten, die sich auf die Produktion von DGS-Videos konzentrieren (Gebärdenwerk). Aber auch Websites von Privatleuten und Verbänden setzen vermehrt DGS-Videos ein. Ganz neu im Netz ist die Website spectrum-11 der Münchner Gehörlosen. Sie wird mit großem Aufwand betrieben, mit Mitteln von Aktion Mensch und des Europäischen Sozialfonds. Am letzten Wochenende berichtete Sehen statt Hören über die neue Website. Am Samstag schoss die Besucherzahl in die Höhe: 362. In den folgenden Tagen sank sie dann wieder auf unter 100. Wenn Tausende die Fernsehsendung sehen - warum gibt es dann so wenige Besucher auf spectrum-11? Die Website verwirklicht doch das, wovon wir Macher von deaf sites jahrelang geträumt haben: Infos für Gehörlose in DGS! Ob wir immer in die falsche Richtung geträumt haben? Kann es sein, dass Gehörlose gar nicht so scharf auf Gebärden-Infos sind? Kann man sich vielleicht doch per Schriftsprache schneller informieren - auch, wenn man nicht jedes Wort versteht?
Dazu würde mich eure Meinung interessieren, und darüber würde ich mit euch jetzt gerne diskutieren.
Und dann ist da noch ein anderer Punkt, den ich nicht verschweigen will. Am Anfang hatte ich Jolanta Lapiak zitiert, die vor 10 Jahren noch begeistert und davon überzeugt war, dass das Internet die Gehörlosen näher zueinander bringt. Das mag virtuell stimmen. Real sieht es in den USA aber so aus, dass die deaf clubs immer kleiner werden und zum Teil schon verschwinden. Man kann sich locker mit jedermann in der Welt unterhalten, vom Computer aus. Warum sollte man also noch ins Freizeitheim gehen?
Auch das ist eine Frage, über die ich mit euch gerne diskutieren würde.
Aber auch für andere Fragen zu Taubenschlag und Deaf Internet stehe ich euch gerne zur Verfügung.
Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit!
Und wenn ihr zu Hause noch einmal nachlesen und nachsurfen wollt. Hier findet ihr dieses Referat:
http://www.taubenschlag.de/bernd/referate/bremen
Bernd Rehling